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Hamburg - Hauptstadt des organisierten Erbrechens

vom antirassistischen Autorenkollektiv Schulze & Schulze
Einleitung

Der 19jährige Achidi J. ist tot, doch das öffentliche Aufsehen um seine Todesumstände hat sich schnell wieder Hauptstadt des gelegt. Der junge Kameruner war am Nachmittag des 9. Dezember 2001 von der Hamburger Polizei unter dem Verdacht des Handels mit illegalen Drogen festgenommen und ins Rechtsmedizinische Institut im Universitätskrankenhaus Eppendorf (UKE) gebracht worden. Dort wurde ihm gewaltsam das Brechmittel Ipecacuanha verabreicht, indem man gegen seinen Widerstand und unter Beiziehung mehrerer Polizisten eine Magensonde durch die Nase in den Magen stieß. Achidi J. wurde ohnmächtig, fiel ins Koma und starb vier Tage später an den Folgen dieser Misshandlung.

Die an der Tötung Achidi J.s Beteiligten haben gewusst, was sie taten. Der für die Vergabe von Emetika (Brechmittel) am Rechtsmedizinischen Institut verantwortliche Professor Dr. Klaus Püschel warnte noch Anfang der 90er Jahre, als medizinischer Experte gefragt, vor der Verabreichung von Brechmitteln. Es dürfe beim Verdacht des Schmuggels von Drogen im Körper keinesfalls Erbrechen erzwungen werden, da hierbei »eine nicht unerhebliche Gesundheitsgefährdung, z.B. durch Verletzung der Speiseröhre oder Einatmung von Erbrochenem« bestehe. Heute indes vertritt er die Ansicht, man könne »Polizei und Justiz ja nicht im Regen stehen lassen« - er sei schließlich um Mitwirkung gebeten worden.

Das – so scheint es – sagt Püschel immer, wenn es darum geht, staatliche Zwangsmaßnahmen zu legitimieren. Genau wie seine Kollegin Professorin Dr. med. Ute Lockemann ist er mit der skandalösen »Altersfeststellung« bei jugendlichen Flüchtlingen betraut, die der Ausländerbehörde Material in die Hand gibt, um den Flüchtlingen ihre Rechte nach der UN-Kinderschutzkonvention zu versagen und sie einfacher abzuschieben. Auch hier äußerte Püschel zuvor, »dass wir etwas tun, was wissenschaftlich keine eindeutige Methode, mit Fehlerquellen belegt und medizinisch nicht sauber ist.« Doch nicht nur dieser Protagonist des organisierten Erbrechens warnte einst vor den Gefahren der sogenannten Exkorporation, wie das künstlich herbeigeführte Erbrechen wissenschaftlich verharmlosend genannt wird.

Die Bremer Polizei verabreicht seit den frühen 90er Jahren, mit Rückendeckung des Innensenators der Stadt, regelmäßig Apomorphin und überhöhte Dosen Ipecacuanha Emetika.1 Amnesty international protestierte nachdrücklich gegen den schweren Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen. So befand die Londoner ai-Zentrale 1995, dass »die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln an in Gewahrsam befindlichen Personen, wenn sie nicht aus medizinischen Gründen erforderlich ist, grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung gleichkommt.« Zur ähnlichen Bewertung kam auch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. 1996. In einem Urteil zur hessischen Brechmittelvergabe führten die RichterInnen aus: »Ferner verstößt das rechtsgrundlose zwangsweise Verabreichen von Brechmitteln gegen die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde und gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten (Artikel 1 Absatz 1, Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz)«.2

Doch Hamburg und sein damals um den Machterhalt bangender rot-grüner Senat ließen ab August letzten Jahres kotzen – kurz vor der Hamburger Bürgerschaftswahl. Schon bei einem der ersten Einsätze des Emetikas traten Komplikationen auf, wobei das Opfer der Maßnahme anschließend über schwere Schluckbeschwerden klagte. Bei einer nachfolgenden Untersuchung in der Krankenstation des Untersuchungsgefängnisses Holstenglacis wurden »Rötungen im Hals« festgestellt, die vom gewaltsamen Einführen der Magensonde herrühren mussten. Das erste Opfer war wohl nur eine Frage der Zeit, denn eben nach einer solchen Behandlung fiel Achidi ins Koma. Eingeführt unter Rot-Grün, fortgesetzt unter Schwarz-Schill: Während Krista Sager (GAL), die  noch im Juli 2001 der Einführung der Brechmittelvergabe mit dem Hinweis, es handle sich nur um »symbolische Politik«, zugestimmt hatte, verlangt, nun diese Maßnahme einzustellen, wird seitens der SPD das gegebenenfalls auch zwangsweise Brechen trotz tödlicher Folgen nach wie vor befürwortet.

Scharfe Kritik kam auch aus der ÄrztInnenschaft: Mitglieder der Hamburger Ärzteopposition stellten Strafanzeige gegen die verantwortlichen Ärzte mit dem Hinweis, »eine Todesstrafe durch die Hintertür dürfe es nicht geben«. Auch die Hamburger Ärztekammer sprach sich zumindest gegen die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln aus.3 Der neue Hamburger Innensenator Schill kündigte am 10. Dezember 2001 an, in jedem Fall an der Maßnahme festzuhalten, denn eine Änderung dieser tödlichen Praxis »wäre ein Signal, dass die Strafverfolgung in Hamburg nicht mit der gebotenen Härte durchgeführt wird.« Zwei Tage zuvor hatte man beschlossen, die noch unter dem rot-grünen Senat festgelegten Anforderungen für den Brechmitteleinsatz zu lockern, mit dem Ergebnis, dass allein in den ersten zwei Tagen bis zur Tötung von Achidi J. neunmal Ipecacuanha verabreicht worden war.

In den vorhergehenden Monaten wurde diese Maßnahme häufiger angewandt. Der heftigen, nicht zuletzt auch aus der ÄrztInnenschaft angeführten Kritik zum Trotz, machte Püschel umgehend deutlich, wie er mit dem »tragischen Ereignis« umzugehen gedenkt. Zwar fände auch er den Job »zum Kotzen«, aber von einer Einstellung dieser Methode an seinem Institut will er nichts wissen und legt seitdem höchstpersönlich Hand mit an. In der Praxis stellt sich die Einflößung von  Brechmitteln, die bislang nur in Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Berlin4 im »Kampf gegen die Drogenkriminalität« angewandt wurde, als eine rassistische Schikane gegen zumeist schwarze Flüchtlinge dar. Seit Jahrzehnten wird sowohl von KriminologInnen als auch von MitarbeiterInnen der Drogenhilfeeinrichtungen vergebens darauf hingewiesen, dass für die Verelendung und die konstant hohe Zahl von Drogentoten maßgeblich die Illegalisierung der entprechender Substanzen und das damit verbundene repressive Vorgehen verantwortlich sind.

Mit einem – nicht zuletzt der fachlichen Kritik geschuldeten – veränderten Blick auf die KonsumentInnen illegalisierter Drogen, die in den vergangenen Jahren  zunehmend als »krank« oder hilfsbedürftige Opfer angesehen wurden, ging eine moralische Verdammung der HändlerInnen einher, die von einer masssiven Ausweitung des Repressionsapparates begleitet wurde. Dabei geht es bei der Brechmittelverabreichung jedoch keineswegs – wie immer wieder gerne behauptet – um eine notwendige Maßnahme zur »Beweissicherung« in einem nachfolgenden Strafverfahren, sondern um Abschreckung und vorweggenommene Körperstrafe. Anläßlich einer Aktuellen Stunde der Hamburger Bürgerschaft zum Tod von Achidi J. wurde dies von einem Vertreter der Regierungsfraktion dann auch ausdrücklich als solche eingeräumt. Es ist allerdings auch kein Zufall, dass Opfer dieser Maßnahme dem Vernehmen nach bislang ausschließlich Schwarze wurden. Dient die Ausweitung polizeilicher Kompetenz doch gerade auch dazu, der Bevölkerung Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Insoweit wird ein bestehendes rassistisches Ressentiment und das Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten nach hartem Vorgehen gegen Schwarze bedient und reproduziert. »Wer anderen Leid zufügt, dem soll auch selbst Leid geschehen« und »Wir wollen die Schwarzen kotzen sehen« ist dem entsprechend der überwiegende Tenor, mit dem sich der Mob mitleidslos und voller Genugtuung nach dem Tod Achidi J. in den Leserbriefspalten der  bürgerlichen Medien oder pöbelnd am Rande von antirassistischen Demonstrationen hinter das tödliche Vorgehen stellt. Hatte der sogenannte Hamburger Polizeiskandal Mitte der 90er Jahre, in dessen Zuge eine Vielzahl rassistischer Schikanen und Folterungen bis hin zu Scheinhinrichtungen an Schwarzen aufgedeckt wurden, noch zu kritischen Auseinandersetzungen mit dem polizeilichen Vorgehen in der Öffentlichkeit geführt, verdeutlicht gerade das Beibehalten der   Brechmittelvergabe, wie sehr das rassistische Ressentiment institutionalisiert und zur Richtschnur staatlichen Handelns geworden ist.

Dieser Artikel wurde dem AIB von dem antirassistischen Autorenkollektiv Schulze & Schulze zur Verfügung gestellt.

  • 1Ausführlich widmet sich die Broschüre »Bullen die zum Brechen reizen«, herausgegeben vom Bremer Antirassismusbüro (ARAB), den dortigen Verhältnissen.
  • 2In: Strafverteidiger 1996 S. 651Ff
  • 3Die Hamburger Ärztekammer hatte bereits zu Zeiten des rot-grünen Senats im Oktober 2001 mit großer Mehrheit eine Entschließung verabschiedet, nach der die gewaltsame Verabreichung von Brechmitteln abgelehnt wird. Dass man sich nicht dazu durchringen konnte, diese Methode gänzlich zu verurteilen, steht allerdings ebenso auf einem anderen Blatt wie die Tatsache, dass man dort  meint, sich mit Vorschlägen wie der zwangsweisen Abführmittelvergabe konstruktiv an der fortdauernden Diskriminierung von Schwarzen beteiligen zu müssen.
  • 4In Berlin wurden ab März 2001 Brechmittel eingesetzt, nachdem man zwischenzeitlich, aufgrund der Entscheidung des OLG Frankfurts, die bereits 1994 eingeführte Brechmittelvergabe ausgesetzt hatte. Nach der Tötung von Achidi J. erfolgte eine erneute, wenngleich auch nur vorläufige Aussetzung der Prozedur, bis die genaue Todesursache ermittelt ist. Dann will man über das weitere Vorgehen entscheiden.