Skip to main content

Die gescheiterte „Regermanisierung“ Kaliningrads

Einleitung

Ansiedlungsprojekte der extremen Rechten in Kaliningrad in den 1990er Jahren sind gescheitert.

Screenshot ARD/Panorama

Roeders geplantes Siedlungsprojekt in Kaliningrad.

Der Gedanke, Russlanddeutsche im Gebiet Kaliningrad anzusiedeln, in der ehemaligen preußischen Provinzhauptstadt Königsberg und ihrem Umland, ist Ende der 1980er Jahre entstanden. Damals erhielten die Russlanddeutschen, deutschsprachige Einwohner der Sowjetunion, die im Zweiten Weltkrieg größtenteils in die Sowjetrepubliken Zentralasiens deportiert worden waren, die Möglichkeit, in die Bundesrepublik auszuwandern. Viele nahmen die Chance in der Hoffnung auf ein besseres Leben im reichen Westen Europas wahr. Zogen 1987 noch nicht einmal 15.000 Russlanddeutsche in die Bundesrepublik, so waren es 1990 schon fast 150.000, und die Zahl stieg weiter an.

Nicht alle wollten allerdings ihr Heimatland gänzlich verlassen. Einige zog es zwar weg aus Zentralasien, aber nicht über die sowjetischen bzw. russischen Grenzen hinaus – sei es wegen mangelnder Sprachkenntnisse, sei es wegen der ungewohnten sozialen Verhältnisse in der Bundesrepu­blik. Eine Option, die in der „Wiedergeburt“, einem Russlanddeutschen-Verband, seit Ende der 1980er Jahre diskutiert wurde, war ein Umzug in das Gebiet Kaliningrad. Kurt Wiedmaier, ein Aktivist der „Wiedergeburt“, schwärmte Anfang 1990 in einem Interview mit dem „Spiegel“ sogar, in Kaliningrad sei womöglich „Platz für eine autonome Republik der Sowjetdeutschen“. Und: Er habe für den Vorschlag, dorthin überzusiedeln, unter den Russlanddeutschen in Zentralasien viel Beifall erhalten.

Zur selben Zeit nahm ein ganz anderes Personenspektrum ebenfalls Kaliningrad in den Blick: führende Kreise der bundesdeutschen Wirtschaft. Die Sowjetunion schwächelte, suchte nach Möglichkeiten, ihre Wirtschaft in Schwung zu bringen; da schlug im Jahr 1988 Friedrich Wilhelm Christians, von 1976 bis 1988 zuerst Vorstandssprecher, dann Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, der sowjetischen Regierung die Gründung einer Sonderwirtschaftszone vor. Dort könnten sowjetische Betriebe Joint Ventures mit bundesdeutschen Unternehmen zum beiderseitigen Nutzen gründen, erläuterte Christians. Als Standort brachte er Kaliningrad ins Spiel.

Wieso Kaliningrad? Nun, es liege zum einen geografisch günstig, erläuterte Christians im Februar 1990 in der „Zeit“. Zum anderen werde das ehemalige Königs­berg, eine „Gründung der Deutschordensritter und Residenz der preußischen Herzöge“, wohl „größere Akzeptanz“ bei deutschen Unternehmern finden als andere russische Städte und Regionen. Christians hatte zudem die Russlanddeutschen im Blick, von denen mittlerweile so viele in die Bundesrepublik auswanderten, dass die Bundesregierung nach Optionen suchte, ihnen einen Verbleib irgendwo in Russland schmackhaft zu machen. Siedle man sie in Kaliningrad an, erklärte Christians, dann sei allen geholfen: den Russlanddeutschen, die Zentralasien verlassen wollten, aber auch den deutschen Unternehmen, die im früheren Königsberg bei niedrigsten Löhnen Waren produzieren wollten. Stelle man Personal mit deutschen Sprachkenntnissen ein, dann falle eine lästige Notwendigkeit weg: der stetige Zwang zum Dolmetschen.

Christians hatte den Plan schon 1989 Oleg Bogomolow vorgestellt, einem Berater von Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow; Bogomolow hatte ihn mit Gorbatschow besprochen, und prompt wurden beide Kernelemente, die Öffnung des Gebiets Kaliningrad für die Russlanddeutschen – bis Anfang 1991 war es militärisches Sperrgebiet – und die Gründung ­einer ersten Sonderwirtschaftszone im September 1991 umgesetzt. Ende 1991 begann die Bundesregierung jährlich im Schnitt mittlere einstellige Millionenbeträge bereitzustellen, um den aus Zentralasien nach Kaliningrad übersiedelnden Russlanddeutschen humanitäre Hilfe und anderweitige Unterstützung zu leisten – mit dem Hintergedanken, dann würden wenigstens sie nicht in die Bundesrepublik kommen. Die Zahl der Russlanddeutschen, die sich in Kaliningrad niederließen, wird je nach Quelle auf zwischen 8.000 und 25.000 Personen geschätzt. Aus ehrgeizigen Plänen, bis zu 200.000 Russlanddeutsche in das Gebiet um das ehemalige Königsberg zu locken, ist nicht viel geworden.

In den Umbrüchen der Jahre 1989/90 begannen Aktivisten der extremen Rechten in der Bundesrepublik, das Gebiet ­Kaliningrad näher in den Blick zu nehmen. Der Grund lag auf der Hand: Für sie war es traditionelles deutsches Gebiet, das für Deutschland zurückgewonnen, „regermanisiert“ werden musste. Dass sich dort nun Russlanddeutsche niederließen, war für sie ein Glücksfall: Gelinge es, mit deren Hilfe dort zuerst einmal „deutsche“ Siedlungskerne aufzubauen, dann werde sich das „Deutschtum“ Schritt für Schritt wieder ausbreiten können, so lautete die Grundidee. Einer der ersten, die praktisch tätig wurden, war Dietmar Munier, ein extrem rechter Verleger aus Kiel, der 1991 die „Aktion Deutsches Königsberg“ (ADK) gründete.1

Die ADK spannte den politischen Rahmen für weitere Organisationen auf, die vor Ort konkrete Tätigkeiten entfalteten und dafür nicht nur von der „Landsmannschaft Ostpreußen“, sondern einmal sogar vom CSU-Blatt „Bayernkurier“ gelobt wurden. Eine davon war Muniers „Gesellschaft für Siedlungsförderung in Trakehnen“ (GST). Trakehnen war ein alter ostpreußischer Ort mit einem berühmten Gestüt, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Jasnaja Poljana umbenannt worden war. Die GST unterstützte Russlanddeutsche, die in Jasnaja Poljana eingetroffen waren, bei Renovierung und Bau von Häusern, etwa, indem sie Baumaterial beschaffte oder auch russlanddeutsche Handwerker einstellte. Eine weitere Organisation war der „Schulverein zur Förderung der Russlanddeutschen in Ostpreußen“ 2 , der Deutschunterricht organisierte; die Sprachkenntnisse der Russlanddeutschen waren teilweise recht rudimentär. 3

Munier war beileibe nicht der einzige extrem rechte Aktivist, der sich an der „Regermanisierung“ Kaliningrads versuchte. Ein weiterer war Manfred Roeder, Holo­caustleugner, einst Gründer der „Deutschen Aktionsgruppen“, die unter anderem Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte begingen; bei einem davon kamen zwei Flüchtlinge ums Leben. Roeder saß dafür 13 Jahre in Haft. 1992 gründete er gemeinsam mit Siegfried Godenau erst die „Aktion Ostpreußenhilfe“, 1993 dann nach internen Streitigkeiten gemeinsam mit Konrad Schneider (Neukirchen-Seigertshausen) das „Deutsch-Russische Gemeinschaftswerk“, mit dem er – wie Munier – Russlanddeutsche bei der Ansiedlung unterstützen wollte. Roeder verfolgte jedoch ganz offen weiterreichende Ziele. Wie Munier machte er sich Hoffnungen, Russland könne Kaliningrad, eine weit vom russischen Kernland entfernte Exklave, abstoßen, vielleicht gar Deutschland übertragen. Darüber hinaus war er aber auch der Auffassung, das Gebiet könne eine Art Bindeglied zwischen Deutschland und Russland werden – als Kern einer deutsch-russischen Allianz, die Roeder als Alternative zur „verwestlichten“ EG bzw. EU ansah.

Roeder hat mit seinen Aktivitäten später einen kleinen Skandal ausgelöst. Im Sommer 1994 hatte er sich mit der Bitte an die Bundeswehr gewandt, ausrangierte Autos für sein „Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk“ übernehmen und nach Kaliningrad überführen zu dürfen. Die Bundeswehr fragte beim Auswärtigen Amt nach, ob es Einwände dagegen gebe; und als das Außenministerium dies verneinte – auch die Bundesregierung gab ja schließlich viel Geld aus, um die Russlanddeutschen in Kaliningrad zu halten –, da bekam Roeder von der Truppe einen alten Lkw, zwei kleinere Fahrzeuge sowie haufenweise Spaten und ähnliches Gerät. Im Gegenzug hielt er am 25. Januar 1995 an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg vor rund 30 Offizieren einen ausführlichen Vortrag über die „Situation in Ostpreußen und das Gemeinschaftswerk“. Als all dies Ende 1997 bekannt ­wurde, gab es für die Bundeswehr heftig Ärger. Roeder freilich konnte es ganz egal sein: Er hatte als verurteilter Neonazi in Russland mittlerweile Einreiseverbot.

Munier hat seine „Regermanisierungs“-­Projekte noch eine Zeitlang weitergeführt. Einigen verarmten Russlanddeutschen verschaffte die GST ein Dach über dem Kopf; andere, auch Russen ohne deutsche Vorfahren, nutzten die Deutschkurse des Schulvereins, um ihre Fremdsprachenkenntnisse aufzubessern. Der angestammten Bevölkerung stieß das Germanisierungsgehabe übel auf; letztlich nahm man es aber hin, weil die unangenehmen Deutschen immerhin ein wenig Geld in das verarmte Gebiet brachten und wenig schadeten – von ihrer Deutschtümelei hielten die meisten Russlanddeutschen wenig. Im Jahr 2006 stieg Munier, desillusioniert, aus der GST aus; der neue Chef, ein Russlanddeutscher, begann bald, die Häuser zu verscherbeln. Aus den großen Plänen der extremen Rechten zu Beginn der 1990er Jahre war nichts geworden. 

  • 1Neben Munier traten auch Helge Redeker, Michael Will, Henning Pless, Erika-Luise Urban, Karl-Heinz Panteleit und Folke Schmöller als ADK-Funktionäre auf.
  • 2Verteten u.a. durch Funktionäre wie Helge Redeker, Axel Neu, Ingwert Paulsen und Ilse Conrad-Kowalski. Mitte der 1990er Jahre bestand der Vorstand aus dem Vorsitzenden Winfried Jacobi aus Dinslaken (1. Vorsitzender), Helge Redeker aus Unterschweinbach (stellv. Vorsitzender), Axel Neu aus Kiel (Geschäftsführer und Schatzmeister), Gerlind Mörig aus Klausdorf/Kiel (Schriftführerin). Später sollen Henning Pless aus Hamburg als Vorsitzender, Thomas Grebien aus Kiel als Schatzmeister hinzugekommen sein.
  • 3Auch der lokale "Rußlanddeutsche Kulturverein Trakehnen" wurde zu Muniers Netzwerk gezählt. Das Landgasthaus "Zur Alten Apotheke" in Jasnaja Poljana soll zu der Firma "Bernstein Reisen" aus Muniers Netzwerk zählen. Eine "Gesellschaft für Siedlungsförderung in Trakehnen mbH" von Munier und Redeker sei für Baumaßnahmen vor Ort verantwortlich. Die Firma aus Selent habe laut Berichten aus dem Firmenkreis einen ehrenamtlichen Beirat bestellt, in dem laut Firmen-Unterlagen Günter Rohrmoser, Albrecht Jebens und Gustav Sichelschmidt tätig gewesen sein sollen.