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Lehren aus der Landtagswahl in Niedersachsen

Arne Zillmer
Einleitung

Bereits drei Wochen nach der Bundestagswahl wurde in Niedersachsen ein neuer Landtag gewählt. Mit nur 6,2 Prozent gelang der niedersächsischen AfD zwar der Einzug ins Landesparlament, jedoch deutlich schlechter, als es die vorangegangene Bundestagswahl und vorherige Umfragen erwarten ließen. Neben dem desaströsen Zustand des niedersächsischen Landesverbandes und seiner Nähe zum rechten Rand, hat vor allem das Verhalten der etablierten Parteien für das schwache Abschneiden gesorgt.

Bild: Screenshot

Der AfD-Funktionär Stephan Bothe kommunizierte mit einem IB-Aktivisten öffentlich auf facebook.

Wenn zwei sich streiten ...

Dass sich eine verhältnismäßig neue Partei wie die AfD streitet und es zu Flügelkämpfen kommt, ist nicht ungewöhnlich. Doch kaum ein Landesverband sorgte mit innerparteilicher Zerstrittenheit so häufig für Negativ-Schlagzeilen wie die niedersächsische AfD. Dabei verlaufen die Gräben in Niedersachsen nicht ausschließlich zwischen dem völkisch-nationalistischen Flügel und dem etwas gemäßigteren Partei-Flügel.

Zusätzlich stehen sich hier das Lager um Landeschef Armin-Paul Hampel und das seiner Kritiker gegenüber, was in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder für heftige Querelen sorgte und die Außenwahrnehmung der Partei bestimmte. Auch der Landtagswahlkampf schaffte keinesfalls Geschlossenheit, im Gegenteil: Spitzenkandidatin und Hampel-Kritikerin Dana Guth, die sich gegen den Wunsch des Landesvorsitzenden bei der Wahl um Listenplatz 1 durchsetzen konnte, wurde in der heißesten Phase des Wahlkampfs von ihrer eigenen Göttinger Kreistagsfraktion ausgeschlossen.

Neben der Zerstrittenheit sorgte auch die Nähe diverser Funktionäre der Partei und ihrer Jugendorganisation zum extrem rechten Rand immer wieder für mediale Aufmerksamkeit. (Ex-)AfD-Landeschef Armin-Paul Hampel selbst trat beispielsweise im Herbst 2017 beim Verein „Arbeitskreis für deutsche Politik“ als Redner auf, sogar laut niedersächsischem Verfassungsschutz ein „organisationsübergreifendes Sammelbecken für eher intellektuell orientierte Personen aus rechtskonservativen bis offen rechtsextremistischen Kreisen“. Auch der Holo­caust-Leugner Horst Mahler war in der Vergangenheit bereits von dem Verein eingeladen worden. Hampel behauptet, er habe nichts von der Ausrichtung des Vereins gewusst.

Mit Stephan Bothe sitzt nun im niedersächsischen Landesparlament außerdem zukünftig ein AfD-Abgeordneter, der öffentlich sichtbar ein Propagandavideo der „Identitären Bewegung (IB)“ als „toll“ bezeichnete. Weiterhin hatte Bothe, der auf Listenplatz 2 zur Landtagswahl kandidierte und dem Landesvorstand der AfD Niedersachsen beisitzt, über Facebook Kontakt zum „identitären“ Aktivisten Jan K., der im Juni 2015 mit anderen Aktivisten der rassistischen Gruppierung die SPD-Zentrale in Hamburg „besetzte“.

Beim Jugendverband, der „Jungen Alter­native Niedersachsen“ (JA), geht es noch drastischer zu. Nach der Wahl des Göttingers Lars Steinke zum neuen Landesvorsitzenden Mitte 2017 gaben zwei regio­nale JA-Funktionäre öffentlich ihren Rücktritt bekannt. Zur Begründung hieß es u.a., der niedersächsische JA-Landesverband sei zu einem Sammelbecken für „Mitglieder des rechtsextremen Spektrums“ geworden.

Kurz darauf kündigte Steinke, der selbst an Aufmärschen der „Identitären“ teilgenommen hatte1 , an, zukünftig den „Unvereinbarkeitsbeschluss“ der JA zu der Gruppierung durchzusetzen. Allerdings zeigen ihn Fotos bereits kurze Zeit danach im rechten Hausprojekt der identitären Gruppe „Kontrakultur“ in Halle.2 Fast zeitgleich konnte geleakten Mitglieder­daten des niedersächsischen Jugendverban­des entnommen werden, dass mit Marvin B. ein umtriebiger Aktivist der „Identitären“ gleichzeitig Mitglied der AfD-Nachwuchs­organisation war. Marvin B. hatte mehreren Aktionen des Hamburger Ablegers der IB beigewohnt.

Hat der Bauer eine Kuh, wählt er CDU“ — nicht AfD

Ob jedoch die inneren Streitigkeiten der Partei oder die Nähe mancher ihrer Führungspersonen zum rechten Rand tatsäch­lich potenzielle AfD-Wähler verschreckt haben könnten, ist fraglich, denn laut infratest-dimap wählten auch in Niedersachsen rund 56 Prozent die AfD ohnehin rein aus Protestgründen.

Auffällig war im Niedersachsen-Wahlkampf dagegen vor allem, wie wenig sich die AfD mit ihren Kernthemen ins Gespräch bringen konnte. Zwar versuchte man xenophobe Vorurteile zu schüren, so posierte Spitzenkandidatin Dana Guth beispielsweise auf Plakaten mit einer Ziege und versprach, dass es mit ihr kein „Halal-­Schlachten“ geben werde, doch die Menschen zwischen Nordsee und Harz beschäftigten andere Dinge vor dem Urnengang. Laut ZDF-Politbarometer wurde im Vorfeld der Wahl als wichtigstes Thema mit 37 Prozent „Schule und Bildung“ angegeben. „Flüchtlinge und Asyl“ sahen lediglich 22 Prozent als drängendstes Problem an.

So wurde zwischen den etablierten Parteien und den Wählern teils hitzig über bessere Unterrichtsversorgung, KiTa-Gebühren und die Inklusion an Schulen diskutiert. Die niedersächsische AfD, die sich in Sachen Bildungspolitik beispielsweise gegen „pseudowissenschaftliche Gendertheorie“ und Lehrveranstaltungen in englischer Sprache positionierte, ging dabei in der öffentlichen Wahrnehmung unter. 

Hinzu kommt die relativ starke Bindung der niedersächsischen Wähler an die beiden Volksparteien. In den Städten erfährt vor allem die SPD großen Rückhalt und im ländlichen Raum die CDU, so lässt sich die Situation mit einzelnen regionalen Ausnahmen zusammenfassen. Der alte Spruch „hat der Bauer eine Kuh, wählt er CDU“ hat durchaus noch einen wahren Kern, oder wie es Armin-Paul Hampel vor der Wahl formulierte: „Die Niedersachsen heiraten in der Regel nur einmal.“

In der Tat blieben dann auch die Wählerwanderungen überschaubar, so flossen z.B. von der SPD ledig­lich 15.000 Stimmen an die AfD. Ohnehin sorgten der mitunter heftige Schlagabtausch zwischen SPD und CDU sowie der Wechsel der ehemaligen Grünen-Abgeordneten Elke Twesten zu den Christdemo­kraten für einen durchaus emotionalen Wahlkampf, in dem sich die beiden großen Volksparteien bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen lieferten und stets bemüht waren, die inhaltlichen Unterschiede hervorzuheben.

Doch an der AfD arbeitete sich keine der etablierten Parteien ab und auch gezielte Tabubrüche und provokante Aussagen, mit denen sich das Spitzenpersonal auf Bundesebene immer wieder in typisch populistischer Manier ins Gespräch bringt, blieben aus. Punkten konnte die AfD zwar laut infratest-dimap bei „Arbeitslosen, wirtschaftlich Unzufriedenen und Arbeitern“. Dazu passt es, dass die Partei ihre landesweit besten Ergebnisse in Salzgitter und Delmenhorst erzielen konnte, hier gehört die Arbeitslosenquote zu den höchsten im ganzen Bundesland.

Quo vadis, AfD Niedersachsen?

Wie es mit dem niedersächsischen Landes­verband der AfD nun personell nach der ernüchternden Landtagswahl weitergeht, ist offen. (Ex-)Landeschef Armin-Paul Hampel ist angezählt, zwischenzeitlich hatte der Landesvorstand laut NDR für Mitte Januar 2018 einen außerordentlichen Parteitag beschlossen gehabt, bei dem es vorrangig um die Neuwahl des Vorstandes gehen sollte.3 Dies könnte Hampels Abwahl bedeuten.4 Doch lediglich darauf zu hoffen, dass sich die Partei selbst zerlegt, wird nicht ausreichen.

Die niedersächsische Landtagswahl hat erneut gezeigt, dass die AfD im Nordwesten Deutschlands einen vergleichsweise  schweren Stand hat. Wie schon in Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein blieb sie weit unter dem Bundesdurchschnitt. Maßgeblich dazu beigetragen hat der demokratische Streit zwischen den etablierten Parteien und das klare Herausstellen der inhaltlichen Unterschiede zwischen den beiden großen Volksparteien. So blieb in der öffentlichen Wahrnehmung kaum Platz für populistische Stimmungsmache.

  • 1Vgl. www.antifa-berlin.info: "17.06.2016 - Identitären-Demonstration in Berlin-Mitte" von "Fight Back - Antifa Recherche Berlin-Brandenburg", 30. Mai 2017.
  • 2Vgl. flickr.com: "2017-07-11 Halle: Kick`em out" von Lukas Beyer, 11. Juli 2017.
  • 3Nachtrag: Aktuell wird für den 7./8. April 2018 zum AfD-Landesparteitag nach Braunschweig eingeladen.
  • 4Nachtrag: Das AfD-Bundesschiedsgericht hat am 07. Februar 2018 die vom AfD-Bundesvorstand am 19. Januar 2018 beschlossene Amtsenthebung des Landesvorstandes des AfD-Landesverbandes Niedersachsen für rechtmäßig erklärt, weil „die Nichteinberufung des von den Kreisverbänden beantragten Parteitages einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundsätze oder die Ordnung der Partei darstellt“. Das AfD-Bundesschiedsgericht ist einer "Empfehlung des Bundesvorstandes gefolgt" und hat „für den Landesverband Niedersachsen einen Notvorstand bestellt“. Zu den Mitgliedern dieses Notvorstandes hat das AfD-Bundesschiedsgericht die AfD-Funktionäre Dirk Nockemann, Kay Gottschalk und Stephan Protschka berufen.