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NPD-Aufmarsch in Bonn mit politischem Nachspiel

Einleitung

Es klang schon etwas großkotzig, als der Bonner NPD-Kreisvorsitzende im Sommer 1998 Tausende von Neonazis für den 24. Oktober 1998 zum Aufmarsch gegen die Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« in Bonn ankündigte. Zu diesem Zeitpunkt hätte man Hans Robert Klug höchstens die Mobilisierung von ein paar Neonazis zugetraut. Neben Werbung mittels Plakaten bei rechten Aufmärschen, die sowohl am 12. September 1998 in Münster, als auch eine Woche später in Rostock von Mitgliedern der JN-NRW getragen wurden und der üblichen Werbung über NPD-Verteiler, rief auch das "Nationale Infotelefon Rheinland" (NIT Rheinland) zu der Demonstration auf, an der dann insgesamt über 1.000 Neonazis teilnahmen. Die Führung übernahmen statt der NPD die »Freien Nationalisten« und die Polizei sorgte mit einem ungewohnt brutalen Einsatz dafür, daß der antifaschistische Protest nur wenig Erfolg hatte.

Die Neonazi-Kader Christian Malcoci, Hans Robert Klug und Christian Worch (v.l.n.r).

Im rot/grün-regierten Bonn wurde der geplante NPD-Aufmarsch, der für 3.000 TeilnehmerInnen angemeldet worden war, politisch totgeschwiegen. Der Tenor der Lokalpresse lautete: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht. Einen Tag vor dem gerichtlich erlaubten NPD-Aufmarsch durfte die Polizei »Gefangenensammelstellen« in den Leitartikeln präsentieren. Es wurde auch schnell deutlich, für wen diese gedacht waren: Für »anreisende, gewaltbereite Autonome«.

Der Aufmarsch am 24. Oktober 1998

Diejenigen, die vor diesen »polizeilichen Maßnahmen« offensichtlich keine Angst zu haben brauchten, sammelten sich am 24. Oktober 1998 mit Beginn der Morgendämmerung im Bonner Norden. Merkwürdigerweise suchten BeobachterInnen die führenden Kader und höhere Chargen der NPD vergeblich. Erschienen waren laut Beobachtungen vor Ort lediglich die doch sehr alte rechte Integrationsfigur Wolfgang Nahrath (Stolberg), der in der Partei auf Bundesebene aber nur noch über geringen Einfluß verfügt, dessen Bonner Adlatus Hans Robert Klug und eine Handvoll JN-Kader. Unter ihnen befanden sich der JN-Landesvorsitzende von NRW, Achim Ezer (»Mahmut«) aus Köln, Frank Amberg (Burscheidt) und ihr alter Kumpel Oliver Händel (Dresden). Aus dem Ruhrgebiet kamen Melanie Dittmer und Thorsten K. (Mitorganisator des "Deutschen Kulturwerkes"). Als NPD/JN-Vertreter aus der Region waren unter anderem die Brüder Andreas H. und Christian H., der RechtsRock-Musiker Frank Krämer (Eitorf) von "Stahlgewitter" und Markus W. (Bonn) gekommen. Als Nicht-NPD'ler der Neonazi-Aktivist Jens Ulrich B. (St. Augustin) und der frühere FAP-Trommler Stefan S. (Lohmar).

Merkwürdig erschien die Anwesenheit des ehemaligen FAP-Bereichsleiters Ralph Tegethoff (Bad Honeff), der die NPD bis her eher gemieden hatte und den man nach wie vor bundesweit als feste Größe innerhalb der militanten Neonazi-Szene betrachten sollte. Tegethoff war laut Augenzeugen nicht nur Teilnehmer, sondern soll sogar eine Art »Bereichsleiter« des Demonstrationszuges gewesen sein. Seltsam war auch die Teilnahme von Bernd Michael Sch., der seinen »Kameraden« immer erzählt, daß er mit der NPD nichts zu tun haben wolle.

Das Gros der rund 1.000 Neonazis stellten Neonazi-Aktivisten aus »Freien Zusammenhängen«. Als führend unter diesen erwiesen sich die Teilnehmer aus Hamburg um Christian Worch, die zwar etwas zu spät kamen, aber von vielen anderen Teilnehmern mit lautem Gegröhle begrüßt wurden. Kein Wunder, denn die zum Teil betrunkenen »Kameraden« schienen von dem striktem Alkoholverbot der Organisatoren nichts zu halten. Mit Worch kamen auch Thomas Wulff ("Steiner") und etwa 80 weitere schwarz gekleidete Neonazis. Aus dem Süden der Republik reisten neben Münchner Neonazis der JN-Kader Rolf G. (Frankfurt/Main) an. Der Betreiber des NIT Rheinland, Sven Skoda (Düsseldorf), brachte einige Neonazis aus Düsseldorf mit, die sich zu den bekannten (früheren) Neonazi-Funktionären gesellten, die gerade häufig zu Neonazi-Demonstrationen anreisen: Siegfried Borchardt (Dortmund), Christian Malcoci (Grevenbroich), Friedhelm Busse (München), Bernd Stehmann (Bielefeld), Thorsten Heise (Northeim), Dieter Riefling (Hildesheim), Rüdiger Kahsner (Hagen) und Stephan Haase (Lüdenscheid) u.a.

Nach stundenlangem Warten setzte sich der Aufmarsch dann gegen 15 Uhr in Richtung Zentrum in Bewegung. Ziel war die Beethovenhalle, in der neben der "Wehrmachtsausstellung" gleichzeitig auch der Parteitag der Grünen über den Koalitionsvertrag mit der SPD abstimmte. Doch das medienwirksame Ziel blieb den Neonazis verwehrt: 1.500 GegendemonstrantInnen lieferten sich schon seit Stunden ein Katz- und Maus-Spiel mit den etwa 3.000 eingesetzten Polizisten. Dies war auch der Grund dafür, daß die Neonazis ihre vorgesehene Route nicht einhalten konnten. So zogen sie durch menschenleere Straßen und trafen - wenn überhaupt - auf Ablehnung der AnwohnerInnen. Wegen einer durch GegendemonstrantInnen besetzten Kreuzung mußten sie das letzte Stück des Weges zu ihrer Zwischenkundgebung völlig unbeachtet am Rheinufer zurücklegen. Pünktlich, als die Neonazis endlich den Kundgebungsplatz erreicht hatten, setzte ein unangenehmer Regen ein. Eine mehr als peinliche Begrüßungsansprache von Hans Robert Klug eröffnete eine nicht enden wollende Reihe ermüdender Reden. Zunächst trat Wolfgang Nahrath als Mentor des Bonner NPD-Kreisverbandes und beliebter »Führer-Imitator auf. Ihm folgten Achim Ezer, Friedhelm Busse und Christian Worch. Bei den letzten Reden hörte bereits fast niemand mehr zu. Die wackeren »Kameraden« waren durchnäßt bis auf die Knochen und begannen zu schwächeln. So stellte sich der Rückmarsch zum Sammel- und Abschlußkundgebungsort mehr als ungeordnetes Gerenne, denn als disziplinierter Zug dar. Die Abschlußkundgebung fiel buchstäblich ins Wasser.

Die NPD als Anmelder für die »Freien Zusammenhänge«

Abschließend läßt sich feststellen, daß für die NPD sämtliche Mitglieder des Bundesvorstandes oder andere Führungsfiguren fehlten. Die Teilnahme der JN-Kader Achim Ezer, Oliver Händel und Frank Amberg läßt sich durch regionale Bezüge erklären. Das Fehlen der NPD-Führung deutet einerseits darauf hin, daß die NPD nicht uneingeschränkt auf Schmusekurs mit den »Freien« ist, die die Demonstration voll für sich vereinnahmen konnten. Andererseits scheinen die NPD-Oberen derartige Aufmärsche nicht mehr als so wichtig zu werten, als daß ihre Anwesenheit angemessen erscheinen würde. Letztendlich füngierte die NPD lediglich als Anmelder. Alte Kader wie Worch übernahmen die Mobilisierung in Reihen der »Freien« und später die gesamte Veranstaltung. Diese Übernahme kommt kaum überraschend: Die nicht selten einzige Möglichkeit für Neonazis, eine Demonstration durchzuführen, ist die Anmeldung durch eine legale Partei wie die NPD. Versuche, auf eigene Faust Veranstaltungen durchzuführen, hätten in Bonn wohlmöglich ein ähnliches Ergebnis gehabt wie der versuchte Protest der "Sauerländer Aktionsfront" (SAF) gegen die "Wehrmachtsausstellung" in Marburg 1997 - die Festnahme sämtlicher TeilnehmerInnen. Mit Veranstaltungen wie dem Aufmarsch in Bonn nähert sich die NPD einem möglichen Verbot. Durch ein immer stärkeres Heranrücken an die jungen Neonazis und "Militanten", liefert sie fleißig die dafür notwendigen Gründe. Hatte zu diesem Verbot der verfassungsfeindlichen NPD bisher der rechtlich notwendige, offen kämpferische Aspekt gefehlt, schlagen die gewaltbereiten »Freien« ordentlich Nägel in den Sarg der ehemaligen Altherren-Partei. Der damals noch designierte Bundesumweltminister Jürgen Trittin forderte bei seiner Rede auf einer der aus dem Boden gestampften Gegenveranstaltungen am 24. Oktober bereits, über ein Verbot der NPD nachzudenken.

Antifaschistische Proteste...

Während die Neonazis ungestört von der Polizei ihre Demonstration zu Ende bringen konnten, verliefen die Proteste gegen die NPD-Veranstaltung weniger erfreulich. Auch wenn es kaum noch etwas besonderes zu sein scheint, daß Gegendemonstrationen von der Polizei angegriffen werden: Die Vorkommnisse vom 24. Oktober waren von besonderer Qualität, obwohl die Bonner Polizei mit ihren »Deeskalationsstrategien« bundesweit als vergleichsweise zurückhaltend gilt. Von Deeskalation kann seit dem 24. Oktober nicht mehr die Rede sein. Während die eher bürgerlichen Gegendemonstrantinnen unbehelligt und in kleiner Zahl ganz in der Nähe der Neonazis eine Kundgebung veranstalteten, gab es bei der Bündnis-Demonstration, die überwiegend aus sehr jungen SchülerInnen bestand, die ersten Rangeleien mit der Polizei. An mehreren Stellen versuchten die DemonstrantInnen, den Marschweg der Neonazis zu blockieren. Gegen die Blockade einer Kreuzung in der Nähe des Kundgebungsplatzes der Neonazis setzte die Polizei neben Schlagstöcken, Tränengas und Tonfas auch eine Pferdestaffel ein. Der Sinn dieses Einsatzes wird wohl ewig unklar bleiben, wurden die Neonazis doch schon weiträumig um die Blockade herumgeführt, als die Polizei mit der Räumung der Kreuzung begann. Die Härte, mit der die Beamten dabei vorgingen, wird von Augen-ZeugInnen als drastisch beschrieben: Ohnmächtig Verletzte wurden liegen gelassen, Flüchtenden mit Tonfas ins Genick geschlagen und eine jüdische Schulklasse mit etwa 200 anderen DemonstrantInnen eingekesselt. Auf Fragen, wann man denn nach Haus gehen könne, wurde laut Betroffenen-Berichten von Seiten der Polizei mit Faustschlägen ins Gesicht der Fragenden geantwortet. Nachdem die Staatsgewalt mitbekommen hatte, daß sie keine »harten« Autonomen, sondern einen bunt gemischten Haufen von zum Teil sehr jungen Leuten eingekesselt hatte, ging sie schnell zum nächsten Tagesordnungpunkt über. Es wurden wahllos DemonstrantInnen festgenommen und einer ED-Behandlung zugeführt. Für die Beamten war es dabei kein Problem, zwölfjährigen Kindern die Hände mit Kabelbindern auf den Rücken zu fesseln und sie in einen wartenden Gefangenenbus zu sperren. Als JournalistInnen sich nach den Gründen für diese Maßnahmen erkundigten, reagierte die Polizei mit der hermetischen Abschirmung ihrer jungen Opfer. Diese durften weder aufs Klo, noch ihre Eltern benachrichtigen. Diejenigen, die das Glück hatten, nicht aus dem Kessel herausgeholt zu werden, standen etwa vier Stunden in Kälte und Regen. Von Zeit zu Zeit unterbreitete die Polizei das Angebot, einzelne Personen nach Angabe der Personalien freizulassen. Diejenigen, die das Angebot annahmen, landeten jedoch bei ihren LeidensgenossInnen im Gefangenentransporter. Als politische BeobachterInnen tauchten schließlich eine Handvoll PolitikerInnen von "Die Grünen" auf - unter ihnen der stellvertretende Ministerpräsident von NRW, Michael Vesper -, die von ein paar noch freien DemonstrantInnen auf dem Parteitag der Grünen mobilisiert worden waren. Nach stundenlangen Verhandlungen mit Einsatzleitung und Staatsanwaltschaft löste die Polizei den Kessel auf. Begründung: »Keinem festgehaltenen Demonstranten können Straftaten, außer dem globalen Vorwurfs des Landfriedensbruches, nachgewiesen werden.« Für die PolitikerInnen der Grünen soll ihr Engagement wohl noch ein juristisches Nachspiel haben. Sie wurden sowohl von Mitgliedern der CDU, als auch von ein paar Hamburger Neonazis angezeigt.

...mit politischen Nachspielen

Nachdem die Polizei ein paar Tage lang Kritik von der Presse einstecken mußte und sich rund 200 Personen, unter ihnen auch viele Eltern der betroffenen Kinder, einer Sammelklage anschlossen, holte sie zum Gegenschlag aus. Sie sucht seitdem nach GegendemonstrantInnen, die an verschiedenen Orten der Stadt NPD-Anhänger überfallen haben sollen. Gab die Polizei bisher an, daß alle ihre Maßnahmen - so auch der Kessel - ein Zusammentreffen von GegendemonstrantInnen und Neonazis verhindert hätten, präsentierte sie nun Fotos eines lebensgefährlich Verletzten. Der 16jährige sei auf dem Weg zur Gegenkundgebung von »ca. zehn Vermummten« zusammengeschlagen und schwer verletzt worden. Die Suche nach den Tätern ist als eine taktische Maßnahme der Polizei zu bewerten. So zauberte sie das Opfer erst aus dem Hut und die Täter in die Fahndung, als die öffentliche Meinung sich klar gegen sie und ihren Einsatz wandte, obwohl die Existenz des Verletzten schnell bekannt gewesen sein dürfte.