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Erneute Spaltung oder »heiße Luft«? Streit bei den »Freien Kameradschaften«

Einleitung

Mehrfach wurde in letzter Zeit in verschiedenen Medien über einen Streit zwischen dem Hamburger Neonazi Christian Worch und weiteren Neonazis und Organisationen berichtet. Mancherorts wurde wieder einmal über eine erneute Spaltung der Szene spekuliert. An dieser Stelle wollen wir kurz versuchen, die Fakten über diesen Streit zusammenzutragen und damit aufzeigen, dass es für derartige Spekulationen wenige Anhaltspunkte gibt. Momentan ist eine seriöse Einschätzung der Folgen kaum möglich, da die Dimension dieses Streits noch nicht absehbar ist.

Bild: attenzione-photo.com

Uwe Meenen (rechts) löste den Szene Streit aus. Hier im Gespräch mit dem NPD-Chef Udo Voigt (links) im Oktober 2006 in Nürnberg.

Den Stein ins Rollen gebracht hat im September 2002 das NPD- Kreisvorstandsmitglied aus Würzburg, Uwe Meenen.1 Er wirft in einem offenem Brief dem ehemaligen ANS-Kader Hartmut Wostupatsch aus Höchberg vor, bei einem Gespräch mit einem Staatsschutzkommissar vertrauliche Informationen ausgeplaudert zu haben. Daraufhin weist Christian Worch in einem ebenfalls offenem Brief die Vorwürfe zurück. In diesem Brief wirft er Meenen vor, dass er sich für eine Hetzkampagne der NPD gegen Wostupatsch einspannen lasse. Mehrere Briefwechsel folgen, und der Ton verschärfte sich merklich. Schließlich geht Wostupatsch juristisch wegen Verleumdung gegen Meenen vor.

Streit um Anonymität

Sah dieser Streit bis zu diesem Punkt eher wie einer der zwischen NPD und Freien Nationalisten nicht unüblichen »Kleinkriege« aus, so wendete sich das Blatt Anfang Januar 2003, als Worch unter dem Titel »Wider die anonymen Hetzer!« den zumindest in der Öffentlichkeit beendeten Streit erneut aufgriff. Zum Anlass nahm er eine Erklärung der Fränkischen Aktionsfront (FAF) und anderen Gruppen zu eben diesem Thema vom  September 2002. Er wirft der FAF und dem Internetprojekt die-kommenden.net2 vor, die wahren Urheber dieser Erklärung zu decken. Daraufhin meldet sich das Aktionsbüro Norddeutschland zu Wort und gibt ein Statement über die Notwendigkeit von Anonymität ab.

Angespielt wird hier auf die Offenlegung von Namen und Strukturen durch Worch. Davon unbeeindruckt veröffentlicht Worch den Namen des Verantwortlichen für das Aktionsbüro Nord, nämlich Tobias Thiessen aus Norderstedt, und spricht ihm gleichzeitig das Recht ab, sich zu diesem Thema zu äußern. Es folgen weitere Beiträge, die sich nur noch mit dem Thema Anonymität befassen und schließlich eine Erklärung für das anonyme Verhalten im Internet, veröffentlicht vom Aktionsbüro. Diese Erklärung wurde daraufhin von verschiedenen Gruppen und Einzelpersonen unterzeichnet. Unter ihnen sind beispielsweise die FAF, das Nationale Infotelefon Rheinland, Jürgen Schwab, Bernd Stehmann, Norman Kempken und Bernd Christian Malcoci. In mehreren Schriftwechseln setzten sich Thiessen und Worch über diese Erklärung auseinander. Dabei ging es jedoch selten um Inhalte, sondern eher um gegenseitiges Vorwerfen charakterlicher Unzulänglichkeiten.3

Neben dem dargestellten Streit um offenes oder anonymes Auftreten entbrannte zur gleichen Zeit eine zum Teil heftige Diskussion zwischen Worch und dem Aktionsbüro über die künftige Demonstrationskultur. Während das Aktionsbüro ein Umdenken fordert und nur noch wenige Aufmärsche, aber dafür mit besserer Vor- und Nachbereitung für richtig hält, möchte Worch an seiner bisherigen Linie festhalten und weiterhin möglichst viele Aufmärsche verstreut über ganz Deutschland durchführen. Gleichzeitig wirft Worch dem Aktionsbüro vor, nie etwas für Vor- bzw. Nachbereitung getan zu haben und weist den Vorwurf für sich selbst zurück.

Handfester Streit?

So sehr diese Fakten nach außen hin wie ein heftiger Richtungsstreit im Neonazilager aussehen, an dessen Ende eine Spaltung stehen könnte, so fallen bei näherer Betrachtung aber auch einige Punkte auf, die den ganzen Streit eher als »heiße Luft« erscheinen lassen. Das sicherlich augenscheinlichste Indiz für eine doch geringere Bedeutung dieses Streites ist die Art, wie er geführt wird. So wurde der gesamte Schriftwechsel im Internet veröffentlicht und zwar, bis auf wenige Ausnahmen, nur auf einer einzigen Seite.4 Keine andere Internetseite oder gar ein Printmedium hat bisher diesen Streit aufgegriffen oder gar kommentiert, obwohl er von der inhaltlichen Relevanz und von der Bekanntheit seiner Akteure dazu geeignet wäre, szeneübergreifend zu Grabenkämpfen zu führen. Nicht einmal die NPD, die sich ins Fäustchen lachen könnte, kommentierte bisher diese Auseinandersetzung.

Gerade bei den Meinungsverschie-denheiten zwischen Worch und dem Aktionsbüro fällt auf, dass Worch zwar Thiessen beim Namen nennt und heftig angreift, aber seinen alten Weggefährten Thomas Wulff nicht mit einem Wort erwähnt, obwohl dieser ebensoviel Einfluss wie Thiessen auf das Aktionsbüro haben dürfte. Die Erklärung über das zukünftige Demonstrationsverhalten trägt zudem Wulffs Handschrift und ist keine neue Forderung aus diesem Lager. Worch hingegen richtet seine gesamte Kritik an Thiessen und versucht das Aktionsbüro als Einmannunternehmen von eben diesem darzustellen.

Wer gegen wen?

Auch ein Erklärungsversuch über das Verhältnis von Freien Nationalisten und NPD will nicht eindeutig gelingen. So mischte sich Worch in dem Streit um Wostupatsch zwar gerade wegen Meenens Äußerungen als NPD-Mann überhaupt erst ins Geschehen ein und auch gegen die FAF feuerte er mit der Behauptung, diese wäre personell eng mit der NPD verflochten. Verwunderlich ist dann aber, dass ausgerechnet Gerd Ittner von der Nürnberger BI-Ausländerstopp, die eine Vorfeldorganisation der NPD ist, der FAF in den Rücken fällt und Worch verteidigt. Auf der anderen Seite ist es Worch, der über die Mitgliedschaft seines alten Anti-Antifa und HNG-Mitstreiters Norman Kempken bei der FAF spekuliert und ihn als Anti-Antifa Nürnberg outete. Im Gegenzug unterzeichnete Kempken die Erklärung namentlich.

Sucht man die Gräben zwischen diesen Fraktionen auf der ideologisch/strategischen Seite, so wird man hier zwar fündig. Aber diese Gräben bestehen schon lange und haben auch in der Vergangenheit immer wieder zu Differenzen geführt. Sie treffen aber nicht auf alle Konfliktparteien zu. So war es schon immer Worch, der sein Hauptaugenmerk auf den »Kampf um die Straße« legte und mit möglichst vielen Leuten zu möglichst vielen Themen präsent sein wollte. Auf der anderen Seite war es dem Flügel um Thomas Wulff vorbehalten, sich um die Ausbildung einer eher »elitären« Kleingruppe von geschulten Kadern zu kümmern. Diese verschiedenen Ansätze führten zwar des öfteren zu Reibereien innerhalb der Szene, aber ergänzten sich in der Praxis eher, als dass sie sich behinderten und treffen zudem nur auf den Streit zwischen Worch und dem Aktionsbüro zu. So verfolgt zumindest die FAF einen ähnlichen Politikansatz wie Worch und sieht ihr Aufgabenfeld auch eher im »Kampf um die Straße«.

Ein Privatkrieg?

Bei dem oben Beschriebenen gibt es also einiges, was nicht für einen Richtungsstreit im gesamten Nazi-Lager spricht, sondern eher für die persönliche Abrechnung einiger ihrer Protagonisten untereinander. Gerade Christian Worch ist für sein arrogantes Verhalten schon länger in der Szene umstritten, und einige jüngere Kameraden scheinen sich nicht mit seiner bedingungslosen Führerrolle abfinden zu wollen. Größere Auswirkungen dieses Streites bleiben fraglich, da die verschiedenen Gruppen und Ansätze eher nebeneinander statt miteinander existieren. Worch kann so weiterhin Demonstrationen in großer Zahl anmelden und durch ganz Deutschland reisen, während Wulff und Co. sich um die Organisierung kümmern. Für den »einfachen« Neo-Nazi wird sich wohl kaum etwas ändern. Lediglich die fehlende Mobilisierungskraft des Aktionsbüros könnte Worch kurzfristig zu schaffen machen.

  • 1Weiterhin ist Meenen neben Reinhold Oberlercher und Horst Mahler eine der führenden Personen der »NPD-Ideenschmiede« »Deutsches Kolleg«.
  • 2Worch benennt den Anti-Antifa Aktivisten Casjen Bayen namentlich als Verantwortlichen für die-kommenden.net.
  • 3So seien durch Thiessen die Namen von Mehrfachbestellern des »Zentralorgan« in die Hände der Polizei gelangt, worauf Hausdurchsuchungen folgten. In einem anderen Fall habe er Kameraden durch Aussagen im Polizeigewahrsam belastete.
  • 4www.stoertebeker.net