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Ein halbes Jahr organisierter Arbeitskampf in den Knästen

Christian Herrgesell
Einleitung

Bereits seit Mitte der 1990er Jahre, in der Hochphase des Zeitgeistes der neoliberalen Umstrukturierung, haben die Justizverwaltungen damit begonnen, den Strafvollzug an betriebswirtschaftlichen Kriterien auszurichten und dabei auch den Ausbau der Gefangenenarbeit forciert. Seit der Übertragung der gesetzgeberischen Kompetenzen für den Strafvollzug auf die Länder ist ein regelrechter Wettlauf entstanden, welches Bundesland die höchsten Einnahmen aus der Produktion in Knästen erzielt. Spitzenreiter ist hier seit Jahren Nordrhein-Westfalen, wo mittlerweile jährlich fast 50 Millionen Euro aus den Einnahmen der Gefangenenarbeit in die Justizkassen fließen.

Auf einen großen und sicheren Kundenstamm kann der Konzern Justizvollzug mit seinen über 40.000 Knast-Arbeiter_innen in seinem Expansionszug bauen: Bei Behörden und staatlichen Institutionen ist es äußerst beliebt, im Knast produzieren zu lassen, erlaubt doch eine Sonderregel in der Verdingungsordnung für Leistungen (VOL), bei entsprechender Auftragsvergabe auf ein aufwändiges öffentliches Ausschreibungsverfahren zu verzichten. Die Auftragsvergabe ist so beliebt, dass regionale Handwerksbetriebe im Umkreis großer und ökonomisch agiler Vollzugsanstalten wie z.B. der JVA Werl wiederholt über die Billigkonkurrenz klagten. Eigentlich existieren Regelungen, dass durch Knastarbeit keine regulären Beschäftigungsverhältnisse verdrängt werden sollen, doch eine entsprechende Überprüfung ist — ähnlich wie bei den sogenannten 1 Euro-Jobs — kaum möglich und kollidiert zusätzlich mit dem ökonomischen Interesse der Behörden in der Doppelrolle als Kontrolleur und Produzent. Das Angebot an Knastprodukten wurde stetig ausgebaut, einfache Produkte wie Plastiktüten und Druckererzeugnisse domi­nieren weiterhin das Angebot, längst beziehen aber auch Großkunden wie Porsche und Mercedes über ihre privaten Zulieferbetriebe auch technisch aufwändige Knasterzeugnisse.

Die privaten Unternehmerbetriebe, die in Gefängnissen Produktionsstätten betreiben, finden dort ideale Rahmenbedingungen vor: Niedrigstlöhne bis maximal 14,55 Euro für einen 8-Stunden-Arbeitstag, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, keine Sozialabgaben, keine sonstigen Lohnnebenkosten und ein ‚Urlaubsanspruch‘ von in der Regel lediglich 18 Tagen. Nimmt ein Gefangener seinen Anspruch auf Urlaub wahr, wird sein Arbeitsplatz sofort durch einen anderen Gefangenen besetzt und dem Unternehmen entsteht kein Ausfall.

Verweigern Gefangene die Arbeit oder wird ihnen die Krankmeldung ‚nicht abgenommen‘, müssen sie nicht nur mit den rund 30 Euro Taschengeld im Monat zurechtkommen1 , ihnen drohen auch Disziplinarstrafen wie die Einziehung des Fernsehgerätes aus der Zelle. Die Auslegung dessen, was eine Arbeitsverweigerung darstellt, ist weitgehend von der Interpretation und Willkür der Arbeitsbeauftragten und auch externen Vorarbeitern abhängig. Bemühen sich private, in Knästen tätige Unternehmer aus Angst vor Imageverlusten noch weitgehend darum, ihr Engagement verdeckt zu halten, so setzen die Anstalten seit einigen Jahren auf immer kreativere und gleichzeitig obszön anmutende Marketingstrategien für den Eigenvertrieb. Ein Vorreiter war hier die Hamburger JVA Fuhlsbüttel mit der Gründung eines eigenen Labels „Santa Fu“ als Public-Private-Partnership-Projekt, welches mit authentischen Knastprodukten wirbt. Im Online-Shop „Santa Fu — Heiße Ware aus dem Knast“ können unter anderem die CD mit „Knast live“, „[…] Original-Lieder, Stimmen und Geräusche aus Santa Fu“ oder ein stylisches T-Shirt „Lebenslänglich“ geordert werden.2

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass bislang lediglich drei Bundesländer3 in ihren Landesstrafvollzugsgesetzen auf die Arbeitspflicht verzichtet haben. Bislang waren die Gefangenen in ihrer unfreiwilligen Rolle als Arbeitnehmer_innen dem zunehmenden Verwertungsdruck schutzlos ausgesetzt, denn es existierten keine Gewerkschaft, kein Betriebsrat, keine Tarifverhandlungen und keine Streiks. Doch hier gibt es Erfreuliches zu berichten: Im Mai 2014 machten Gefangene in der Berliner JVA Tegel die Gründung einer Gefangenengewerkschaft bekannt, die auch bundesweit tätig sein werde. Abgesehen von dem rasch gescheiterten Versuch der Gründung einer Gefangenengewerkschaft im Jahr 1968, ist es das erste Mal, dass Inhaftierte sich gewerkschaftlich organisieren. Entsprechende Versuche wurden von den Anstalten immer wieder unterbunden. Die Strafvollzugsgesetze sehen eine Mitbestimmung von Gefangenen nur in sehr engem Rahmen unter Kontrolle der Anstaltsleitungen vor, als renitent geltende Gefangene werden aus den „Gefangenenmitverantwortungen“ heraus gedrängt.

Die Gefangenengewerkschaft beruft sich bei Ihrer Gründung deshalb auf das in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, das die Justizverwaltungen den Gefangenen vorenthalten. Deren Haltung beruht auf dem juristischen Konstrukt, dass es sich bei Gefangenenarbeit um eine besondere und notwendige Tätigkeit zum Erreichen des Vollzugsziels der „Resozialisierung“ handele, um eine therapeutische Beschäftigungsmaßnahme, nicht aber um reguläre Erwerbsarbeit. Ergo könn­ten sich die Gefangenen nicht auf Art. 9 Abs. 3 GG berufen. Auf der gleichen obszön anmutenden Argumentation beruht im Kern auch seit Jahren die Legitimation der Zwangsarbeit („Arbeitspflicht“) und der Nichteinbeziehung in die Sozial- und Rentenversicherung, sowie des Ausschlusses aus der Krankenversicherung.

Die beiden Hauptforderungen der Gewerkschaft bestehen zunächst in der Durchsetzung eines Mindestlohns von 8,50 Euro und der Einbeziehung der Gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung. Die erste Forderung zielt neben dem Kampf gegen die Ausbeutung der Gefangenen auch darauf ab, das Recht auf Mitsprache an der draußen intensiv geführten Debatte über den Mindestlohn durchzusetzen und so auch sozialen Widerstand über die Mauern hinweg zu verbinden. Bei den beiden Forderungen geht es um den Kampf gegen die strukturell angelegte Entlassung in Verschuldung und Armut, und die bei mittleren und längeren Haftzeiten vorprogrammierte Altersarmut.

Die Tegeler Anstaltsleitung reagierte auf die Bekanntgabe der Gefangenengewerkschaftsgründung in einer Presserklärung mit Zellendurchsuchungen, bei der alle Aufzeichnungen beschlagnahmt wurden, die mit der Initiative in Zusammenhang gebracht wurden. Vermutlich hatten weder die JVA, noch die Gewerkschafter mit dem erfreulich großen medialen Interesse an der Gewerkschaftsgründung und der Repression gegen die Beteiligten gerechnet, das weit über die lokale Berichterstattung hinausreichte.4

Die Anstalt musste in Folge des Drucks zurückrudern, die Unterlagen wurden wieder ausgehändigt. Innerhalb und außerhalb Berlins haben sich Unterstützer_innengruppen gebildet, die auch von Basisgewerkschaftern getragen werden. Informationsveranstaltungen und Kundgebungen wurden und werden durchgeführt und die Kontakte zu anderen Gewerkschaften konnten intensiviert werden. Gleichzeitig erfolgt der Ausbau der Gefangenengewerkschaft auf bundesweiter Ebene. Mittlerweile haben sich über 300 Gefangene als Mitglieder angeschlossen und außerhalb Berlins existieren organisierte ‚Ortsgruppen‘ in sechs weiteren Vollzugsanstalten, darüber hinaus eine Sparte der Sicherungsverwahrten. Das Feedback in den Knästen ist groß, Anlaufstellen wie das Grundrechtekomitee erhalten seit Mai viele Zuschriften mit der Bitte um Auskunft zu Möglichkeiten und zum Stand der gewerkschaftlichen Organisierung.

Mehrmals wurde bekannt, dass Anstaltsleitungen die Arbeit beeinträchtigen,  indem sie die Aushändigung von Informationsblättern der Gewerkschaft und von Mitgliedsanträgen unter Verweis auf die vermeintliche Gefährdung der „Sicherheit und Ordnung“ der Anstalt verweigern. Ganz aktuell betrifft dies den Sprecher der Gewerkschaftsgruppe in der JVA Würzburg, Marcel Nitti.

Neben dem gewerkschaftlichen Arbeitskampf hat die Gefangenengewerkschaft aber auch den Anspruch, eine unabhängige Organisation zum Kampf für Gefangenenrechte zu sein. Aktuell hat sie in einer Presseerklärung zum Mobbing gegen Gülaferit Ünsal, Gefangene aus der türkischen Linken in der JVA Berlin-Lichtenberg, Stellung bezogen. Die Schikanen werden von den Schließern geduldet.

Ein Schwerpunkt der Betätigung von Draußen ist derzeit die Ausarbeitung einer für das Frühjahr geplanten Kampagne, bei der die Profiteure an der Ausbeutung in den Knästen sichtbar gemacht werden sollen. In diesem Kontext soll auch zu einem bundesweiten Aktionstag aufgerufen werden, der voraussichtlich im März stattfinden wird.

Da es sich beim größten Teil der Privatunternehmer in Knästen um kleine und mittlere, lokal angesiedelte Unternehmerbetriebe handelt, besteht hier sicherlich ein guter Ansatzpunkt für soziale Bewegungen, um erstens die Unternehmen selbst in die Pflicht zu nehmen, und zweitens auf lokaler Ebene und „mittendrin“ Knastbedingungen allgemein thematisieren und sichtbar machen zu können. Wurden z.B. bei der Agenturschlusskampagne gegen die Einführung von „Hartz IV“ die Verhältnisse in den Knästen noch komplett ausgeblendet, obwohl das Leitprinzip des „Förderns und Forderns“ zeitgleich auch den damaligen vollzugspolitischen Diskurs um die Neuausrichtung des künftigen Strafvollzugs der Länder prägte, so wird es Dank des organisierten Sprachrohrs hoffentlich schwerer werden, Auseinandersetzungen über die soziale Frage ohne die Berücksichtigung von Gefangeneninteressen zu führen.

Homepage der Gefangenengewerkschaft:
www.gefangenengewerkschaft.de
 

  • 1Von denen man sich in den stark  überteuerten, weil monopolisierten Anstaltskiosken wenig leisten kann
  • 2Der moderne Justizvollzug der Länder präsentiert sich auf internationalen Handwerksmessen, um für sein Angebot aus den Knastfabriken zu werben. 
  • 3Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen
  • 4So berichtete etwa die britische Zeitung „The Guardian“ in einem längeren, durchweg positiv gesinnten Beitrag.