Skip to main content

Die Welt zu Gast bei Freunden ... ?

Lobsch (Gastbeitrag)
Einleitung

»Soldaten, Panzer, Awacs-Flugzeuge – WM oder Krieg?« So titelte der Berliner Kurier am 6. Januar 2006 über die bevorstehende Fußballweltmeisterschaft. Organisationsweltmeister Deutschland scheint in Sachen Vorbereitung seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Doch ein Gesichtscreme-Tester weist den deutschen Stadien zum Teil gravierende Mängel nach, ein Drittel des kompletten Kartenkontingents geht an Sponsoren und viele Fußballfans klagen über krasse Repressalien.

Die Bundesrepublik ist bestens gerüstet. Schon seit 2001 arbeitet das Innenministerium an einem »Nationalen Sicherheitskonzept«. Während der WM werden im Vergleich zur Bundesliga die Anzahl der OrdnerInnen je Stadion verdoppelt. In der Arena auf Schalke kommen auf 50.000 Zuschauer 1.200 Sicherheitskräfte. In allen Stadien befinden sich keine Stehplätze, jedoch zahlreiche Kameras, die eine komplette Überwachung garantieren. Während also zahlreiche deutsche Fans gerade das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft im Achtelfinale gegen Trinidad und Tobago bewundern, sind auf sie hoch auflösende Digitalkameras gerichtet. So wird die Gesichtserkennung von verdächtigen Personen möglich. Ein automatischer Vergleich gespeicherter Daten bekannter Hooligans oder Straftäter am Computer soll Ausschreitungen verhindern helfen und die Fahndung erleichtern.

Rund um die Stadien werden zwei Sicherheitszonen eingerichtet. Das innere Areal dürfen nur BesitzerInnen von Eintrittskarten betreten. In der zweiten Zone werden Sicherheitskontrollen und Videoüberwachung verstärkt stattfinden. Hundert Meter vor dem Stadion wird jede BesucherIn kontrolliert und abgetastet. Sicherheitskräfte sollen mit mobilen Fingerabdruck-Scannern ausgerüstet werden, auch hier soll wieder ein Abgleich der Daten mit den Polizei-Computern stattfinden.

Wunsch nach totaler Kontrolle

Da die Stadien mittlerweile riesigen Hochsicherheitsgefängnissen gleichen, vermutet die Bundesregierung die Gefahr von Ausschreitungen weniger in den Arenen als vielmehr vor den Videoleinwänden. Vor diesen werden in über 200 Städten zahlreiche Deutsche die Nationalhymne grölen und Klinsis Mannen anfeuern. Innenminister Schäuble erwägt derzeit die komplette Einzäunung und Videoüberwachung dieser Plätze sowie Rucksackkontrollen.
Die 250.000 Beschäftigten, die während der WM Würstchen und Bier verkaufen, Toiletten putzen und Fähnchen verteilen, werden vorher vom Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit dem Bundeskriminalamt genau überprüft – eine der größten Aktionen in der Geschichte des Verfassungsschutzes. Kontrolle und Überwachung wie bei keiner Weltmeisterschaft zuvor. Ob die von Schäuble geforderten Soldaten bei der WM zum Einsatz kommen, ist noch unklar, dessen ungeachtet wird die NATO im Sommer den deutschen Luftraum mit Awacs-Überwachungsmaschinen kontrollieren.

Was in der Luft die NATO regelt, übernimmt am Boden die Zis. Alle Informationen, die die Polizei europaweit über Hooligans hat, laufen in der »Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze«, kurz Zis, zusammen. In Deutschland zählt die Zis circa 10.000 Hooligans. 2.400 Fans haben derzeit ein bundesweites Stadionverbot, dies zumeist aufgrund absurdester Vorkommnisse1 , und 7.000 sind in der Datei »Gewalttäter Sport« registriert. Damit haben sie keine Chance auf eine WM-Karte. Selbst in die Nähe von Videoleinwänden zu kommen, wird ihnen schwerfallen. Der Zis bekannte Problemfans werden vor der Weltmeisterschaft von der Polizei zu Hause besucht, schwere Fälle müssen sich am Spieltag bis zu dreimal bei der heimischen Polizeidienststelle melden, damit sie nicht zu den Spielen reisen können.

Ein weitaus schwierigeres Problem stellen für die Polizei ausländische Fans dar. Gerade in Osteuropa ist die Datenerfassung von Hooligans weniger fortgeschritten als hierzulande. Diese Anhänger sind also nicht in Dateien vermerkt und so können beispielsweise »gefährliche« Fußballfans aus Polen ohne Probleme nach Deutschland einreisen. Was folgt, sind noch mehr Kontrollen. Im Sicherheitskonzept des Bundesinnenministeriums steht hierzu: »Um die Einreise gewaltbereiter Fußballanhänger, krimineller Personen sowie terroristischer Gewalttäter nach Deutschland zu unterbinden, werden durch den Bundesgrenzschutz lageangepasst Aufklärungs-, Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen an den Land- und Seegrenzen sowie auf den relevanten deutschen Verkehrsflughäfen durchgeführt. Die Intensität der Kontrollmaßnahmen wird dabei der konkreten Gefährdungseinschätzung angepasst.«2

Der gläserne Fan

Nun gut, ich bin kein gewalttätiger Hooligan, mag der ein oder andere jetzt denken. Was geht mich das an? Aber auch der scheinbar normale Fan wird zusehends kriminalisiert. Wer durch Losglück ein WM-Ticket erhalten hat, durfte neben Name, Anschrift und Telefonnummer auch sein Geburtsdatum und seine Personalausweisnummer angeben. Wozu? Offiziell soll so dem Schwarzmarkt das Leben schwer gemacht werden. Was wirklich mit diesen Daten geschieht, weiß niemand. Mühelos ließen sich anhand dieser Daten Kundenprofile erstellen. Das Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) veröffentlichte schon im Januar 2005 eine Presseerklärung, in der die Kartenvergabe samt Bestellvorgang scharf kritisiert wurde. Besonders beanstandet BAFF die RFID-Technologie (Radio Frequency Identification) die erstmals in WM-Tickets angewandt werden wird. RFID ist eine Methode, um Daten auf einem Transponder berührungslos und ohne Sichtkontakt speichern und lesen zu können. Mittels elektromagnetischer Wellen findet die Datenübertragung zwischen Transponder und Lese-Empfangs-Einheit statt. Jedes Ticket enthält einen solchen RFID-Chip, auf dem alle Daten der KarteninhaberIn gespeichert sind. Angeblich soll so der Einlass am Stadion beschleunigt werden.

Wieso hierfür nicht ein üblicher Strichcode reichen würde, da man die Karte sowieso vor ein Gerät halten muss, ist unklar. Stattdessen kann man nun genau feststellen, wer sich wo im Stadium und um dieses herum befindet. Wer hat die Rauchbombe in Sektor 56C gezündet und welche Fangruppierung stand über 90 Minuten lang regelwidrig auf ihren Sitzplätzen? Bewegungsprofile können angelegt werden, die wiederum nicht nur für Polizei und Verfassungsschutz interessant sind, sondern auch für Sponsoren. Wer nicht will, dass seine Daten erfasst werden, sollte sich nicht erfassen lassen – keine wirkliche Alternative für Fußballfans, die einfache Formel lautet »Keine Daten – keine Tickets!«

Viele Fanclubs, vor allem aus der Ultraszene, kritisieren auch das Nichtvorhandensein von Stehplätzen und die hohen Preise für Eintrittskarten. Die FIFA verlangt, dass alle deutschen Stadien ausschließlich mit familienfreundlichen Sitzplätzen bestückt sind. Sitzplätze, das wissen alle, die schon mal im Stadion waren, sind jedoch echte Stimmungskiller. Und wenn man dazu noch die riesigen VIP-Bereiche nimmt, weiß man schnell, worum es sich bei dieser Weltmeisterschaft handelt, nämlich um eine mit allen Repressionmitteln abgesicherte, große Wirtschaftsshow für den Standort Deutschland und weniger um Fußball an sich. Eine erfreuliche Nachricht gibt es doch noch. Die deutsche Polizei hat auf jeden Fall während der gesamten Fußballweltmeisterschaft Urlaubssperre. 

Der Gastautor ist aktiv in der Fußballszene

Mehr zum Thema WM und Fankultur, Repression, Polizeiwillkür und Rassismus im Stadion auf der Seite des BAFF: www.aktive-fans.de