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England: Kampf für Selbstbestimmung

Migrant Rights Action Network (London)
Einleitung

Die Selbstorganisierung der "Schwarzen" hat eine lange Geschichte in England. Mit dem Niedergang des Commonwealth 1950 durch die erfolgreichen Kämpfe der Befreiungsbewegungen, schloß England die Grenzen für die ZuwanderInnen aus den ehemaligen Kolonien. Nach dem "Aufstand der Schwarzen" 1958 in Nottingham Hill wurden striktere Immigrationsgesetze installiert.

Foto: Alisdare Hickson; CC BY-SA 2.0

Der Familiennachzug wurde begrenzt und der Aufenthalt an Arbeitsplätze geknüpft. 1988 wurde der Familiennachzug ganz verboten und Rechtsmittel gegen Zwangsausweisung nicht mehr zugelassen. Mittlerweile gibt es Auflagen wie genetische Tests zum Nachweis der Familienzugehörigkeit oder Jungfräulichkeitstests, wenn eine Verlobte zu ihrem zukünftigen Ehemann einreisen will. Mindestens genauso lange gibt es einen Widerstand der Betroffenen gegen Zwangsausweisung, gegen Ausländerkontrollen und gegen den Rassismus auf der Straße und im behördlichen, sozialen und rechtlichen Bereich.

Flüchtlinge und EmigrantInnen haben sich als Communities (Exilgemeinschaften) organisiert. Über das „Halk Evi“ (Volkshaus) in London sind z.B. ca. 10.000 KurdInnen und TürkInnen organisiert. Die 3.500 MitgliederInnen zahlen zehn Prozent ihres Einkommens zum Erhalt des Zentrums. Das Zentrum ist ein riesiges Gebäude mit einem großen Versammlungsraum in dem kulturelle Veranstaltungen. Feste und politische Versammlungen stattfinden. Warme Mahlzeiten und Tee gibt es jeden Tag. Die Räume werden von den verschiedensten Gruppen genutzt. Es gibt eine Beratung zu Emigrations- und Asylfragen, ein Nottelefon gegen Abschiebungen, Werkstätten, Folkloregruppen und politische Schulungen.

Ähnliche Zentren werden von Afro-Cariben, TamilInnen, Phillipinos/as etc. unterhalten. Durch den Austausch unter den verschiedenen Zentren entstehen gemeinsame Kampagnen, so z.B. die Kampagne zur Legalisierung der "SchwarzarbeiterInnen". Dabei geht es um die Anerkennung des Beitrags der "SchwarzarbeiterInnen" zum Erhalt bzw. zum Reichtum der Wirtschaft. Besonders die "SchwarzarbeiterInnen" sind von Razzien, Verhaftungen und Zwangsausweisungen bedroht; angemessener Wohnraum, medizinische und soziale Hilfe wird ihnen vorenthalten. Verstärkt seit Anfang letzten Jahres schikanieren Sondereinheiten der Polizei die Bevölkerung durch großangelegte Razzien in überwiegend von Nicht-Weißen bewohnte Stadtviertel. Stundenlang werden Wohnungen und Fabriken durchkämmt, werden von allen die Papiere kontrolliert und Körperkontrollen durchgeführt. Deshalb wurde von den EmigrantInnen und Flüchtlingen ein telefonisches Frühwarnsystem und eine Telefonkette für Aktionen nach Verhaftungen eingerichtet.

Im Sommer z.B. wurden während einer Razzia 34 Personen verhaftet. Per Telefonkette konnten 200 Leute zum Polizeigewahrsam mobilisiert werden, die mit ihrer Weigerung, das Gebäude zu verlassen, die Freilassung erreichten. Als quasi letztes Mittel gibt es ein System von geheimen Wohnungen und Schlafplätzen, um Leute vor der Abschiebung zu retten. Die Communities und die Gruppen gegen Abschiebung oder Rassismus sind über das Flüchtlingsforum und das Netzwerk der Aktionsgruppen für MigrantInnenrechte zusammengeschlossen. Beides sind Dachorganisationen, in denen basisorganisierte Gruppen ihr politisches Sprachrohr sehen. Grundprinzipien all dieser Gruppen ist die Selbstbestimmungen: d.h. Absage an jede Art von Stellvertreterpolitik und staatlichen oder parteilichen Abhängigkeit oder Einbindung; auf der anderen Seite Befähigung jedes einzelnen sich politisch zu äußern oder zu wehren.

In der Praxis heißt das dann auch Schulung über bestimmte Gesetze oder wichtige politische Aufgabenstellungen. "Jeder kann das, was er so kann, beitragen": sei es, daß bestimmte Fähigkeiten und Kenntnisse eingebracht oder das Papier, der Kugelschreiber organisiert werden. Oder daß jemand sein Fahrzeug zur Verfügung stellt, wenn jemand schnell zum Abschiebeknast muß. In der Kampagne gegen Europa 92 wird ausgehend von den Erfahrungen des Rassismus und des vielfältigen Widerstandes aufgezeigt, wie die Verschärfungen durch die Harmonisierung Europas aussehen, welche Auswirkungen es für die Strategien des Kampfes haben wird. Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen, die Wohn- und Lebensverhältnisse und die rechtliche Situation. Wie man gegen Abschiebung und Immigrationsgesetze vorgehen kann, die Wohnungssituation verbessern kann.

In den Communities gibt es z.B. seit einigen Jahren spezielle Gruppen, die bei der Wohnungssuche helfen, aber vor allem versuchen Häuser zu kaufen, in denen Leute aus der Community wohnen können oder auch Illegale untergebracht werden. Bisher ist eine (Zwischen-) Finanzierung über staatliche Töpfe möglich. Auch werde seit einiger Zeit Bereichsgruppen für nicht-weiße ArbeiterInnen in den Gewerkschaften gegründet, die auf die spezifischen Probleme der gesetzlich nicht voll abgesicherten ArbeiterInnen und auf die spezifischen Probleme der Flüchtlinge und MigrationsarbeiterInnen eingehen. Dazu gehört im Moment die Kampagne gegen die Kopfsteuer. Die Kopfsteuer soll die Ausgaben der Stadtverwaltungen finazieren. Das bedeutet für jeden Einwohner, unabhängig von Einkommen und Alter, eine jährliche Belastung von ca. 1.500 DM. Da viele MigrantInnen überwiegend in den inneren, besonders heruntergewirtschafteten Bezirken der Großstädte wohnen, trifft es sie besonders hart: einmal sind die Einkommen ja besonders niedrig und zum anderen ist die Kopfsteuer in den besagten Bezirken auch noch besonders hoch.

Die "schwarze Bereichsgruppe" der Gewerkschaft hat dagegen eine Kampagne gestartet. Schwarz als politische Farbe, Schwarz als kämpferische Identität der EmigrantInnen wurde in den 1950er / 1960er Jahren als politische Position durchgesetzt. Reicht aber Schwarz als Kampfbegriff noch aus: angesichts der veränderten Bevölkerungszusammensetzung durch neue Flüchtlings- und Migrationsbewegungen, durch Europa 92 etc.?

Ambalavaner Sivanandan, Direktor des "Institut of Race Relations" in London entwickelte in einer Rede anläßlich einer Konferenz der Grassrootsorganisations im November dazu verschiedene Fragestellungen und Denkansätze. Die Aufgabe einer Gemeinschaft im Widerstand wäre es, ein doppeltes Bewußtsein zu entwickeln. Einerseits die Tradition und Herkunft nicht vergessen und damit den Kampf im Herkunftsland zu unterstützen, gleichzeitig aber auch den Kampf gegen Ausbeutung hier und jetzt zu führen. Er warnte davor, daß Flüchtlinge und EmigrantInnen sich durch ihre verschiedene Herkunft und nationale Identitäten leicht spalten lassen könnten, oder aber auch durch errungene Privilegien und Integration ins System korrumpieren zu lassen und sich von der Basis zu entfernen. Solidarität und gemeinsamer Kampf aller Ausgebeuteten und Unterdrückten, mit dem doppelten Bewußtsein über die eigene Geschichte und kämpferisches Bewußtsein hier und im Herkunftsland hieße sich neu zu definieren als Flüchtling und Immigrant.

Wie in anderen Ländern an diese Kampagne gegen Europa 92 angeknüpft werden kann, ist eine große Frage, da die Geschichte der Einwanderung überall anders ist. Nicht vergessen werden sollte die Tatsache, daß die Geschichte der Einwanderung in die BRD in den 1950er Jahren fast ganz neu angefangen hat, mit einer ganz neuen Art von Kolonialismus. Andererseits spielt die BRD (z.B. mit dem neuen Ausländergesetz und verschiedenen Maßnahmen gegen Flüchtlinge) eine Vorreiterrolle bei der Abschottung der europäischen Grenzen und der Kontrolle der Flüchtlinge und EmigrantInnen.

Mehr zur Manifesto Campaign über: Refugee Foreigners, Migrant Rights Action Network (London)