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Fashizumu – Faschismusbegriff und Geschichtspolitik in Japan

Gruppe Antifaschistische Linke International (A.L.I.) (Gastbeitrag)
Einleitung

Neben Deutschland und Italien war Japan zentraler Akteur des Zweiten Weltkriegs. Während der »Pazifikkrieg« oder »Pearl Harbour« bekannte Begriffe in der deutschen Geschichtsschreibung sind, ist die Ideologie, die Japan verfolgte sowie das Ausmaß der japanischen Gräueltaten wenig bekannt und hierzulande nur schwer zu recherchieren. Im Rahmen der Ausstellung »Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg«, vom 2. April bis 8. Mai 2011 in Göttingen, hat sich die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) mit dem Begriff des historischen japanischen Faschismus und der geschichtspolitischen Diskussionen in der Gegenwart auseinandergesetzt. Ausgangspunkt für eine Einordnung der damaligen Geschehnisse in Japan sind dabei Analysen von japanischen Antifaschist_innen, die vor und während des Zweiten Weltkriegs gelebt haben. Tosaka Jun beispielsweise, Mitglied der Kommunistischen Partei Japans; oder Maruyama Masao, ein japanischer antifaschistischer Christ, verfassten Texte über »japanischen Faschismus« (fashizumu), um die Entwicklungen in Japan in einen weltweiten Zusammenhang zu stellen, anstatt eine japanische »Ausnahme« zu suchen und die Verhältnisse damit zu entpolitisieren.

Wandtafel der Ausstellung: Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg.

In Italien und Deutschland war der Beginn der faschistischen Systeme mit Mussolinis Machtantritt im Oktober 1922 und die Machtübergabe an Hitler im Januar 1933 genau auszumachen. In Japan hingegen gab es durch eine schrittweise Annäherung zum Faschismus keinen klaren Zeitpunkt, in dem die faschistische Bewegung durch die Übernahme der Staatsmacht eindeutig zur Herrschaft gelangte. Der japanische Faschismus entstand während der Shôwa-Krisenkette in den 1920er Jahren. Diese hatte schwere soziale und ökonomische Verwerfungen und einen sich verschärfenden Klassenkampf zur Folge. Kapitalisten und Grundbesitzer sahen sich als Bewahrer des Tennô-Systems1 mit dem Kaiser an der Spitze der Gesellschaft, das sich durch die Krisen einer wachsenden Bedrohung ausgesetzt sah: durch eine sich radikalisierende Bauernschaft, Industrie–Streiks, eine sich emanzipierende Frauenbewegung und selbstbewusste Student_innen. Die Oktoberrevolution von 1917 im benachbarten Russland tat ihr übriges, um den Kapitalismus auch in Japan als überwindbar erscheinen zu lassen.

Die japanischen Faschisten versprachen das Ende der Klassengesellschaft durch das Heraufbeschwören eines Staates und einer Nation, die durch »natürliche Blutsbande des Volkes« geeint würden. Während für die italienischen Faschisten der Staat als Mittelpunkt aller Maßstäbe galt und die deutschen Nazis der »Volksgemeinschaft« die Vorrangstellung gewährten, betrachteten die japanischen Faschisten den Tennô als Urquelle aller Ideen und Normen sowie als »Inkarnation höchster Tugend«. Staat und »Volksgemeinschaft« wurden in Japan lediglich als Vollstrecker der Werte des Kaisers angesehen. Sein Wille war absolut und total.

Soziale Basis des sich entwickelnden japanischen Faschismus stellten die Mittelklassen dar. Ihnen war es – entgegen den Arbeiter_innenklassen – auf Grund ihrer organisatorischen Schwächen unmöglich, eigene Interessen und soziale Positionen mittels eines Klassenkampfes durchzusetzen. Die Kontrolle über das Monopolkapital und die Garantie von »Sicherheit und Ordnung« in der Gesellschaft durch einen starken Staat, erschien den Mittelklassen für die Bewahrung ihrer erworbenen Rechte und ihrer Position als »Zentrum der Gesellschaft« notwendig.

Seit den 1920er Jahren schlossen sich die bis dahin zerstreut operierenden, elitären rechten Bewegungen von Zivilisten mit Teilen des Militärs zusammen. Die Militärs übernahmen von nun an die Führung der faschistischen Bewegung und setzen sich mit ihrer  Politik im Staat durch. Innenpolitisch hatte das Militär seit den 1870er Jahren verfassungsmäßig garantierte Rechte durch eine direkte Verbindung zum Tennô.

Im faschistischen Deutschland und Italien wurde zunächst innerhalb der Bevölkerung die Herrschaft stabilisiert und danach die militärische Invasion im Ausland als Vollstreckung der ideologischen Ansprüche auf Erweiterung des »Lebensraums« propagiert. In Japan hingegen ging die äußere Expansion der inneren Stabilisierung des faschistischen Systems voraus. Die totale Mobilisierung der Massen im Sinne des Faschismus, die die Militärs beabsichtigten, wurde erst dann möglich, als die »große Illusion« für die Verwirklichung einer neuen Verteilung der Machtsphäre der Welt zugunsten Japans im Bewusstsein der japanischen Massen fest verankert war.

Ab 1928 wurden Möglichkeiten der Meinungsäußerungen eingeschränkt und Linke inhaftiert. Der Marxismus war dabei nicht das einzige Angriffsziel. Die Kampagnen richteten sich auch gegen vermeintlich europäisches Gedankengut wie Individualismus, als Gegensatz zum asiatischen Konzept des kommunitaristischen Kollektivismus. Ab 1937 war es der Regierung neben der Bekämpfung linker Ideen daran gelegen, Verständnis für die »großasiatische Neuordnung« (Daitôa shintaisei) zu verstärken. Gemäß dieser außenpolitischen Zielsetzung richtete sich die Erziehungspolitik auf zwei Aufgaben: die Ausbildung von kaiserlichen Untertanen, um die Eskalation des Krieges gegen China ideologisch zu unterstützen sowie die Ausbildung einer »großen Nation« als künftigem »Führer in Ostasien«. Mit der weiteren Eskalation des Weltkrieges spitzten sich auch Ideologie und Organisationsform des japanischen Faschismus zu: 1940 wurden alle verbliebenen Parteien Japans von der faschistischen Bewegung »Abgeordnetenbund zur Durchführung des heiligen Krieges« (Seisen kantetsu giin renmei) verboten. Die ersten Kriegserfolge der deutschen Wehrmacht in Europa waren unmittelbare Ursache für die schnelle Entwicklung zur Auflösung der Parteien und zur »Neuordnungs-Bewegung« in Japan.

Der rechte Zusammenschluss aus Militärs und Faschisten vertrat die »Asiatische Monroe–Doktrin«, die darauf zielte, dass Japan die Weltordnung  Englands und der USA, zumindest in Asien durch kompromisslose militärische Konfrontation durchbricht. Die Angelegenheiten in Asien sollten so von Asiat_innen selbst gesteuert werden. Mit der Vorstellung »Asien den Asiaten« sahen die japanischen Faschisten einem Großasiatischen Reich entgegen, mit Japaner_innen als »Herrenrasse« an der Spitze. Zur Mobilisierung von Bündnispartnern in der Region wurde diese Ideologie mit einer Rhetorik der »Befreiung der asiatischen Völker von der Kolonialherrschaft« verknüpft. Diese vorgebliche antikoloniale Befreiung war unmittelbar mit dem Machtanspruch auf die ost- und südost-asiatischen Territorien verschränkt und diente in der späteren Besatzung als ideologische Rechtfertigung für den imperialistischen Krieg gegen China und andere asiatischen Staaten. Bereits seit 1910 hielt Japan Korea besetzt, 1931 begann mit dem »Mandschurischen-Zwischenfall« der Krieg gegen China. Kriegsführung und Besatzung waren vielerorts als Vernichtungskrieg gegen die chinesische Bevölkerung zu bezeichnen: Mit Massakern an der Zivilbevölkerung, systematischen medizinischen Menschenversuchen und sexueller Versklavung von Frauen überzogen die Japaner bis August 1945 große Teile Ost-/Südostasiens und Ozeaniens.

Sexuelle Versklavung und Entschädigungsforderungen

Die systematische sexuelle Versklavung von Frauen durch das japanische Militär und die fortdauernde Weigerung Japans Entschädigungen zu leisten sind ein Beispiel, dass das Wesen des japanischen Faschismus und gesellschaftliche Kontinuitäten bis in die Gegenwart umreißt. Die japanische Armee betrieb zwischen 1932 und 1945 in den besetzten Ländern ein System von Militärbordellen. Etwa 200.000 Mädchen und Frauen wurden in diese Vergewaltigungshäuser verschleppt oder gelockt. Neben 80.000 bis 120.000 Koreanerinnen gehörten dazu auch Frauen aus China, den Philippinen, Malaya, Burma, Osttimor und Indonesien. Die verharmlosenden Begrifflichkeiten »jungshindae« (koreanisch: »den Körper freiwillig für die Arbeit einsetzen«), »comfort stations«, oder lanfu (japanisch: »Trostfrau«) sollen darüber hinwegtäuschen, dass Japan im Zweiten Weltkrieg systematische sexuelle Sklaverei betrieb.

Nach der Befreiung vom japanischen Faschismus und der Rückkehr in ihre Herkunftsländer schwiegen die meisten Frauen aus Scham und Angst vor familiärer und gesellschaftlicher Ächtung über die an ihnen verübten Verbrechen. Erst der Auftritt einer Betroffenen im koreanischen Fernsehen rüttelte viele Frauen nach 46 Jahren auf. Kim Hak-Sun sprach 1991 über ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg und forderte Frauen denen ähnliches angetan wurde, auf, gemeinsam aktiv zu werden. Der Koreanische Rat für durch sexuellen Missbrauch durch das japanische Militär zwangsrekrutierte Frauen ermutigte viele ehemalige Zwangsprostituierte dazu, an die Öffentlichkeit zu treten und von der japanischen Regierung ein Schuldeingeständnis, Abbitte und Entschädigung zu fordern: »Wir erwarten, dass die japanische Regierung die Wahrheit enthüllt, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zieht, sich offiziell für diese Verbrechen entschuldigt, die Opfer (...) entschädigt, die Geschichtsbücher korrigiert und ein Mahnmal errichtet«. Seit Januar 1992 demonstrieren die Frauen mit Unterstützer_innen wöchentlich vor der japanischen Botschaft in Seoul, im Herbst 2011 wird die eintausendste Kundgebung stattfinden. Japan ist bisher nicht auf die Forderungen der Frauen eingegangen.

Im Dezember 2000 veranstalteten Frauen aus verschiedenen Ländern in Tokio ein Internationales Kriegsverbrechertribunal über sexuelle Versklavung durch die japanische Armee 1932 bis 1945. Nach der bewegenden Anhörung von Zeuginnen bewertete das Tribunal das System der Zwangsprostitution im Zweiten Weltkrieg als integralen Bestandteil der Kriegsstrategie des japanischen Staates. Den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges legte das Tribunal zur Last, die Verbrechen nach Kriegsende nicht verfolgt und die Täter so unbelangt gelassen zu haben.

In Japan werden die koreanischen Frauen von feministischen Initiativen und Menschenrechtsaktivist_innen unterstützt. Sie sammeln Informationen, leisten Öffentlichkeitsarbeit oder übergeben gemeinsam mit den ehemaligen Zwangsprostituierten gesammelte Unterschriften. Seit Oktober 2009 hat eine neue japanische Regierung immerhin eine »Arbeitsgruppe zur Vergangenheitsbewältigung« eingerichtet. Doch auch diese erste Reaktion ist ein zynisches Spiel auf Zeit. Der Nachfolgestaat des japanischen Faschismus spekuliert darauf, dass die Frauen irgendwann zu alt und zu wenige sein werden, um ihre Stimme zu erheben. 2011 sind allein in Südkorea bereits drei dieser mutigen Frauen gestorben.

Ehrung für Kriegsverbecher

Das angespannte Verhältnis zu China und Korea wird regelmäßig auch durch die Ehrung von Kriegsverbrechern in Japan belastet. Der Yasukuni-Schrein in Tokio ist eine Gedenkstätte mit Listen von 2,5 Millionen japanischen Kriegsgefallene, unter ihnen auch 14 hingerichtete Kriegsverbrecher und Angehörige der berüchtigten Einheit 731 zur biologischen Kriegsführung in China. Alljährlich marschieren rechte japanische Verbände zum 15. August, dem Jahrestag der japanischen Kapitulation, zum Schrein, um ihnen ihre Ehre zu erweisen. Die Frage, ob hochrangige japanische Politiker hier einen »lediglich privaten Besuch« abstatten oder in ihrem offiziellen Amt an den militaristischen und nationalistischen Aufmärschen zum 15. August teilnehmen, führt in Japan regelmäßig zu Auseinandersetzungen mit Antifaschist_innen und löste in China und Korea mehrfach heftige Reaktionen aus. Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2000 besuchte Premierminister Jun’ichiro Koizumi (Liberaldemokratische Partei LDP) bis 2006 jedes Jahr den Schrein. Erst 2010 brach Premierminister Naoto Kan (Demokratische Partei DPJ) mit dieser Tradition.

  • 1Tennô: Ein japanischer Herrscher-und Adelstitel, der häufig mit »Kaiser« übersetzt wird.