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Interview mit Magdeburger Antifas (1998)

Einleitung

1992 wurde der 23jährige Punk Torsten Lamprecht in Magdeburg ermordet, 1994 jagte ein rassistischer Mob AusländerInnen durch die Innenstadt und 1997 brachten Neonazis wiederum einen jungen Punk ums Leben - Höhepunkte einer zu keinem Zeitpunkt unterbrochenen Kette neofaschistischer und rassistischer Gewalttaten, die der Landeshauptstadt Sachsen-Anhalts den Ruf verschafften, eine der schlimmsten braunen Hochburgen des Ostens zu sein. Aber: Stimmt dieses Bild? Was machen AntifaschistInnen vor Ort? Wie wird die Entwicklung im Osten eingeschätzt? Das AIB sprach mit Daniel und Karsten vom »Blaue Welt Archiv« aus Magdeburg.

Foto: Christian Ditsch

FreundInnen von Frank Böttcher bei einer Mahnwache am Tatort in Mageburg.

AIB: Beschreibt doch bitte die Entwicklung antifaschistischer Arbeit in Magdeburg, bevor wir zur Situation der Neonazi-Szene und zur generellen Lage im Osten Deutschlands kommen.

Karsten: Wie in vielen Städten der Ex-DDR gründeten Menschen aus der linken Opposition nach 1989 die erste Antifagruppe. Nach einigen wenigen Aktionen löste sich die Gruppe wieder auf, da ihre politische Herangehensweise noch an der Wendesituation orientiert und damit völlig ungeeignet war, auf die rasante Rechtsentwicklung zu reagieren. Dazu kam, daß Linkssein und Antifaschismus auf einmal bei vielen Menschen verpönt war.

Daniel: Von den Leuten, die in dieser Gruppe aktiv waren, ist kaum jemand übrig geblieben. 1991 setzte eine Art »Generationswechsel« ein. Jüngere Leute, vor allem durch Aktivitäten während der Mahnwache gegen den Golfkrieg politisiert, schlossen sich zur »Antifa-Jugend« zusammen...

Karsten: ...die allerdings ein recht isolierter Haufen war. Erst Anfang 1993 gelang es mit der Gründung eines »Offenen Antifaschitischen Plenums«, die Basis unter Jugendlichen zu verbreitern. Parallel wuchs auch die Bereitschaft, den Nazis die Straße - wenigstens im eigenen Stadtteil - streitig zu machen. Gemeinsam mit Punks und anderen Jugendlichen schafften sie sich dort einen Freiraum. Die »Antifa Jugend« löste sich Ende 1993 wieder auf, und die Leute engagierten sich teilweise in anderen Gruppen. Damals entstanden die »Unabhängige Infogruppe«, die »Antifa Jugendfront Magdeburg/Nord«, die »EdelweißpiratInnen« und die antifaschistische Gruppe »Bandiera Rossa«. Die Antifa-Bewegung erlebte 1993/1994 eine regelrechte Blütezeit. Nicht nur, daß es mehrere Gruppen gab, auch ein Zeitungsprojekt, »Subito«, und ein wöchentliches Antifa-Cafe entstanden. Das Wohnprojekt »U8«, in dem sich heute u.a. auch das »Blaue Welt-Archiv« befindet, wurde ebenfalls zu dieser Zeit erkämpft. Die zu dieser Zeit wohl wichtigste Gruppe war Bandierra Rossa, die sich mit ihrem Konzept an die Politik der AA/BO anlehnte.

In diese Hochphase der Antifa-Bewegung fielen auch die Ereignisse am Himmelfahrtstag 1994. Dadurch war ein rasches und organisiertes Reagieren damals besser möglich als nach dem Mord an Frank Böttcher 1997. Die damalige Stärke zeigt sich auch daran, daß im Januar 1994 durch mehrere öffentliche und militante Aktionen der Druck auf die Magdeburger REP's derartig wuchs, daß wir uns ihr Scheitern in Magdeburg ruhig als eigenen Erfolg anrechnen können.

Karsten: Auf diese Hochphase folgte dann auch schnell der Niedergang. Viele Gruppen lösten sich sang- und klanglos auf, und in der Folgezeit war von Antifas in Magdeburg nicht mehr viel wahrzunehmen. Erst 1997 mit der Ermordung von Frank Böttcher änderte sich das wieder.

AIB: Ihr habt die recht erfolgreichen Aktionen gegen die REP's erwähnt. Funktionierte das mit den militanten Neonazis genauso?

Daniel: Die waren nicht greifbar. Einige Naziorganisationen versuchten zwar in Magdeburg Fuß zu fassen, schafften es jedoch nicht. Das lag nicht an uns, sondern wohl eher daran, daß die eher subkulturell ausgerichtete Naziskin-Szene keine Lust auf politische Arbeit hatte. So gab es, anders als in Halle, Leipzig oder Dresden, bei uns auch keine eigenständigen, d.h. lokalen Bestrebungen, Nazi-Organisationen aufzubauen.

Karsten: Was es allerdings unabhängig von irgendwelchen Organisationen bis heute immer gegeben hat, ist eine gewalttätige rechte Szene, deren Hochburgen vor allem die Neubaugebiete sind. Diese Szene hat zu unterschiedlichen Zeiten auch eine unterschiedliche Stärke gehabt, aber das war nie eine greifbare Größe. Was sich geändert hat, ist die Qualität der Straßenmilitanz. Waren Anfang der Neunziger noch »Massenaktionen«, an den sich 30 bis 80 Nazis beteiligten, an der Tagesordnung, ist es jetzt vor allem die alltägliche rechte Gewalt, die von Kleingruppen und sogar Einzelpersonen ausgeübt wird.

Daniel: Ich würde sogar sagen, daß es sich einfach nur verlagert hat, von einer Nazi-Massenmilitanz hin zu einem alltäglichen Bodensatz an Übergriffen, die von kleinen Nazigruppen, rechten Jugendlichen, Hools usw. ausgeübt werden. Das ist das , was in den Medien als typisch Magdeburger Problem dargestellt wird.

AIB: Was meinst du mit typisch Magdeburger Problem?

Daniel: Daß es natürlich schon eine Häufung von Ereignissen gegeben hat und Magdeburg öffentlich als besonders schlimme Stadt dasteht, wobei ich glaube, die Situation in Magdeburg unterscheidet sich nicht grundlegend von der in anderen ostdeutsche Städten. Ich möchte davor warnen, mit den zwei Morden und »Himmelfahrt« eine Statistik zu machen. Oft hängt es ja nur von einem Zufall ab, ob jemand bei einem Nazi-Überfall stirbt oder nicht. Wäre die Situation - außer in der öffentlichen Wahrnehmung - anders, wenn Frank Böttcher überlebt hätte? Wir hätten doch die gleichen Nazis und ihre Straßenmilitanz, aber dann hätte das kaum jemanden interessiert.

Karsten: Wenn wir das so sagen klingt das immer so, als wollten wir quasi das Image unserer Stadt verteidigen. Uns geht es aber darum klarzumachen, daß es sich nicht um ein Magdeburger Problem handelt, sondern daß es in vielen ostdeutschen Städten so ist. Die Gefahr, von Nazis angegriffen und lebensgefährlich verletzt zu werden, ist hier genauso groß wie anderswo. In vielen ländlichen Regionen, wo wir die Situationen nur nicht mitbekommen, geht's noch viel härter ab. Hier gibt es immerhin noch Leute, die sich gegen die Nazis wehren und Stadtteile, in denen die Nazis nicht die Oberhand haben.

AIB: Ihr sagt, daß Magdeburg im Osten Deutschlands kein Einzelfall ist. Was denkt Ihr, was die gesellschaftliche Lage von der im Westen unterscheidet?

Daniel: Vor allem das Fehlen einer liberalen Öffentlichkeit, die es im Westen ja immer noch gibt. In München sind gegen den Naziaufmarsch vor allem BürgerInnen auf die Straße gegangen, im Osten - ein konkretes Beispiel ist Dresden - müssen aus den verschiedensten Städten die autonomen Antifas herangekarrt werden, damit man wenigstens zahlenmäßig mithalten kann.

Karsten: In Magdeburg sind zu einer Aktion, die von KünstlerInnen, Prominenten und den Bündnisgrünen initiiert wurde, nur 250 Menschen gekommen. Eigentlich sollte das eine Massenveranstaltung werden, auf der die BürgerInnen zeigen sollten, daß die Stadt gegen Gewalt und auch ein bißchen gegen Rechtsextremismus und das Totschlagen von Punks ist.

AIB: Gibt es denn Unterschiede in der öffentlichen Reaktion bei rassistischen Übergriffen und bei Überfällen auf Punks?

Karsten: Ja, ziemlich große sogar. Punks scheinen in der Öffentlichkeit immer selbst schuld zu sein. Punk zu sein, wird sogar von den etablierten Linksliberalen auch immer als ein Angriff auf die eigenen Moralvorstellungen empfunden. Bei Angriffen auf Punks wird immer von einem »Szenekrieg« gesprochen, selbst wenn zu einem »Krieg« eigentlich zwei Seiten gehören. Schlägt aber der gleiche Personenkreis, der für die Angriffe auf die Punks verantwortlich ist, auf AusländerInnen ein, sind das auf einmal Rassisten bzw. Nazis.

AIB: Nochmal zurück zu Euch. Ihr habt anfangs die Entwicklung der Antifa-Arbeit in Magdeburg seit 1990/1991 beschrieben. Wie ist die Lage jetzt?

Daniel: Naja, sie hat sich seit dem letzten Jahr deutlich verbessert. Das Interesse an antifaschistischer Arbeit ist unter Jugendlichen momentan recht hoch. Es gibt ein wöchentliches »Offenes linkes Treffen«, an dem zwischen 30 und 50 Menschen teilnehmen, vor allem SchülerInnen und andere Jugendliche zwischen 13 und 20 Jahren. Mit diesem Treffen wird versucht, jüngere Menschen an antifaschistische Arbeit heranzuführen und Erfahrungen zu vermitteln.

Karsten: Aber nicht nur an diesem »Offenen linken Treffen« ist der derzeitige Aufschwung zu erkennen. Außerdem hat sich ein Arbeitskreis gebildet, der zum Thema Antifaschismus arbeitet. Das Auftreten gegenüber den Nazis wird wieder offensiver, und die öffentliche Präsenz von Antifas nimmt deutlich zu. Die Frage ist nur, ob es gelingt, aus dieser bislang positiven Entwicklung heraus wieder zu einer notwendigen Kontinuität zu kommen, die es gestattet, längerfristig in Magdeburg einen gewissen Einfluß zu gewinnen.

AIB: Was wird Eurer Einschätzung nach von Seiten der Neonazis in nächster Zeit zu erwarten sein?

Karsten: In Magdeburg ist zu befürchten, daß sich die NPD/JN auch hier verstärkt engagieren wird. Und bei der momentanen Nazi-Aufmarsch-Inflation wird sowas wohl auch hier irgendwann zu erwarten sein. An diesem Punkt, denke ich, sollte man auf großmäulige »Zerschlagt.../Verhindert...«-Parolen verzichten, wenn angesichts einer riesigen Polizei-Präsenz doch nichts in dieser Richtung möglich ist. Es kommt darauf an, die Nazis an den übrigen Tagen im Jahr so unter Druck zu setzen, daß ihre politische Außenwirkung gering bleibt. Nazidemos sind derzeit schwer zu verhindern. Deshalb sollten wir uns verstärkt darüber den Kopf zerbrechen, wie wir es schaffen, die Nazis im Alltag effektiver zurückdrängen, als daß wir uns anläßlich eines NPD-Aufmarsches mit der Polizei prügeln.

Daniel: Und wir müssen die beiden Hauptentwicklungsstränge innerhalb der Nazi-Szene im Auge behalten und genau analysieren. Damit meine ich zum einen die Etablierung der faschistischen Subkultur im Osten und ihre Vormachtstellung unter Jugendlichen und zum anderen den Aufschwung der NPD/JN. Das sind zwei Entwicklungen, für die wir uns auch neue Konzepte überlegen müssen. Bisher ist der Antifa-Bewegung dazu leider noch nicht soviel eingefallen.

AIB: Vielen Dank für das Gespräch.