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Die „Alternative für Deutschland“ und der Antisemitismus

Bodo Kahmann
Einleitung

In der „Alternative für Deutschland“ wird der Konflikt um den Umgang mit Israel und Antisemitismus verstärkt in der Öffentlichkeit ausgetragen. Trotz der offen zu Tage tretenden Reibungen, verbindet die Partei eine antisemitische Geschichtspolitik, die zu einer zunehmenden Enttabuisierung und Normalisierung des Antisemitismus in Deutschland beiträgt.

Antisemitismus als Konfliktthema in der AfD-Führungsriege. V.l.n.r.: Beatrix von Storch, Marcus Pretzell und Alexander Gauland.

Sollte der AfD dieses Jahr der Einzug in den Bundestag gelingen, dann wäre der Sonderstatus des bundesdeutschen Parteiensystems in Westeuropa beendet. Dessen Alleinstellungsmerkmal lag bisher darin begründet, dass es in den letzten Jahrzehnten keine rechtsradikale Partei hervorbrachte, die im nationalen Parlament vertreten ist. Der AfD wurde dieses Potential seit ihrer Gründung 2013 von vielen Beobachter_innen zugestanden und wenige Monate vor der Bundestagswahl spricht wenig dafür, dass ihr diesmal der Sprung über die 5-Prozent-Hürde verwehrt bleiben könnte. Da die Partei in den letzten anderthalb Jahren in der Gunst der deutschen Wähler_innen stetig gestiegen ist, scheint es so, als ob ihr Erfolg nur durch interne Streitigkeiten und öffentlich geführte Konflikte ernsthaft gefährdet werden könnte. Einer dieser für die Partei als zentral zu erachtenden Konfliktlinien betrifft den Umgang mit Antisemitismus. Ziel dieses Artikels ist es, die konträren Positionen zum Antisemitismus in der AfD näher auszuleuchten und darzulegen.

Antisemitismus und Israel als Streitthemen in der AfD

Am 17. Januar 2017 hielt Björn Höcke auf Einladung der Jungen Alternative Dresden eine antisemitische Rede zur Erinnerungspolitik in der Bundesrepublik, in der er gegen „Umerziehung“, „Amerikanisierung“ und eine „dämliche Bewältigungspolitik“ wetterte und sich für eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ aussprach. In der medialen und politischen Rezeption stand Höckes Aussage über das Holocaust-Mahnmal im Mittelpunkt, das dieser als eine Schande bezeichnete. In dem Missmut, der sich in Teilen der AfD gegen seine Rede artikulierte, bildet sich eine Konfliktstellung ab, in der sich ideologische, persönliche und machtpolitische Aspekte überlagern.

Im Kern geht es um die Auseinandersetzung zwischen der Parteivorsitzenden Frauke Petry und dem Vorsitzenden des AfD-Landesverbandes in NRW, Marcus Pretzell, auf der einen Seite und Björn Höcke, Alexander Gauland und Jörg Meuthen auf der anderen Seite. So war es wenig überraschend, dass Petry und Pretzell sich umgehend von Höckes Aussagen distanzierten — Petry bezeichnete Höcke als „eine Belastung für die Partei“ — während Gauland und Meuthen ihren Parteifreund öffentlich in Schutz nahmen.

In dieser Auseinandersetzung ist es schwierig, machtpolitische und ideologische Motive voneinander zu trennen. Unbe­stritten ist, dass Frauke Petry und Björn Höcke unterschiedliche Vorstellungen über die Ausrichtung der AfD haben und dem Umgang mit Israel und Antisemitismus eine zentrale Bedeutung in diesem Konflikt zukommt: Petry und Pretzell möchten an die instrumentelle Israelsolidarität anderer rechtsradikaler Parteien in Europa anschließen. Hiervon zeugen nicht nur die Nähe zu Geert Wilders, Marine Le Pen oder Hans-Christian Strache, sondern auch einschlägige Aussagen. Im April 2016 sprach sich Petry in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth gegen Antisemitismus und Kritik an Israel aus. Pretzell sprach auf einem Treffen europäischer Rechtsparteien im Januar 2017 öffentlichkeitswirksam aus: „Israel ist unsere Zukunft“.

Für den von Höcke geführten völkischen Flügel in der AfD, der sich im März 2015 unter dem Namen „Der Flügel“ bildete, ist eine Annäherung an Israel, ganz gleich wie taktisch motiviert diese ist, undenkbar. Eine pro-israelische Haltung gilt in diesen Kreisen als Ausdruck eines deutschen „Schuldkults“, den es zu durchbrechen gilt. Ein entsprechend enges Verhältnis pflegt „Der Flügel“ mit dem Publizisten Jürgen Elsässer dessen antisemitisch und antizionistisch geprägte Online Sendung "Compact-TV", nicht zufällig die Rede von Höcke in Dresden aufzeichnete und ausstrahlte.

Obwohl disparate Stimmen in Bezug auf Israel und Antisemitismus in der AfD existieren, kann dieser Konflikt nicht nur als eine Auseinandersetzung zwischen einem antisemitischen und einem nicht-antisemitischen Lager begriffen werden. Zum einen deshalb, weil Gauland und Meuthen den Antisemitismus Höckes nicht teilen, wenngleich sie ihn tolerieren und akzeptieren. Zugleich bestärkt auch Petry antisemitische Tendenzen in der AfD: Nur wenige Monate nach ihrem Interview, in dem sie sich gegen Antisemitismus und Israelfeindschaft ausgesprochen hatte, forderte sie, dass der Begriff des Völkischen wieder positiv besetzt werden soll.

Es war nicht das erste Mal, dass Personen aus dem Bundesvorstand der "Alternative für Deutschland" NS-belastete Begriffe verwendeten. Nach Informationen von Spiegel Online sprach Alexander Gauland mit Blick auf die neu gewählte national-konservative Regierung in Polen davon, dass es „die Sache der Polen [sei], zu entscheiden, wie viele Flüchtlinge sie in ihrem Volkskörper haben wollen“. André Poggenburg beschwor seinerseits die Verantwortung für die „Volksgemeinschaft“ in einem Weihnachtsgruß seines Landesverbandes.

Antisemitische Geschichtspolitik als ideologische Klammer der AfD

Es handelt sich hierbei um inszenierte Tabubrüche. Kern dieser Inszenierung ist die Behauptung den historisch-ideologischen Gehalt solcher Begriffe nicht zu kennen und diese ausschließlich deskriptiv verstanden wissen zu wollen. So begründete Petry ihre Forderung damit, dass völkisch das zugehörige Adjektiv zu Volk sei. Richtig ist hingegen: Der Begriff des Völkischen kann nicht rehabilitiert werden, ohne, dass die Ideen der völkischen Bewegung und der mit ihr verbundene Antisemitismus aufgewertet werden. Bei den Begriffen „Volkskörper“ und „Volksgemeinschaft“ handelt es sich um zentrale Deutungsmuster eines radikalen Rechtsnationalismus, die seit der Zeit des Nationalsozialismus nicht vom Antisemitismus zu trennen sind.

Die AfD wird unter anderem durch eine antisemitische Geschichtspolitik zusammengehalten. Die Partei findet im Kampf gegen eine allmächtig gewähnte „Political Correctness“ zu sich, deren Ziel die Beseitigung mühsam erkämpfter und durchgesetzter Sensibilisierungs- und Lernprozesse im Hinblick auf die NS-Vergangenheit ist. Die AfD arbeitet einträchtig daran, antisemitisch grundierte Begriffe und Konzepte wieder in das Sagbarkeitsfeld der Politik zu ziehen, die in der Geschichte der Bundesrepublik nur mühsam und in einem Jahrzehnte währenden Prozess aus dem politischen Raum verdrängt werden konnten.Die Kehrseite des Wunsches nach einer Wiederaneignung dieser Begriffe ist der Versuch, die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den Holocaust in Frage zu stellen. Die Forderung nach einer Marginalisierung der Erinnerung an die NS-Barbarei wurde in dem im Jahr 2016 verabschiedeten Grundsatzprogramm der AfD festgehalten: In dem Kapitel „Kultur, Sprache und Identität“ heißt es:

Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.

Es lässt sich leicht belegen, dass es diese Verengung nicht gibt. Davon zeugen zum Beispiel die jährlichen Gedenkveranstaltungen für die deutsche Wiedervereinigung oder der Volkstrauertag. Für die Erinnerungs- und Schuldabwehr ist es charakteristisch, dass sie wahrheitswidrig und in Form antisemitischer Anspielungen behauptet, dass neben der Erinnerung an den Holocaust keiner anderen geschichtlichen Ereignisse gedacht werden dürfe. Zugleich ist ersichtlich, dass der Streit um die Dresdner Rede von Björn Höcke in erster Linie die Wortwahl, jedoch nicht den Inhalt zum Gegenstand hat. Selbst bei einem wenig wahrscheinlichen Ausscheiden von Höcke würde die AfD zu einer zunehmenden Normalisierung und Enttabuisierung des Antisemitismus in Deutschland beitragen.

Die Langfassung des Textes erscheint im Mai: AfD und Judenbild. Eine Partei im Spannungsfeld von Antisemitismus, Schuldabwehr und instrumenteller Israelsolidarität. In: Stephan Grigat (Hg.): AfD & FPÖ. Antisemitismus, Nationalismus und Geschlechterbilder. Baden-Baden: Nomos (zusammen mit Marc Grimm).