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Erfolgs- oder Verfallsgeschichte?

Gerd Wiegel
Einleitung

Die Bundesprogramme gegen »Rechtsextremismus« vor dem Wandel

Im zehnten Jahr ihres Bestehens scheinen die staatlich finanzierten Programme zur Auseinandersetzung mit der extremen Rechten vor dem Aus, mindestens aber vor einem grundlegenden Wandel ihres Charakters zu stehen. Mit der Regierungsübernahme durch die liberal-konservative Koalition hat sich der von dieser Seite favorisierte Extremismusansatz auch in der Ausgestaltung dieser Programme durchgesetzt. Noch in der ersten Jahreshälfte will die verantwortliche Ministerin Kristina Schröder/Köhler (vgl. AIB Nr. 85) einen Entwurf für eine Neuausrichtung der Bundesprogramme vorlegen, in denen es ihrem Willen nach nicht länger »nur« um die extreme Rechte gehen soll, sondern »Linksextremismus« und Islamismus ebenso behandelt werden sollen. Damit könnte eine fast zehnjährige Phase an ihr Ende kommen, die für antifaschistische Politik in der Bundesrepublik äußerst prägend war und die, je nach Standort und Blickwinkel, als Erfolgs- oder Verfallsgeschichte beschrieben werden kann.

Bundesprogramme als Ausdruck der Anerkennung des Problems »Rechtsextremismus«

Nach dem massiven Anstieg rechter Gewalt- und Tötungsdelikte in den 1990er Jahren und einer sich zunehmend verfestigenden rechten Szene in zahlreichen Regionen des Landes kam es im Jahr 2000 zu einem Anschlag, der als unmittelbar auslösend für staatliche Handlungen begriffen werden kann, die schließlich in der ersten Runde der Bundesprogramme endeten. Durch einen Sprengstoffanschlag waren im Juni 2000 neun Aussiedler aus Osteuropa, die meisten von ihnen Juden, zum Teil schwer verletzt worden. Der Tatverdacht richtete sich u.a. auch gegen die extreme Rechte. Die Vorstellung, dass Juden in Deutschland Opfer eines rechten Anschlags werden könnten, löste eine breite Debatte und den sogenannten »Aufstand der Anständigen« aus, in dessen Folge nicht nur das später gescheiterte Verbotsverfahren gegen die NPD auf den Weg gebracht, sondern auch die ab 2001 laufenden Bundesprogramme gegen »Rechtsextremismus« konzipiert wurden. Wie immer man diese staatliche Reaktion bewerten will: Tatsache ist, dass auch auf dieser Seite das Problem der extremen Rechten und der Gewalt von rechts nicht länger relativiert oder geleugnet werden konnte, dass ein konkreter Handlungsdruck anerkannt wurde und dass der Staat es auch als seine Aufgabe begriff, hier aktiv zu werden. Mit einem gemeinsamen Antrag aller Parteien außer der CDU/CSU wurde noch im Herbst 2000 ein breit angelegtes Bundesprogramm (mit den Teilprogrammen Civitas, Entimon und Xenos) auf den Weg gebracht, das vor allem der Stärkung solcher Strukturen, Personen und Einrichtungen dienen sollte, die sich aktiv für Partizipation, Demokratie und gegen die extreme Rechte engagierten. Neben thematisch spezifischen, vor allem im Bildungsbereich angesiedelten Projekten (Entimon) und einer starken Ausrichtung auf die Felder Ausbildung und Arbeitsmarkt (Xenos) ging es um die Stärkung sogenannter zivilgesellschaftlicher Strukturen in Ostdeutschland, wo ein besonderer Nachholbedarf unterstellt wurde (Civitas). Die wohl nachhaltigsten und erfolgreichsten Projekte dieses Bereichs waren und sind die »Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus« (MBT), die »Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt« (OBS) und die Netzwerkstellen in ausgewählten Kommunen. Mit diesen Projekten bot sich die Chance einer längerfristigen, kontinuierlichen, regional verankerten und sich professionalisieren den Arbeit gegen die extreme Rechte. Von Seiten der CDU/CSU wurden die Bundesprogramme schon in der Anfangsphase mit Hilfe des Extremismusansatzes in die verfassungsfeindliche Ecke gestellt, da sie nach Ansicht der Union eine Spielwiese vor allem der Linken und der Antifa seien. Die Konstruktion dieser Bundesprogramme bot dann auch sehr schnell die Möglichkeit politischer Einflussnahme seitens der Politik und damit der Geldgeber: Wegen der im Programm festgeschriebenen Einwerbung von Kofinanzierungsmitteln durch die jeweiligen Bundesländer war und ist es möglich, unbotmäßigen Projekten den Geldhahn von Länderseite zuzudrehen. So geschehen 2004 mit der Opferberatung in Thüringen (ABAD), die in deutlicher Weise die Asyl- und Abschiebepolitik des Landes Thüringen als Hintergrund einer rassistischen Massenstimmung kritisierte und dafür vom Land kein notwendiges positives Votum gegenüber dem Bund erhielt, was zum Ende des Projektes führte. Der unbestreitbare Professionalisierungsschub der Arbeit gegen die extreme Rechte führte auf der anderen Seite zu Abhängigkeiten, die sich nicht nur auf die Frage der Finanzierung bezogen. Die implizite Anerkennung des Extremismuskonzeptes mit der Fokussierung auf »Rechtsextremismus« (wenngleich von zahlreichen Projekten die Wechselwirkungen mit der gesellschaftlichen Mitte immer wieder betont wurden), die durch die Anlage der Projekte (Familien- und Jugendministerium) vorgegebene Problemfixierung auf Jugendliche, womit die extreme Rechte in der öffentlichen Wahrnehmung noch stärker zu einem Jugendproblem wurde sowie der Projektcharakter selbst, mit dem ein zeitlich befristetes und außerhalb der Regelaufgaben anzusiedelndes temporäres Problem suggeriert wurde, waren Rahmenbedingungen, auf die von Seiten der AkteurInnen nur begrenzt Einfluss zu nehmen war und ist.

Entwicklung von Standards für die Arbeit gegen die extreme Rechte

Mit der Erstellung lokaler Analysen zur kommunalen Verankerung der extremen Rechten, zur Frage von Demokratie und Partizipation im Gemeinwesen, mit laufenden Chroniken zu rechten Übergriffen, Aufmärschen, Konzerten etc., mit der Dokumentation, Beratung und Begleitung von Opfern rechter und rassistischer Gewalt und mit der Unterstützung und Beratung von kommunalen Bündnissen, die sich gegen die extreme Rechte engagieren, konnten im Rahmen der Bundesprogramme Standards gesetzt werden, die teilweise immer schon zur Arbeit in diesem Feld gehörten. Nun aber konnten diese mit dem Hintergrund personeller und finanzieller Mittel auf einem ganz anderen Niveau geleistet werden. Die Vernetzung demokratischer und antifaschistischer AkteurInnen in den ostdeutschen Flächenländern konnte in einigen Fällen die Stärkung eines ansonsten schwach ausgeprägten Engagements gegen Rechts, bei gleichzeitiger lokaler Dominanz der Neonazistrukturen bewirken. Auch die Organisation von öffentlicher Anerkennung für Initiativen, Vereine und Einzelpersonen, die im Rahmen der Bundesprogramme ermöglicht werden konnte, ist für die Ermutigung dieses Engagements gegen rechts nicht zu unterschätzen. Die im Laufe der Zeit immer stärkere Anerkennung der MBTs und OBS als fachlich maßgebende Stellen zum Thema extreme Rechte zeigt sich an den ungezählten Anfragen von JournalistInnen und auch aus dem Bereich der Wissenschaft. Von Seiten staatlicher Stellen, etwa der Innenbehörden der Länder und auch der Verfassungsschutzbehörden, wurde diese Kompetenzzuweisung offensichtlich als Bedrohung wahrgenommen, auf die mit einer eigenen öffentlichen Kampagne in diesem Bereich reagiert wurde, um hier nicht die Deutungshoheit zu verlieren. Die Kehrseite der öffentlichen Anerkennung der Projekte liegt in der immer stärkeren Beschränkung auf das Kernthema extreme Rechte, womit die gesellschaftspolitischen Voraussetzungen – ohnehin außerhalb des politischen Handlungsbereichs der Projekte – immer weiter in den Hintergrund treten.

Verstaatlichung der Projekte

Mit der Regierungsbeteiligung der Union ab 2005 und dem Auslaufen der Bundesprogramme 2006 wurde eine Umstrukturierung vorgenommen, die vor allem das politische Misstrauen der Union gegen die als staatlich finanzierte Antifapolitik apostrophierten Projekte zum Ausdruck brachte. Gelang es der Union schon nicht die Programme generell zu zerschlagen, so ging es ihr doch um eine sehr viel stärkere politische Kontrolle und Einbindung, die schließlich auch erreicht wurde. In der neuen Form der Bundesprogramme konnten sich nicht länger Vereine, Initiativen und unabhängige Träger um Fördergelder bemühen, sondern nur Kommunen und Landkreise konnten als Antragsteller auftreten. Damit wurde die Definition darüber, ob es ein kommunales Problem mit der extremen Rechten gibt, gerade denjenigen überlassen, die vielfach in der ersten Reihe der Verharmloser und Wegseher zu finden waren. Die Auswahl von Trägern und AkteurInnen der Arbeit zum Thema extreme Rechte lag ab jetzt bei den Kommunen. Entsprechend suchte man solche Träger und AkteurInnen aus, die den kommunalen Frieden nicht unnötig gefährdeten. Sicherlich bedarf es beim Blick auf die hier installierten 90 »Lokalen Aktionspläne« bundesweit einer größeren Differenzierung. Fakt bleibt, dass die politische Abhängigkeit der Projekte enorm gestiegen ist und eine – oft auch unerwünschte – schonungslose Thematisierung rechter Strukturen vor Ort eindeutig schwieriger geworden ist. Während man sich auf Unionsseite die MBTs und OBS am liebsten gänzlich vom Hals geschafft hätte, gelang es der SPD in der Großen Koalition, diese in einem gesonderten Programm, unter Wegfall der Netzwerkstellen und verbunden mit einer Ausweitung dieser Strukturen auf Westdeutschland, zu retten. Bezeichnenderweise wurden hier jedoch keine Opferberatungen aufgebaut, womit gerade der Ansatz, der über das enge Thema der extremen Rechten hinausgehen könnte, wegfallen sollte. Allerdings wurde jetzt dafür gesorgt, dass die politische Kontrolle der neu aufzubauenden Beratungsnetzwerke vergrößert wurde. Sie wurden in Westdeutschland, anders als dies im Osten bisher der Fall war, eng an staatliche Stellen angegliedert. In Hessen wurde z.B. das Beratungsnetzwerk an das Landeskriminalamt angegliedert, womit der staatlich vorgegebene Blick auf das Thema »Extremismus« als verbindlich gesetzt werden sollte. Von politischer Seite, insbesondere von Seiten der Union, wurde diese politische Kontrolle durch eine massive Kampagne gegen »jede Form des Extremismus« begleitet. Sehr real ging es hier darum, Personen und Initiativen aus den Programmen herauszuhalten bzw. herauszudrängen, die politisch eindeutig links zu verorten sind. So traf es den Leiter des Beratungsnetzwerkes in Bayern und das in München beheimatete A.I.D.A.-Archiv. Namentlich die Abgeordnete Kristina Schröder/Köhler war es, die immer wieder in verschiedenen Gremien versuchte, den Schwerpunkt »Rechtsextremismus« zugunsten eines allgemeinen »Extremismus« abzulösen. Sei es im Rahmen der Bundeszentrale für politische Bildung oder im Beirat des Bündnisses für Demokratie und Toleranz. Bei letzterem wurde der »Exit«-Gründer Bernd Wagner zu ihrem engsten Verbündeten.

Neuausrichtung: aber wie?

Mit der überraschenden Ernennung von Frau Schröder/Köhler zur neuen Familienministerin war klar, dass der Extremismusansatz seine unmittelbare Anwendung jetzt auch auf die verbliebenen Bundesprogramme finden würde. Schon der Koalitionsvertrag sah vor, dass die Bundesprogramme gegen »Rechtsextremismus« in »Extremismusbekämpfungsprogramme« umgewandelt werden sollen, die sich gleichermaßen gegen rechten und linken »Extremismus« sowie gegen Islamismus richten sollen. Im gleichen Sinne soll das vom Innenministerium geförderte »Bündnis für Demokratie und Toleranz« (BfDT) einen stärkeren Schwerpunkt im Bereich »Linksextremismus« bilden. Die bisherigen Aussteigerprogramme »Rechtsextremismus« wurden zu Aussteigerprogrammen »Extremismus« und schließlich der Fond für »Opfer rechtsextremer Gewalt« zu einem Fond für »Opfer des Extremismus«. Abgeschlossen wird so eine Entwicklung die zumindest auf der theoretischen Ebene längst hegemonial ist. Die mittels Totalitarismus- und Extremismustheorie vorgenommene Gleichsetzung von links und rechts und ihre Ausgrenzung aus dem legitimen Spektrum der politischen Mitte ist zumindest im Alltagsverstand längst dominierend. Die aktuell inszenierten Debatten um linke Gewalt, etwa in Berlin und Hamburg, tragen dazu bei, diese Gleichsetzung weiter zu legitimieren. Gelang es zu Beginn des 21. Jahrhunderts zumindest zeitweise, diesen hegemonialen Diskurs auf der politisch-praktischen Ebene zu durchbrechen – eben mit der Durchsetzung der Bundesprogramme, spezifisch bezogen auf die extreme Rechte – so ist gegenwärtig ein deutlicher Rückschritt zu verzeichnen. Dass es sich hierbei um eine ideologische Konstruktion handelt, machen die hilflosen Versuche der neuen Ministerin deutlich, den »Linksextremismus« auch in der Praxis zu einem Thema zu machen. Bis heute kann das Ministerium keinerlei Auskünfte darüber geben, wo sie das »Problem Linksextremismus« verortet, welche Regionen besonders betroffen sind, welche Gruppen hier bedroht werden oder ob es Träger, Vereine, Initiativen gibt, die sich mit diesem »Problem« befassen und die es von staatlicher Seite zu unterstützen gilt. Alle entsprechenden Nachfragen blockt das Ministerium mit dem Verweis darauf, man befinde sich in einer Sondierungsphase und werde erst im zweiten Quartal 2010 mit konkreten Schritten zur Umsetzung beginnen, ab. Zwei Millionen Euro für Pilotprojekte in den Bereichen »Linksextremismus« und Islamismus zog Frau Schröder/Köhler urplötzlich aus dem Hut, ohne zu wissen, was man mit diesem Geld anfangen soll. Wie wird also die Zukunft der bisherigen Programme gegen die extreme Rechte aussehen und was wird das für die Arbeit insgesamt bedeuten? Zu vermuten ist, dass die Regierung nicht einfach die bisherigen Projekte abwickeln oder sie zusätzlich mit den Themen der anderen »Extremismen« belasten wird. Mindestens die »Lokalen Aktionspläne« dürften in ähnlicher Form auch nach der ersten Projektphase ab 2011 weiterlaufen – zumal der Grad ihrer Entpolitisierung genau dem entspricht, was man sich auf Seiten der GeldgeberInnen erwartet. Ob die Beratungsnetzwerke und damit auch die verbliebenen MBTs und OBS in bisheriger Form fortgeschrieben werden, erscheint noch völlig offen und wird nicht zuletzt von der Wahrnehmbarkeit der öffentlichen Debatte abhängen. Da zumindest in den ostdeutschen Bundesländern ein Großteil der Finanzierung über Landesmittel erfolgt bzw. möglich wäre, würden diese Projekte auch beim Wegfall der Bundesmittel nicht sofort ausfallen. Für Westdeutschland sieht das allerdings anders aus. Fortsetzen wird sich der Druck zur weiteren Entpolitisierung des Problems extreme Rechte, fortsetzen wird sich die Zersplitterung der Projektlandschaft, womit die an gemeinsamen Standards orientierte Beschreibung des Themas schwieriger wird. Fortsetzen wird sich auch der Rechtfertigungsdruck der Arbeit gegen rechts, warum denn nur ein »Extremismus« in den Blick genommen wird. Schließlich dürfte rein faktisch die Arbeit für politisch linke Menschen in den Projekten schwieriger werden. Zwar bestritt das Ministerium alle Gerüchte, es wolle die durch die Bundesprogramme geförderten Projekte vom Verfassungsschutz überprüfen lassen – die Drohung, den Geldhahn sehr schnell zudrehen zu können wird aber auch aktuell erhoben und hat an Glaubwürdigkeit stark gewonnen. Für die verbliebenen kritischen Projekte scheint eine Zeit des Überwinterns anzustehen, verbunden mit dem Versuch, so viele Standards antifaschistischer Arbeit wie möglich zu retten und regional zur Verfügung zu stellen. Ein Klimawandel ist erwünscht, er muss jedoch aktiv bewerkstelligt werden.