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Einige historische Etappen: Restitution. Entschädigung. »Wiedergutmachung«

Einleitung

Nachdem am 17. Juli 2000 im Auswärtigen Amt Vertreter der USA, Israels, Deutschlands, fünf mitteleuropäischer Staaten sowie Sprecher der deutschen Industrie, der Jewish Claims Conference und der US-amerikanischen Anwälte zusammen gekommen waren, um das lange umkämpfte Abkommen über die Entschädigung ehemaliger ZwangsarbeiterInnen zu unterzeichnen, sprachen sowohl der amerikanische Verhandlungsführer Stuart Eizenstat als auch Bundesaußenminister Joschka Fischer von einem »historischen Ereignis«.

Kundgebung ehemaliger polnischer ZwangsarbeiterInnen in Köln: "Zahlt sofort Eure Schulden wegen Zwangarbeit".

Eine Woche vor der Unterzeichnung des Entschädigungsabkommens hatte der Bundestag die Einrichtung der Stiftung »Erinnerung, Verantwortung und Zukunft« beschlossen, die die Auszahlung von insgesamt 10 Milliarden D-Mark an die ca. 1,2 Millionen noch lebenden ZwangsarbeiterInnen koordinieren soll. Diese Entscheidung und die Unterzeichnung des Abkommens stellten das vorläufige Ende der zähen Verhandlungen zwischen Bundesregierung und deutscher Wirtschaft sowie NS-Opferverbänden, Rechtsanwälten und der US-Regierung dar.

Die »Wiedergutmachung« - Eine »Erfolgsgeschichte«?

Auf deutscher Seite war in diesem Zusammenhang viel von »politischer und moralischer Verantwortung für die Opfer des Nationalsozialismus« die Rede. Pathetische Floskeln, die darüber hinwegzutäuschen versuchten, dass die Verhandlungen über weite Strecken von deutschen Verweigerungshaltungen geprägt waren. In diesem Sinne konnte das Zustandekommen der Stiftung tatsächlich als ein »historisches Ereignis« bezeichnet werden. Dennoch oder gerade deshalb gewinnen in den politischen Diskursen verstärkt Interpretationen an Einfluss, die die Geschichte der »Wiedergutmachung« als eine weitere Facette der »Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik« beschreiben.

So sprach die Bundesregierung in einer umfangreichen Bilanz der »Wiedergutmachung« schon im Jahr 1986 von einer »historisch einzigartigen Leistung [...], die auch die Anerkennung der Verfolgtenverbände im In- und Ausland gefunden hat«. Eine Einschätzung, die zahlreichen NS-Opfern als blanker Hohn erscheinen muss. Die Geschichte der Wiedergutmachung in der BRD ist auch die Geschichte eines »Kleinkriegs gegen die Opfer«, die sich allzu oft Ressentiments und behördlicher Willkür ausgesetzt sahen.

»Arisierung«, Restitution und das BEG

Bereits die vor allem von der US-Militärverwaltung (OMGUS) forcierten Bemühungen, eine Rückerstattung »arisierter« Vermögenswerte an ihre früheren Eigentümer durchzusetzen, stießen auf heftigen Widerstand in großen Teilen der Bevölkerung, der Politik und bei jenen Deutschen, die sich an der Ausplünderung der Juden bereichert hatten. OMGUS versuchte zunächst in Kooperation mit den deutschen Behörden ein Rückerstattungsgesetz zu entwerfen. Aus diesem Grund war seit 1946 der Stuttgarter Länderrat, die Vertretung der vier Ministerpräsidenten in der US-amerikanischen Besatzungszone, in die Vorbereitungen mit einbezogen.

Die Auffassungen, welche Regelungen das Gesetz enthalten sollte, gingen jedoch weit auseinander. Während man auf deutscher Seite lediglich »Arisierungen« durch den NS-Staat wieder rückgängig machen wollte, beabsichtigte die amerikanische Militärverwaltung auch privat erworbenes Vermögen wieder zu restituieren. Der von OMGUS vorgelegte Gesetzesentwurf sah die Rückerstattung aller »arisierten« Vermögenswerte seit dem 15. September 1935 vor, dem Tag, an dem die »Nürnberger Rassegesetze« verabschiedet wurden. Die Deutschen drängten dagegen darauf, lediglich die »Arisierungen« seit dem 9. November 1938 zu berücksichtigen.

Da keine Einigung zu erreichen war, erließ die amerikanische Militärverwaltung im November 1947 das Restitutions-Gesetz (US-REG) im Alleingang. In den anderen Besatzungszonen traten in den folgenden Jahren Regelungen in Kraft, die sich an den Bestimmungen des US-REGorientierten. Die deutsche Öffentlichkeit reagierte auf diese Gesetze mit oftmals aggressiv-antisemitischen Protesten. Schon bald begannen sich die Rückerstattungspflichtigen in Verbänden zu organisieren. Die »Arisierungs«-Profiteure traten in der Zeitschrift »Die Restitution« für Entschädigungszahlungen an diejenigen ein, die angeblich unberechtigterweise durch das Restitutionsgesetz getroffen wurden. Eine Forderung, die auch in den Unionsparteien sowie in der FDP Sympathien fand.

Einer Umfrage vom August 1949 zufolge empfanden es nur 39 Prozent der Befragten als gerecht, das »arisierte« Vermögen zu gleichen Bedingungen zurückzugeben. Es wurden aber auch Stimmen laut, die ein bundesweit einheitliches Entschädigungsgesetz forderten. Vor allem NS-Opferverbände wie etwa die VVN forderten, nicht nur die »Arisierungen« rückgängig zu machen, sondern auch diejenigen zu entschädigen, deren Leben, Gesundheit und berufliches Fortkommen durch das NS-Regime beeinträchtigt worden war. 1949 verabschiedete der Länderrat der amerikanischen Zone ein entsprechendes Gesetz, das als Vorbild für das 1953 erlassene Bundesentschädigungsgesetz (BEG) diente.

»Rassisch, religiös und politisch Verfolgte« konnten von nun an Entschädigungsansprüche geltend machen. Freilich war das Spektrum derjenigen, die Zahlungen auf Grundlage des BEG erwarten konnten, beschränkt. Zum einen galt das »Territorialprinzip«, demzufolge nur Deutsche oder Personen mit »räumlicher Beziehung« zu Deutschland Anträge stellen konnten. NS-Opfer im Ausland wurden durch das Gesetz nicht berücksichtigt. Zum anderen schloss das BEG etliche Opfergruppen von vornherein aus wie etwa Homosexuelle, Deserteure, Euthanasieopfer oder sogenannte »Asoziale«.

Aber auch Entschädigungsberechtigten konnte aufgrund ihrer politischen Aktivitäten  ihre Bezüge verweigert werden. Ähnlich wie die Restitutionsgesetze wurden auch die Entschädigungsleistungen an NS-Opfer attackiert. Mehrheitlich herrschte die Ansicht, dass vor den Geschädigten des NS-Regimes erst die Ausgebombten, die Vertriebenen und Flüchtlinge versorgt werden müssten. Selbstviktimisierungen und die Aufrechnung der nationalsozialistischen Verbrechen mit dem selbst erfahrenen Leid dienten als zentrale Argumentationsmuster, mit denen die Forderungen nach »Wiedergutmachung« zurückgewiesen wurden.

»Wiedergutmachung« gegenüber Israel?

Ungefähr zeitgleich mit den internationalen Verhandlungen um die deutschen Reparationsleistungen begann 1952 bei Den Haag eine Konferenz, an der Vertreter der BRD, Israels und der Jewish Claims Conference teilnahmen, um über Entschädigungszahlungen an den Staat Israel und an jüdische NS-Opfer außerhalb Deutschlands zu entscheiden. In beiden Ländern war die Aufnahme der Verhandlungen höchst umstritten gewesen. Im israelischen Parlament hatten sich an dieser Frage erbitterte Debatten entzündet. Während Ministerpräsident Ben Gurion sich für die Verhandlungen aussprach, forderte die Cherut-Partei (Teil des späteren Likud): »Keine Gespräche mit einer Mörder-Nation!«

Vor der Knesset kam es zu Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und der Polizei, bei denen mehrere hundert Personen verletzt wurden. Schließlich setzte sich jedoch die Linie Ben Gurions durch. Auf deutscher Seite wurden, besonders im Lager der Regierungsparteien CDU/ CSU, FDP und DP zahlreiche Stimmen laut, die sich – oftmals mit antisemitischen Untertönen – gegen ein Wiedergutmachungsabkommen mit Israel wandten. Zum einen verwies man darauf, dass der materiellen und finanziellen Versorgung der eigenen Kriegsopfer Priorität eingeräumt werden müsse, zum anderen fürchtete man durch Entschädigungszahlungen an Israel die (Wirtschafts)beziehungen zu den arabischen Staaten zu belasten.

In einer Regierungserklärung (1951) betonte Bundeskanzler Adenauer: »Das deutsche Volk hat in seiner überwiegenden Mehrheit die an den Juden begangenen Verbrechen verabscheut und hat sich an ihnen nicht beteiligt. [...] Hinsichtlich des Umfangs der Wiedergutmachung [...] müssen die Grenzen berücksichtigt werden, die der deutschen Leistungsfähigkeit durch die bittere Notwendigkeit der Versorgung zahlloser Kriegsopfer und der Fürsorge für die Flüchtlinge und Vertriebenen gezogen sind.« Entsprechend dieser Auffassung hatte Adenauer bereits 1949 versucht, Israel mit Warenlieferungen im Wert von 10 Millionen D-Mark abzuspeisen. Das Angebot wurde von israelischer Seite umgehend zurückgewiesen.

Es erscheint verwunderlich, dass die Konferenz bei Den Haag überhaupt zu einem Abschluss kam. Vor allem Bundesfinanzminister Fritz Schäffer (CSU) hatte immer wieder Vorstöße unternommen, die Verhandlungen zu blockieren. Im Luxemburger Abkommen (1952) verpflichtete sich die Bundesrepublik, eine Globalentschädigung an Israel in Höhe von 3 Milliarden D-Mark zu leisten. Zusätzlich unterzeichnete die deutsche Delegation zwei Protokolle mit der Jewish Claims Conference, in der Entschädigungszahlungen von insgesamt 450 Millionen D-Mark für in der Diaspora lebende jüdische NS-Opfer sowie eine Verbesserung der deutschen Wiedergutmachungsgesetze zugesagt wurden.

Die Ratifizierung der Verträge durch den Bundestag geriet zur Farce: Während die oppositionelle SPD-Fraktion das Abkommen geschlossen unterstützte, enthielten sich 86 Abgeordnete der Regierungskoalition oder stimmten dagegen, genauso übrigens wie die 13 Vertreter der KPD, die erklärten, die Gelder würden dazu beitragen, Israel zu einem US-Stützpunkt im Nahen Osten auszubauen. Dieser krude Antiimperialismus war auch charakteristisch für die Haltung der DDR, die sich der Forderung nach Entschädigungszahlungen an Israel konsequent verweigerte.

»Schlussstriche« und »vergessene Opfer«

Durch die Globalabkommen mit Israel und anderen Staaten, den Hinweis auf die Friedensvertragsklausel im Londoner Schuldenabkommen, die eng gefassten Opfer-Kategorisierungen des BEG sowie das BEG-Schlussgesetz von 1965 versuchte die BRD, die Dimensionen der Wiedergutmachungsleistungen zu begrenzen. Ein Konzept, das auch über Jahrzehnte weitgehend aufging. Klagen von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen wurden von deutschen Gerichten konsequent abgewiesen. NS-Opfer in den osteuropäischen Staaten waren von Entschädigungszahlungen im allgemeinen ausgeschlossen. Erst seit Beginn der 80er Jahre, als man vor allem auf staatlicher Seite begann, die Wiedergutmachungspolitik der Bundesrepublik als Erfolgsstory darzustellen, kam wieder Bewegung in die Diskussionen.

Verfolgtenverbände, örtliche Initiativen und die entstehenden Geschichtswerkstätten machten verstärkt auf die bisher »vergessenen Opfer« des Nationalsozialismus aufmerksam. Dabei wurden zum einen Forderungen nach angemessenen materiellen Entschädigungen für diese Personengruppen erhoben, zum anderen sollte deren fortwährende Marginalisierung durchbrochen werden. Zu einem umfassenden Entschädigungsgesetz, wie es z.B. die Grünen im Bundestag in den achtziger Jahren und noch einmal 1995 vorschlugen, kam es aber nicht. Statt dessen richteten Bund und Länder »Härtefonds« ein, aus denen NS-Opfer, die jahrzehntelang nicht berücksichtigt worden waren, Wiedergutmachungszahlungen erhalten sollten. Diese lagen allerdings deutlich unter den Leistungen, die BEG-Berechtigte geltend machen konnten.

Alles-wieder-gut-gemacht?

Seit den politischen Umbrüchen in Osteuropa rückte auch das Schicksal der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen aus Osteuropa ins Zentrum der Debatten. Die Verhandlungen im Rahmen des Zwei-plus-Vier-Vertrages »über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland« zwischen den vier ehemaligen Alliierten, der BRD und der DDR setzte die im Londoner Schuldenabkommen ausgeklammerte Frage nach deutschen Reparationszahlungen wieder auf die Tagesordnung. Die Bundesregierung konnte jedoch durchsetzen, dass alle etwaigen Wiedergutmachungsansprüche aufgegeben wurden. Die Entschädigung osteuropäischer NS-Opfer sollte durch »Versöhnungsfonds« geleistet werden, die in Polen, Russland, der Ukraine, Weißrussland, Estland, Litauen und Tschechien entstanden und in die die Bundesrepublik insgesamt etwa 1,8 Milliarden D-Mark einzahlte.

Mit diesem lächerlich niedrigen Betrag hoffte man in Deutschland, endgültig einen Schlussstrich unter das Thema »Wiedergutmachung« gezogen zu haben. Zudem betonte die Bundesregierung in den Verhandlungen, Zwangsarbeit sei kein »NS-typisches« Unrecht gewesen, aus dem sich weitere Entschädigungsansprüche ableiten ließen. Die deutschen Unternehmen verhielten sich gegenüber der Forderung, ehemalige ZwangsarbeiterInnen zu entschädigen, zumeist vollkommen abweisend. Allerdings geriet die jahrzehntelang vorgetragene Schutzbehauptung, die Firmen hätten lediglich als »agencies of the Reich« fungiert, spätestens mit Abschluss des Zwei-plus-Vier-Vertrages ins Wanken. Internationale Proteste, die Furcht vor Boykott-Drohungen und nicht zuletzt die angekündigten Sammelklagen vor US-Gerichten brachten die deutsche Wirtschaft von ihrer Blockadehaltung ab.

Eine Bilanz der »Wiedergutmachung« in der Bundesrepublik fällt demnach ernüchternd aus: Ohne die ständigen Proteste der Opferverbände und ohne den wiederholten Druck aus dem Ausland, hätte es für die Verfolgten des NS-Regimes vermutlich fast überhaupt keine Entschädigungsleistungen gegeben. Mit anderen Worten: Zahlreiche Opfer mussten sich in zermürbenden Auseinandersetzungen mit den jeweiligen Regierungen, den Behörden und nicht zuletzt einer desinteressierten, oftmals abweisenden Mehrheitsbevölkerung ihre Anerkennung erst erkämpfen. Kämpfe, die bis heute andauern.