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Interview mit Antifas aus Freiberg und Umgebung (1999)

Symbolfoto von Michele Vascellari; flickr.com; CC BY-SA 2.0

(Symbolfoto von Michele Vascellari; flickr.com; CC BY-SA 2.0)

AIB: Seit wann gibt es Euch denn als Gruppe, und wie seid Ihr dazu gekommen, in Freiberg Antifaarbeit zu machen?

Emil: Ich komme aus der Freiberger Punkerszene, das wurde mir aber irgendwann zu unpolitisch. So bin ich zum AZ Barrikade gekommen, das ist unser Zentrum. Die Barri wurde 1994 von ein paar Leuten besetzt, nachdem im Schloß, einem Club, wo viele Punk- und Hardcoresachen gemacht wurden, durch die Sozialarbeiter die politischen Inhalte rausgedrängt wurden. Am ersten Tag wurde die Barri gleich wieder geräumt, nach Verhandlungen und einer Vereinsgründung haben wir einen mietfreien Nutzungsvertrag über 20 Jahre bekommen.

Hannes: Ich bin schon länger dabei. In Freiberg fing das eigentlich 1993 mit ein paar Studenten und auch auswärtigen Leuten an, die sich zusammengefunden haben, um hier was zu machen. Anfangs waren wir eher wenige, die Sache kam ins Laufen, als wir einige Aktionen gemacht haben, zum Beispiel ein Burschenschaftstreffen zu blockieren. Es gibt keine feste Organisation bei uns, sondern eher einen Kreis von Leuten, die aber kontinuierlich arbeiten.

AIB: Wie sieht die Entwicklung rechter Gruppen und der Neonazi-Szene in Freiberg aus?

Hannes: 1991 haben die Nazis ein Jugendzentrum gekriegt, den Würfel. Damals gab es bei uns noch nicht so viele Nazis, aber sie haben sich diesen alten DDR-Jugendclub praktisch unter den Nagel gerissen. Es gab von ihnen auch den Versuch, ein Flüchtlingsheim anzugreifen, das wurde aber von Leuten verhindert. Die Nazis wurden von öffentlicher Seite immer verharmlost, und man hat erst später mitgekriegt, daß sie sich immer mehr organisierten. In einem zweiten Neubaugebiet gab es jüngere Nazikids, die 1995 auch einen Club bekamen, der von der Stadt und Bergakademie gestellt wurde. Der Club liegt direkt neben einem Wohnheim ausländischer StudentInnen. Unser Oberbürgermeister (Konrad Heinze, Anm. des AIB) hat das ultra-rechte "Christlich-Konservative Deutschland-Forum" (CKDF) Sachsen mit gegründet, bei der Gründungsveranstaltung waren auch Heinrich Lummer und Volker Schimpff, ein CDU-Rechtsaußen aus Sachsen. Gegen das Treffen gab es eine Blockade von uns und den Jusos. Erst im März diesen Jahres wurde der NPD-Kreisverband Freiberg gegründet, also eigentlich recht spät. Seitdem ist der Organisierungsgrad der Nazis stark gestiegen. Der rechte "Bund Freier Bürger" hat bei der Wahl 1998 hier sein bundesweit bestes Ergebnis eingefahren. Die einzige Wahlveranstaltung des BFB wurde aber von 50 Antifas so stark behindert, daß sie nur noch lächerlich wirkte.

AIB: Was habt Ihr für Erfahrungen mit Repression und Schikanen von Seiten der Polizei und der Stadtverwaltung gemacht?

Emil: In der Anfangszeit wußten die Bullen eigentlich gar nicht, wie sie mit uns umgehen sollten. Das änderte sich dann aber schnell. Der ehemalige Chef vom Staatsschutz ist jetzt Chef vom Drogendezernat. In Freiberg wurden bei einer Aktion 17 Wohnungen von Linken nach Drogen durchsucht, wobei fast nichts gefunden wurde. Es ging ihnen einfach darum, mal unsere Wohnungen abzuchecken. Gegen viele aus der linken Szene in Freiberg laufen massive Verfahren wegen Auseinandersetzungen mit Nazis und Bullen.

Hannes: Die Stadtverwaltung hat schon öfters versucht, unser Konzept der Selbstverwaltung in der Barri kaputtzumachen, indem sie uns Sozialarbeiter oder ABM-Kräfte unterjubeln wollte. Unser Trägerverein hat sehr wenig Geld, die Stadt, die Besitzerin des Hauses ist, tut nur das Nötigste. Die Telekom weigert sich seit Jahren, uns einen Anschluß zu legen - die nächste Telefonzelle ist einen Kilometer weg.

AIB: Wie würdet Ihr das aktuelle politische Kräfteverhältnis bei Euch beschreiben?

Hannes: Früher war das Verhältnis eigentlich ziemlich ausgeglichen, die Nazis waren sogar eher in der Unterzahl. Jetzt kommen aber immer mehr Jüngere zu denen. Man kann inzwischen sagen, daß ein großer Teil der Freiberger Jugend rechts ist und es auch offen zeigt. Es wird aber heruntergespielt, nach dem Motto 'Das sind doch nur Kinder'. 1997 gab es dann mehrere Überfälle und Brandanschläge u.a. auf den Hip-Hop-Club "Train Control", der auch durch eine Besetzung entstanden war und komplett abbrannte, und auf die Barri, wo aber nur leichter Sachschaden entstand. Das "Train Control" wurde wieder aufgebaut, es ist jetzt aber nur noch ein Drittel so groß wie vorher. Als es wieder einmal von Nazis überfallen wurde, sind die Bullen kurz vorbeigefahren, haben ihre Söhne gesehen und sind gleich wieder umgedreht. Die Nazis konnten stundenlang die Leute verprügeln. Es gab auch Anzeigen gegen Bullen, da ist aber nie was passiert. Dieses Jahr gab es einen versuchten Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim, bei dem der Brandsatz ein Fenster nur knapp verfehlte. Die Nazis, einer war auch NPD-Mitglied, wurden festgenommen und zu Haftstrafen zwischen zwei und dreieinhalb Jahren verurteilt.

Emil: Die Stimmung unter den Antifas ist im Moment ziemlich zurückhaltend, es gibt kaum noch Aktionen, wo die Nazis direkt angegangen werden. Es wird im Moment eher Recherchearbeit gemacht. Es ziehen viele Leute in größere Städte weg. Das macht es auch nicht leichter, eine kontinuierliche Antifaarbeit zu etablieren. Es gab sieben oder acht besetzte Häuser, die aber alle nacheinander, teilweise mit großem Widerstand, geräumt wurden.

Hannes: Viele Gewerbetreibende in der Innenstadt sind Nazis oder Sympathisanten.

In den Dörfern um Freiberg gibt es viele Nazis, die nicht unbedingt organisiert sind, aber faschistischen Straßenterror ausüben. Der Schwerpunkt liegt dennoch eindeutig bei der NPD. 1994 wurde das erste Flüchtlingsheim geschlossen und die Flüchtlinge zum Teil in den umliegenden Dörfern untergebracht. 80 oder 90 Flüchtlinge wurden in einem ehemaligen Hotel am Freiberger Bahnhof untergebracht. In der Straße gab es vorher heftige rassistische Proteste von AnwohnerInnen. Die haben allein 125 Unterschriften gegen das Heim gesammelt. Die Stadt hat dies aber ignoriert und das Heim, trotz massiver Drohungen gegen die Flüchtlinge, da hingesetzt.

Emil: Es wird auch ständig gegen die Linken gehetzt, so wurde in der Zeitung ein Brief des NPD-Kreisverbandsvorsitzenden Ullrich Lambrecht abgedruckt, in dem er die PDS aufforderte, ihre angebliche Jugendorganisation, die Antifa, dazu zu bringen, die Gewalttaten einzustellen. Außerdem warb er für eine Zusammenarbeit von NPD und PDS, weil man ja die gleichen Interessen hätte. Lamprecht besaß ein Antikgeschäft in der Stadt. Er mußte den Laden allerdings dichtmachen, weil er die ständig kaputten Scheiben nicht mehr bezahlen konnte. Der Laden war eine Anlaufstelle für Nazis aus der Region, die sich dort NPD-Infomaterial holten und vorm 1. Mai ihre Bustickets dort kauften. Von Freiberg aus fuhren zwei Busse nach Leipzig. An der Autobahnauffahrt sind sie angegriffen worden, woraufhin die NPD in der Zeitung verbreiten durfte, daß das RAF-Manieren wären. Unsere Presseerklärungen wurden gar nicht oder nur auszugsweise gedruckt. Die Lokalpresse steht völlig unter dem Einfluß der Polizei und der Stadtverwaltung. Man kann von einem rechten Konsens sprechen.

Hannes: Der Würfel, der ja zwischenzeitig geschlossen war, hat wieder aufgemacht, jetzt als selbstverwaltetes Jugendzentrum. Dafür hat sich besonders der stellvertretende Bürgermeister Böttcher von der SPD eingesetzt. Böttcher hat sich auch am Volkstrauertag mit der "Burschenschaft Glückauf" - der rechtesten von den vieren, die es in Freiberg gibt - an einem Denkmal für die gefallenen deutschen Helden präsentiert und von der Presse ablichten lassen. Auch Oberbürgermeister Heinze von der CDU hat da keine Berührungsängste.

Letztes Jahr haben wir eine Demo gemacht, nach den vielen Übergriffen, die es auf MigrantInnen und ausländische Studentinnen gegeben hatte und bei denen einige schwer verletzt wurden. Zur Demo haben wir versucht, ein Bündnis mit bürgerlichen Gruppen einzugehen - Arbeitskreis Ausländer und Asyl, PDS, VVN und DGB. Die Innenstadtgewerbetreibenden machten eine Unterschriftensammlung gegen die Demo, um Druck auf die Stadt auszuüben. Die Demo wurde verboten, das Verbot aber vom Oberverwaltungsgericht aufgehoben. Aufgrund der Hetze, die es gegen uns gab, haben sich der PDS-Kreisverband und die VVN Freiberg kurz vor der Demo von uns mit der Begründung distanziert, der Spruch "Die Nazibanden angreifen und den rassistischen Konsens zerschlagen!" rufe zu Gewalt auf und solle deswegen nicht auf dem Bündnisplakat stehen. Durch diese Distanzierung wurden viele Leute aus dem bürgerlichen Spektrum davon abgehalten, gegen die Nazis zu demonstrieren. Wir waren auf uns selbst gestellt, die Demo vorzubereiten,  haben allerdings Unterstützung von Antifas aus Städten wie Leipzig und Dresden gekriegt. Bei der Demo waren 1000 Bullen aus vier Bundesländern. Danach haben sie einen riesigen Tisch mit Waffen präsentiert, die angeblich beschlagnahmt wurden und aus 700-800 DemonstrantInnen mal eben 1000 gemacht, damit das mit den Bullen auch aufging. Es gab danach aber auch viele positive Leserbriefe in den Zeitungen, daß es richtig war, die Demo zu machen. Für die Zukunft haben wir in der Demovorbereitung gemerkt, daß man auf die bürgerlichen Kräfte immer wieder zugehen muß. Aber einen Nachwuchsschub bei uns hat es nicht gegeben. Das liegt wohl auch daran, daß wir zuwenig auf die Kids zugehen, wenn die z.B. das erste Mal in der Barri sind. Es ist für neue Leute ziemlich schwer, da überhaupt reinzukommen.

Es gibt aber eine monatlich erscheinende Zeitung, den FreibÄrger, um das Bündnis auch in „Flautezeiten" aufrecht zu erhalten. Der FreibÄrger ist zwar sehr bürgerlich und fast nur auf lokale Themen beschränkt, es schreiben aber auch ein paar Leute von uns dort.

AIB: Wie sieht es denn mit anderen nicht-rechten Jugendkulturen aus, gibt es da Berührungspunkte?

Emil: Im "Train Control" finden Soliveranstaltungen für Mumia oder die Rote Hilfe statt, ohne daß wir da einen Anstoß geben müßten. Die Hip-Hopper organisieren auch durchaus eine eigene antifaschistische Selbsthilfe. Unter den Angriffen der Nazis haben alle zu leiden, die nicht in ihr deutsches Weltbild passen, Behinderte, Homosexuelle, Linke, Hip-Hopper. Am schwersten sind aber die MigrantInnen betroffen, die jeden Tag mit Rassismus konfrontiert sind. Wir machen in der Barri oft Veranstaltungen und Parties, wo auch Hippies und Technoleute hinkommen.

AIB: Was seht Ihr in der Zukunft für Perspektiven?

Emil: Wir müssen mehr auf jüngere Leute zugehen, und auch unter uns muß die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, wachsen. Wir müssen wieder mehr Kontinuität entwickeln, das Bündnis, das sich vor der Demo gegründet hatte, muß wieder arbeitsfähig werden. In letzter Zeit hat sich aber auch eine kontinuierliche Recherchearbeit entwickelt, gerade die Organisierung der Nazis in der NPD hat es uns leichter gemacht, ihre Strukturen zu überblicken. Außerdem werden wir uns nächstes Jahr an der Organisation eines Kein-Mensch-ist-illegal-Camps an der tschechisch-deutschen Grenze beteiligen.

AIB: Vielen Dank für das Gespräch.