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Heimliche Überwachung der Kommunikation

Der Artikel wurde uns von der AG Sicherheitspolitik zur Ver­fügung gestellt.
Einleitung

Zu rechtlichen und technischen Möglichkeiten sowie neoliberalen Perspektiven heimlicher Kommunikations-Überwachung nach dem Inkrafttreten des neuen Telekommunikationsgesetzes

Am 26. Juni ist das geänderte Telekommunikationsgesetz (TKG) in Kraft getreten. Die Novellierung des Gesetzes wurde als weitere Gele­genheit genutzt, die Möglichkeiten heimlicher Kommunikations-Überwachung auszudehnen. Der Beitrag will diese Neuerungen vorstellen und auch einen allgemeinen Überblick über die technischen und rechtlichen Möglichkeiten der Überwachung von Kommunikation geben. Die Entwick­lungen in den Bereichen Strafrecht, Überwachung und Sicherheitspolitik sind aber nur dann nachzuvollziehen, wenn man sie vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Veränderungen be­leuchtet. Der Beitrag versucht sich sowohl in einer solchen Analyse wie der Entwicklung von Gegenstrategien.

Das Telekommunikationsgesetz (TKG) regelt auf den ersten Blick vor allem wirtschaftliche Belange im Bereich der Telekommunikation (TK). Bei genauerem Hinsehen stellt sich jedoch heraus, dass es sich zugleich um ein zentrales Gesetz für die heimliche Kommunikationsüberwachung handelt. Zwar sind die Rechts­grund­lagen für die unmittelbaren Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Bürger in der Strafprozessordnung (StPO), den Polizeigesetzen der Län­der und den Gesetzen über die Geheim­dienste geregelt. Das TKG bestimmt jedoch die Weite und Möglichkeiten dieser Überwachung, in­dem es einerseits regelt, welche technischen und organisatorischen Voraussetzungen die TK-Anbieter zur Abwicklung der Überwachung zur Verfügung stellen müssen. Zum anderen verpflichtet es die Anbieter, Daten über ihre Kunden weiterzugeben.

Die Verpflichtung zur Datenspeicherung und -weitergabe

Hier muss zunächst unterschieden werden zwischen Bestands- und Ver­kehrs­daten. Erstere sind unter anderem Name, Anschrift, Vertragsbeginn und Geburtsdatum des Kunden, wäh­rend Verkehrsdaten Informatio­nen betreffen, »die bei der Er­brin­gung eines Telekommunikations­diens­tes erho­­b­en, verarbeitet oder genutzt werden« (§ 3 Nr. 26 TKG), also alles was bei Telefonaten, SMS, E-Mail und Internet anfällt. Dazu zählen bei Telefonaten bspw. auch Anschluss­ken­nungen, Kartennummern, Stand­ort­daten beim Mobilfunk, Beginn und Ende der Verbindung. Nicht dazu zäh­len die Inhalte der Kommu­nika­tion.

Die §§ 111 ff. TKG verpflichten die Anbieter, Bestandsdaten ihrer Kun­den bis zum Ende des auf eine Vertragsbeendigung folgenden Jahres zu speichern und den »berechtigten Stellen« zur Verfügung zu stellen. Diese Speicherpflicht gilt jetzt auch für Prepaid-Kunden. Damit gilt nun eine Identifizierungspflicht in der Telekommunikation, die bisher nur aus dem Bereich finanzieller Trans­aktionen bekannt ist. Auf diese Daten dürfen die genannten Stellen jederzeit per Online-Verbindung zugreifen (automatisiertes Abrufverfahren). Da­bei sind nun auch praktisch Raster­fahndungen möglich, wenn die verfügbaren Datenangaben unvollständig oder ungenau sind. So können beispielsweise die Daten aller in einer bestimmten Straße wohnenden Perso­nen erhoben und abgeglichen werden. In einem manuellen Abrufver­fahren können darüber hinaus weitere von den Anbietern zur Vertragsab­wicklung gespeicherte Bestandsdaten abgefragt werden (bspw. die PIN oder die PUK).

Wesentlich brisanter ist indes die Speicherung der Verkehrsdaten, die bspw. zur Erstellung von Bewegungs- und Persönlichkeitsprofilen verwandt werden können. Hier bestimmt das TKG, welche Daten die Telekommuni­ka­tionsanbieter überhaupt speichern dürfen. Dieser Regelung kommt insofern Bedeutung zu, als Verkehrsdaten von Polizei, Staatsanwaltschaft und Geheimdiensten abgefragt werden können, dies aber rückwirkend nur geschehen kann, wenn diese Daten auch gespeichert worden sind. Vor diesem Hintergrund kommt auch der Wahl des TK-Anbieters Bedeutung zu, nachdem diese die betreffenden Daten unterschiedlich lange speichern.

Während die Speicherungen von Verkehrsdaten bislang nur zur Abrechnung von genutzten Diensten oder im Einzelfall zur Störungsabwehr zulässig war, erlaubt der neue § 100 TKG nun de facto die unbegrenzte Speicherung, soweit es zur Störungs- und Missbrauchsbekämpfung erforderlich ist; ein Tatbestand, der immer gegeben sein kann. Durch den Wegfall der Einzelfall-Beschränkung ist es damit rein rechtlich möglich, das gesamte Telekommunikations­verhal­ten nachzuvollziehen. Daneben räumt § 97 TKG den TK-Anbietern das Recht ein, Einzelverbindungsnachweise für die Dauer von sechs Monaten zu Abrechungszwecken zu speichern. Aller­dings kann der Kunde den Um­fang der gespeicherten Daten selbst bestimmen und wählen, ob er die Löschung der von ihm gewählten Zielrufnummern mit Rechungs­ver­sand oder die Schwärzung der letzten drei Stellen der Telefonnummern wünscht. Wenn der Kunde von diesem Wahl­recht keinen Gebrauch macht, werden die Nummern ungekürzt gespeichert (§ 97 Abs. 4 S. 2 TKG) und können damit auch abgefragt werden.

Die unionsregierten Bundesländer wollten in diesem Bereich noch weitergehen und aus dem Recht eine Verpflichtung zur Vorratsspeicherung aller Daten für jeweils ein halbes Jahr machen, scheiterten damit jedoch. Indes wird mittlerweile auf EU-Ebene über eine Verpflichtung zur Vorrats­speicherung nachgedacht: Eine Ini­tia­tive Frankreichs, Großbritanniens, Irlands und Schwedens sieht vor, dass TK-Anbieter in den Mitgliedsstaaten der EU die anfallenden Verkehrsdaten ein bis drei Jahre lang speichern müssen.

Regelung und Neuerung bei der Überwachung

Die Ausforschung von Inhalten der Telekommunikation geschieht auf dem Wege der Telekommunikations­überwachung, die für Polizei und Ge­heim­dienste in den betreffenden Ge­setzen jeweils besonders geregelt ist. In diesem Bereich verpflichtet das TKG die TK-Anbieter, die technischen und organisatorischen Vorkehrungen zur Abwicklung dieser Überwachung zu schaffen. Welche Erweiterungen von Überwachungsmöglichkeiten das neue TKG dabei nach sich zieht, muss sich erst noch zeigen. Hier steckt der Teufel im Detail, oder genauer gesagt: In der Telekommunikations­über­wach­ungs-Verordnung (TKÜV), die die Be­stim­mungen des TKG detailliert regelt und deren Erweiterung in Planung ist.

Der Entwurf für eine Neufassung der TKÜV nimmt nun im Ausland befindliche Handys nicht mehr von der Überwachung aus. Standortdaten im Mobilfunk sollen künftig »mit der größtmöglichen Genauigkeit« geliefert werden, die einfache Nennung der betreffenden Funkzelle dürfte dann nicht mehr ausreichen. Vor allem aber wird in dem Entwurf die Kerngröße der »zu überwachenden Kennung« überaus weit formuliert. Während die richterlichen Überwachungsanordnungen bislang die Ruf­nummer oder eine vergleichbare Kennung des zu überwachenden Anschlus­ses bezeichnen mussten, sollen künftig offenbar alle TK-Kennungen überwacht werden können, so dass die Bezeichnung einer IP-Adresse, IMEI-Gerätenummer oder eines WLAN-Hotpots ausreichen wür­de, um sämtliche hierüber ablaufende Kommunikation zu überwachen. Bei der Überwachung des Mobilfunks bspw. müssten sich die Ermittler dann nicht mehr für jede einzelne Nummer bzw. SIM-Karte eine Anordnung besorgen, sondern könnten diese anhand der IMEI kartenunabhängig auf ein bestimmtes Handy ausstellen lassen.

Perspektiven der Überwachung

Der Ausbau von Speicher­verpflich­tung und Überwachungsmöglichkeiten anlässlich der TKG-Novellierung macht deutlich, wohin die Reise im Bereich staatlicher Überwachung weiterhin gehen soll: Die Entwicklung ist gekennzeichnet durch eine ständige Ausweitung: Was technisch möglich ist, wird eingesetzt; was gespeichert werden kann, wird auch ausgewertet. Damit ermöglichen die immensen Fortschritte der Technik heute eine Intensität von Überwachung, die selbst vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen wäre.

Damit einher geht auf rechtlicher Ebene eine Entwicklung, die Überwachung immer mehr von konkreten Anlässen unabhängig macht. Ur­sprüng­lich war polizeiliche Ausfor­schung nur zur Verfolgung einer konkreten Straftat erlaubt, für die ein begründeter Anfangsverdacht be­stand. Diese Haltung wurde bereits in der Debatte um Organisierte Krimi­na­lität aufgeweicht: Zunehmend koppelte man sich von diesen Voraus­set­zungen ab und überwachte auch Personen, von denen man nur vermutete, dass sie Straftaten begehen würden. In einem nächsten Schritt wurden und werden nun die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, Überwachung auch unabhängig von einem konkreten Anfangsverdacht vornehmen zu können, indem man sie ins Polizeirecht übernimmt, wo mittlerweile auch Überwachungsmaßnahmen unabhängig vom Vorliegen eines Gefahren- oder Straftatenverdachts möglich sind.

Hinter dieser Entwicklung steht eine Philosophie, die Überwachung von jedem Anlass unabhängig machen möchte, um sie umfassend einsetzen zu können. Diese Tendenz, alle zu überwachen, zeigt sich heute bereits, wenn an Autobahnen ein automatischer Kennzeichenabgleich getestet, immer wieder die Forderung nach einer DNA-Datenbank aller Bürger erhoben wird und biometrische Daten in Ausweisen gespeichert werden sollen. Das Ziel: Straftaten sollen gar nicht erst passieren, sondern präventiv verhindert und Risiken vermieden werden.

Neoliberale Sicherheitspolitik: Von der Überwachung zur Kontrolle

Damit ist ein grundsätzlicher Wandel in der Sicherheitspolitik angesprochen, der sich vor dem Hinter­grund der neoliberalen Umstrukturie­rung der Gesellschaft vollzieht. Indi­vi­dualisierung, Flexibilisierung und die Exklusion ganzer Bevölkerungs­teile aus der alten Wohlstands­gesell­schaft stellen soziale Kontrolle zum einen vor neue Anforderungen. Der Verlust an Kontrolle im sozialen Nahraum wird kompensiert durch qualitativ neue und unpersönlichere Kontrollformen. Andererseits unterliegt Sozialkontrolle im Zuge dieses gesellschaftlichen Wandels auch selbst grundlegenden Veränderung, wie z.B. einer Ökonomisierung.

Dem entsprechend geht es in der Sicherheitspolitik zunehmend weniger darum, den Delinquenten zu »bessern« durch Einwirkung auf seine Persönlichkeitsstruktur. Statt dessen werden Kriminalität und abweichendes Verhalten als allgegenwärtige Risiken verstanden, die es in allen Bereichen präventiv zu kontrollieren und somit zu verwalten gilt. Diese Entwicklung ist durch die Zunahme von Selbsttechnologien zur Men­schen­führung und anderen ganz neuen Formen von Kontrolle gekennzeichnet, die subtiler sind, informeller, unsichtbarer, hintergründiger. Video­überwachung, elektronisches Hals­band aber auch die Vorrats­speicherung von Kommunikations­daten sollen das Individuum dazu bringen, fremde Normen und Werte, Ziele und Zwecke als eigene anzunehmen, zu verinnerlichen und sein eigenes Verhalten, abhängig von der Situation, in der man sich befindet, anzupassen. Solche Formen der un­sicht­baren Menschenführung, die ohne direkte Intervention auskommen, treten neben die sich dennoch ausweitende klassische Überwachung und führen zu einer Verlagerung sozialer Kontrolle auf diesen Bereich. Es geht weniger um Normen, ihre Einhaltung und die Disziplinierung bei Verstößen, sondern um die Ausrichtung am empirisch Normalen durch Techniken der Sicherheit. Für die Unverbesserlichen, die sich dieser Anpassung durch Verhaltenskontrolle widersetzen, bleibt der soziale Aus­schluss durch ein immer repressiveres Strafrecht, das mehr und mehr auf das Wegschließen als auf die »Behand­lung« der Betroffenen gerichtet ist.

Diese Kombination aus Kontrolle und sozialem Ausschluss stellt sich als Fortentwicklung bzw. Zuspitzung der herkömmlichen Dichotomie von Überwachung und Strafe dar. Im Zuge dessen ist polizeiliche Arbeit immer weniger auf die klassische Strafverfolgung ausgerichtet; statt dessen geht es um den weiter gefassten Bereich der Gefahren­vor­sorge und proaktive Formen der Präven­tion unabhängig von konkreten Verdachtsmomenten. Potentielle Gefährdungslagen in allen Lebens­bereichen sollen möglichst frühzeitig erkannt werden. Hierbei kommt heimlichen Ermittlungsmethoden und der Speicherung und Auswertung von Informationen besondere Bedeutung zu. In diesem Sinne hat sich auch die Arbeit der Geheimdienste verändert und ist mehr und mehr mit polizeilichen Aufgaben verwoben.

Gegenstrategien und Ausblick

Zusammenfassend betrachtet werden also einerseits klassische Intervention und Überwachung ausgeweitet, wobei sich andererseits neue Formen sozialer Kontrolle herausbilden, die auf einen gesellschaftlichen Wandel zurückgehen. Insofern hat sich das System sozialer Kontrolle von der Vergeltung über die Diszipli­nierung durch Behandlung hin zu Kontrolle und Ausschluss verschoben. Unabhängig von Unterschieden ist allen diesen Formen gemein, dass sie soziale Probleme und Konflikte simplifizieren und individualisieren, statt die dahinter stehenden gesellschaftlichen Probleme zu benennen und zu lösen. Sie produzieren lediglich mehr und mehr Anpassung, um einen möglichst reibungslosen Funk­tions­ablauf zu gewährleisten.

Die Antworten hierauf sind immer ähnlich: Soweit es überhaupt kritisch gesehen wird, werden rechtsstaatliche Defizite beklagt und der Abbau von Grundrechten skandalisiert. Oder es werden die Veränderungen präzise umschrieben und damit gleichzeitig – implizit zumindest teilweise – eine Verklärung der Vergangenheit betrieben. Wir wollen aber nicht dahin zurück. Der fordistische Staat und seine Arbeitsgesellschaft sind auch deswegen in die Krise geraten, weil es eine massive Kritik an ihnen von links gab. Das gleiche gilt für den Behand­lungsansatz im Strafrecht.

Dies führt zu einem Dilemma in der politischen Arbeit: Wie arbeitet man in einer Zeit des Mangels an grundsätzlichen politischen Verände­rungen konkret zu einem Thema, dass zu den Grundfesten dieser Gesell­schaft gehört, an denen also eigentlich gerüttelt werden müsste? Einer­seits orientiert sich die politische Arbeit zu Sicherheitspolitik an konkreten Verschärfungen. Andererseits ist klar, dass diese einzelnen Verän­derungen Bestandteil einer grund­sätzlichen Entwicklung und damit vereinzelt nicht zu stoppen sind. Dem entsprechend bedarf es einer zwei­gliedrigen politischen Strategie, eines radikalen Reformismus: Radikal im Sinne einer Kritik des herrschenden Kontrollparadigmas, reformistisch im Sinne von vorerst Abwehrkämpfen. Nur wenn es gelingt, über konkrete Abwehrkämpfe eine Position in den öffentlichen Diskurs einzubringen, die die beschriebene Entwicklung im Gegensatz zur Skandalisierung einzelner Verschärfungen insgesamt analysiert und kritisiert, wird es mittelfristig möglich sein, dem herrschenden Kontrollparadigma etwas entgegenzusetzen und somit diese Entwicklung zu stoppen.

Eine solche Position muss vermitteln, dass soziale Probleme inklusive Terrorismus, Armut und Ungleichheit Folge des neoliberalen Paradigmas und innerhalb dessen nicht zu lösen sind; dass neoliberale Wirtschafts­politik, soziale Verwerfungen, innere Aufrüstung und internationale Kriegs­­führung zusammen hängen; dass staatliches Strafen und staatliche Strafverfolgung keine Lösung solcher Probleme darstellen und in diesem Sinne niemals dem Schutz des Einzelnen vor Rechtsgutsverlet­zungen, sondern vor allem der Machterhaltung dienen. Dabei muss sie aufpassen, sich weder auf den Rechtsstaat zu berufen, noch in den fordistischen Wohlfahrtsstaat zurückkehren zu wollen. Ein Beharren darauf wäre ein rückwärtsgewandter Kampf, der keine Emanzipationsmöglichkeiten eröffnet. Demnach darf sich eine solche Position nicht an jetzigen Rechts­stan­dards orientieren, die als Ausgangs­position für eine emanzipative Posi­tion dienen könnten, sondern muss sich an deren materiellen Gehalt ausrichten und diesen betonen.

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