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Die Niederschlagung des Kapp-Putsches

Bernd Langer
Einleitung

Zum 90. Jahrestag des einzigen Generalstreiks und größten antifaschistischen Abwehrerfolges der deutschen Geschichte

Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1970-051-65 / Haeckel, Otto /CC BY-SA 3.0

Kapp-Putschisten in Berlin; Die Soldaten verwenden bereits Hakenkreuze als Symbol.

Im Jahr 1919 wird in Deutschland jede Hoffnung auf die Weiterführung der Revolution zerschlagen. Allein der Januaraufstand in Berlin und das folgende Märzmassaker kosten weit über 2.000 Menschen das Leben. Ähnlich ist es der Münchner Räterepublik ergangen, der in Bremen, in Braunschweig und anderen Städten. Die linken Strukturen haben einen schweren Schlag erhalten. Viele wichtige Aktivisten sind tot, verhaftet oder auf der Flucht, die KPD ist verboten. Unter dem neuen KPD-Vorsitzenden Paul Levi wird der linksradikale Flügel im Oktober 1919 aus der Partei gedrängt, die daraufhin die Hälfte ihrer 100.000 Mitglieder verliert. In Berlin sind es sogar 80 Prozent des Mitgliederbestandes.

In diese Phase der politischen Schwäche kommt es zu einem der größten antifaschistischen Erfolge der Geschichte. Er zeigt sich in einer spontanen Massenmobilisierung zur Rettung der Republik und endet in einer weiteren tragischen Niederlage der revolutionären Bewegung.

Hakenkreuz am Stahlhelm

Ende 1919 zählt die vorläufige Reichswehr einschließlich noch bestehender Freikorps 250.000 Mann. Aufgrund der Versailler Friedensbedingungen ist Deutschland gezwungen, seine Armee auf 100.000 Soldaten zu reduzieren. Damit geht es für viele Offiziere und Soldaten um ihre ökonomische Existenz. Putschgerüchte machen die Runde. Auch in der Marinebrigade Ehrhardt, einer Art Elitefreikorps, rumort es.

Einen besonderen Freund hat die Einheit in General Lüttwitz, unter dessen Befehl die Freikorps ab Januar 1919 aufgestellt wurden. Der erzreaktionäre »Vater der Freikorps« ist persönlich mit dem rechtsgerichteten Beamten und Politiker Wolfgang Kapp bekannt. Als am 29. Februar 1920 die Auflösung der Marinebrigade Ehrhardt befohlen wird, organisiert der Verband auf seinem Übungsplatz Döberitz demonstrativ eine Parade. Auch Lüttwitz ist anwesend und anscheinend tief bewegt. In kopflosem Aktionismus verlangt er nach der Zeremonie in einer persönlichen Unterredung mit dem Reichspräsidenten, die Truppenreduzierung nicht durchzuführen, sondern stattdessen die Nationalversammlung aufzulösen und Neuwahlen durchzuführen.

Ebert und Reichswehrminister Noske (beide SPD) lehnen diese Forderungen ab und erwarten ihrerseits den Rücktritt des Generals. Als Lüttwitz sein Amt nicht aufgeben will, entzieht Noske ihm die Kommandogewalt. Unverzüglich fährt Lüttwitz nach Döberitz und spricht am 12.März 1920 mit Ehrhardt: »Der Augenblick zum Handeln ist gekommen. Rücksichtslos will die Regierung alle Verbände auflösen«,  Am Abend desselben Tages marschiert die Marinebrigade in Richtung Berlin. Um ihre völkische Gesinnung zu zeigen, haben sich die Soldaten vorn auf ihre Stahlhelme Hakenkreuze gemalt.

Währenddessen findet in Berlin eine Lagebesprechung statt. Noske will die Reichswehr gegen die Putschisten einsetzen. Daraufhin erwidert General Seeckt, Chef des Truppenamtes: »Es kann doch keine Rede davon sein, daß man Reichswehr gegen Reichswehr kämpfen läßt. Truppe schießt nicht auf Truppe.«

Wohl oder übel muss Noske der Regierung verkünden, dass sie schutzlos ist. Der Reichspräsident, der Reichskanzler und die sozialdemokratischen Minister fliehen über Dresden nach Stuttgart, der Vizekanzler und die restlichen Minister bleiben in Berlin. Bevor die Regierungsspitze die Hauptstadt verlässt, ruft sie zum Generalstreik auf. Das in revolutionärer Wortwahl gehaltene Papier unterzeichnen nur Sozialdemokraten. Jedoch distanzieren sie sich gleich wieder davon und es wird nie aufgeklärt, wer diese Proklamation eigentlich verfasst hat. Aber das ist nebensächlich, denn der Aufruf und die Flucht der Regierung aus Berlin stellen in dieser Situation die einzig richtigen Schachzüge dar.

In den frühen Morgenstunden des 13. März 1920 übernehmen die 4.000 Soldaten der Marinebrigade die Kontrolle über die Reichshauptstadt und Kapp erklärt sich zum Staatsoberhaupt. Doch jetzt, als die Putschisten scheinbar die Macht in ihren Händen halten, offenbart sich ihr politischer Dilettantismus: Außer für den Einmarsch in Berlin existiert keine Planung – und nicht einmal die Politiker, die man absetzen will, werden festgenommen. Unter diesen Voraussetzungen lässt sich das Militär nicht mitreißen. Da es außerdem nicht gelingt, den Beamtenapparat für sich zu gewinnen, ist die Machtübernahme von vorne herein gescheitert.

Alle Räder stehen still

Die Führungsrolle bei der Abwehr des Kapp-Putsches fällt den Gewerkschaften zu. Der ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund), die AfA (Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände) und der DBB (Deutsche Beamtenbund) bilden eine »Reichszentrale« für den Streik. Vieles erinnert an den November 1918. Indes haben die Linken nicht vergessen, wer Ebert und Noske sind. Die USPD, die Berliner Gewerkschaftskommissionen und die Zentrale der Betriebsräte organisieren eine eigene »Zentrale Streikleitung Groß-Berlin«, zu der wenig später auch die KPD stößt.

Den Drahtziehern des Staatsstreichs wird schnell klar, dass ihr Unternehmen gescheitert ist. Sie zeigen sich verhandlungsbereit. Es scheint, als könne der Kapp-Putsch ohne Blutvergießen beendet werden. Dass es anders kommt, liegt unter anderem an dem überraschend erfolgreichen Generalstreik, der am Montag, den 15. März 1920, das gesamte Land erfasst hat. Geschätzte 12 Millionen Menschen sind im Ausstand, es ist der größte Streik in der deutschen Geschichte. Bis weit ins Bürgertum reicht die Solidarität gegen den Rechtsputsch. Spontan bilden sich Aktionsausschüsse oder Vollzugsräte. In vielen Gebieten des Reiches entstehen zudem bewaffnete Arbeiterformationen, um mögliche Aktivitäten von Putschisten im Keim zu ersticken.

Verwirrende Nachrichtenlage

Am 17. März räumt zunächst Kapp seinen Stuhl und geht ins Exil nach Schweden. Wenig später reicht General Lüttwitz seinen Rücktritt ein, den ihm der Reichskanzler bei vollen Pensionsansprüchen gewährt. Neuer Chef der Heeresleitung wird Generalmajor Hans von Seeckt, dem die heikle Aufgabe zufällt, den Rückzug der Marinebrigade aus Berlin durchzusetzen. Freikorpsführer Ehrhardt: »Seeckt fragte mich im Ernst: ›Kann ich mich auf die Brigade im Kampf gegen den Bolschewismus stützen?‹ Ich sicherte es ihm zu.« Von Seeckt äußert daraufhin: »Ich gebe der 2. Marine-Brigade die Zusicherung, daß ein Haftbefehl gegen ihren Kommandeur, [...] nicht durchgeführt wird.«

Aufgrund dieser Abmachung wird der Rückzug eingeleitet. Formal gesehen gehört die Marinebrigade ab diesem Zeitpunkt zu den Regierungstruppen. Den Soldaten macht das keine Probleme, ohne Zögern wechseln sie auf Befehl ihrer Offiziere die Seiten. Ihr politisches Bewusstsein erschöpft sich im Gehorchen.

Damit ist der Staatsstreich zusammengebrochen und eigentlich könnte der Streik beendet werden, doch in weiten Teilen des Landes wollen die Arbeiter den Ausstand erst aufgeben, wenn das monarchistische Offizierskorps entmachtet und zumindest die Sozialisierung der Schlüsselindustrien erfolgt ist. Außerdem ist mit dem Streik ein Prozess in Gang gesetzt worden, in dem linksradikale Aktivisten das Heft in die Hand zu nehmen versuchen. Um die Entwicklung in den Griff zu kriegen, ist es für die Regierung von größter Wichtigkeit, den Generalstreik umgehend zu beenden. Gegen den Willen von USPD und anderen linkssozialistischen Organisationen wird für den 20. März das Ende des Ausstandes verkündet.

Viele Arbeiter und Beamte nehmen die Arbeit wieder auf – die Streikfront hat einen schweren Schlag erhalten. Gleichzeitig gehen die Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern mit freien Gewerkschaftsbünden, USPD und anderen weiter. Es herrscht eine verwirrende Nachrichtenlage.

Ist der Generalstreik abgebrochen oder nicht? Durch das Nichterscheinen der Zeitungen entstehen Informationsdefizite. Wenn die Proletarier überhaupt etwas glauben, dann sind es die Verlautbarungen ihrer Parteien, die ein ganz eigenes Bild der Lage zeichnen. Dass sich die Putschtruppen am 17. März der Regierung unterstellt haben, ist weitgehend unbekannt. Gerüchte und Stimmungen werden ausschlaggebend für das Handeln. Die Folge sind bewaffnete Konfrontationen aus Unkenntnis der Lage und die brutale, rechtsstaatlich legitimierte Rache der Freikorps.

Die Rote Ruhrarmee

Im Umland von Berlin, im mitteldeutschen Industriegebiet, in Thüringen, dem Erzgebirge-Vogtland, der Niederlausitz und Teilen Schlesiens kommt es zu lokalen Gefechten, als Reichswehr und Freikorps anrücken. In Halle, wo Kasernen von bewaffneten Arbeitern eingeschlossen werden, spielt sich eine regelrechte Schlacht ab. Sechsundachzig Menschen werden getötet.

Die weitaus größte Aufstandsbewegung entwickelt sich im Ruhrgebiet, wo die Umstände für die Arbeiter günstiger sind als im übrigen Reich. Denn auf Grund des Versailler Vertrages muss fast das gesamte »Revier« vom Militär geräumt werden.

General Watter, der für dieses Gebiet militärisch verantwortlich ist, will die spontane Streikbewegung eindämmen. Zu den Maßnahmen des Generals zählt die Besetzung der Stadt Wetter durch das Freikorps Lichtschlag. Die Truppe macht kein Hehl aus ihren Sympathien für den Putsch und fährt mit schwarz-weiß-roter Fahne in den Bahnhof ein. Das führt binnen kürzester Zeit zu einem Gefecht mit kampfentschlossenen Proletariern, die das Freikorps am 15. März aus der Stadt vertreiben. Ähnliche Szenen spielen sich auch an anderen Orten ab, ein allgemeiner, bewaffneter Aufstand beginnt, der das Ruhrgebiet am 23. März unter die Kontrolle revolutionärer Arbeiter bringt. Allerdings ist die Rote Ruhrarmee keine tatsächliche Armee. Zum größten Teil handelt es sich bei den geschätzten 50.000 bis 100.000 Kämpfern um Weltkriegsveteranen, die in Einheiten aus 70 bis 100 Mann unterteilt sind, und von gewählten Führern befehligt werden.

Das Ende

Während im Ruhrgebiet Arbeitertruppen die Festung Wesel belagern, tritt Reichswehrminister Gustav Noske am 22. März zurück. Daraufhin beenden auch freie Gewerkschafter und USPD am 23. März den Generalstreik. Im Ruhrgebiet zeigt sich deutlich, dass die Rote Ruhrarmee keinen Generalstab hat, der in der Lage ist, große Operationen zu koordinieren. Zudem treten Munitionsmangel und Nachschubprobleme auf.

In dieser Situation versucht der preußische Innenminister Severing, mit den Aufständischen Verhandlungen aufzunehmen. Doch viele Vollzugsräte sind nicht über die Gespräche informiert oder lehnen sie ab. Auch die Rote Armee will nicht verhandeln – noch ist sie auf dem Vormarsch, erst soll Wesel fallen! Allerdings läuft sich der Angriff auf die Zitadelle am 24. März endgültig fest und für die Aufständischen beginnt sich das Blatt zu wenden.

Ab dem 25. März verhängt die Reichsregierung eine Blockade für Rohstoffe und Lebensmittel. Die entstehende Not im Aufstandsgebiet ist nur mit der während des Krieges zu vergleichen. Das Ruhrgebiet ist isoliert.

Schließlich erlauben die Alliierten den Einmarsch der Reichswehr ins Ruhrgebiet. Daraufhin gehen viele Vollzugsräte am 2. April auf ein letztes Ultimatum der Regierung ein und demobilisieren ihre Einheiten. Trotzdem setzt sich die, bereits stark durch Selbstauflösung geschwächte, Rote Ruhrarmee gegen den Einmarsch der Regierungstruppen zur Wehr. Bis zum 7. April dauern die Kämpfe, bei denen nach Schätzungen mindestens 2.000 Menschen ums Leben kommen.

Dessen ungeachtet leistet im weit entfernten Vogtland eine Rebellentruppe um Max Hoelz bis zum 17. April weiter bewaffneten Widerstand. Dann flüchten die letzten Rebellen vor der Reichswehr über die tschechische Grenze nach Böhmen.

Konsequenzen

Nach dem Ende des Kapp-Lüttwitz-Putsches werden die Freikorps aufgelöst und in die neue Reichswehr integriert. Wolfgang Kapp stirbt, bevor ihm der Prozess wegen Hochverrats gemacht werden kann. Ehrhardt taucht in München unter. Zusammen mit früheren Angehörigen der Brigade gründet er die konspirativ agierende Organisation Consul (OC), die bald durch Attentate auf führende Politiker von sich Reden macht.

Linksradikale werfen der KPD nach dem Kapp-Putsch eine inkonsequente Haltung vor und gründen am 3. April 1920 die KAPD (Kommunistische Arbeiterpartei Deutschland). Kurz darauf hat die KAPD 80.000 Mitglieder und ist damit größer als die KPD. Die neue kommunistische Partei lehnt jede Beteiligung an Wahlen und jede Zusammenarbeit mit reformistischen Gewerkschaften ab. Stattdessen propagiert sie die direkte Aktion und den bewaffneten Kampf. Mit Bombenanschlägen und Banküberfällen setzen Parteimitglieder diese Gedanken in den nächsten Monaten in die Tat um. Aufgrund ihrer radikalen Strategie und zahlreicher Spaltungen versinkt die KAPD aber binnen weniger Jahre in die politische Bedeutungslosigkeit.

Scheitern revolutionärer Ambitionen

Der Generalstreik zeigt beeindruckend, dass es in Deutschland 1920 keine Mehrheit für eine Rückkehr zur Monarchie oder eine Rechtsdiktatur gibt. Die Massen verteidigen die Republik – deshalb kann die SPD nach dem Scheitern des Putsches den ADGB schnell zur Aufgabe des Ausstandes bewegen. Dem gegenüber ist die Linke nicht in der Lage, einen wirkungsvollen Generalstreik aufrecht zu erhalten. Nur in Teilen des Proletariats finden radikalere Forderungen Widerhall, weshalb auch Versuche, sich mit bewaffneten Aktionen durchzusetzen, keinen Erfolg haben.

Die nähere Analyse zeigt, dass die Konfrontationen zum überwiegenden Teil erst nach dem Scheitern des Kapp-Putsches (ab dem 17. März) ausbrechen und fast immer durch Angriffe von Arbeitermilizen ausgelöst werden. Es wird deutlich, dass bei den gewaltsamen Zusammenstößen lokale Führer – oft in Verkennung der Realität – nach eigenen Vorstellungen agieren und die Konfrontation so weit wie möglich treiben, ohne den politischen Gesamtkontext zu beachten. Die Linke verfügt weder über eine Strategie, noch über ein Konzept oder eine Führung.

Insgesamt ist unverkennbar, dass im linken Proletariat eine breite Strömung existiert, die den bewaffneten Kampf will. Einen Ausdruck findet das in der Gründung der KAPD. Die Strategie eines bewaffneten Umsturzes nach Vorbild der Bolschewiki in Russland kann aber unter den gegebenen Voraussetzungen nicht erfolgreich sein.

Zum Autor:
Bernd Langer, geboren 1960 in Bad Lauterberg im Harz, ist seit 1977 autonomer Antifaschist. In diesem Zusammenhang war er an der Norddeutschen Antifakoordination beteiligt und seit Ende der 80er Jahre maßgeblicher Initiator für die Entwicklung autonomer Bündnispolitik mit etablierten politischen Organisationen wie Gewerkschaften, den Grünen etc. in Göttingen. Er war Mitbegründer der Autonomen Antifa (M) bzw. der AA/BO und der kulturpolitischen Initiative Kunst und Kampf (KuK), bekannt für ihre Plakate, Bilder und Agitpropaktionen. Darüber hinaus publizierte er zahlreiche Artikel und Broschüren zu den Themen antifaschistischer Widerstand und »Revolutionärer Antifaschismus«.
1997 erschien Langers Buch »Kunst als Widerstand«, das 1998 in einer überarbeiteten und aktualisierten Fassung in englischer Sprache unter dem Titel »Art as Resistance« herauskam. 2004 folgte sein autobiographischer Roman »Operation 1653 – stay rude, stay rebel«. 2009 brachte er im Zuge einer Ausstellung im Tacheles den Katalog »Die Kunst geht weiter« heraus, im März 2010 veröffentlichte er »Revolution und bewaffnete Aufstände in Deutschland 1918–23«.
Bernd Langer ist nach wie vor politischer Aktivist und lebt heute in Berlin.