Skip to main content

Eine Straße für Silvio Meier

Antifaschistische Linke Berlin (ALB)
Einleitung

Gedenken an Neonazi-Opfer im öffentlichen Raum

Die Benennung von Straßen, Plätzen und Großbauten wie Flughäfen, Stadien oder auch von ganzen Städten ist vom jeweiligen Zeitgeist geprägt. In der Regel werden Orte und Gebäude entsprechend der vorherrschenden politische Meinung benannt bzw. umbenannt. Sie sind daher immer auch ein Spiegelbild der aktuellen politischen Begebenheiten. 

Foto: Björn Kietzmann

Zunächst ein kleiner Blick in die Geschichte: Es war üblich, ganze Städte nach Herrschern zu benennen. So trug die türkische Metropole Istanbul fast 2000 Jahre lang die Bezeichnung Konstantinopel – nach dem einstigen römischen Kaiser Konstantin der Große. Doch so weit muss nicht zurück gegangen werden. In der Zeit des Deutschen Reiches und insbesondere wäh­rend des Nationalsozialismus wurden zahlreiche Plätze nach preußischen Königen, Feldherren oder später nach verstorbenen Nazigrößen benannt. Einige heißen noch immer so. In Wiesbaden existiert ein ganzes Feldherrenviertel und vielerorts wird weiterhin an den Steigbügelhalter der Nazis, Generalfeldmarschall Hindenburg, erinnert – in Münster wurde ein so benannter Platz im Sommer 2012  per Bürgervotum endlich umbenannt. Es gibt sogar noch immer Straßen, die an Offiziere der Wehrmacht (zum Beispiel der Adolf-Galland-Weg in Northeim oder die Rommel-Kaserne im Teutoburger Wald) erinnern oder an die faschistische »Legion Condor« (Spanische Allee in Berlin-Zehlendorf).

Im realsozialistischen Teil Deutschlands entwickelte sich nach dem Ende des Nationalsozialismus dagegen eine eigene Art der Gedenkkultur. Dort wurden zahlreiche Straßen und Plätze sowie Schulen und Bibliotheken nach antifaschistischen Widerstandskämpfern benannt, sie erinnern etwa an Bruno Baum, Richard Sorge oder Hilde Coppi. Die DDR wollte so den Ermordeten bzw. den Überlebenden der Konzentrationslager gedenken. Nach der sogenannten Wiedervereinigung wurden viele Namen wieder getilgt. Diese Namensänderungen sind in aller Regel politisch motiviert und je nach aktueller Lage mehr oder minder umstritten. So auch in Berlin-Kreuzberg: Als Ende 2004 ein Teil der Kochstraße nahe dem Axel-Springer-Hochhaus in Rudi-Dutschke-Straße umbenannt wer­den sollte, regte sich Protest. Erst nach einem erfolgreichen Bürgerentscheid und jahrelangen politischen und gerichtlichen Auseinandersetzungen erfolgte die Namensänderung.

Auch die antifaschistische Bewegung hat immer wieder mobil gemacht, damit Straßennamen der Kolonialzeit, des Militarismus oder des Faschismus geändert werden. In einigen Städten gab und gibt es darüber hinaus Initiativen oder Kampag­nen, um Plätze oder Straßen nach Opfern von Neonazigewalt zu benennen, meist nahe dem Ort, an dem die Menschen getötet wurden. Leider finden diese Initiativen nur teilweise einen erfolgreichen Abschluss, in jedem Fall ist aber ein langer Atem von Nöten. So scheiterte die von der Barnimer Kampagne »Light me Amadeu« (www.light-me-amadeu.de) an­geregte Benennung einer Straße in Eberswalde nach Amadeu Antonio bislang an politischen Widerständen vor Ort. Der angolanische Vertragsarbeiter war in der Nacht vom 24. auf den 25. November 1990 bei einer rassistischen Hetzjagd so schwer verletzt worden, dass er nach elf Tagen im Koma am 6. Dezember 1990 verstarb.

In Berlin verläuft eine solche Kampagne aktuell erfolgreich. Im November 2012 soll die Gabelsbergerstraße in Friedrichshain nach Silvio Meier benannt werden. Doch der Reihe nach: Vor zwanzig Jahren, am 21. November 1992, wurde der Hausbesetzer und Antifaschist Silvio Meier im U-Bahnhof Samariterstraße von Neonazis ermordet. Bereits am nächsten Tag gab es eine Demonstration mit mehreren tausend Teilnehmern, die die Trauer und Wut über den Mord zum Ausdruck brachte. Seither findet jährlich eine Gedenkdemonstration statt. Sie hat sich zur größten regelmäßigen antifaschis­tischen Demonstration in Berlin entwickelt und thematisiert immer auch aktuelle Umtriebe der Neonaziszene. Freunde und Angehörige, Basis­ini­tia­tiven aus dem Kiez und antifaschistische Gruppen organisieren außer­dem jedes Jahr zum Todestag eine Mahnwache am U-Bahnhof. Auf deren Ini­tia­tive hin wurde dort eine Gedenktafel für Silvio Meier angebracht. Diese wurde mehrmals gestohlen und wieder­holt beschädigt; inzwischen konnte durchgesetzt werden, dass die Berliner Verkehrsbetriebe sie dulden.
Seit vielen Jahren stand auch die Forderung nach der Benennung einer Straße für Silvio Meier als ein Zeichen aktiven antifaschistischen Gedenkens im Raum – ohne dass von »offizieller Seite« irgendetwas unternommen wurde. Um Druck zu erzeugen und dieses Ziel endlich konkret werden zu lassen, gründete sich im November 2010 die »Initiative für ein aktives Gedenken«, die von vielen Friedrichshainer Initiativen, Gewerbetreibenden und Einzelpersonen unterstützt wird. Einem Offenen Brief an die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) folgten unzählige Gespräche mit verschiedenen Politikern, Besuche bei Ausschuss­sitzungen, öffentlichkeitswirksame Aktionen wie eine symbolische Umbenennung, Pressearbeit, Infotische etc.

Von Anfang an wurde und wird das Gedenken an Silvio Meier aus der antifaschistischen Bewegung heraus getragen und organisiert. Die »Initiative für ein aktives Gedenken« will mit ihrer Arbeit erreichen, dass endlich auch von »offizieller Seite«, dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg, ein Zeichen gesetzt wird, das über bloße Lippenbekenntnisse hinausgeht: »Es geht darum, einen Gegenpol zu einer voranschreitenden Entpolitisierung des Straßenbildes zu erzeugen. Es geht um eine Auseinandersetzung mit der Angelegenheit auch abseits vom Todestag. Und es geht darum, dass als ›Randgruppenphänomen‹ behandelte Themen wie Antifaschismus eine Wertschätzung auf parlamentarischer Ebene erhalten. Denn Gewalt von Neonazis im Stadtteil ist leider nicht Geschichte, sondern immer noch aktuell.« (aus dem Offenen Brief an die BVV)

All dies und die Tatsache, dass die Aktivisten nicht locker ließen, überzeugte am Ende die maßgeblichen Fraktionen in der BVV. Auf einer Bürgerversammlung im April 2012 gab es schließlich ein klares Votum für die Benennung der Gabelsbergerstraße nach Silvio Meier. Zudem will der Bezirk perspektivisch einen »Silvio-Meier-Preis« für antifaschistisches Engagement ausloben. Der lange Atem hat sich in diesem Fall also gelohnt. Bleibt zu hoffen, dass auch weitere Gedenkinitiativen und Kampagnen aus der antifaschistischen Bewegung erfolgreich verlaufen.

Weitere Informationen zum Thema:

www.aktivesgedenken.de
www.silvio-meier.tk
 

Wer war Silvio Meier?

Silvio Meier (*1965 in Quedlinburg) war bereits in der DDR in linken Gruppen, außerhalb des staatlichen Rahmens, engagiert. Auf dem evangelischen Kirchentag 1987 gehörte er zu den Mitbegründern der »Kirche von unten« (KvU). Linke Kräfte sammelten sich damals in der »Umweltbibliothek« um die Zionskirche im Prenzlauer Berg. Es war unter anderem Silvio Meier, der im Keller der Zionskirchgemeinde die illegalen »Umweltblätter« druckte – jener Zionskirche, in der 1987 der erste öffentlich gewordene Überfall von Neonaziskinheads auf linke Oppositionelle stattfand. Zwei Jahre später gab er das Oppositionsblatt »Morning Star« heraus.

In der »Wendezeit« riefen Silvio Meier und weitere Berlin-Friedrichshainer aus der KvU die »Fröhlichen Friedrichshainer Friedensfreunde« ins Leben. Diese Gruppe besetzte im Dezember 1989 als eines der ersten Häuser in Ostberlin – die Schreinerstraße 47 im Berlin-Friedrichshainer Nordkiez. Silvio Meier und einige andere Besetzer aus der Schreinerstraße verdienten ihr Geld in einer alternativen Druckerei.