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Neonazistische »Heimattreue Vereinigung Deutschlands« verboten

Einleitung

Am 14. Juli 1993 wurde die neonazistische »Heimattreue Vereinigung Deutschlands« (HVD) vom baden-württembergischen Innenministerium verboten. Die aus der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) - dem Mosler-Flügel - hervorgegangene HVD gilt als die größte militante neonazistische Kaderorganisation in Baden-Württemberg und verfügt über internationale Verbindungen.

Der HVD-Anführer Andreas Rossiar (oben links).

Die HVD wurde 1988 im Landkreis Reutlingen (Hauptquartier in Lichtenstein) von Andreas Rossiar (heute 27-jährig), Dirk Plankenhorn (heute 25-jährig) und weiteren Neonazis gegründet. Rossiar und Plankenhorn, die im Stuttgarter »Bewegungsprozeß« mit angeklagt sind, hatten vor 1988 im Raum Reutlingen eine Gruppe »United German Warriors/ Vereinigte Deutsche Kämpfer« und eine »FAP-Kameradschaft« geleitet. Rossiar kandidierte bei den Europawahlen 1989 für die FAP. Dirk Plankenhorn galt zeitweilg als Beisitzer im FAP-Landesverband von Ba. Wü.

Als weitere HVD Funktionärin trat neben Rossiar und Plankenhorn noch Karin Bächtle auf. Die Neonazis Hugo I. (Dettingen/Reutlingen), Konrad P. (Neu Ulm), Thomas Sch. (Nürnberg) gelten als aktive Anhänger bzw. Aktivisten der HVD. "Antifaschistische Gruppen aus Ulm & Neu-Ulm" berichteten in einem Flugblatt, das im Juni 1992 Konrad P., Michael Hammer und Rainer B. auf einer HVD-Sonnenwendfeier anwesend waren. Die Böfinger Gaststätte "Ponyhof" sei ein wichtiger Treffpunkt der HVD gewesen. Ein "M. Hammer" (VS-Schwenningen) wird auch als Verantwortlicher auf einem Aufkleber HVD-Aufkleber "gegen einseitige Medienhetze" und einem HVD-Flugblatt benannt. Ein HVD-Aufkleber gegen "unsere Politiker" benennt Gudrun Schulz (Aichwald)

In ihrer Satzung bezeichnet sich die HVD als parteipolitisch neutral. Dem »Schwäbischen Tagblatt« erklärte Rossiar nach dem Verbot, es sei der HVD darum gegangen, »durch die Heranbildung von Kadern mittelfristig eine politisch schlagkräftige Elite auf die Beine zu stellen, die fähig ist, auf eine entstehende Krisensituation wirtschaftlich, geistig und logistisch zu reagieren.« Die Zeit von 1933-1945 hält er »für eine der Blütezeiten Deutschlands

Die HVD verfügt laut Verfassungsschutz-Bericht (Ba-Wü 1992) über mehrere Ortsgruppen, zumindest in Reutlingen, Esslingen, Göppingen, Ulm, Nürtingen, Böblingen, Konstanz und Schwarzwald-Baar, sowie über enge Kontakte ins Elsaß. Die Angaben über Mitgliedszahlen in Ba-Wü schwanken zwischen 160 (HVD-Angaben 1990), 80-100 (Lokalpresse), 80 (VS-Bericht und Staatsanwaltschaft Tübingen) und »20 bis 30 Mitglieder und etwa ebensoviele Sympathisanten« (Verbotsverfügung des Innenministeriums). Das Ministerium redet auch von »dem ein oder anderen Sympathisanten« in Franken (Bayern), während Rossiar im »Tagblatt« von einem 15-köpfigen »Landesverband Franken« spricht.

Außerdem sind Kontakte der HVD u.a. zur »Deutschen Liga« bekannt. HVD-Anhänger standen 1991 im Verdacht für deren Wahlantritt Fälschungen von Unterstützungslisten begangen zu haben.1 Die 13-seitige Verbotsverfügung (datiert auf den 8.7.93) bezieht sich auf Paragraph 3 des Vereinsgesetzes und wirft der HVD vor, sie sei »gegen die verfassungsmäßige Ordnung« gerichtet. Die Verfügung wurde Rossiar und Plankenhorn frühmorgens am 14. Juli zugestellt. Gleichzeitig wurden landesweit 23 Wohnungen durchsucht und Unterlagen, Propagandamaterial, PCs, Mobiltelefone, Waffen, scharfe Munition, NS-Embleme und Umformteile beschlagnahmt. Das Vereinsgesetz sieht die Möglichkeit eines Verbots vor, wenn die »Zwecke oder Tätigkeit (des Vereins) den Strafgesetzen zuwiderlaufen«, bzw. wenn er sich »gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet.« Der SPD-Innenminister begründete das Verbot bezeichnenderweise nicht mit dem Verstoß gegen die Völkerverständigung sondern wählte die »staatstragende« Version (verfassungsmäßige Ordnung).

HVD-Mitglieder und Sympathisanten werden für eine lange Reihe von Straftaten (mehrere Angriffe auf Aussiedler- und Flüchtlingsheime, Schändungen von jüdischen Friedhöfen und KZ-Gedenkstätten, Naziparolen-Schmierereien, etc.) verantwortlich gemacht. Laut einem internen Rundschreiben nahmen HVD-ler am Rudolf-Heß-Gedenkmarsch im August 1992 in Rudolstadt teil. Die HVD organisierte 1992 in Ba-Wü mehrere geschichts-revisionistische Veranstaltungen, u.a. mit Kirk Lyons (USA, Anwalt des berüchtigten »Gaskammer-Experten« Fred Leuchter), Dr. Max Wahl (Schweiz) und Karl Philipp (Frankfurt/M.).

Bereits 1989 wurde bei einer polizeilichen Durchsuchung ein »internes Arbeitspapier zur Aufstellung des Sicherheitsdienstes (SD)« gefunden. Dieser SD sollte gegebenenfalls »Überläufer«, »Spitzel« und Presseleute »bestrafen«. Dazu passt, was der ehemalige Kroatien-"Söldner" und Reutlinger Neonazi Michael Schanz der Presse berichtete.2 Er sei demnach von führenden HVD-Kadern zusammengeschlagen worden, da er sich von der HVD getrennt habe und kein "Spendengeld" in Höhe von 1000 DM bezahlen wollte.

Am 12. Juni 1993 konnten (laut Verbotsverfügung) Rossiar und mindestens fünf weitere bewaffnete HVD-Mitglieder am 12. Juni 1993 »durch polizeilichen Gewahrsam gerade noch daran gehindert werden, gemeinsam mit anderen Rechtsextremisten gewaltsam« die bundesweite Antifa-Demonstration zum ANS/NA-Prozeß in Stuttgart anzugreifen.

Eine Woche später, am 19. Juni 1993 veranstaltete die HVD in Haigerloch (Zollernalbkreis) eine »Sonnwendfeier« mit etwa 100-120 Teilnehmern, davon etwa 40-50 Neonazi-Skinheads (laut »Schwarzwälder Bote«). An der Veranstaltung sollen auch französische, englische, belgische und holländische Neonazis teilgenommen haben. Die Neonazi-Skinheads bedrohten eine türkische Familie, die jedoch Hilfe herbeiholen konnte. Laut »Schwarzwälder Bote« vertrieben 50-60 TürkInnen die Neonazis. Die Polizei schritt nicht ein, sondern schickte nur kurz ein Zivilfahrzeug »zur Erkundung der Lage« vorbei (in der HVD-Verbotsverfügung brüstet sich das Innenministerium mit der Lüge, »nur durch starke Polizeikräfte« hätte eine »Massenschlägerei« verhindert werden können). Die »Sonnwendfeier« wurde von Edda und Hans Schmidt (Bissingen) angemeldet, die laut »Schwarzwälder Bote« ein NS-»Versandantiquariat« betreiben und über einschlägige Kontakte verfügen.

Laut Verbotsverfügung hat die HVD gemeinsam mit ihrer Partnerorganisation HVE (»Heimattreue Vereinigung Elsaß«) im vergangenen Jahr mehrere »Wehrsportübungen« im Elsaß abgehalten, zuletzt vom 20.-23. Mai 1993. Daran sollen insgesamt 35 Personen teilgenommen haben, davon 13 HVD-Mitglieder aus Ba-Wü (einschl. Rossiar und Plankenhorn). Da der Bericht des Landesinnenministeriums über die Mai-Übung relativ detailliert ist, kann mensch wohl davon ausgehen, daß Polizei-Spitzel im Einsatz waren. Die Neonazis übten den Umgang mit selbstgebauten Tretminen und Granaten, Plastiksprengstoff, elektronischen Fernzündern und Schußwaffen (incl. Dum-Dum-Geschossen). Kurz nach dem baden-württembergischen HVD-Verbot ging die französische Polizei gegen HVE-Mitglieder vor, v.a. im Rahmen der Ermittlungen auf grund unaufgeklärter antisemitischer Aktionen (eine Friedhofsschändung und eine Synagogen-Brandstiftung).

Laut Searchlight (englischsprachige Antifa-Zeitschrift) gab es acht Festnahmen, darunter ein Polizist. Offensichtlich gab es Konflikte zwischen der deutschen und der französischen Polizei. Die deutsche »Südwestpresse« berichtete, über »Gerüchte«, daß elsässische Polizisten Verbindungen zur HVE hätten und die französische Polizei es abgelehnt habe, zeitgleich mit dem baden-württembergischen HVD-Verbot vorzugehen. Searchlight berichtet, die BRD-Polizei habe HVD-Mitglieder im voraus über die geplanten Durchsuchungen gegen die HVE unterrichtet habe. Am 1: September verbot die französische Regierung in Paris die HVE.

HVD-Kader sind auch nach dem Verbot weiterhin aktiv. So wurde Rossiar auf dem Heß Gedenkmarsch in Fulda gesehen. Am 28. August 1993 fand bei Weil im Schönbuch (Kreis Böblingen) eine konspirativ vorbereitete HVD-Solidaritäts Veranstaltung mit etwa 30 Teilnehmern (laut Polizei) statt. Die Polizei löste die Lagerfeuer-Veranstaltung auf, nachdem etwa 60 Neonazis überprüft und Waffen beschlagnahmt worden waren. Viele von ihnen waren vorher in Karlsruhe gesehen worden. Möglich also, daß sie aus dem Elsaß angereist waren. Auch Rossiar, Plankenhom und mindestens 10 weitere HVD-Mitglieder nahmen an dem Lagerfeuer teil. Gegen sie wird jetzt wegen »Aufrechterhaltung einer verbotenen Organisation« ermittelt. Außerdem nahmen an dem Lagerfeuer laut LKA auch »einige Mitglieder« der 1992 in Heidelberg gegründeten »Aktionsfront Nationale Kameraden« und der verbotenen »Deutsche Alternative« teil.

  • 1Nachtrag: Im September 1996 gab es ein Gerichtsverfahren vor dem Landgericht Tübingen wegen Wahlfälschung u.a. gegen Andreas Rossiar, Dirk Plankenhorn, Martin Ernst H., Michael Günther H. und Frank Ernst S. Da einige der Beschuldigten noch nicht volljährig waren war das Verfahren nicht öffentlich.
  • 2Laut einem Antifa-Flugblatt war Michael Schanz früher Kontaktadresse der Neonazi-Gruppe "Nationalfreiheitliche Alternative" (NFA)