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Rechte GewerkschafterInnen ?

Rundbrief antifaschistischer/antirassistischer GewerkschafterInnen (RAG)
Einleitung

Kurz vor der Bundestagswahl berichtete das Funktionärsorgan der IG Metall »direkt« ziemlich bestürzt von einer Studie, die im Auftrag des WDR gemacht worden war. Deren Ergebnis: Gewerkschaftsmitglieder seien in einem höheren Maß bereit, rechtsextrem zu wählen, als ihre unorganisierten KollegInnen.

Foto: flickr.com; Daniele Civello; CC BY-NC 2.0

Die Studie sorgte kurzfristig für Wirbel und verschwand dann wieder in den Schubladen. Nach den Wahlen folgte prompt die Entwarnung aus den Funktionärsetagen: »Kein Rechtsruck bei Gewerkschaftsmitgliedern. Die Gewerkschaftsmitglieder haben zur SPD zurück gefunden«, schrieb »direkt« in der Ausgabe 20/98. Doch wundern sollte sich über die Ergebnisse der Studie niemand: Schließlich war es der IG Metall Vorsitzende Klaus Zwickel, der sich Ende 1996, um die Lufthoheit über den deutschen Stammtischen besorgt, mit Äußerungen in Szene setzte, in denen er Erwerbslosigkeit mit Einwanderung verknüpfte und daraus "sozialen Sprengstoff" konstruierte.1

Die Studie

Zu den Motiven von Gewerkschaftsmitgliedern, potentiell rechts zu wählen, wird u.a. folgendes Einstellungsmuster angeboten: »Deutlich weniger Vertrauen in die Kompetenz etablierter Parteien, bestimmte politische Probleme zu lösen (Sicherung des Standorts Deutschland, Bekämpfung von Kriminalität und Verbrechen...). Beim Thema 'Innere Sicherheit' schreiben sogar 14% des Wählerpotentials bei Gewerkschaftsmitgliedern der DW die größte Kompetenz zu.«

Wir halten es für wichtig, beim Umgang mit diesen Daten zwei Aspekte über die Mitgliederstrukturen von Gewerkschaften zu beachten: Zu den gewerkschaftlich Organisierten zählen die Beschäftigten, die Rationalisierung als Bedrohung kennen lernen mußten; und daher unter Umständen anfälliger für die Angebote eines vermeintlich kollektiven Schutzes sind. Der zweite Aspekt besteht darin, daß in der Industrie, in der es einen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad gibt, eine nationalistische, ideologische und ökonomische Offensive anhand der »Standort Deutschland«-Parole geführt wird. Beide Aspekte wollen wir jedoch nicht als Entschuldigung verstanden wissen.

Wie reagieren Gewerkschafts-Apparat und -Basis?

Noch eine Woche vor der Bundestagswahl schrieb der IGM-Vorsitzende Klaus Zwickel von der Inhaltsleere im Wahlkampf der beiden großen Parteien CDU und SPD. Im Gegensatz dazu ist in »direkt« gleich nach der Entwarnung (»Kein Rechtsruck bei Gewerkschaftsmitgliedern«) zu lesen: »Unsere Themen haben den Wahlkampf beherrscht und wurden zur Meßlatte«. Die Betroffenheit vor den Wahlen wurde dann nach dem Wahltag schnell zum Geldtopf für rasch abfragbare Maßnahmen beim DGB Bundesvorstand delegiert. Denn selbstverständlich sollen die Vorschläge für eine dezentrale kontinuierliche Antirassismusarbeit mit allen verfügbaren Mitteln und Kräften umgesetzt werden ... solange jedenfalls, wie das Geld reicht.

Doch mit Flickschusterei werden die grundsätzlichen Defizite in der gewerkschaftlichen Politik nicht beseitigt: Es fehlten und fehlen nur klare Forderungen nach einem »Wahlrecht für alle«, einem »Antidiskriminierungsgesetz« oder »Gerechtigkeit« unabhängig vom (deutschen) Paß. Die von den FunktionärInnen propagierten »intelligenten Problemlösungen« ersetzen eben nicht eine Bildungsarbeit, in der es auch um die Geschichte der Arbeiterbewegung, ökonomische Strukturen und begriffliche Klarheit gehen müßte. Wenn der IG Metall-Hauptkassierer Bertin Eichler in der Metallzeitung von »Schaden für die Gemeinschaft« durch die Unionsregierung schreibt, läßt allein der Begriff »Gemeinschaft« kein Nachfragen nach Interessen mehr zu. In der Gemeinschaft ist man Mitglied oder nicht. Es gibt Regeln und individuelles Fehlverhalten. Anders verhält es sich mit den Begriffen »Gesellschaft«, »Interessen« und »Gesellschaftsordnung«.

Auch an der Basis herrscht eher Ratlosigkeit: Bei einer Diskussion über die WDR-Studie in der IG Metall Stadtteilgruppe Berlin-Tempelhof beispielsweise wurden zwei KollegInnen der Gewerkschaftsjugend zum Vortrag eingeladen. Die Diskussion landete ziemlich schnell auch bei den hierarchischen Strukturen in der IG Metall und den Betrieben. Ein guter Ansatz, nur hat erstens Rechtsextremismus nicht ausschließlich mit Jugend zu tun (was auch in der Stadtteilgruppe kurz erwähnt wurde) und zweitens kommen ja Rechte mit autoritären Strukturen bekanntlich ganz gut aus.

Welche Politik steht dahinter ?

Die Frage, warum Rechtsextremismus für Gewerkschaften ein Problem ist, wird nicht gestellt. Ein politischer Umgang liegt scheinbar nicht im Aufgabenbereich des Dienstleisters Gewerkschaft. Daß rechte »Konzepte« selbstbewußte Beschäftigte und die Vertretung der eigenen Interessen (Selbstorganisation) ausschließen, entfällt für die »PragmatikerInnen« als Argumentationsmuster. Unter der Vorgabe, öffentliche Achtungserfolge und damit einhergehend gesellschaftlichen Einfluß zu gewinnen, propagieren selbstgefällige, vermeintlich linke FunktionärInnen die Besinnung auf gewerkschaftliche »Kernaufgaben« wie Tarif-, Steuer- oder Umweltpolitik. Gewerkschaftsmitglieder werden von ihrer Organisation nicht in die Entwicklung von Forderungen und Politik einbezogen. Eine kluge Technokratie verhindert auch strukturell die kollektive Entwicklung von Gegenmacht. Dabei ließe sich gerade mit den Erfahrungen aus gemeinsamen Auseinandersetzungen Ausgrenzung, Selbstüberhöhung, Nationalismus und Chauvinismus das Wasser abgraben. Stattdessen leistet die Übermacht der »intelligenten Lösungen« der selbsternannten Modernisierer ihren Beitrag zu den rechten Einstellungen von Gewerkschaftsmitgliedern. Die Notwendigkeit für eine andere (Gewerkschafts-)Politik ergibt sich auch aus der Schlußfrage der WDR-Studie: »Entwickeln sich Einstellungen des rechtsradikalen Wählerpotentials in den gewerkschaftlichen Kommunikationsstrukturen selbst und sind damit ein Indiz für Probleme des Rechtsradikalismus innerhalb der Gewerkschaften?« Diese Frage darf als lange beantwortet gelten.

Was tun?

Nötig ist, daß weit mehr KollegInnen aus der erpressenden Abwärtsspirale des Standorte-Pokers den Schritt gehen, sich über die betrieblichen »Zwänge« hinaus für eine andere Gesellschaftsordnung einzumischen. Und was uns angeht: Wir werden weiterhin eine gleichberechtigte Entwicklung an jedem Ort statt einen »Kurs am Standort Deutschland« fordern. Wir sind gerade in der Diskussion über eine neue Kampagne. Denn die Resonanz auf den Extra-"Rundbrief antifaschistischer/antirassistischer GewerkschafterInnen" (RAG) zum Wahlrecht war ermutigend. Aber wir sind noch viel zu lieb für diese Zeit.

  • 1Klaus Zwickel im FOCUS-Interview: "Ich denke sehr wohl, dass wir zu Quotierungen im Rahmen eines Einwanderungsgesetzes kommen müssen, um den deutschen Arbeitsmarkt zu entlasten und den sozialen Sprengstoff zu entschärfen".