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Im nationalistischen Taumel fällt Polen nach rechts

Magdalena Swider
Einleitung

Nach dem Wahlsieg der nationalkonservativen Partei "Prawo i Sprawiedliwość" (Recht und Gerechtigkeit“) (PiS) von Jaroslaw Kaczynski wird das Land autoritär umgestaltet. Der neuen Regierung dient Viktor Orbáns Ungarn als Vorbild. Während sich die Neonazi-Szene ermutigt sieht, fürchten Linke und fortschrittliche Zivilgesellschaft den sich vollziehenden gesellschaftlichen Wandel. Wir haben Magdalena Swider, LGBTQ-Aktivist_in in Warschau um ihre Einschätzung gebeten.

Foto: DrabikPany; CC BY 2.0

Kaum jemand störte sich daran, dass Präsident Duda offiziell zum Unabhängigkeitsmarsch am 11. November — dem jährlichen Großereignis der extremen Rechten — eingeladen war. Er lehnte die Teilnahme ab, mutmaßlich um nicht mit den zur Routine gewordenen Ausschreitungen in Verbindung gebracht werden zu können.

Offensive von rechts: Auf der Straße...

An dem Tag, an dem ich für diesen Artikel angefragt wurde, erreichte mich die Nachricht von einem Angriff auf das Lambda-Büro in Warschau. Lambda ist eine Organisation der LGBTQ-Community. In die hölzerne Eingangstür des Büros wurde neben einem Keltenkreuz und dem Schriftzug „White Power“ auch die Forderung nach einem „Verbot des Rumgeschwules“ geritzt. Dies ist nur einer der vielen Vorfälle, die eine eindeutige Botschaft senden: Wir haben euch im Visier!

...und im politischen Diskurs

Seit dem Amtsantritt der neuen Regierung im Oktober letzten Jahres hat rassistische, antisemitische und homophobe Hetze Konjunktur. Hass und Vorurteile vor allem gegen Flüchtlinge, LGBTQs und Linke dominieren den öffentlichen Diskurs. Mit der Normalisierung der Hetze geht auch ein Anstieg rechter Gewalttaten einher. Angeheizt wird das Klima von der Regierungspartei PiS, jedoch stehen andere rechte Parteien ihr in nichts nach. Die rechtspopulistische Kukiz-Bewegung, die 2015 erstmals bei den Parlamentswahlen antrat, brachte auf ihrem Ticket Aktivisten der extremen Rechten ins Parlament, beispielsweise aus dem "Obóz Narodowo-Radykalny" (Nationalradikalen Lager). Sie wollen ein weißes, heterosexuelles, katholisches Polen und es von Minderheiten säubern. Zu Beginn der „Flüchtlingskrise“ war es nicht nur der PiS-Vorsitzende Kaczyński, der rassistische Ressentiments bediente. Auch Präsident Duda sprach von Epidemien, die angeblich von MigratInnen eingeschleppt werden könnten.1
In einem offenen Brief an Duda, Ministerpräsidentin Szydło und den Parlamentspräsidenten Kuchciński warnten Psycholog_innen vieler polnischer Universitäten vor den sozialen Folgen des von den Politiker_innen gewählten aggressiven Tonfalls. Ihnen ging es dabei nicht allein um die Hetze gegen religiöse, ethnische und nationale Minderheiten, sondern auch um die Brandmarkung und den sprachlichen Ausschluss politischer Positionen, die von der PiS abweichen. Als Beispiel für diese „Sprache der Spaltung“ nannten sie Kac­zy­ń­ski. Er hatte gesagt, dass diejenigen, die im Ausland ihr Land anschwärzen,  zu der schlechteren Sorte von Polen gehörten.

Machtabsicherung per Schockstrategie

Die ersten Zeichen des neuen Autoritarismus waren die Auswechslung der von der Vorgängerregierung berufenen Mitglieder des Verfassungsgerichts, das Installieren von Parteimitgliedern an den Spitzen der Nachrichtendienste und die Berufung teils völlig inkompetenter aber loyaler Funktionäre in Spitzenämter. Ein Beispiel ist der neue Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, der vor einigen Jahren erklärt hatte, er halte die „Protokolle der Weisen von Zion“ für „sehr interessant“ und mit seinen Erfahrungen übereinstimmend.2 Mit einem Trick entledigt sich die PiS-Regierung auch zivilgesellschaftlicher Kritik im Parlament: Neue Gesetze werden nicht mehr von der Regierung beantragt, sondern als „Privatinititative“ einzelner Abgeordneter. So umgeht man das Recht auf öffentliche Anhörungen vor Gesetzesverabschiedungen und NGOs haben kein Mitspracherecht mehr.

Linke und Zivilgesellschaft zwischen Angst und Trotz

All dies bringt Menschen auf die Straße. Was als Graswurzelkampagne im Netz begann, wuchs zu einer breiten sozialen Bewegung heran, dem "Komitet Obrony Demokracji" ("Komitee zur Verteidigung der Demokratie"), unter dessen Schirm sich vor allem Linke und Liberale jeden Alters gegen die autoritäre Politik der neuen Regierung engagieren. In allen großen Städten organisiert KOD regelmäßige Demonstrationen. Dort sind neben polnischen und EU-Flaggen immer wieder auch Regenbogenbanner zu entdecken. Die rechten Medien beschimpfen die Teilnehmenden als Kommunisten, Staatsfeinde und Diebe, die nur ihre durch den Regierungswechsel verlorene Macht und Einfluss betrauern würden. Dennoch waren sie von der großen Anzahl der Teilnehmenden überrascht: Sie behaupteten deshalb, diese seien von der Opposition bezahlt und in Bussen herangekarrt worden.

Es geht eine tiefe Spaltung durch die polnische Gesellschaft, das eigentliche Problem ist aber die Schwäche der polnischen Linken. „Lewak“ (Linker) ist das neue Schimpfwort für alle, die die hegemoniale rechte Ideologie nicht teilen. So gelingt es der Rechten auch, die Diskurshoheit über die polnische Geschichte zu erlangen, die immer mehr verdreht und verfälscht wird. In den Augen der Rechten sind alle, die nicht mit ihnen übereinstimmen, entweder ideologisch verblendet oder vom ausländischen Kapital gekauft, also antipolnische Verräter. Unter diesen Bedingungen hat niemand mehr Scheu, seine autoritäre und extrem rechte Ideologie offen zu zeigen. Es ist davon auszugehen, dass extrem rechte Gruppierungen wie das Nationalradikale Lager und die "Młodzież Wszechpolska" ("Allpolnische Jugend") in der momentanen Situation einen deutlichen Zulauf verzeichnen werden. Die polnische Linke ist angesichts der Ereignisse ratlos und die Mehrheit der Bevölkerung unterschätzt die Bedrohung, die die neue Regierung nicht nur für Minderheiten und deren Verbündete darstellt. Die Stimmung unter den zivilgesellschaftlichen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs­) ist dementsprechend von Angst geprägt —vor allem unter denen, die Minderheiten und ihre Rechte repräsentieren. Sie haben Angst, dass sie nach der Übernahme des Verfassungsgerichts, der Spezialeinheiten, der öffentlichen Verwaltung und der Medien der nächste Punkt auf der Agenda der Regierung sind.

Was kommt als nächstes?

Ein möglicher nächster Schachzug könnte eine Änderung des Vereinsgesetzes sein, die gravierende Folgen für NGOs hätte: Bisher wurde ein Prozent der Steuereinnahmen an gemeinnützige Organisationen ausgeschüttet. Würde diese Praxis beendet, stünden gerade die LGBTQ-Organisationen auf einmal ohne einen Złoty an staatlicher Unterstützung da. Denkbar wäre auch ein Vorgehen nach ungarischem Vorbild, wo von Organisationen die Rechner beschlagnahmt und die Bankkonten eingefroren wurden, weil sie Spenden aus Norwegen erhalten hatten. Das einzige worüber wir derzeit froh sein können ist, dass sich die neue Regierung von den militanten Rechten wie dem Nationalradikalen Lager und der Allpolnischen Jugend zu distanzieren scheint. Eine offizielle Unterstützung von Neonazis wäre sicher ein Schritt zu weit. Die jetzige Situation ist jedoch bereits sehr angespannt und es ist unklar, in welche Richtung sich Polen entwickelt. Was die Regierung gerne hätte, daraus macht sie kein Geheimnis: ein zweites Ungarn. Es ist aber auch klar, dass Polen in der EU und einer globalisierten Welt keine absoluten Alleingänge machen kann. Für einen isolationistischen Kurs ist es nicht mächtig genug.