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Männlichkeit in Bruderschaften

Einleitung

Frauen kommen und gehen – ein Bruder bleibt ein Leben lang.“ erklärte ein Bruder des MC "Scharze Schaar". Der Aspekt der Männlichkeit ist für Bruderschaften elementar. Zunehmend lässt sich beobachten, dass sich Neonazis in solchen Bünden zusammenschließen. Dabei jagen die Brüder einer Form von Männlichkeit nach, die sich gesamtgesellschaftlich im Untergang befindet. Sie sind bemüht, diese Form von Männlichkeit, die elitär orga­nisiert ist, Frauen konsequent ausschließt, Homosexuelle verachtet und soldatische Tugenden beschwört, in exklusiven Reservaten — den Bruderschaften — aufrecht zu erhalten.

Screenshot der VICE-Dokumentation „Inside Schwarze Schar“

Kaffeekränzchen zwischen Brüdern des „MC Schwarze Schar“.

Die Pluralisierung von Männlichkeit

Die moderne Geschlechterordnung ist histo­risch gewachsen und damit sind auch die Männlichkeitsvorstellungen wandelbar. Selbst zur gleichen Zeit können innerhalb einer Gesellschaft verschiedene Vorstellungen von Männlichkeit existieren. Das betrifft natürlich auch die extrem Rechte, die verschiedene Männlichkeitsentwürfe hervorgebracht hat: von der kriegerischen, archaischen, soldatischen oder wikingerhaften Männlichkeit, über popkulturelle Männlichkeitsentwürfe, in denen die klassische Männlichkeit nicht ausschlaggebend ist (Emo-Nazis, Nipster), zu den Männern, die auch ohne einen klaren Bezug zur Gewalt auskommen (Identitäre, Neurechte) bis hin zu einem bürgerlich-intellektuellen Männlichkeitsentwurf, wie ihn die Burschenschaftler zu verkörpern suchen.1

Die Männlichkeit in den Bruderschaften, um die es vorrangig in diesem Artikel gehen wird, ist das Festhalten an einer in vielen Gesellschaften historisch überholten Variante von Männlichkeit. So gibt die „Bridade 8“ an, dass die Bruderschaft für ihre Mitglieder die Möglichkeit bietet, ungenutzte „Potentiale, Wissen und Kampfgeist“ für die Bruderschaft einzusetzen. „Bruderschaft ist soviel mehr als nur ein Wort, es ist die Kraft, es ist der Mut, es ist die unbedingte Loyalität deinem Bruder gegenüber.“ Rechte Bruderschaften organisieren sich exkludierend, d. h., sie schließen Frauen und Repräsentanten marginalisierter Männ­lich­keit aus. Bruderschaften hängen einer regressiven Form von Männlichkeit an, deren Ziel darin besteht, Eindeutigkeit und klare geschlechtliche Zuordnung als Reaktion auf den „Gender-Trouble“ herzustellen.2 Männ­lichkeit in der Rechten eint der Rückgriff auf biologisierende Vorstellungen von der Natürlichkeit weiblichen und männlichen Verhaltens sowie weiblicher und männlicher Eigenschaften.

Bruderschaften sind zweifelsfrei frauenverachtend. Sie stellen den Mann in seiner Bedeutung für Männer klar vor die Frauen: „Eine Frau findest du an jeder Ecke, gute Freunde findest du nur einmal im Leben“ oder „Eine Frau wird bei mir nie den ersten Platz erreichen, da wird immer der Club vorstehen. Egal was sie sagt.“, hieß es bei der „Schwarzen Schar MC“ aus Wismar/ Mecklenburg-Vorpommern. Auch dass sich ein Berliner „Vandale“ während einer Razzia anlässlich des Club-Jubiläums von einer Polizeibeamtin deshalb nicht anfassen lassen will, weil sie eine Frau ist, zeugt von dieser Frauenverachtung.

Bruderschaften sind die extreme Zuspitzung einer gemäßigten Männlichkeit, deren Inhalte allerdings genuin den Tiefen der bürgerlichen Gesellschaft entspringen. Insbesondere der bevorzugte Umgang von Männern mit Männern (Homosozialität), Konkurrenzdenken sowie Gewalt- und Konfliktbereitschaft sind Idealvorstellungen über Männlichkeit, die auch außerhalb der extrem Rechten verbreitet sind. Die Pluralisierung von Männlichkeit hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen. Seither ist die Form von Männlichkeit, wie ihn die Bruderschaften verkörpern, zum Fluchtpunkt geworden. Sie ist gleichsam eine Reaktion auf die Krise einer hegemonialen Männlichkeit.

Hegemoniale Männlichkeit

Das Genderkonzept hegemonialer Männlichkeit ist von der australischen Soziologin Rawyn (früher Robert) Connell in den 1980er Jahren als Reaktion auf starre Patriarchatskonzeptionen entwickelt worden. Der Hauptreibungspunkt der Brüder sind nicht zuerst die Frauen, sondern die „weichen“, „unmännlichen Männer“. Mit Connells Ansatz lassen sich genau diese Domi­nanzverhältnisse unter Männern systematisch betrachten. Das Pendent zur hegemonialen Männlichkeit ist eben nicht nur eine betonte Weiblichkeit, sondern auch die so genannten marginalisierten Männlichkeiten, wie z. B. homosexuelle oder als schwach und „verweiblicht“ geltende Männer. Wenn sich Männer einer bestimmten Bruderschaft als hart, zäh, willensstark und mutig inszenieren, können diese Zuschreibungen auf Frauen oder marginalisierte Männlichkeiten nicht zutreffen. Diese müssen notwendig als weich, verletzlich, diffus und schutzbedürftig konstruiert werden. Nur sehr wenige Männer entsprechen dem kulturellen Ideal einer hegemonialen Männlichkeit, aber fast alle Männer profitieren davon. Connell nennt dies komplizenhafte Männlichkeit. Eine weitere Form von Männlichkeit wird als untergeordnete Männlichkeit bezeichnet. Diese Kategorisierung wird auf jene Männer angewendet, die beispielsweise nach der Hautfarbe rassifiziert oder aufgrund ökonomischer Einschränkungen klassiert werden.

Hegemoniale Männlichkeit wird von der gesellschaftlichen Elite definiert. Es ist die Art von Männlichkeit, die sich in einer bestimmten historischen Epoche gegen andere existierende Formen von Männlichkeit durchsetzen kann. Insbesondere am Bild von Männlichkeit, das die  Brüder für sich reklamieren (Stärke, Durchsetzungsvermögen, Ernährer der Familie, Väterlichkeit, Käm­pfer, Beschützer, Eroberer) ist allerdings nichts mehr hegemonial.

Bruderschaften als Männerbünde

Bruderschaften unterscheiden sich untereinander in Hinblick auf ihre Organisation und Struktur erheblich. Sie alle reklamieren aber für sich einen exklusiven Ort, der nur Männern vorbehalten ist. Ehe die Brüder sich allerdings als männliche Gleiche gegenübertreten können, müssen sie sich in die Hierarchie der Bruderschaft fügen. Die „Hells Angels“ und andere Motoradclubs (MCs) beispielsweise haben eine klare Hierarchiefolge. Nur wer Opferbereitschaft, Unterwerfung und (v.a. kriminelle) Einsatzbereitschaft bewiesen hat, kann sich für die nächsthöhere Mitgliedsstufe qualifizieren. Andere Bruderschaften hingegen betonen, dass sie kein MC sind und sich nur optisch an diese anlehnen, z. B. durch das Tragen einer Kutte und von Patches. Die Zurschaustellung von Männlichkeit, die sich im Verhalten und der Erscheinung (durchtrainierte Statur, Körperhaltung, Gang, Gesten, Sprache und z. T. Gewaltbereitschaft) von Bruderschaften zeigt, ist Ausdruck dieser Anlehnung und Teil einer autoritären Willigkeit. Geradezu auffällig distanzieren sich fast alle Bruderschaften von den kriminellen Aktivitäten der MCs.
Die Zurückweisung des Individuums vor dem Kollektiv der Bruderschaft zeigt sich in der Beteuerung, wie unwichtig es sei, was ein Mitglied der Bruderschaft im Privaten tun würde, welche politischen Einstellungen und Meinungen er habe. Die Bruderschaft wird zusammengehalten durch die Verbundenheit in der männlichen Gemeinschaft, die endlich „erwachsen“ geworden ist und zieht darüber hinaus ihren Zusammenhalt aus dem Selbstverständnis explizit „patriotisch“, „nationalistisch“, „deutsch“ und „weiß“ zu sein. Eine Affinität zu einer dieser rechten Basisvokabeln wird daher in der Bruderschaft vorausgesetzt.

Homosexualität und Männlichkeit

Auch wenn sich Männer in den Bruderschaften sehr nahe kommen und nur unter sich sind, hat das aus ihrer Perspektive mit offener homoerotischer Zuwendung nichts zu tun. „Wir sagen immer, wenn wir noch mehr zusammen machen würden, wären wir schwul. Also noch mehr geht nicht.“3 . Insbesondere »verweiblichte« (effeminierte) Homosexualität wird als ultimativer Verlust von Männlichkeit eingestuft. Selbst da, wo Impulse homoerotischen Begehrens aufscheinen, müssen sie von der eigenen (männlichen) Person abgespalten und am Anderen (zumeist „unmännlichen“, „tuntigen“ Schwulen) vernichtet werden. Homophobie wird notwendig, um sich der eigenen Männlichkeit zu vergewissern. So geht es einigen Rechten  nicht darum, schwule Männer per se zu bekämpfen, sondern darum, die „Unmännlichkeit“ einiger Schwuler und für schwul gehaltener Männer anzugreifen. Dafür stehen die zahlreichen Überfälle auf Schwule, weil diese dem Ideal der Männlichkeit und damit auch dem der völkischen Familie sowie der artgerechten Fortpflanzung widersprechen. Diese offene Aggression ist eine der Umgangsformen mit Homosexualität innerhalb der rechten Szene.

Eine andere Möglichkeit des Umgangs besteht in der Ansicht, dass das Liebesleben eines Jeden Privatsache und einzig der politische Einsatz von Bedeutung sei. Einen der bislang einflussreichsten Versuche das Thema Homosexualität sogar ideologisch mit dem nationalsozialistischen Denken zu versöhnen, wurde in den 1980er Jahren von Michael Kühnen in seiner Schrift „Nationalsozialismus und Homo­sexualität“ unternommen. Sein biologistisch begründeter Versuch, Homosexualität gar als entscheidenden Aspekt der hegemonialen Männlichkeit einzuführen und damit Homosexualität vom Klischee der Unmännlichkeit zu reinigen, muss nicht zuletzt aufgrund der Ablehnung weiter Teile der rechten Szene als gescheitert eingestuft werden.

Die Selbstzuschreibung „Bruder“ scheint als ein Code zu fungieren, um den Verdacht — ja den Gedanken — an ein homosexuelles Interesse der Brüder untereinander gar nicht erst aufkommen zu lassen. Keinesfalls handelt es sich hier um den offenen Austausch erotischen Begehrens. Wichtig ist, dass der Körper, und damit das sexuelle Begehren, von der körperlichen Nähe der Blutsbruderschaft abgetrennt wird. Als Beispiel dient an dieser Stelle ein Facebook-Chat Marc Jekats, „General“ der „Brigade 8“, in dem durchaus homoerotische Gedanken im spaßigen Sinne ausgetauscht werden. Im Folgenden meldet sich ein anderer Mitstreiter der „Brigade 8“ besorgt zu Wort, worauf Jekat mit den Worten beschwichtigte: „keine sorge meinen Körper kann jeder haben meine Herz gehört nur noch den Brüdern“.

Bruderschaften übernehmen die familiäre Zärtlichkeit der Familie, die unhinterfragt bleibt und die nicht in Hinblick auf ein heterosexuelles Bekenntnis der Brüder aus­gehandelt werden muss. Wären die beiden Männer aus dem zuletzt genannten Chat-Beispiel Kameraden und keine Brüder, wären die Reaktionen innerhalb der rechten Gemeinschaft vermutlich anders ausgefallen, denn die rechte Szene ist in der Akzeptanz schwuler Kameraden überwiegend ablehnend. Insofern bieten die Bruderschaften einen unausgesprochenen Rahmen, um homoerotische Zuwendung verdachts- und sanktionsfrei zu ermöglichen.

Rassismus und Männlichkeit

Innerhalb der extremen Rechten stellt Männlichkeit eine Mischung aus Charaktereigenschaften (Mut, Entschlossenheit, Ehrlichkeit, Treue, Loyalität) und konkretem Handeln dar, wie „Probleme lösen“ ("German Black Metal Commandos"), „sich gegenseitig helfen“ ("Nordic 12"), etwas tun gegen „das aktuelle, degenerierte anti-weiße soziale Klima“ ("Blood Brother Nation").
Deutsche Männlichkeit heftet sich an das Thema Arbeit und damit verbunden an die Rolle des Ernährers einer Familie. Wichtig ist in den Stellungnahmen der Brüder zum Thema Arbeit der Hinweis darauf, dass es sich um „ehrliche und harte Arbeit“ ("Wodan Bruderschaft") handelt. Die Familie gilt es durch diese Arbeit, aber nicht nur, zu ernähren, sondern auch vor dem Angriff nicht-deutscher Männer zu schützen. Denn zu den vorbildlichen männlichen Tugenden gehört im rechten Denken auch die Zeugung und Aufzucht des deutschen Nachwuchses: „Wir sind eine deutsche Bruderschaft, mit alten deutschen Werten! Bei uns wird Familie, Kameradschaft, Ehrlichkeit und Treue groß geschrieben!“, so „Nordic 12“. Männlichkeit wird beispielsweise in der „Blood Brother Nation“ auch mit Rassismus verbunden, da es gelte die »Rassereinheit« zu bewahren: „unser Ziel ist es eine starke Bruderschaft basierend auf Respekt-Loyalität-Ehre, zu erschaffen, welche für ihre Mitglieder und deren Familien durch dick und dünn geht (…) Unsere Intention ist es, für die 14 Worte einzustehen, das Erwachen unseres Volkes voranzutreiben und diesem Volk ein Selbstwertgefühl zurückzugeben. White Pride!
Der überspannende ideologische Rahmen dieser Aspekte von Männlichkeit sind der positive Bezug auf Volk und Nation, die beide beispielsweise durch den Zuzug von Flüchtlingen und durch supranationale Organisationsformen, wie die EU, als gefährdet erachtet werden. Deutsche Männer hätten sich dagegen zu wehren und das könne nur durch die Besinnung auf eine klar konturierte, dominante und kampfbereite Männlichkeit geschehen — „einen physischen und psychischen Panzer4 , wie die „German Black Metal Commandos“ fordern. Geflüchtete Männer, die der rassifizierende Blick trifft, können — um das Konzept von Connell hier wieder aufzugreifen — als unter­geordnete Männlichkeit kategorisiert werden. Sie befinden sich in Relation zur weißen, deutschen (hegemonialen) Männlichkeit auf den unteren Rängen dieses Männlichkeitskontinuums.
Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang interessant zu diskutieren, ob das Emporschießen von zahlreichen Bruderschaften in den letzten Jahren auch eine Reaktion auf die ankommenden Flüchtlinge ist, die als gefährlich für das deutsche „Mann-Frau-Gleichgewicht“ erlebt werden und den damit verbundenen „Ängste- und Sorgen-Diskurs“ in Deutschland. Wie sich  die Inszenierung der Männlichkeit in den Bruderschaften auf die rechte Szene und durch das derzeitige Erstarken rechter Positionen auf die Gesamtgesellschaft auswirken wird, bleibt abzuwarten.

Was sich aber abzeichnet ist das verstärkte Auftreten dieser Zusammenschlüsse in der Öffentlichkeit, als Ersatz für die Exekutive. Denn es waren zuallererst Männerbünde — Hooligans, MCs und deren Umfeld gleichermaßen — die in Köln Jagd auf geflüchtete Männer machten, nachdem es in der Silvesternacht 2015/16 zu Übergriffen auf Frauen kam. Getreu dem Motto „Schadest du meiner Familie, hol ich meine Brüder“.

  • 1Zur Vielfalt von Männlichkeitsbildern in der extrem Rechten siehe den Beitrag von Andreas Heilmann „Normalisierung und Aneignung — Modernisierung und Flexibilisierung von Männlichkeiten im Rechtsextremismus“ in „Was ein rechter Mann ist…“. Männlichkeiten im Rechtsextremismus.
  • 2Dass Frauen keine Brüder werden können, heißt allerdings nicht, dass Frauen in diesem Umfeld nicht auch extrem rechts oder gar organisiert sein können. Siehe dazu auch Röpke, Andrea/ Speit, Andreas (2011): Mädelsache! Frauen in der Neonazi-Szene. Berlin. und beispielhaft die AIB-Artikel „Frauenpolitik von Rechts“ (AIB 100) online abrufbar unter: www.antifainfoblatt.de/artikel/familienpolitik-von-rechts und Selbstbilder rechter Frauen. Zwischen Antisexismus und völkischem Denken.“ (AIB Nr. 51) online unter: www.antifainfoblatt.de/artikel/selbstbilder-rechter-frauen-zwischen-ant….
  • 3Zitat eines Mitgliedes des MC Schwarze Schar
  • 4Die Panzermetapher, die hier von den den „German Black Metal Commandos“ als unerlässlich für echte Männlichkeit erachtet wird, wird auch von Klaus Theweleit in seiner bekannten Schrift „Männerphantasien“ (1977) in Bezug auf deutsche Freikorpssoldaten erkannt, wenn er vom „Körperpanzer“ schreibt, den diese Männer nach reichlich Drill und Gewalt aufbauen.