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Rassistische Ermittlungen und »Dönermorde«

Biplab Basu (Gastbeitrag)
Einleitung

It is not light that we need, but fire; it is not the gentle shower, but thunder. We need the storm, the whirlwind, and the earthquake. (Freederick Douglas)

»Am 9. September 2000 wird in Nürnberg ein 38 Jahre alter türkischer Blumenhändler mit acht Schüssen aus zwei verschiedenen Waffen getötet. Es ist der erste Mord jener Serie, die Polizei und Öffentlichkeit für Jahre vor ein Rätsel stellt.« schreibt der Spiegel1 . »Zwischen September 2000 und August 2001 ermordet die braune Zelle vier Einwanderer ...«2 .

Die Polizei hat bundesweit nach Mördern gesucht? Bestimmt. Sie hat auch mit ›Profilern‹ gearbeitet. Aber mit vorwiegend rassistischen ›Profilern‹3 . Opfer waren türkische Kleinhändler = Mitglied/Kunde der türkischen Mafia und deswegen wurden sie ermordet. Daher die Suche nach Passagierlisten von Türkei-Flügen rund um die Tatzeiten, dazu Mietwagen-Verträge, Tankquittungen und Auszahlungen an EC-Automaten.

Diese rassistische Ermittlungsmethode ist keine Ausnahme. Sie ist auch nicht damit zu erklären, dass der oder die eine oder andere leitende Ermittler_in etwas übersehen haben könnte. Dieser sogenannte Fehler liegt in den rassistischen Grundeinstellungen, die wiederum dem institutionalisierten Rassismus Vorschub leisten. Otto Schilys Kampagne, Flüchtlinge und Asylsuchende zu kriminalisieren, passten ebenso in die rassistischen Strukturen der bundesrepublikanischen Wirklichkeit, wie eine gezielt gesteuerte antimuslimische Grundstimmung in der gesamten Gesellschaft. Polizei und Geheimdienste haben faktisch schützend die Morde begleitet und die Schilys (SPD) und Bosbachs (CDU) sorgten für die notwendige rassistische Ideologie – im Parlament und in Fernseh-Talkshows.

Rassismus wird institutionalisiert und entsprechend wird auch gehandelt. Die Polizei handelt in dieser gesamtgesellschaftlichen Struktur auch nicht anders als die vorherrschende gesellschaftliche Meinung, Struktur und Ideologie. Das polizeiliche Handeln gegenüber der migrantischen, schwarzen oder People of Color (PoC)-Bevölkerung, die auf Grund der Hautfarbe, Sprache, ethnischer Hintergründe, Religion oder wie auch immer die Polizist_innen kategorisieren, sortieren und hierarchisieren, spiegelt den gesellschaftlichen und institutionellen Rassismus wider.
Seit dem 4. November letzten Jahres, nach dem Selbstmord der zwei NSU-Killer, dem Wohnmobilbrand, der Explosion eines Hauses in Zwickau und der Festnahme der Komplizin, erwecken Politik, Wissenschaft aber auch ein Großteil der Antifa den Eindruck, als ob es ausreichend sei, wenn wir uns mit den Einzelheiten, mit den Feinheiten und Symbolen der Neonazigruppen beschäftigen. Rassistische Ermittlungstheorien der Polizei und Geheimdienste und die gezielte und rassistische Kriminalisierungskampagne der Medien wurde weitgehend ignoriert, beziehungsweise nicht verstanden.

Der Nürnberger Oberstaatsanwalt Kimmel behauptet trotz alledem, »alles Menschenmögliche« getan zu haben, um die Morde aufzuklären. Die Kumpanei, das Zusammenspiel zwischen der Polizei und der Staatsanwaltschaft ist nahezu perfekt.

In der Antwort der Bundesregierung zu der Kleinen Anfrage der Abgeordneten Sevim Dagdelen im Bundestag im Jahr 2008, zu dem Phänomen des racial profiling in Deutschland (BT-Drucksache 16/9061) heißt es: »Der Begriff des »racial profiling« ist aus den USA bekannt. Er umschreibt vor allem das Herausgreifen bestimmter Personen bei Personenkontrollen auf Grund ihres Aussehens (z. B. ethnische Herkunft, Hautfarbe).In der Bundesrepublik Deutschland verbietet sich eine solche Vorgehensweise schon auf Grund des Grundgesetzes und des rechtsstaatlichen Sys­tems. Daher bedienen sich weder das Bundeskriminalamt (BKA) noch die Bun­despolizei eines solchen Sys­tems.«

Der institutionalisierte Rassismus und der Rassismus der Institutionen wird geleugnet. Und wenn dieser verleugnet wird, dann muss man sich nicht wundern, dass auch racial profiling abgestritten wird. Racial profiling ist ein Teil von institutionalisiertem Rassismus und des Rassismus der Institution Polizei. Das kann weder die Bundesregierung noch die Polizei zugeben, da Rassismus als System nicht zugegeben wird.

Für die Bayerische Polizeigewerkschaft, der Herausgeberin des rassistischen »Karikaturen-Kalenders«, ist überhaupt nicht einleuchtend, warum sie ihre künstlerische Freiheit nicht entfalten dürfe. Hat die Bundeskanzlerin nicht selbst – vor nicht all zu langer Zeit, dem dänischen Karikaturisten einen Preis für seine rassistischen und islamfeindlichen »Mohammad Karikatur« übergeben? Auch die Grüne Landtagsabgeordnete aus Bayern, Susanna Tausenfreund, sieht bedauerlicherweise nur »einen gewissen Alltagsrassismus« in der Polizei4 und übersieht den rassistischen Alltag der von Rassismus betroffenen Menschen: Eine Kons­tante in ihrem Alltag – auf der Straße, in der Schule, im JobCenter, bei der Arbeit, im Krankenhaus und und und – das ist Alltagsrassismus.

Der Pressesprecher des Verwaltungs­gerichts Koblenz schrieb am 29. März 2012 zu einem Gerichtsurteil5 : »Beamte der Bundespolizei dürfen Reisende jedenfalls auf Bahnstrecken, die Ausländern zur unerlaubten Einreise oder zu Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz dienen, verdachtsunabhängig kontrollieren. Es ist ihnen bei Stichprobenkontrollen nicht verwehrt, die Auswahl der anzusprechenden Personen auch nach dem äußeren Erscheinungsbild vorzunehmen.«

Die Berliner Polizei teilte am 20. Mai dieses Jahres mit, dass ein Imbiss-Mitarbeiter in Berlin-Pankow von vier Personen »fremdenfeindlich« beleidigt wurde. Das Online-Magazin, Publikative.org schrieb am selben Tag dazu: »Auf die Nachfrage bei der Polizeipressestelle, welcher Hinweise vorliegen, dass der beleidigte Imbiss-Mitarbeiter ›fremd‹ sei, hieß es, dass dieser ›einen Migrationshintergrund‹ habe. Die Frage danach, ob es sich dabei um eine rassistische Beleidigung handeln könnte, wurde verneint. Es gäbe zwar keine Dienstvorschrift hier­zu, aber es sei bundesweiter Sprachgebrauch bei der Polizei von dem Tatbestand der ›Fremdenfeindlichkeit‹ zu sprechen, weshalb es verneint werden müsse, dass dies ein rassistischer Vorfall vor dem Döner-Imbiss gewesen sei.«

Die Verleugnungsstrategie funktioniert nicht nur gut im Parlament, sonder auch in den konkreten polizeilichen Ermittlungen. Wenige Menschen sehen den Zusammenhang zwischen den rassistischen Morden der Neonazis, dem Koblenzer Urteil zu verdachts­unabhängigen Personenkontrollen oder dem »Karikaturen-Kalender« der Baye­rischen Polizeigewerkschaft. Durch die Polizei, die auf Grund der Hautfarbe, bzw. der Sprache, ethnischer Hintergründe oder was auch immer »das Andere« definiert, werden Menschen rassistisch behandelt. Die Polizist_innen haben die Gedankenstruktur im Kopf, dass jede_r Nichtweiße ein_e Verbrecher_in sein könnte. Dieser rote Faden zieht sich durch alle Polizeistrukturen und auch alle Institutionen.

  • 1Der Spiegel, 18. Februar 2012, S. 63.
  • 2Ebd.
  • 3Anmerkung der Redaktion: Wie im Artikel "Wissen schützt vor Terror nicht" dargestellt gab es mindestens zwei Polizei-Profiler Gutachten, die Rassismus als mögliches Mordmotiv benannten. Allerdings hatten ihre Ergebnisse keine Auswirkungen auf die Hauptermittlungsrichtung der Sonderkommission.
  • 4Welt online, 29. Februar 2012
  • 5Urteil vom 28. Februar 2012, 5 K 1026/11.KO