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Fragwürdige Traditionslinien

Einleitung

Die mediale Aufmerksamkeit um »Operation Walküre« nimmt die Broschüre »Fragwürdige Traditionslinien« zum Anlass, die Kritik an Stauffenberg und insbesondere an der Art und Weise, wie ihm gedacht wird, in den öffentlichen geschichtspolitischen Diskurs zu tragen. In dem Text, den wir auszugsweise vorstellen, wird die Funktionsweise des Gedenkdiskurses analysiert.

Der 20. Juli 1944 war von Anbeginn Gegenstand zahlreicher geschichtspolitischer Ausdeutungen. Das Gedenken an die »Frauen und Männer des 20. Juli« und die Bewertung des Attentates haben dabei in den vergangenen Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel erfahren.

Wie kommt es aber, dass die einst als »Landesverräter« beschimpften Attentäter heute einen so wichtigen Platz im deutschen Erinnerungs- und Gedenkdiskurs besetzen? Was steckt hinter diesem Wandel der Wahrnehmung Stauffenbergs und der Attentäter des 20. Juli? Im Folgenden sollen einige wichtige Momente und Etappen des Diskurses um den 20. Juli 1944 seit dem Ende des zweiten Weltkrieges skizziert werden.

Auch wenn es dauerte, bis das Attentat zum »Aufstand des Gewissens« wurde, waren die Geschehnisse des 20. Juli 1944 schon früh in ihrer Bedeutung für die Bundesrepublik erkannt. Ein bundesrepublikanischer »Gründungsmythos« wurde geboren, der die BRD in der Tradition eines »anderen Deutschlands« verankert. Dieses Konstrukt […] verkörpert die »eigentliche deutsche Nation«, die neben dem Nationalsozialismus weiterhin bestanden und mit diesem nichts gemein gehabt haben soll. Die »Frauen und Männer des 20. Juli« sollen dabei all jene »anständigen« Deutschen repräsentieren, die dem Nationalsozialismus distanziert gegenüber standen. Dies wurde für die Mehrheit der Deutschen beansprucht. Insofern bot das »andere Deutschland« den Deutschen die Gelegenheit, sich rückwirkend von der Beteiligung an nationalsozialistischen Verbrechen loszusagen.

Nach der Wiedervereinigung, der Überwindung der Nachkriegsordnung und mit dem Anwachsen des deutschen Einflusses in der internationalen Politik kam es zu einem nachhaltigen Wandel der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus. In der sich nun durchsetzenden Geschichtsbetrachtung wird nicht die Welt vom deutschen Nationalsozialismus befreit, sondern Europa und Deutschland von Hitler.

Seit dem Antritt der rot-grünen Regierung haben sich einschneidende politische Veränderungen ergeben, durch die sich die Imagekorrektur Deutschlands und der Bundeswehr beschleunigt(e). Stellten die deutschen Verbrechen vormalig ein Hindernis für die Beteiligung an militärischen Handlungen dar, bedurfte es jetzt anderer aus der deutschen Vergangenheit gezogener »Lehren«, um die mit der Wiedervereinigung gewonnen außenpolitischen Handlungsspielräume nutzen zu können. Spätestens mit dem Kosovokrieg 1999 wurde Auschwitz zu einem geschichtlichen Ereignis, das Deutschland geradezu zum Führen von Kriegen zu verpflichten schien. Von der historischen Schuld wurde also die historische Verantwortung abgeleitet.

Der 20. Juli 1944 soll seinen Beitrag zur Legitimation der neuen deutschen Außenpolitik leisten. Seit 1999 treten jedes Jahr am 20. Juli Rekruten der Bundeswehr zu einem »Feierlichen Gelöbnis« an. Der damalige Verteidigungsminister Scharping verkündete […]: »Die Bundeswehr steht in der Tradition der Ideale des deutschen Widerstands, wenn sie gemeinsam in der internationalen Zusammenarbeit mit unseren Freunden und Partnern dem Recht aller Menschen auf Würde und Freiheit zum Durchbruch verhilft.«

Am 6. Juni 2004 machte Gerhard Schröders Teilnahme […] bei den D-Day-Feierlichkeiten in der Normandie vor aller Welt amtlich, dass Deutschland Ansprüche auf eine gleichberechtigte Partnerschaft in der »Anti-Hitler-Koalition« erhebt. In seiner Begleitung: Phillipp Freiherr von Boeselager, der damals letzte Überlebende der Akteure des 20. Juli 1944. Deutschland konnte somit der Welt beweisen, einen ebenbürtigen Beitrag in Gestalt des »deutschen Widerstandes« für die Befreiung der Welt von Hitler erbracht zu haben.
Es wäre eine Falschbehauptung, dass die politischen Ansichten der »Frauen und Männer des 20. Juli« dem Grundgesetz oder der parlamentarischen Demokratie entsprochen hätten. Trotzdem werden sie im aktuellen Diskurs zu Vorbildern, Helden, Leitbildern und sogar zu Vorkämpfern des demokratischen Rechtsstaates idealisiert.

Der »Aufstand des Gewissens« war ein Aufstand des nationalistischen Gewissens. Dies ist auch der Kern des Gedenkens an die »Frauen und Männer des 20. Juli«. Dass dabei die Tür weit für patriotische, nationalistische und noch weiter rechts stehende Positionen aufgeschlagen wird, ist nicht schwer zu erkennen.

Aber auch die modernisierte Variante der deutschen Erinnerungskultur möchte an das Attentat anschließen und bemüht die Hilfskonstruktion der »Zeitverhaftetheit«, um Stauffenberg zu immunisieren vor Einwänden ob seines Weltbildes und um ihn damit zu einem geistigen Ahnen des Grundgesetzes, zumindest jedoch zu einem deutschen Helden, zu erklären. Was hier inszeniert wird, ist ein weiterer Schlussstrich unter die schuldbeladene Vergangenheit.

Kontakt zur Broschürengruppe:
http://nevergoinghome.blogsport.de