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Neonazi-Kader unterwandern süddeutschen Sicherheitsdienst

Einleitung

Über ein halbes Jahr lang bewachten Andreas Rossiar, Karin Bächtle und weitere führende Neonazis aus Südwestdeutschland als Angestellte eines Sicherheitsdienstes das soziokulturelle Zentrum »Sudhaus« in Tübingen. Nachdem es im "Sudhaus" des öfteren zu Konfrontationen mit der Rockerclique »Bones« gekommen war, hatten die Verantwortlichen die Security-Firma "Titan" aus Baiingen engagiert. Als bekannt wurde, daß es sich bei den (laut Augenzeugenberichten) z.T. auch mit Schreckschußwaffen, schußsicheren Westen und Teleskopschlagstöcken ausgerüsteten Security-Leuten auch um Neonazis handelt, wurden endlich auch die Berichte über rassistische Übergriffe im Kassenbereich ernst genommen und dem Sicherheitsdienst der Vertrag gekündigt. Das Einsatzgebiet des Sicherheitsdienstes "Titan" erstreckt sich neben mehreren Discos in Reutlingen über die Schwäbische Alb bis hin zum Schwarzwald.

Andreas Rossiar beim NPD-Aufmarsch gegen die sog. Wehrmachtsausstellung am 1. März 1997 in München.

Die HVD

Andreas Rossiar (Pfullingen/Reutlingen) gehört(e) zum härteren Kaliber in der Neonazi-Szene. Seine weitgehend konspirativ agierende "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD), die zeitweise etwa 100 Mitglieder und AnhängerInnen hatte, war bekannt für paramilitärisches Training und Wehrsport, ihr Schwerpunkt lag auf der Kaderschulung. Die Gruppe aus Lichtenstein/Reutlingen bestand seit 1988 und führte Veranstaltungen durch, betrieb Propaganda und brachte das Heft "Der Presseblick" heraus. Ihre Mitglieder und AnhängerInnen überfielen aber laut Antifa-Recherchen auch Flüchtlingsheime, schändeten jüdische Friedhöfe und machten nachts Jagd auf AusländerInnen.1 Als Gründer gelten Andreas Rossiar und Dirk Plankenhorn aus Pfullingen,2 die von Neonazis wie Konrad Petratschek (Neu Ulm), Thomas Scharf (Baudenbach/Nürnberg)3 und Hugo I. (Dettingen) unterstützt wurden. Auch nach dem Verbot der Neonazi-Gruppierung durch das baden-württembergische Innenministerium im Herbst 1993 verkündete HVD-Chef Andreas Rossiar in der Öffentlichkeit: »Mit Sicherheit werden sich Teile des rechten Lagers überlegen, ob sie nicht in den Untergrund gehen und Gewaltakte verüben.«4

Im November 1994 meldete sich der Neonazi dann öffentlichkeitswirksam via Fernsehen aus Spanien anläßlich des Todestages von dem Faschisten-Führer Francisco Franco in Uniform und mit Hitlergruß wieder. Daß er währenddessen beim »Stuttgarter Bewegungsprozess« beteuert hatte, mit der Neonaziszene nichts mehr zu tun zu haben, schien Rossiar dabei nicht weiter zu stören. Damals saß er monatelang wegen der Fortführung der 1982 verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Aktivisten" (ANS/NA) in Form des "Komitee zur Vorbereitung der Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Adolf Hitlers" (KAH) vor dem Stuttgarter Landgericht auf der Anklagebank. Er kam mit einer siebenmonatigen Bewährungsstrafe davon.

Der FVB

Am 1. März 1997 war Rossiar in München beim NPD-Aufmarsch gegen die sog. "Wehrmachtsausstellung" anwesend, wo auch der "Freiheitliche Volksblock" (FVB), der in der Szene als eine Art Nachfolgeorganisation der HVD gehandelt wird, seinen ersten großen Auftritt hatte.5 Zwar trat Rossiar nie direkt im Zusammenhang mit dem FVB in Erscheinung, in einem Flugblatt von Neonazis zum FVB heißt es dazu aber: »Die ehem. führenden HVD-Köpfe übten nach außen hin keinen Einfluß auf diese Neugründung [des FVB, d.Red.] aus, um ein Verbot wegen evtl. HVD-Nachfolge zu umgehen6 Offiziell gilt Konrad Petratschek (Neuburg a.d. Donau) als FVB Anführer, inoffiziell haben aber auch weitere alte HVD-Kader das Sagen.7 Als weitere FVB-AktivistInnen fielen u.a. Thomas Scharf (Nürnberg)8 , Stefan Sch. "Maffi" (Nürnberg), Thomas J. (Nürnberg), Jürgen B. (Niederstotzingen), Didier M. (Sinning) Heidi P. und Silke B. auf. Der FVB will eine Art neonazistische Elite mit Förderkreis und Jugendorganisation bilden, um längerfristig an Wahlen teilzunehmen.

Neonazis machen Geschäfte

Mittlerweile drängt sich lokalen BeobachterInnen der Verdacht auf, daß Andreas Rossiar bei der Sicherheitsfirma "Titan" nicht nur angestellt ist, sondern als eine Art Koordinator tätig ist und hierbei auch auf die verbliebene Infrastruktur der Neonazi-Gruppierung HVD zurückgreift. Für den Sicherheitsdienst sollen Leute aus Heidenheim, Ulm, Nürnberg und Göppingen angeworben werden - exakt die Städte, in denen die HVD früher ihre Stützpunkte hatte und der FVB heute aktiv ist.

Angeblich plant "Titan" auch, eine Zweigstelle in Halle zu eröffnen, wo der FVB neben Südwestdeutschland ebenfalls über ca ein Dutzend Aktivisten um Falko P. verfügt.

Mit Dirk Plankenhorn, dem ehemaligen HVD-Vize, soll bei "Titan" ein weiterer ehemaliger HVD-Führungskader beschäftigt sein. Über dessen Versandhandel für In- und Outdoor "Pladi Versand" in Pfullingen (bei Reutlingen) und über "Paddy's Military Shop" - einen Laden in Heidenheim, den er gemeinsam mit Jürgen B. betreibt - scheint Titan seinen Bedarf an Waffen und Uniformen zu decken. Mittlerweile soll Plankenhorn auch eine Filiale in Baiingen haben.

Karin Bächtle, Rossiars Lebensgefährtin und ebenfalls ehemals in der HVD-Führung aktiv9 , züchtet inzwischen Kampfhunde, die eventuell auch bei dem Security-Service zum Einsatz kommen. Im schwäbischen Raum ist Bächtle mit der Zucht dieser Hunde nicht alleine: Der Neonazi Steffen F. (Reutlingen) ist hier schon länger im Geschäft. Er war in Kreisen der FAP, des KAH und der "Deutsch-Völkischen Jugend" aktiv. Wegen eines Sprengstoff-Deliktes stand er laut Berichten aus der Szene bereits Mitte der 1980er Jahre vor Gericht. Kampfhunde gehören im übrigen auch zum Erscheinungsbild bei Aufmärschen des FVB.

Schon des öfteren versuchten die ehemaligen Führer der "Heimattreuen Vereinigung Deutschlands", als scheinbar ehrbare Geschäftsleute Fuß zu fassen. So betrieben sie beispielsweise einen Versand für Holzspielzeug und Kräutertees; ein anderes Mal eröffneten sie zwei Läden mit Geschenkartikeln, die sie nach einigen erfolgreichen Antifa-Aktionen wieder schließen mußten. Auch das Projekt von Dessous-Modeschauen mußten sie wieder aufgeben. Ob sich die ehemalige HVD-Führungsriege im Security-Geschäft festsetzen kann und womöglich einen eigenen Laden aufmachen wird, könnte sich naher Zukunft zeigen.

  • 1Vgl. Antifaschistisches Autorenkollektiv, Drahtzieher im braunen Netz. Hamburg 1996, S. 165 ff.
  • 2So auch der VS Bericht Baden Württemberg 1992
  • 3VS Bericht Baden Württemberg 1997
  • 4Schwäbisches Tagblatt vom 7. August 1993.
  • 5Er soll bereits 1994 in Nürnberg gegründet worden seien.
  • 6Flugblatt »Deutschland in Not...? Wer ist der Freiheitliche Volksblock?« einer »Initiative freier und organisierter Nationalisten des nationalen Widerstandes«, Berlin.
  • 7Das bestätigt sogar der VS Bericht von 1997
  • 8Nach der Verhaftung von Konrad Petratschek wegen Diebstahls im September 1998 wurde Thomas Scharf neuer FVB-Vorsitzender.
  • 9Mecklenburg, Jens (Hg.): Handbuch Deutscher Rechtsextremismus, Berlin 1996, S.271f