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Halbe: Wenig heldisches am »Tag des Heldengedenkens«

Einleitung

Statt der großspurig angekündigten 8.000 TeilnehmerInnen machten sich gerade mal 500 Neonazis auf den Weg zur zentralen »Heldengedenkfeier« der "Deutschen Kulturgemeinschaft" (DKG) – bzw. "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V." (BKP)1 - am 14 . November 1993 nach Brandenburg. Für die angemeldeten Kundgebungsorte in Brandenburg, die Soldatenfriedhöfe Halbe und die Seelower Höhen (Seelow), waren Veranstaltungsverbote ausgesprochen worden. Nach Angaben der Polizei waren die Konvois der Neonazis gut organisiert und über mobile Telefone koordiniert. Die mobilisierten Alt- und Neonazis wollten als Überraschungscoup zu einer zentralen Kundgebung nach Niedersachsen ausweichen.

  • 11979 entstand die „Deutsche Kulturgemeinschaft“ (DKG) als radikale Abspaltung des „Deutschen Kulturwerks Europäischen Geistes (DKEG) unter dem Vorsitzenden Alfred E. Manke in Bassum bei Bremen. Präsidentin der Kulturgemeinschaft ist Lisbeth Grolitsch, im Vorstand ist Herbert Schweiger. 1983 wurde ein DKG-Arbeitskreis Berlin gegründet. Hauptverantwortliche war Ursula Schaffer. Dieser Arbeitskreis benannte sich 1990 in Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e.V. (BKP) um. 1994 wurde Ulli Boldt Vorsitzender der BKP, Vereinsfunktionäre waren Hans-Jörg Rückert, Wolfram Nahrath und Jan Gallasch.

Hans Jörg Rückert (2.v.r) zählte zum Organisatioskreis der (Neo)nazi-Versammlung in Halbe.

Im nach hinein sprachen die Innenbehörden zum ersten Mal von einer gut koordinierten und vorbereiteten Aktion der Neonazis. Eine zentrale Rolle darin übernahm der alljährliche Veranstalter der sogenannten »Rudolf-Hess-Gedenkmärsche«, der Leiter der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF), Christian Worch. Er verschickte am 12 . Oktober einen Rundbrief über Telefax, in dem er Anweisungen an die Gefolgschaft weiter gab: »Jeder Konvoi mindestens ein Funktelefon, Mobilfunkgeräte einsatzbereit halten, vor Ort Handfunkgeräte«. Dazu wurden noch eine Reihe von (zumeist sexistischen) Codenamen für Polizeisperren ausgegeben. Dieselben Kommunikationsformen waren schon bei den erwähnten »Hess-Märschen« erprobt worden, doch damals interessierte sich die Polizei noch nicht dafür und ließ die Aufmärsche, wie zuletzt in Fulda, stattfinden.

Völlig ungewohnt musste für die Neonazis der Umstand gewesen sein, dass auch die Polizei sie behinderte. Reihenweise fuhren ihre Konvois in die Kontrollposten, der über 10.000 eingesetzten PolizistInnen. Die Leitung hatte die Neonazis über Funk nach Niedersachsen bestellt.

Das Niederlegen von ein paar Kränzen durch ca. 100 Teilnehmerinnen war der einzige Erfolg, auf den die Organisatoren verweisen konnten. Dort hatte sich das übliche Spektrum von einigen Wehrmachtsangehörigen, Waffen-SS'lern, NPD, JN, FAP und wenige REPs versammelt. 77 von ihnen wurden danach kontrolliert, 20 weitere in Aligse (bei Hannover) festgesetzt und auf dem Soldatenfriedhof von Essel trafen 50 Mitglieder der „Wiking Jugend“ ein. In Brandenburg waren erwartungsgemäß vestärkt Mitglieder der „Deutschen Alternative“ (DA) und der NF-Nachfolgeorganisation "Direkten Aktion/ Mitteldeutschland" (JF)1 unterwegs.

Auch in ihrer Hochburg Schwedt/Oder war eine Ausweichveranstaltung als „Gedächtnismarsch“ für den Alt-Nazi und Kriegsverbrecher Otto Skorzeny angekündigt, doch daraus wurde auf Grund massiver Polizeipräsenz nichts2 .

Auf der Seite 36 im Berliner Verfassungsschutzbericht für 1993 ist zu erfahren: „In Berlin entwickelten die Anhänger der verbotenen NF keine besonderen Aktivitäten. Dem Schönborn-Flügel dürften zwischen 20 bis 25 Personen angehören, die ihren Wohnsitz in Berlin haben. Zu den bekanntesten Schönborn-Anhängern gehört Uli Boldt, der seit Januar 1994 Vorsitzender der "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e.V. ist. Boldt und einige seiner Anhänger waren vor der geplanten Heldengedenkfeier am 14. November 1993 auf dem Waldfriedhof in Halbe
(Dahme-Spreewald, Brandenburg) gestellt worden
“.

In Nordrhein-Westfalen fuhren 56 Mitglieder der FAP und der „Nationalen Liste“ (NL) in eine Polizeisperre und wurden festgenommen. Teilweise wurden danach Hausdurchsuchungen bei den Festgenommenen durchgeführt und umfangreiches Beweismaterial sowie Waffen beschlagnahmt.

Nach dem Skandal des unbehelligten Neonazi-Aufmarsches von Fulda, der vor allem im Ausland viel negative Beachtung fand, waren die Sicherheitsbehörden diesmal bemüht, sich in einem besseren Licht zu präsentieren. Dort war die schützende Funktion der deutschen Regierung für die Neonazi-Organisationen und die augenscheinliche Billigung ihrer Gewalttaten thematisiert worden. Ein Neonazi-Aufmarsch, zeitgleich mit der Eröffnung der zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik, der „Neuen Wache“ in Berlin, wo Opfer mit den Tätern gleichgesetzt werden, hätte international nicht gut ausgesehen. Der diesmal offiziell festgestellte Organisationsgrad der Neonazi-Szene war seit Jahren Inhalt vieler Artikel von Zeitungen der Antifa-Bewegung - unter anderem auch über die Veranstalterin die „Deutsche Kulturgemeinschaft“. Noch im Juni dieses Jahres sorgten die thüringischen Behörden für einen reibungslosen Ablauf des DKG-Jahrestreffens in Saalfeld.

  • 1Veranstalter der „Sonnwendfeier“ am 19. Juni 1993 auf einem Zeitplatz am Biltzsee bei Altfriesack (Brandenburg) mit circa 150 Neonazis.
  • 2Der SS-Mann Skorzeny tötete auch in Schwedt: Kurt Flöter, Bürgermeister in der Kleinstadt Chojna hatte seinen Ort ohne Räumungsbefehl verlassen. Er wurde von einem SS-Standgericht unter Vorsitz von Otto Skorzeny - der den „Brückenkopf Schwedt“ befehligte - zum Tode durch Erhängen verurteilt. Das Urteil wurde am 4. Februar 1945 an einer Kastanie auf der Schloßfreiheit in Schwedt vollstreckt. In den letzten Kriegswochen sind tausende Wehrmachtssoldaten so in Schnellverfahren verurteilt worden. Noch im März 1945 wurde Norbert Robert als Deserteur in Schwedt erhängt. Skorzeny starb am 5. Juli 1975 im Alter von 67 Jahren in Madrid an Krebs.