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Die verlogene Flüchtlingspolitik der BRD

Einleitung

Das Ende des NATO-Bombenkrieges bedeutet keinesfalls ein Ende der Fluchtbewegung innerhalb Südosteuropas und nach Westeuropa. Wie in allen kriegerischen Konflikten wird auch im Kosovo-Krieg die flüchtende Zivilbevölkerung je nach politischen Interessen funktionalisiert.

Foto: Christian Ditsch

»Bleibt, wo ihr seid«

Bis zum Einmarsch der KFOR-Truppen im Kosovo hatte das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) insgesamt 782.300 kosovo-albanische Flüchtlinge oder sog. »displaced persons« gezählt - also Menschen, die aus dem Kosovo vertrieben wurden. Davon flohen 21.700 nach Bosnien und Herzegovina, 69.400 nach Montenegro, 247.000 nach Mazedonien und 443.800 nach Albanien. Die westeuropäischen Länder und der NATO-Partner USA hatten dagegen nur eine verschwindend geringe Anzahl von Menschen aufgenommen. Bis Anfang Juni hat Deutschland gerade einmal 13.766 sogenannte Kontingentflüchtlinge ins Land gelassen. (UNHCR-Statfstik vom 7. Juni 1999).

Der folgende Artikel beschäftigt sich ausschließlich mit der Situation kosovo-albanischer Flüchtlinge. Ihre Situation ist exemplarisch für die vieler Bürgerkriegsflüchtlinge und AsylbewerberInnen, zumal angesichts der instabilen politischen Situation und der massenhaften Vertreibung von Serbinnen aus dem Kosovo seit dem Einmarsch der KFOR-Truppen, weitere Fluchtbewegungen nach Westeuropa nur eine Frage der Zeit sind und auch diese Neuankömmlinge mit den Bedingungen der Festung Europa konfrontiert sein werden.

Auch wenn mittlerweile knapp 500.000 kosovo-albanische Flüchtlinge wieder in den Kosovo zurückgekehrt sind: Die Tatsache, daß die meisten Flüchtenden in der Region blieben, spiegelt die Bedingungen wider, mit denen die meisten Menschen, die vor Kriegen fliehen, konfrontiert sind. Die Mehrheit der Kosovo-AlbanerInnen hofft auf eine schnelle Rückkehr in ihr Heimatland. Daher wollten viele von ihnen - zumindest zu Beginn ihrer Flucht - möglichst in der Nähe des Kosovo bleiben.

Je länger der Krieg jedoch andauerte, desto deutlicher wurde, daß eine schnelle Rückkehr nicht möglich ist. Viele Dörfer und die lebensnotwendige Infrastruktur sind zerstört, die Umwelt ist durch die Bombenabwürfe vergiftet, Landminen bedrohen das Leben der RückkehrerInnen. Dazu kommt, daß die Bedingungen in den Flüchtlingscamps in Albanien und Mazedonien sich zunehmend verschlechtert haben. Versorgungsengpässe, hoffnungslose Überfüllung der Lager und in Mazedonien Schikanen durch die mazedonischen Behörden, haben dazu gerührt, daß viele Flüchtlinge die Region verlassen wollen - entweder Richtung Kosovo oder nach Westeuropa.

Viele Kosovo-AlbanerInnen haben auch soziale Bezüge insbesondere nach Deutschland oder Österreich. Sie haben hier Familienangehörige, die als Flüchtlinge oder ArbeitsmigrantInnen in Deutschland leben. Oder sie haben selbst schon einige Zeit als ArbeitsmigrantIn oder Flüchtling in Deutschland gelebt.

Doch den meisten Menschen fehlt das Geld, um die rund DM 3.500, die professionelle Flüchtlingshelfer für die Überfahrt einer Familie von Albanien nach Italien verlangen, aufbringen zu können. Die Hoffnung, vor allem jetzt nach Ende des NATO-Bombenkrieges, auf legalem Weg in einem Bürgerkriegsflüchtlingskontingent eines westeuropäischen Landes aufgenommen zu werden, haben die meisten Menschen inzwischen aufgegeben. Denn schon während des Bombenkrieges hatten die westeuropäischen Staaten die Aufnahme der Menschen streng reglementiert und nach Kontingenten festgelegt.

Festung Deutschland

Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hatte in Abstimmung mit den Länderinnenministern von Anfang an die Parole ausgegeben, daß die Flüchtlinge doch bitte schön in der Region bleiben sollten. Die Festung Europa und allen voran Deutschland will - wie auch in anderen Konflikten, in denen die westeuropäischen Staaten an Kriegen und Bürgerkriegen direkt oder indirekt beteiligt sind - keinesfalls die Verantwortung für die Konsequenzen übernehmen und schottet sich gegen Flüchtlinge ab.

Erst aufgrund der Medienberichterstattung über die Situation in den Lagern in Albanien und Mazedonien, sah sich auch Deutschland gezwungen, zumindest ein kleines Kontingent von Flüchtlingen aufzunehmen. Die anfängli- che Zahl lautete 10.000 Menschen, Ende April wurde das Kontingent dann noch einmal um 5.000 Menschen erweitert - nicht ohne den scharfen Protest von Seiten der CDU/CSU-regierten Bundesländer. Bis Anfang Juni hatte Deutschland dann genau 13.766 kosovo-albanische Kontingentflüchtlinge ins Land gelassen. Damit ist die erweiterte Quote noch nicht einmal ausgeschöpft. Die ersten Flüchtlinge, die seit Anfang April in Deutschland leben, sind gerade einmal knapp zwei Monate in Deutschland, und schon sollen sie wieder gehen.

Der Waffenstillstandsvertrag war noch nicht unterschrieben, da preschte Berlins Innensenator Eckehart Werthebach (CDU) schon vor. Werthebach verkündete lauthals, daß man jetzt dringend über eine schnelle Rückkehr der Flüchtlinge nachdenken müsse und zeigte sich unverhohlen froh darüber, daß alle Kontingentflüchtlinge ohnehin nur eine dreimonatige Aufenthaltsbefugnis erhalten haben. Und die wird demnächst zumindest für die Flüchtlinge, die mit dem ersten Kontingent Anfang April gekommen sind, auslaufen.

Das Asylbewerberleistungsgesetz

Auch ansonsten unternehmen die deutschen Behörden alles, um diejenigen, deren Schicksal den deutschen Politikern immer wieder als Vorwand für eine Verlängerung des NATO-Einsatzes diente, möglichst schnell wieder loszuwerden.

Wie alle anderen hier lebenden AsylbewerberInnen und Bürgerkriegsflüchtlinge haben auch die kosovo-albanischen Kontingentflüchtlinge nur einen Anspruch auf die gekürzten Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes. Diese werden ihnen in den meisten Bundesländern in Form von Lebensmittelpaketen oder Gutscheinen plus einem Taschengeld von DM 80,00 pro Erwachsenen und DM 40,00 pro Kind im Monat ausgehändigt.

Die Aufnahme einer Berufsausbildung ist ihnen ebenso verboten, wie ein Leben außerhalb der zugewiesenen Heime, denn die Sozialämter übernehmen für sie keine Mieten in Privatwohnungen. Zwar erlaubt das Ausländergesetz Flüchtlingen mit einer Aufenthaltsbefugnis die Aufnahme von Arbeit, doch regelmäßig verweigern die zuständigen Arbeitsämter unter Hinweis auf die Arbeitsmarktlage und die gesetzlich vorgeschriebene bevorzugte Vermittlung Deutscher die Arbeitserlaubnis.

De facto sind die Kontingentflüchtlinge den Bedingungen unterworfen, die auch für AsylbewerberInnen und Bürgerkriegsflüchtlinge mit einer Duldung gelten. Deren einziges Ziel lautet: Die schnellstmögliche »Rückrührung« ins Herkunftsland - unter Anwendung aller möglichen Schikanen.

Familienzusammenführung ist unerwünscht

Noch schlechter stellt sich die Lage derjenigen Kosovo-AlbanerInnen dar, die auf eigene Faust oder mit Hilfe von Verwandten nach Deutschland geflohen sind. Eigeninitiativen von in Deutschland lebenden Kosovo-Albanern, die ihre Verwandten aus den überfüllten Flüchtlingslagern in der Region nach Deutschland holen wollten, wurden nach einem Rundschreiben des Bundesinnenministeriums von Anfang April ausdrücklich nicht zugelassen.

Erst Ende April wurde in einer Schaltkonferenz der Innenminister festgelegt, daß nur in einzelnen Härtefällen, die gesondert durch die Ausländerbehörden zu prüfen seien, eine Aufnahme außerhalb des Kontingents möglich wäre. »Das Kriterium Familiennachzug alleine reicht nicht aus« heißt es da. Nur in besonderen »humanitären Härtefällen« sollte das anders sein. Die Festlegung, was als humanitärer Härtefall gilt, überläßt das Bundesinnenministerium den Länderinnenministem, die die Familien der Willkür der Ausländerbehörden vor Ort aussetzen.

Flüchtlingsorganisationen sind täglich mit Menschen konfrontiert, die versucht haben, für ihre kosovo-albanischen Angehörigen Einreisegenehmigungen und ein Visum zu erhalten. Die Leute werden sowohl von den Ausländerämtern in Deutschland als auch von den deutschen Auslandsvertretungen mit dem Hinweis auf den Erlaß des Innenministeriums abgewiesen.

Selbst wenn sie eine Garantieerklärung abgeben, daß sie für den Unterhalt ihrer Verwandten finanziell aufkommen - also für Unterkunft, Verpflegung, Gesundheitsversorgung etc.: Es hilft ihnen nicht. Die örtlichen Ausländerbehörden weigern sich regelmäßig, Garantieerklärungen für Visumsantragsteller aus der Bundesrepublik Jugoslawien überhaupt entgegenzunehmen. Die Länderinnenminister behaupten, daß sie bei den Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien »schlechte Erfahrungen« mit derartigen Garantien gemacht hätten. Das führt dazu, daß die deutschen Konsulate und Botschaften in Mazedonien und Albanien jetzt keine Besuchervisa mehr für Kosovo-AlbanerInnen ausstellen. Es sei denn, die jeweilige Ausländerbehörde in Deutschland stimmt der Einreise ausdrücklich zu.

Fluchthilfe gleich Schlepperei

Versuchen Kosovo-AlbanerInnen ihre Verwandten auf eigene Faust nach Deutschland zu holen und werden sie dabei von der Polizei oder dem BGS erwischt, droht den Fluchthelferinnen eine Anzeige wegen »Schlepperei«. Kommt es zu einer Verurteilung, drohen mindestens Geldstrafen. Und wenn es sich um mehr als zwei Personen handelt, denen beim »illegalen Grenzübertritt« geholfen wurde, kann auch eine mehrjährige Haftstrafe verhängt werden.

Wenn die Menschen noch im »grenznahen Bereich« aufgegriffen werden, müssen sie damit rechnen, in den »sicheren Drittstaat«, von dem aus sie die Grenze nach Deutschland überquert haben, zurückgeschoben zu werden. In einem Rundschreiben der bayerischen Landesregierung an alle Ausländerämter heißt es dazu: »Sofern illegal eingereiste Personen sich melden oder aufgegriffen werden, gelten die allgemeinen Vorschriften des Ausländerrechts, d.h. daß zunächst eine Rück-Übernahme in den Nachbarstaat zu versuchen ist, aus dem die illegale Einreise erfolgt ist.« Diese Regelung betrifft insbesondere die deutsch-tschechische und deutsch-österreichische Grenze, wo der BGS nach Angaben der bayerischen Flüchtlingsrats regelrechte Menschenjagden auf die Flüchtlinge macht.

Menschenrechtsorganisationen haben darüber hinaus die schlechten Bedingungen in den tschechischen Flüchtlingslagern als inhuman kritisiert.

Asyl wird nicht gewährt

Auch anhand der Asylpraxis gegenüber Kosovo-AlbanerInnen wird im übrigen die Heuchelei und Doppelzüngigkeit der Bundesregierung noch einmal deutlich.

Seit Anfang der 90er Jahre sind rund 100.000 Kosovo-AlbanerInnen nach Deutschland geflohen. Die überwiegende Mehrheit hat hier Asylanträge gestellt, die allesamt abgelehnt wurden, da die Gerichte noch Ende letzten Jahres keinerlei Gruppenverfolgung im Kosovo durch die serbischen Behörden ausmachen konnten bzw. - ähnlich wie bei kurdischen AsylbewerberInnen aus der Türkei - mit »sog. innerstaatlichen Fluchtalternativen« argumentieren. Konkret lag die Anerkennungsquote für kosovo-albanische Asylbewerberinnen in den letzten Jahren zwischen ein bis zwei Prozent.

Erst nach Beginn des NATO-Bombenkrieges - als es politisch opportun wurde, von einer Gruppenverfolgung zu reden - änderte sich die Anerkennungspraxis durch einige Verwaltungsgerichte. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich diese Rechtsprechung nicht in ein paar Monaten wieder in die alte verkehrt, wenn hier alle Politiker nach einer Rückkehr der Flüchtlinge rufen.

Nach abgelehnten Asylverfahren wurden einige tausend dieser Flüchtlinge abgeschoben, die große Mehrzahl blieb jedoch hier und erhielt Duldungen. Allerdings nicht aufgrund von humanitären Erwägungen oder der Anerkennung einer Verfolgungssituation im Kosovo, sondern weil Jugoslawien bis 1996 die Rücknahme von jugoslawischen Staatsbürgern verweigerte, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt hatten. Auch danach stimmten die jugoslawischen Behörden der Einreise von abgelehnten AsylbewerberInnen nur nach einer oft langwierigen Einzelfallprüfung zu.

Im September 1998 hatte dann die EU für die staatliche jugoslawische Airline JAT ein europaweites Landeverbot verhängt. Nach dem Rückübernahmeabkommen zwischen Deutschland und Jugoslawien von 1996 waren Abschiebungen aber ausschließlich mit der JAT durchzuführen. Angesichts der momentanen Lebensbedingungen im Kosovo und der instabilen politischen Lösung werden viele Flüchtlinge noch lange Zeit auf eine Rückkehr unter menschenwürdigen Bedingungen warten (wollen oder müssen).

Es sollte für Antifaschistinnen selbstverständlich sein, gemeinsam mit antirassistischen IIitiativen und Flüchtlingsorganisationen gegen die Abschottung der Festung Europa ganz praktisch vorzugehen. Die politische Forderung heißt immer noch: Grenzen auf und Bleiberecht.