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Eine Erwiderung auf »Calamity Jane und die abgestürzten Flugblattsammler«

Einleitung

Eine Erwiderung auf »Calamity Jane und die abgestürzten Flugblattsammler«.

Foto: National Portrait Gallery, Smithsonian Institution. Creative Commons: CC0 1.0

Calamity Jane (engl. „Katastrophen-Jane“) - eigentlich Martha Jane Cannary Burke - war eine US-amerikanische „Wild-West-Heldin“. Von 1893 an trat sie in einer „Wildwest-Show“ des US-Politikers Fred N. Cummings (Colorado) als „Indianertöterin“ auf.

Im Frühsommer dieses Jahres ist das Buch »Der Pakt - die Rechten und der Staat« von Bernd Siegler, Charlotte Wiedemann und Oliver Tolmein erschienen. Dort wird die Kumpanei deutscher Justiz, Politik und Medien mit den Neonazis dargestellt. Besonders der Aufsatz von Charlotte Wiedemann ist hervorzuheben. In gut nachvollziehbarer Form wird der Rechtsruck des BRD Staates beschrieben, der durch ihre Politmanager, wie z.B. Wolfgang Schäuble, gezielt vorangetrieben worden ist.

Leider wird nach der Lektüre des Buches der Sinn und Zweck des Paktes mit den Neonazis nicht klar formuliert. An dieser Stelle jedoch wollen wir uns nur mit dem Nachwort beschäftigen, das von der Gruppe »Calamity Jane und die abgestürzten Flugblattsammler« aus Hamburg verfaßt worden ist. Schon im Vorwort des Buches wird darüber verkündet: Die bürgerlichen Entschuldungsmuster für rechte Gewalt, die »Elemente eines Paktes zwischen den Rechten und der bürgerlichen-liberalen Mitte« aufweisen, gelten in »gewisser Weise sogar für linke antifaschistische Politik«. Hier werden Texte aus dem „Antifaschistischen Infoblatt“ (AIB) beleuchtet, daneben auch Texte der „Autonomen Antifa (M)“, und Texte aus der "Radikal" und aus der "Interim".

Zwei Beispiele: Es wird in dem Text "Autonome sind auch Deutsche. Antifa-Politik zwischen "Strafexpedition" und Täterentlastung" behauptet, daß das Antifaschistische Infoblatt über die REP-WählerInnen ausgesagt hätte, sie seien »Opfer der »Verdummung« (AIB Nr. 6/7). Tatsächlich gab es auf der erwähnten Seite jedoch nur eine Zwischenüberschrift, die »Wahlkampf als Verdummung« lautete und sich in dem Kontext auf die bürgerlichen Parteien bezog.

Auch wird behauptet, daß das Antifaschistische Infoblatt über das Rostock-Lichtenhagener Pogrom ausgesagt hätte, »daß »Unterlassungen« (der Politiker - Anm. AIB) (...) zum Pogrom führten« was gleichbedeutend mit der Aussage sei, daß das »Nichteingehen der Politiker auf »Bürgerproteste«« verantwortlich sei. Auf den vorherigen Seiten des Artikels und in unserer Doppelnummer in mehreren Texten ist jedoch explizit und ausführlich beschrieben, daß es eine bewußte Eskalation der Situation in Rostock-Lichtenhagen gab, daß sowohl die Angriffe als auch die Folgen offenbar politisch gewollt waren. Die TäterInnen waren eine Mischung aus Kommunal-, Landes- und BundespolitikerInnen, höheren Polizeidienststellen sowie organisierten Neonazis und aufgehetzten AnwohnerInnen. Es bleibt eigentlich nur die Frage offen, ob es unter den Beteiligten eine direkte Absprache gab oder ob es sich um ein »freies« Zusammenspiel reaktionärer Kräfte handelte. Das Pogrom zu verhindern wurde auch - nicht nur - von Politikern unterlassen.

Wir würden gerne auf eine solidarische Kritik antworten, die zur Lösung der Schwächen der Antifa, uns eingeschlossen beiträgt. Beispielsweise sei hier die die oft fehlende selbstverständliche Organisierung deutscher AntifaschistInnen mit ImmigrantInnen oder Flüchtlingen genannt. Das gilt auch für das Problem der Männerdominanz und den Schwierigkeiten, die es bei einer Thematisierung der daraus resultierenden sexistischer Verhaltensweisen gibt.

Den VerfasserInnen geht es jedoch nicht um Kritik an einzelnen Fehlern und Schwächen der autonomen Antifa-Politik. Es geht um eine grundsätzliche Ablehnung derzeitiger antifaschistischer Praxis. Das zwingt uns auch grundsätzlich zu antworten. Deshalb gehen wir nur am Rande auf einzelne Vorwürfe ein, da wir den Eindruck haben, daß sie zudem unseriös, verkürzt, in falschem Zusammenhang zitiert sind, sowie nie Gesagtes unterstellen, damit die von den VerfasserInnen herbeigewünschte Sichtweise untermauert werde.

Wir denken, das wird Vielen beim zweiten Lesen des Textes und einem Vergleich mit dem Antifaschistischen Infoblatt (AIB) selbst auffallen. Die VerfasserInnen reden um den heißen Brei, wollen jedoch eine Abkehr von dem Versuch der direkten antifaschistischen Einflußnahme auf die (deutschen) ArbeiterInnen und Arbeitslosen. Sie wollen eine Verabschiedung von dem Ansatz in Schulen, Stadtteilen und am Arbeitsplatz den Kampf gegen den organisierten (Neo)Faschismus mit dem Kampf für soziale Interessen zu verbinden, um die Neonazis dort zu bekämpfen wo sie rekrutieren und wo auch wir leben. Sie kritisieren unsere Auffassung, daß moralische Argumentation zu wenig ist, um Rassismus wirksam zu bekämpfen. Dabei bleiben sie schwammig bei der Formulierung ihrer eigenen, der Kritik zugrunde liegenden, Sichtweise, so daß wir uns mit dem wenig grundsätzlich Gesagtem begnügen müssen.

Anscheinend stößt den VerfasserInnen besonders auf, daß wir uns nicht damit aufhalten die moralische Verwerflichkeit der Rassisten, Sexisten usw. zu geißeln, die auch jede/r Antifaschistisches Infoblatt LeserIn selbst sieht. In den relativ wenigen grundsätzlichen Artikeln des Antifaschistischen Infoblattes weisen wir auch auf ökonomischen Interessen und Zusammenhänge hin, die Hintergrund für die Erstarkung des Rassismus und Nationalismus waren und sind. Rassismus, Sexismus und Nationalismus sind von Oben propagierte Verhaltensmuster, die dazu dienen die Bevölkerung zu spalten bzw. zugunsten der Herrschenden in der Bevölkerung Konkurrenz zu säen.

Daß durch jahrhundertelange Deformationen durch Klassenherrschaften diese Gesellschaftsstrukturen von einem großen Teil der Bevölkerung quasi verinnerlicht worden sind, ist Ausdruck der Abhängigkeit gegenüber den herrschenden Normen und Resultat fehlender Klassenauseinandersetzungen von Unten. Aus der Tatsache, daß »Rassismus in Deutschland 1992« gerade durch seinen »klassenübergreifenden Charakter gekennzeichnet« ist, folgern die AutorInnen nicht, daß sich hier die Ideologie eines „Stahlhelmflügels“ der herrschenden Klasse durchgesetzt hat, sondern daß dies wohl am Deutschen liegen müsse: Sie fragen »wie denn dem Arbeiter beizukommen ist, dessen ganzer Stolz es ist Deutscher zu sein - egal mit Job oder ohne« und »warum der Deutsche diesen schäferhundartigen Drang zum Aufhetzen lassen hat«.

Leider wird nicht die Frage gestellt warum denn die "Hamburger Flugblattsammler" und mit ihnen viele Andere diesen Drang nicht verspüren. Aus der Tatsache, daß die rassistische Mobilisierung bei dem größten Teil der Bevölkerung auf Zuspruch stößt, folgert "Calamity Jane", daß alle so drauf sind und daß es mit sozialen Problemen nichts zu tun habe. Denn seit Jahrzehnten habe die Linke »auch die soziale Komponente thematisiert. (...) Und nie hat die Linke den Zulauf erfahren, den jetzt die Faschisten erleben.« Das die »soziale Komponente« der Linken in den letzten Jahren den Weg von den Flugblättern in die Praxis gefunden hätte ist zu bezweifeln.

Bei den "Calamities" scheint die Entäuschung über das »Zurückgewiesen sein« durch große Teile der Bevölkerung in eine elitäre Grundhaltung abzukippen. Sie liegen damit auf einer Wellenlänge mit der, von einigen Hamburger Gruppen vertretenen, Position, daß 99% der Deutschen Rassisten seien. Frei nach dem Motto wir kennen keine Klassen mehr, sondern nur noch Deutsche, wird erklärt, daß Rassismus »kein realer kapitalistischer Konkurrenzkampf« sei, »gerade nichts Normales, sondern eine außergewöhnliche Mobilmachung, die vor allem dazu dient, sich des eigenen Werts und der eigenen Gemeinschaft zu versichern

Mal davon abgesehen, daß auch Krieg eine außergewöhnliche Mobilmachung voraussetzt und deswegen trotzdem ein realer kapitalistischer Konkurrenzkampf bleibt, lesen sich »eigener Wert« und »eigene Gemeinschaft« wie aus einer Fallstudie für Jugendsozialarbeit, die nicht auf der Suche nach den Ursachen ist, sondern sich an den Erscheinungsformen festbeißt. Liegt diese Sichtweise zu Grunde, dann bleibt nur noch die eigene »lupenreine« Moral als treibende Kraft der Geschichte zu sehen und aus dieser Frosch-im-Brunnen-Perspektive andere Auffassungen zu verdammen.

Deshalb interpretieren sie die Texte im Antifaschistischen Infoblatt (AIB) in ihrer eigenen Art und Weise, ziehen aus nie Gesagtem, ihre Schlußfolgerungen so, daß es in ihr Bild von der moralischen Verwerflichkeit der Antifa paßt.

Aus den Artikeln im Antifaschistischem Infoblatt (AIB), die auf soziale Hintergründe für das Erstarken des Rassismus, und seine agressivste organisierte Erscheinungsform, den (Neo)Faschismus, hingewiesen haben und dafür agitiert haben nicht den Rechten die soziale Frage zu überlassen, sondern vorhandene Widersprüche seitens der Linken zu nutzen und sich nicht in den Elfenbeinturm der Kritik zurückzuziehen, lesen sie eine Entlastung der Täter, da diese ja auch von sozialem Abstieg betroffen seien.

Aus Aussagen im AIB, daß die Angst vor sozialem Abstieg plus fehlende Perspektiven der Linken, wesentliche Faktoren sind, warum so viele Menschen rechten Parolen hinterherlaufen, lesen sie, daß Armut rassistisch mache. Sie behaupten weiterhin, daß der »Mythos des amen Rassisten« auch »ohne tatsächliche Verschlechterung der sozialen Lage« im reichen Westen weitergewirkt habe. Daß dieser »Mythos« von der bürgerlichen Presse verbreitet worden ist, ist ja richtig, doch daß es keine soziale Verschlechterung im Westen gegeben habe, ist realitätsfremder Humbug.

Zu den Beschreibungen im AIB zur Geschichtsaufbereitung der DDR heisst es, hier würde den "Ossis" ein Opferstatus zuerkannt. »Deutsche als Opfer: Was hier linksradikale AntifaschistInnen formulieren, hätte so ähnlich auch im Feuilleton der FAZ stehen können.« Doch nicht nur die Nähe zur Kampfpresse der Konservativen ist ausgemacht worden, sondern auch »antisemitisch«, »männerbündlerische« und sogar »nationalrevolutionäre« Ausfälle des AIBs.

Anstoß erweckte ein dokumentiertes Plakat Berliner Antifas (als Abdruck im AIB Nr. 13), daß anläßlich des Trauerzuges Berliner Hooligans zur Ermordung von Mike Poley (1990, in Leipzig) geklebt worden war. Darin wurden die Hools aufgefordert nicht in »Hausbesetzern, Antifas, Homosexuelle oder »Ausländern«« die Feinde zu sehen, sondern sich gegen die (Neo)Nazis und die »fetten Bonzenschweine« zu richten. Die Reduzierung von Kapitalismus auf »fette Bonzenschweine« sei antisemitisch, die Betonung gemeinsamer Interessen gegen die »Bullen« »männerbündlerisch« - wo das nationalrevolutionäre Element ausgemacht worden ist, haben wir nicht herausgefunden.

Nach dem vernichtenden Feldzug der "Calamity und ihrer abstürzenden Flugblattsammler" kommen sie zu ihren Lösungsansätzen. Die erschöpfen sich offenbar in der Bundestagsblockade, der damit »eng verbundenen (...) inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem staatlichen und öffentlichen Rassismus« und einer »Anti-Lager Kampagne«. Dies sei erfolgsversprechend weil langfristig. In Flugblätter wird die Parallele zu den Lagern im NS herausgestellt. Daß die Flüchtlinge zwar wenig Praktisches, aber viel Propagandistisches erwarten dürfen, wird aus der Aussage deutlich, »daß anstelle von Sozialarbeit für den Mob nicht die Sozialarbeit mit Flüchtlingen treten« soll.

Nicht, daß wir das Anliegen falsch fänden den deutschen Rassismus in seiner geschichtlichen Kontinuität anzuprangern, uns erscheinen nur die Ausgangsbedingungen der "Calamities" beschränkt: Sozialarbeit ist bei ihnen tabu, während der weitaus größte Teil der Flüchtlinge wenig Interesse an dieser politischen Agitation zeigen wird, trotz der menschenunwürdigen Realität in den Abschiebelagern und der Bedrohung durch Brandschatzereien der Neonazis. Wenn die Verkündung von der Unmenschlichkeit des Rassismus nicht ausreicht, fallen den "Calamities" noch »die als »Strafexpeditionen« verschrienen Interventionen« ein.

Wer aufgrund der reaktionären Stimmung in Deutschland schließt, daß dies wohl ein Geburtsmakel der hiesigen Menschen sei und das dies nicht auch an fehlendem Klassenkampf von Unten liegt, wird langfristig nicht in der Lage sein, das völkische Denken zu brechen.

Wir denken, daß der Hauptstreitpunkt zwischen den Positionen im Antifaschistischem Infoblatt und den "Calamities" derjenige ist, ob es in Deutschland möglich ist, Rassismus, Neofaschismus und Sexismus mit Teilen der deutschen Bevölkerung zusammen zu besiegen oder ob es mit dieser Bevölkerung nicht geht. Wir haben die Hoffnung nicht aufgegeben. Daran ändert auch unsere heutige Minderheitenposition nichts. Wir bleiben dabei, daß es richtig ist den rassistischen MitläuferInnen im Falle eines Angriffes auf die Schnauze zu hauen, aber ansonsten zu versuchen zu reden, um einzelne von unserer Meinung zu überzeugen. Dabei haben wir es immer als selbstverständlich vorausgesetzt, daß es in erster Linie darum geht mit den Betroffenen der neofaschistischen, sexistischen und rassistischen Gewalt zusammen Widerstand zu leisten.

Zum Schluß möchten wir »Morality Jane« und den »Flugblattsammlern« noch mit auf den Weg geben, was eine grundsätzliche Position ist:

»Aller geschichtlichen Erfahrung nach ist das Hochhalten einer humanistischen Moral gegen Rassismus nur ein sehr schwaches Argument, um Menschen zu überzeugen. Erst da, wo Menschen für ihre Interessen 'gegen die da oben' eintreten, ohne sich gegen vermeintlich Schwächere zu richten, kann eine greifbare Alternative entstehen. Erst in entwickelten sozialen Auseinandersetzungen, in der die Akteure selbst ihr Schicksal in die Hand nehmen, ist eine Emanzipation der Menschen von Fremdbestimmung denkbar. Wir meinen damit die Emanzipation von: Ausbeutung; der Autoritätshörigkeit, nach Oben zu buckeln und nach Unten zu treten; der Vorherrschaft von Männern gegenüber Frauen; von der fixen Idee vieler Deutscher angeblich besser zu sein als andere Nationen; von Ordnungswahn und Leistungsethos.« (Aus Nachwort im "Drahtzieher im braunen Netz).