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Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung

Arbeitskreis geschichtspolitische Interventionen (AGI) Berlin
Einleitung

2008 machte sich Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) an die Umsetzung des Koalitionsbeschlusses zur Errichtung eines »sichtbaren Zeichens«. Nach Konsultationen mit der polnischen Regierung (über deren Inhalt bis heute nur spekuliert werden kann) legte er einen Gesetzentwurf zur Errichtung einer Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung unter dem Dach des Deutschen Historischen Museums vor. 

Erika Steinbach vom Bund der Vertriebenen (BdV).

Danach soll im Deutschlandhaus nahe dem Potsdamer Platz in Berlin unter anderem eine Dauerausstellung zu sehen sein, in der Flucht und Vertreibung der Deutschen »einen Hauptakzent« bilden sollen. Andere mögliche Akzente werden nicht genannt. Zwar ist wiederholt von einer Einbettung in den »Kontext europäischer Vertreibungen im 20. Jahrhundert« die Rede, doch wird diese schwammige Formulierung an keiner Stelle konkretisiert. Die Entscheidung über die inhaltliche Ausrichtung trifft ein 13-köpfiger Stiftungsrat, dem ähnlich wie bei NS-Gedenkstätten VertreterInnen des Bundestages, der Bundesregierung und konfessionelle VertreterInnen angehören.

Als »Opferverband« sind drei Sitze für den Bund der Vertriebenen (BdV) vorgesehen – mehr als für jede andere Organisation. Finanziell wird die Stiftung für den Umbau des Deutschlandhauses und die Konzeption der Dauerausstellung einmalig mit 29 Millionen Euro bedacht, für den laufenden Betrieb werden jährlich 2,4 Millionen Euro bereitgestellt – annähernd so viel wie für das Holocaust-Mahnmal. Der Gesetzentwurf passierte nahezu unverändert erst das Kabinett und einige Monate später auch den Bundestag. Erstaunlich war, dass es – abgesehen vom Streit um die Personalie Erika Steinbach – keinerlei Debatte gab.

Neben PolitikerInnen von CDU und CSU frohlockte auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die BdV-nahe Stiftung für ein Zentrum gegen Vertreibungen habe damit »alles erreicht, was sie bezweckte«: die Errichtung einer Erinnerungsstätte im Zentrum Berlins, die sich allein in deutscher Trägerschaft befindet, die vornehmlich deutsche Opfer in den Blickpunkt nehmen wird und auf deren Konzeption der BdV maßgeblichen Einfluss haben wird. Doch merkwürdigerweise freuten sich auch SPD-PolitikerInnen. Sie hoben die angeblich »europäische Ausrichtung« der Stiftung hervor und behaupteten, das Vorhaben Zentrum gegen Vertreibungen nach wie vor abzulehnen. Beide Koalitionspartner wurden nicht müde, das Einvernehmen mit der polnischen Regierung zu unterstreichen. Dabei betrachtete man in Warschau die Stiftung als eine deutsche Angelegenheit, mit der man nichts zu tun haben will – weder offiziell noch inoffiziell. War die tatsächliche Ausrichtung der Stiftung auf dem Papier möglicherweise noch offen, sind inzwischen mit der personellen Besetzung der Stiftungsgremien die ersten Weichen gestellt.

Der Stiftungsrat entscheidet unter anderem über die inhaltliche Ausrichtung der Dauerausstellung. Mit Salomon Korn gibt es in diesem Gremium nur ein einziges Mitglied, das eine grundsätzliche Kritik an der Politik des BdV und dessen erinnerungspolitischen Zielsetzungen vertritt. Offene UnterstützerInnen des BdV finden sich hingegen zahlreich. Im Juli 2009 berief der Stiftungsrat den Stiftungsdirektor: Professor Manfred Kittel, einen konservativen Historiker, der seit 1992 am Münchner Institut für Zeitgeschichte tätig war. Kittel ist zwar nicht persönlich mit dem BdV verbunden, aber ein erklärter Befürworter eines nationalen Vertreibungszentrums. In seiner Dissertation lobte er 1992 den Umgang mit der NS-Vergangenheit in der Ära Adenauer. In seinem Buch »Vertreibung der Vertriebenen?« behauptet Kittel, es habe im Erinnerungsdiskurs der BRD ab den 70er Jahren eine »zweite, geistige Vertreibung« der deutschen Vertriebenen gegeben. Dass die Vertriebenenverbände mit ihrem Revisionismus erst den Anlass dazu geliefert haben, findet bei Kittel keine Erwähnung.

Neben dem Stiftungsrat hat die Stiftung noch einen »wissenschaftlichen Beraterkreis«, der offenbar dazu dienen soll, den Anschein eines internationalen Charakters zu wecken – jeweils ein Mitglied kommt aus Tschechien, Ungarn und Polen. Doch die wissenschaftliche Kompetenz zum Thema Zwangsmigration scheint nicht das oberste Auswahlkriterium gewesen zu sein – allein vier der acht Beiratsmitglieder sind offizielle UnterstützerInnen des Zentrums gegen Vertreibungen. Ein weiteres Mitglied, Matthias Stickler, lobte in seinen Forschungsarbeiten zur Geschichte des BdV dessen demokratisierende Wirkung. Stickler war allerdings nur zweite Wahl. Seinen Platz sollte eigentlich die Erfurter Professorin Claudia Kraft einnehmen, die unter Verweis auf ihre Kritik am Stiftungskonzept dankend ablehnte. Nach der ersten Sitzung des Gremiums im Dezember 2009 erklärte auch der polnische Vertreter, Professor Tomasz Szarota, seinen Rückzug. Er habe nicht geahnt, so Szarota zur tageszeitung, dass »sich die Bundesregierung das Geschichtsbild des BdV so sehr zu Eigen gemacht hat«.

In der deutschen Öffentlichkeit stieß die Entscheidung weitgehend auf hilfloses Unverständnis. Derzeit sucht die Stiftung nach MitarbeiterInnen, die die Konzeption der Dauerausstellung vorantreiben und umsetzen sollen. Dabei ist allzu große Distanz von den Vorgaben des BdV nicht zu erwarten. Das zeigt auch der als »Beendigung des Streits« gefeierte Kompromiss um die Personalie Erika Steinbach: Mit ihren überzogenen Forderungen hat Steinbach zwar in der Öffentlichkeit viele Sympathien verspielt, aber gleichzeitig dafür gesorgt, dass die Stiftung sich dem Einfluss des BdV nicht mehr zu entziehen vermag – so sie es denn wollte. Künftig soll der BdV sechs statt der bisherigen drei Mitglieder in den Stiftungsrat entsenden und nicht mehr die Bundesregierung, sondern nur noch der Bundestag hat bei deren Bennenung ein Mitspracherecht. Selbst wenn es einen Vorteil haben sollte, dass Steinbach persönlich nun nicht in der Stiftung vertreten sein wird: Über die Frage, warum es eine zentrale Erinnerungsstätte für Flucht und Vertreibung der Deutschen überhaupt braucht, wird nun erst recht nicht mehr diskutiert werden, genau so wenig wie über den Status des BdV als »Opferverband« oder seine mehr als üppige Finanzierung durch die Steuerzahlenden.

Der Text ist ein Vorabdruck aus deren Broschüre »Jenseits von Steinbach – zur Kontroverse um ein Vertreibungszentrum im Kontext des deutschen Opferdiskurses«.