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Magdeburg: Blumen und Naziterror

Einleitung

Fünf Jahre nach den sogenannten »Herrentagskrawallen« zu Himmelfahrt 1994 hat sich in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt kaum etwas verändert: So marschierten am 17. April 1999 rund 800 Neonazis bei einer NPD Demonstration durch die Innenstadt, wenig später schritten deren Anhänger zur Tat: Nur sechs Tage nach dem Aufmarsch der NPD wurde ein Punk von zwei Jungnazis lebensgefährlich verletzt.

Foto: Christian Ditsch

NPD-Kundgebung im Februar 1999 in Magdeburg.

Der Imageerfolg, den die Stadt mit erheblichem finanziellen und publizistischem Aufwand bei der Ausrichtung der »Bundesgartenschau« (BUGA) hatte erzielen wollen, stand am Abend der Eröffnung der Schau mit einem Schlag in Frage. Gegen 21.40 Uhr überfielen zwei bekannte rechte Schläger die Wohnung von Jugendlichen aus der alternativen Szene. Dabei wurde einer der Jugendlichen lebensgefährlich verletzt. Ein Überfallopfer erinnert sich in einem Gedächtnisprotokoll:

»Kurz nach halb zehn wollte ich meine heute Wohnung verlassen, wurde aber schon im Hausflur von den zwei Nazis überfallen. Mit einem kurzen Baseballschläger aus Metall schlugen sie immer wieder auf mich ein. Dabei sagten sie unter anderem: 'Du warst bei der Zecken Demo, wir haben Dich auf einem Foto erkannt.« Damit war offensichtlich die Demonstration des Magdeburger Bündnis gegen Rechts gegen den NPD-Aufmarsch gemeint. Der Überfallene Mario L. berichtet weiter: »Nach Schlägen auf Kopf und Rücken zerrten sie mich die Treppe zu meiner Wohnung hoch, wo sie die Tür aufstießen. Meine beiden anwesenden Freunde schlugen sie ebenfalls zusammen und wechselten sich dabei ab. Die ganze Wohnung ist voller Blut [...].«

Indes liegt der schwerverletzte Ronald K. nach mehreren Schädeloperationen noch immer im Krankenhaus. Bleibende Folgeschäden des Angriffs können die Ärzte nicht ausschließen. Die Polizei hat inzwischen alle drei mutmaßlichen Täter des bisher letzten Überfalls gefaßt. Gegen sie wird wegen »versuchten Totschlags« ermittelt. Nach Recherchen von AntifaschistInnen nahmen zumindest zwei der Täter an dem Wochenende zuvor stattgefundenen NPD-Aufmarsch teil. Ihre ersten Aussagen bei der Polizei bestätigten die Vermutung von FreundInnen der Opfer, daß es sich um einen gezielten Überfall handelte. Nach Angaben der Polizei hätten sich die neonazistischen Skinheads zum Tatort fahren lassen, um dort Punks »aufzumischen«. Am 25. April 1999 demonstrierten rund 200 Punks und AntifaschistInnen unter dem Motto: »NPD-Aufmärsche und Naziterror - Wir schweigen nicht« durch die Innenstadt.

Ungebrochene Kontinuitäten

Der jüngste Überfall setzt die nie wirklich gebrochene Kontinuität rechter Gewalt in Magdeburg fort. Seit Anfang der neunziger Jahre kamen in der Stadt zwei Menschen bei rechten Überfällen ums Leben (Torsten Lamprecht 1992, Frank Böttcher 1997), andere wurden folgenschwer verletzt. Bis heute geht zu »Himmelfahrt« bei MigrantInnen in der Stadt die Angst um, das Haus zu verlassen. An diesem Tag im Jahr 1994 jagten rechte Hooligans und Skinheads stundenlang MigrantInnen durch die belebte Innenstadt. Die Polizei schaute damals untätig zu. Eine knappe Woche vor dem fünften Jahrestag der rassistischen Hatz überfielen rechte Jugendliche einen Mann aus Mosambik. Er und seine Begleiterin wurden geschlagen, getreten und bespuckt.

In ihren Reaktionen auf solche rechten Überfälle beschwören StadtpolitikerInnen vorzugsweise immer wieder die angeblich gegen Magdeburg gerichtete Medienhetze, statt sich das massive Problem einer erstarkenden rechten Szene vor Augen zu führen. Nach jedem rechten Angriff, der als Schlagzeile in die überregionalen Medien aufrückt, kultivieren politische VerantwortungsträgerInnen öffentlich ihre Betroffenheit und verweisen auf kostspielige Jugendarbeitsprojekte für die rechte Klientel. In dieser Situation zeugt es nicht nur von Ignoranz, das einzige alternative Jugendprojekt, welches wenigstens einem Teil der potentiellen Opfer Schutz bietet, aus fadenscheinigen Gründen räu-men zu wollen. Geht es nach dem Willen der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, kommt im Sommer das Aus für das Projekt »U8«.

Die NPD marschiert

Das Straßenbild der BUGA-beflaggten Innenstadt bestimmte Mitte April 1999 dann die NPD-Veranstaltung. Nach der »Schlappe« vom 27. Februar 1999, als die Partei vor den Verwaltungsgerichten lediglich die Genehmigung für eine Kundgebung auf dem Domplatz durchsetzte, wollte NPD-Landeschef Steffen Hupka im Vorfeld des wenig später verbotenen NPD-Aufmarsches am 1. Mai in Bremen seinen Anhängern einen Erfolg mit Mobilisierungseffekt präsentieren. Diese Rechnung ging, zumindest für Magdeburg, voll auf. Nach einigem Hin und Her genehmigte ein Gericht die Demonstration. Ungehindert und durch rund 3.000 Polizisten von Protesten abgeschirmt zogen ca. 800 Neonazis durch die Stadt. Unter dem Motto »Kein deutsches Blut für fremde Interessen« sagten Neonazi-Redner wie Peter Naumann und Thomas Wulff der »imperialistischen One-World-ldeologie« den Kampf an. Sie forderten die Teilnehmer auf, sich dem »Machtstreben« des »US-Imperialismus« zu verweigern. Wie fast immer bei derartigen Aufmärschen in Ostdeutschland stellten die "Freien Kameradschaften" und deren subkulturelles Umfeld die Mehrzahl der TeilnehmerInnen. Diese kamen nicht nur aus der Region, sondern auch aus Niedersachsen, Brandenburg, NRW, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Daß derartige Machtdemonstrationen auf der Straße die rechte Szene weiter politisieren, ist schon daran ablesbar, daß bisher eher unorganisierte regionale Strukturen nun auch öffentlich auftreten.

Eine Gruppe von ca. 15 Magdeburger Neonazis firmiert seit Anfang des Jahres unter dem Namen "Nationaler Widerstand Magdeburg", andere nennen sich "Sachsen-Anhalt Front" oder "Weisse Buderschaft". An der zum gleichen Zeitpunkt stattfindenden Gegendemonstration nahmen mit 700 TeilnehmerInnen weniger Menschen teil als noch Ende Februar. Vor allem die Beteiligung von Antifagruppen fiel dünn aus. Daher konstatierten AntifaschistInnen eine schleichende Gewöhnung an Neonazi-Aufmärsche im Osten. Die Antifabewegung überließ an diesem Tag ohne Not die Stadt den Neonazis. Dies blieb, wie ersichtlich, nicht ohne Folgen.