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Die Anbiederung an den rechten Zeitgeist

Michael Lausberg
Einleitung

Die parlamentarische Linke in der BRD nähert sich in weiten Teilen mit Riesenschritten dem rechten Zeitgeist in der Flüchtlingspolitik an. Frühere Positionen werden gegen „realistischere“ eingetauscht anstatt konsequenten Widerstand gegen die rassistischen Zustände zu leisten.

Bild: Flugblatt von Die Linke Solingen

Der damalige Funktionär von "Die Linke" in Solingen, Thomas Holtey, gab der rechten Zeitung "Compact" ein Interview.

Die parlamentarische Linke und die Flüchtlingspolitik

Bündnis 90/Die Grünen waren für die erneute Asylrechtsverschärfung im Winter 2015 mitverantwortlich. Die Asylrechtsverschärfung sieht unter anderem vor, dass Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive früher an Sprachkursen teilnehmen “dürfen“. Der Bund nimmt Ländern und Kommunen zudem einen größeren Teil der Gesamtkosten ab. Im Gegenzug dazu werden Abschiebungen erleichtert und die Balkanstaaten Albanien, Kosovo und Montenegro zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Die Erstaufnahmeeinrichtungen sollen statt Taschengeld künftig verstärkt Sachleistungen ausgeben, etwa in Form von Wertgutscheinen.

Obwohl die Verschärfung innerhalb der eigenen Partei umstritten war, stimmten auch grün regierte Länder im Bundesrat dafür, so dass das Gesetzespaket zum 1. November in Kraft treten konnte. Während die Mehrheit der Länder mit “Ja“ stimmte, enthielten sich die Koalitionen aus Bremen, Niedersachsen (beide Rot-Grün), Brandenburg (Rot-Rot) und Thüringen (Rot-Rot-Grün). Die Regierungen hatten sich nicht auf eine gemeinsame Linie einigen können.
Im Bundestag hatte dem Gesetzespaket lediglich eine Abgeordnete zugestimmt, während der Großteil der Fraktion sich enthielt. Im Bundesrat stimmten dagegen mehrere Länder mit grüner Regierungsbeteiligung zu, darunter Baden-Württemberg. Deren Ministerpräsident Winfried Kretschmann sagte vor der Abstimmung, sein Land stoße „wegen der Flüchtlingszahlen an seine Grenzen“. Mit den Gesetzesänderungen wolle er der Bevölkerung zeigen, „dass wir als Politik in der Lage sind, geschlossen zu handeln“. Nur so könne man „den breiten gesellschaftlichen Konsens“ für die Aufnahme von Flüchtlingen erhalten.1

Besonders Kretschmann steht für „die neuen Grundlinien grüner Flüchtlingspolitik in Zeiten der Massenzuwanderung.“2 Er sprach sich für einen „pragmatischen Humanismus“ aus, der „Kompromisse“ erforderlich mache. Am 1. Oktober 2015 tönte er im Landtag, dass es „ein Fehler, vor allem der politischen Linken, gewesen“, sei, „zu tole­rant gegenüber Verhaltensweisen zu sein, die mit den Werten der Verfassung nicht vereinbar seien. Die Lehre daraus ist: Wer zu uns kommt, den müssen wir auch fordern.3
Diese Linie Kretschmanns wurde nur in Teilen der Partei, u.a. von Claudia Roth und Volker Beck, kritisiert. In Rheinland-Pfalz trat ein Abgeordneter wegen der Flüchtlingspolitik aus seiner Partei aus. In Hessen verließ die grüne Integrationsbeauftragte die Fraktion im Landtag.
Kretschmann warb auch um „Verständnis“ für Maßnahmen im eigenen Bundesland, die Beschlüssen der Partei zuwider laufen: Auf eine Ausweitung der Wohnfläche pro Flüchtling verzichtet Baden-Württemberg, ebenso auf den Grundsatz, Flüchtlinge dezentral in kleinen Einheiten unterzubringen. Stattdessen wird dort künf­tig mit einer zentralen Registrierungsstelle in Heidelberg die Aufnahme besonders straff organisiert.

Rechtspopulismus in der Linkspartei

Auch "DIE LINKE" konnte sich nicht dazu durchringen, dem rechten Zeitgeist die Stirn zu bieten und geschlossen gegen die Verschärfung zu stimmen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow nannte die Enthaltung seines Landes eine „Erinnerung daran, dass ein besseres Gesetz möglich gewesen wäre“.3 Er kritisierte unter anderem, dass die Gesetzesänderung ein dauerhaftes Arbeitsverbot für geduldete Menschen aus „sicheren Herkunftsstaaten“ vorsehe. Die Maßnahme treibe die Geduldeten „in die Ille­galität und die soziale Stigmatisierung“.
Wenige Tage, nachdem die Große Koa­lition beschloss, das Asylrecht weiter zu verschärfen, forderte Oskar Lafontaine (LINKE), die Zahl der Flüchtlinge, denen in der BRD Schutz gewährt wird, durch „feste Kontingente in Europa zu begrenzen und dafür den hier Aufgenommen zu ermöglichen, ihre Ehepartner und Kinder nach zu holen“.4 In rechtspopulistischer Manier behauptete er, „ein stetig ansteigender Zuzug“ hätte „zwangsläufig zur Folge, dass der Nachzug von Familienmitgliedern begrenzt werden müsste. (…) Eine entsprechende klare Aussage der Bundeskanzlerin Angela Merkel fehlt bisher. Nach Auffassung führender Politiker in Europa ist sie daher mittlerweile mit verantwortlich für die stetig ansteigenden Flüchtlingszahlen und das Erstarken rechter Parteien in Europa.“3
Mit seinen populistischen Thesen stellte sich Lafontaine offen in eine Reihe mit der CSU und anderen rassistischen Scharfmacher_innen. Lafontaine startete auch den Versuch, ärmere Deutsche gegen Flüchtlinge auszuspielen: „Die Kosten dürfen nicht diejenigen tragen, die ohnehin schon benachteiligt sind, nämlich die Geringverdiener, Arbeitslosen, Rentner und Familien.“
Gerade Lafontaine zählt zu den „Pionieren der reaktionären deutschen Flüchtlingspolitik“.5 Er war im August 1992 zusammen mit dem damaligen SPD-Vorsitzenden Björn Engholm  für die „Petersburger Wende“ verantwortlich, der Radikalisierung der SPD in der Asyl- und Außenpolitik.

Sarah Wagenknecht bekräftigte die Aussagen Lafontaines zu „europäischen Kontingenten“ in der Flüchtlingspolitik. In einem Interview am 7. Dezember 2015 stellte sie fest: „Wir können nicht jedes Jahr eine Million Menschen aufnehmen. Deshalb muss Deutschland viel mehr dafür tun, dass nicht mehr so viele Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Die Kriege sind ja die Fluchtursache Nummer eins.“6 Weiterhin versuchte sie Teile der Wähler_innen der Linkspartei, die mit den Forderungen von PEGIDA sympathisieren, vom Vorwurf des Rassismus freizusprechen: „Ich halte es genauso für falsch, jeden, der Probleme anspricht, die wir infolge der Flüchtlingskrise haben, oder der sich Sorgen macht wegen steigender Mieten oder Kürzungen an anderer Stelle, in die PEGIDA-Ecke zu stellen.“3
Wagenknechts und Lafontaines Linie in der Flüchtlingspolitik ist keine Randerscheinung in der Linkspartei. Teile der Basis scheinen nicht nur in diesen Punkten übereinzustimmen, sondern insgesamt eine „härtere“ politische Gangart wie die CSU zu fordern. Ein Beleg für diese Stimmung sind die Aussagen von Thomas Holtey, einem von zwei Kreissprechern der Linkspartei in Solingen, die er in einem Interview im September 2015 mit dem Renegaten Jürgen Elsässer für das rechte Magazin „Compact“ machte.
Holtey ist „unzufrieden“ mit der politischen Führung der Linkspartei  und sieht „beim Thema Asyl dringenden Diskussionsbedarf“.7 Dazu bemerkte er:  „Was mich nervt ist (...), dass bei meinen Genossen gegenüber Asylbewerbern so gut wie immer die Unschuldsvermutung gilt. Das bezieht sich sowohl auf das Thema des tatsächlichen oder angeblichen Asylgrundes, als auch auf das Thema der Kriminalität (...), Das Thema Abschiebung ist für viele Linke schlichtweg „böse“ und für sie wahrscheinlich ein Zeichen dafür, wie ‚menschenverachtend‘ unser Staat sei. Dabei könnte man das Agieren dieses Staat tatsächlich als menschenverachtend bezeichnen, jedoch gegen das eigene Volk, schließlich habe ich noch nicht davon gehört, dass die Bürger in punkto Asylpolitik einbezogen werden.7

Die sexuellen Übergriffe an Silvester 2015/16 in Köln und anderswo beherrschten die Medienlandschaft in der BRD mehrere Wochen lang. In diesem Zusammenhang stellte Sarah Wagenknecht fest: "Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt.8 Deshalb musste sie sich gegen ungewöhnlich heftige Kritik der von ihr geführten Bundestagsfraktion wehren. Nur sechs Parlamentarier ergriffen Partei für sie, ansonsten sprach sich nahezu die gesamte Fraktion gegen ihre Vorsitzende aus.  Jan van Aken schrieb auf Twitter, Wagenknechts Aussage sei keine linke Position. Seit der Silvesternacht hätten, laut Wagenknecht, viele Menschen in Deutschland die Befürchtung, dass in der Bundesrepublik „rechtsfreie Räume“ entstanden seien. Seit Jahren seien Stellen bei der Polizei abgebaut worden, so dass die Sicherheitsbehörden „der Probleme nicht mehr Herr“ würden. Sie forderte eine Kurskorrektur und die Aufstockung der Dienststellen bei der Polizei.3

Als Reaktion auf Wagenknechts Äußerungen verabschiedete die Fraktion eine Acht-Punkte-Erklärung, in der sie auch weiterhin Asylrechts- und Strafrechtsverschärfungen konsequent ablehnte: „Für die Linke ist das Prinzip des Rechtsstaats unverhandelbar. Straftaten müssen für alle Menschen die gleichen Rechtsfolgen — unabhängig von Geschlecht, sexueller Orientierung, Äußerem oder Herkunft — haben.“ Die Fraktion sei solidarisch mit Flüchtlingen und verstehe sich als parlamentarischer Arm von den Hunderttausenden von ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer_innen. Die Fraktion lehnte auch die von Lafontaine ins Spiel gebrachten Obergrenzen für die Flüchtlingszahlen ab: „Die Bundestagsfraktion der Linken lehnt Debatten über Obergrenzen ab. Grundrechte kennen keine Obergrenze“.9

Insgesamt gesehen führen die Uneinigkeit, fehlende Konzepte und die teilweise Übernahme von rechten Parolen dazu, dass die parlamentarische Linke keinen Gegenpol zur aktuellen rassistischen Politik darstellen kann. Linke Politik muss darin bestehen, mit allen Mitteln dem rechten Zeitgeist entgegenzutreten und konstruktive Antworten im gegenwärtigen Diskurs zu bieten, ohne sich diesem anzubiedern. „Verständnis“ für die „Sorgen der PEGIDA-Anhänger_innen“ zu haben, ist nichts anderes als Rassismus zu tolerieren.

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Zum Autor: Michael Lausberg, Dr. phil (Politikwissenschaften), studierte Pädagogik, Philosophie, Politikwissenschaften und Neuere Geschichte sowie den Aufbaustudiengang Interkulturelle Pädagogik an den Universitäten Aachen, Köln und Amsterdam.“ Seit 2007 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) und zudem als freier Publizist tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Theorie, extreme Rechte, Rassismus, Antiziganismus sowie Migration. Regelmäßige Veröffentlichungen im Migazin, in hagalil, Netz gegen Nazis, im DISS-Journal, bei Kritisch Lesen und in der Tabula Rasa.