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Göttingen: Conny von der Polizei in den Tod getrieben

Einleitung

Am Abend des 17. November 1989 wurde die 24-jährige Conny von der Polizei in Göttingen vor ein fahrendes Auto getrieben. Ihr Tod war auch das Resultat einer Treibjagd der Göttinger Polizei gegen AntifaschistInnen, die zusammengekommen waren, um Übergriffe von Neonazis in der Innenstadt zu verhindern. Nach den Lügen, die die Polizei verbreitete, um von ihrer Verantwortung am Tod Connys abzulenken, geht die Hetze gegen die autonomen AntifaschistInnen der Universitätsstadt weiter - von Polizei und Neonazis.

Überfälle von Neonazi-Skinheads gibt es seit Jahren in Göttingen. Die Angriffe richten sich ganz wahllos gegen PassantInnen, SchülerInnen, die links aussehen, AusländerInnen und vor allem gegen das Jugendzentrum Innenstadt „Juzi“. Und das steht von Seiten der Stadtoberen, der bürgerlichen Parteien und der Göttinger Polizei ebenfalls seit Jahren unter Beschuss. Nach dem als rechtswidrig anerkannten Göttinger Kessel um das „Juzi“ im Dezember 1986, wo das Zentrum von der Polizei gestürmt worden war und 408 Personen festgenommen worden sind, ging die Hetze, die polizeilichen Bespitzelungen und Verfolgung weiter. In diesem Klima fühlten sich auch Neonazis ermutigt das "Juzi" und vermeintliche „Autonome“ anzugreifen. Bei diesen Angriffen zeichnete sich das Verhalten der Göttinger Polizei mehrfach durch Nichteingreifen aus, so lange die Neonazis angreifen, um bei einer Gegenwehr einzuschreiten und die Neonazis aus der Stadt zu geleiten. Das geht aus Informationen der Göttinger Antifa hervor, die wir in einer Chronologie dokumentieren.

Ein Augenzeugenbericht:

Es fing an um 20.50 Uhr, als sechs bis acht AntifaschistInnen in der Burgstraße vor der Kneipe Apex standen. Circa acht Neonazis - mit Knüppeln bewaffnet - kamen aus der Kneipe und versuchten, die AntifaschistInnen anzugreifen. Es kam zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf zwei Neonazis verletzt wurden. Nach dieser Auseinandersetzung zerstreuten sich die AntifaschistInnen. Andere Leute, die nach dieser Aktion verständigt wurden, trafen sich kurze Zeit später vor einer Kneipe, etwa 500 Meter vom Apex entfernt. Diese Personen (etwa 30) zogen dann in Richtung Innenstadt, wo die Polizei am Ende der Fußgängerzone eine Sperre errichteten. Diese wurde umgangen um in Richtung Universität zu gelangen - mit dem Ziel sich dort aufzulösen. Über Polizeifunk, der von den Leuten abgehört wurde, sprachen die Polizisten von den "Chaoten". Sie kümmerten sich erst einmal um die Neonazis, welche sie aus der Innenstadt begleiteten.

Als die Neonazis die Stadt verlassen hatten, wollten die Polizeibeamten die AntifaschistInnen angreifen. Sie fragten wörtlich über Funk: "Sollen wir sie plattmachen?" Es folgte eine Abstimmung über Funk, in der sich die Polizisten für das "Plattmachen " entschieden. Sie zogen Hundeführer, mehrere ZSK (Zivile Sonderkommandos) und mehrere Streifenwagen zusammen. Die Leute waren zu diesem Zeitpunkt kurz vor dem Universitätsgelände in einem Durchgangsweg. Die Polizisten standen unter anderem am Ausgang des Durchgangs auf die Weender Landstraße, die eine sehr stark befahrene vierspurige Straße ist. Die Polizisten kamen von mehreren Seiten und griffen die Leute an. Sie hatten an ihren Fahrzeugen das Blaulicht abgeschaltet, wodurch die Situation für heranfahrende AutofahrerInnen sehr schwer zu erkennen war. Auf den Fahrbahnen lief der Verkehr weiter. Die AntifaschistInnen versuchten um die Polizisten herum zu kommen. Die Polizisten sprangen mit gezogenen Knüppeln aus ihren Wagen heraus und versuchten die Leute zu schlagen und abzugreifen. Conny versuchte den Polizisten, die auf sie zuliefen, in die einzig mögliche Richtung auszuweichen: In die Mitte der Straße. Zu diesem Zeitpunkt kam ein PKW mit recht hoher Geschwindigkeit heran. Conny wurde erfasst, durch die Luft geschleudert und war sofort tot.

Die Polizisten schlugen weiterhin auf die Leute ein und versprühten CS-Gas. Sie forderten sogar einige Leute auf, sich neben Conny auf die Straße zu legen. Leute, die sich um Conny kümmern wollten, wurden von den Polizisten mit Knüppeln und Hunden bedroht. Polizisten leisteten auch nach Aufforderung keine Erste Hilfe, sondern unternahmen statt dessen mehrere Versuche Leute festzunehmen. Der Notarzt, der etwa acht Minuten später eintraf, stellte nur noch den Tod fest. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht von Connys Tod in Göttingen. Viele Menschen kamen ins "Juzi" und nach einer Zeit der Fassungslosigkeit und des Schocks, beschlossen sie auf die Straße zu gehen. Sie zogen zu der Stelle an der Conny gestorben war und besetzten den Platz mit einer Mahnwache. Bis Sonntagabend war die vierspurige Straße Ort der Trauer und Information. Danach wurde an der Stelle ein Stein zu ihrem Gedenken eingelassen und ein Birkenstamm gesetzt. Samstag Mittag demonstrierten circa 1.500 Menschen durch die Göttinger Innenstadt, wobei sich die Wut im Klirren einiger Bankscheiben Bahn brach. Die Göttinger AntifaschistInnen hatte alle Hände voll zu tun um Öffentlichkeit über die tatsächlichen Ereignisse herzustellen.

Die Polizei erklärte man habe eine Auseinandersetzung zwischen Autonomen und Neonazis verhindern wollen. Desweiteren sei Conny "aus noch ungeklärter Ursache" auf die Straße gesprungen, „Tödlich verletzt nach Streit“ war im Göttinger Tageblatt zu lesen. Über Rundfunk wurde verbreitet, die Autonomen hätten den Notarztwagen nicht durchgelassen. Nicht alle Lügen der Göttinger Polizei ließen sich lange halten. Bestritt sie anfangs noch die Existenz des Funkspruches, in dem vom "Plattmachen" der AntifaschistInnen die Rede war, musste sie diesen später öffentlich zugeben. Genauso die Tatsache des Einsatzes der „chemischen Keule“ nachdem Conny vor das Auto getrieben wurde. Die Polizeiführung musste zudem noch einräumen die eingesetzten Polizisten vier Tage nach dem Vorfall noch nicht einmal verhört zu haben.

Wütende Proteste

Auch in anderen Städten reagierten AntifaschistInnen auf den Tod von Conny, soweit wir wissen in Bielefeld, Bonn, Bremen, München, Hannover. In Hamburg zogen noch am Freitagabend 200 DemonstrantInnen vor das Polizeirevier im Schanzenviertel und attackierten das Gebäude. Zu erheblichen Sachschäden kam es auch in West-Berlin (Kottbusser Damm) am Samstagabend. In der Innenstadt demonstrierten wenig später über 1.000 Leute auf dem überfüllten Kurfürstendamm. Die Westberliner Polizei zeigte ihr bekanntes Vorgehen aus den IWF-Tagen. Sie kesselten und knüppelten gegen die DemonstrantInnen und gaben den DDRlern auf dem Prachtboulevard ein paar Nachhilfestunden in westdeutschem Demokratieverständnis. 2.000 Menschen demonstrierten daraufhin nochmal am Montagabend über den Ku'damm, um Öffentlichkeit über die wahren Begleitumstände des Todes von Conny herzustellen und gegen die Verfolgung von AntifaschistInnen zu protestieren. An der Öffnung der DDR-Staatsgrenze scheiterte jedoch das „Bündnis gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus“ bei der Organisation eines Reisebusses zur bundesweiten Demonstration nach Göttingen. Alle Busse waren im Öffentlichen Nahverkehr eingesetzt oder vergeben. Doch in Berlin-Hauptstadt fand dafür zeitgleich zur bundesweiten Demo ein Solidaritätsaktion mit 100 Leuten vor der ständigen Vertretung der BRD statt.

Eine bundesweite Demonstration

Zu der bundesweiten Demonstration kamen 8.000 Menschen nach Göttingen. Ein vielfältiges Spektrum von AntifaschistInnen - "Friedliche" und "Militante" - zogen aus der Innenstadt zu dem Todesort. Während vorher noch lautstark Parolen gerufen worden sind, zieht der Zug schweigend durch die Weender Landstraße. Bis auf einige Ausnahmen verlief die Demo ruhig bis zu der Polizei-Kaserne am Steinsgraben. Dort wollte die Polizei den Block der vermummten DemonstrantInnen von den "Friedlichen" spalten und auseinander schlagen. Das dieses nicht gelang lag zum einen an der Demonstrationsleitung, die die Route änderte, um nicht in eine Eskalation reinzulaufen und an der Stümperhaftigkeit der Göttinger Polizei. Das belegte der Abgeordnete der Grünen Jürgen Trittin am 15. Dezember 1989 anhand von ausgewerteten Funksprüchen dem Niedersächsischen Landtag. Demnach standen sich zwei Einheiten der Polizei im Wege was einen Großeinsatz an der Kaserne verhinderte. Auch die bezweckte Trennung der „Friedlichen“ von den „Militanten“ ist nicht aufgegangen, obwohl die Polizei mehrmals mit massiven Schlagstockeinsätzen auf die Vorbeiziehenden einprügelte. So gelangte die Demo zum Kundgebungsort, doch die Göttinger Polizei war auf der Jagd nach Schlagzeilen wie „Autonome verwüsteten Göttingen“. Da das ohne polizeilichen Begleitschutz noch nicht eingetreten war, sollte nun nachgeholfen werden. Ebenfalls durch Funkmitschnitte belegt sind die Überlegungen die Kundgebung „auseinander zu jagen“. Dieses scheiterte jedoch wieder an dem Beschluss der Demonstrationsleitung die Kundgebung zum "Juzi" zu verlegen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden.

Noch bevor das Ende der Demonstration am "Juzi" ankam ereignete sich das "grausame Mißgeschick" (Innenminister Josef Stock von der CDU) einer ortsfremden Braunschweiger Polizeihundertschaft. Sie stürmte aus einer Seitenstraße auf das "Juzi" zu und wurden daraufhin mit Wurfgeschossen zurückgetrieben. Nun wurde die Demonstration von allen Seiten attackiert, wobei es mehrere Verletzte gab. Diese Angriffe werden von den Göttinger AntifaschistInnen als „von der Polizei bewusst herbeigeführte Provokation“ bewertet, um von der eigene Verantwortung am Tod Connys ablenken zu können.

Trotz der oben erwähnten Enthüllungen über den Polizeieinsatz halten die Landesregierung und die meisten SPDler an der Darstellung fest, "Polizei verfolgte Deeskalationskonzept". Unter Beschuss in der SPD ist deswegen auch die Landtagskandidatin Hülle Hartwig geraten. Sie hält nach wie vor an den Tatsachen fest, die selbst vor Ort gesehen hatte. "Dass die Polizei am Steinsgraben eindeutig provozierend und unverhältnismäßig vorgegangen ist." Auch die 'Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten' glaubt den Darstellungen des Innenministeriums zu den Vorfällen nicht. Nach wie vor besteht die Forderung nach Auflösung des „Zivilen Streifenkommandos“ (ZSK) und der Absetzung des Polizeichefs Lothar Will. Die Staatsanwaltschaft gab zwar bekannt die Ermittlungen aufgenommen zu haben, ob die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden bleibt bei der Praxis ähnlicher Prozesse höchst fraglich. Für den Tod von Günter Sare ist niemand verurteilt worden, die Verfahren werden über Jahre hingeschleppt bis sich niemand mehr erinnern kann.

Angriffe auf das „Juzi“

Unterdessen gehen die Angriffe der Neonazis weiter. Keine Woche nachdem auch Rita Süßmuth (CDU) die Schließung des "Juzi" forderte, zogen am 9. Dezember 1980 bewaffnete Neonazis aus den Kreisen der FAP in einer Demonstration vor das Jugendzentrum. Unter den Neonazis war die Hälfte in einheitlicher Uniform vertreten, Transparente wie "Deutsche macht euch frei - haut das JUZI zu Brei" wurden mitgeführt. Nachdem sich die Neonazis ungestört sammeln konnten, obwohl sie unter Polizeibeobachtung standen, griff die anwesende Polizei auch nicht ein, als aus dem Aufmarsch eine Gruppe dunkelhäutiger Jugendlicher mit Flaschen beworfen wurde und im Anschluss das "Juzi" mit Steinen, Flaschen und Signalmunition beschossen wurde. Die Polizei griff erst ein als die BesucherInnen des "Juzi" sich wehrten und begannen den Aufmarsch auseinander zu jagen. 20 Polizeibeamte deckten daraufhin den Rückzug der Neonazis. Eine halbe Stunde nach dem Angriff versammelten sich 300 AntifaschistInnen und zogen in einer Spontandemonstration in die Innenstadt. Die Propaganda der CDU gegen das „Juzi“ spielte den Neonazis in die Hände.  Keine 48 Stunden nach einer CDU Hetztirade gegen das "Juzi" wurde ein Brandanschlag auf ein am Haus hängendes Transparent verübt.

FAPolizei ?

Trotz der scharfen Hetze gegen das "Juzi" werden in Göttingen nun mehr Menschen aktiv, um gegen Neonazis und nationalistische Umtriebe vorzugehen. Es ist ja nicht so, dass unbekannt wäre von wo die Angriffe der Neonazis organisiert werden. Schlüsselfigur ist seit Jahren Karl Polacek, der sein Haus in dem Dorf Mackenrode zu einem Zentrum der FAP ausgebaut hat. Er fungierte auch während des Aufmarsches als Kontaktperson zur Polizei. Schon 1988 machte eine Demonstration gegen das FAP-Zentrum in Mackenrode von autonomen AntifaschistInnen bis zum DGB auf die Zusammenhänge von FAP und Straßenterror im Raum Göttingen aufmerksam.

Über das Verhältnis von Straßenterror und Polizei erklärte der 2. Kreisvorsitzende der FAP Thorsten Heise: "Wir versuchen soweit es geht mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Das klappt teilweise ganz gut. Wir stehen durchaus positiv zur Polizei, speziell zu zivilen Einsatzkommandos und Streifenkommandos. Aber es gibt auch Reibungen." 1 . Am 12. Dezember 1989 fand ein Prozeß gegen einen Antifaschisten statt, dazu waren Neonazi-Skinheads als Zeugen geladen. Einige Neonazis erschienen im Vorraum des Gerichtssaales und griffen eine Gruppe von ProzeßbesucherInnen mit Gaspistolen und Signalstiften für Leuchtmunition an, danach konnten sie trotz der anwesenden Polizei unbehelligt verschwinden. In der Nacht vom 13. zum 14. Dezember 1989 gab es einen Brandanschlag auf das Haus des FAPlers Thorsten Heise, der von der Göttinger Polizei der autonomen Szene zugeschrieben wurde. Zwei Tage später erklärte die zuständige Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen liefen in eine andere Richtung. Nur drei Tage später verüben Neonazi-Skinheads einen Säureanschlag auf ein bekanntes von Linken bewohntes Haus und jagten einen Radfahrer mit dem Auto. Nachdem am 22. Dezember 1989 eine Wirtin randalierende Neonazi-Skinheads aufforderte ihre Kneipe zu verlassen, wurde sie mit einem Axtstiel verletzt. Gäste, die der Wirtin zu Hilfe kommen wollten, werden mit Gasrevolvern beschossen. Die Polizei beschlagnahmte Schlagstöcke, Schreckschusspistolen und Abschußvorrichtungen für Leuchtraketen.

Das Verhalten der Göttinger Polizei, die es anscheinend nicht so problematisch findet wenn Neonazis „Autonome“ angreifen, begünstigte mit ihrem Nichteingreifen gegen gewalttätige Neonazis und dem Schutz, den sie ihnen jedoch vor antifaschistischen Gegenaktivitäten gewähren, eine Ausbreitung neonazistischer Gewalt.

  • 1WDR-Jugendmagazin Zack