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Der Tod von Phan Văn Toàn im Kontext der "Baseballschlägerjahre"

„Gedenkinitiative Phan Văn Toàn“ (Gastbeitrag)

Am Vormittag des 31. Januar 1997 kommt es am S-Bahnhof Fredersdorf zum Streit zwischen dem Zigarettenverkäufer Phan Văn Toàn sowie einer Gruppe von Männern, die dort regelmäßig trinken und Fahrräder "bewachen". Im Zuge des Streits schlägt der 36-jährige Uwe Z. Phan Văn Toàn ins Gesicht. Dann kommt der 30-jährige Olaf S. dazu. Der über 1.90 m große und 100 kg schwere Mann packt Phan Văn Toàn an den Hüften, hebt ihn hoch und schlägt seinen Kopf mehrmals mit voller Wucht auf den Steinboden. Phan Văn Toàn hat keine Chance, sich gegen den bulligen Mann zu wehren. Beim Aufprall erleidet er einen doppelten Lendenwirbelbruch. Daraufhin wird er ins Krankenhaus eingeliefert und liegt mehrere Tage im Koma. Fortan ist er querschnittsgelähmt und kämpft drei Monate um sein Leben. In einer Rehabilitationsklinik stirbt er schließlich am 30. April 1997 an einem akuten Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Obduktion ergibt, dass die Todesursache die direkte Folge des Angriffs war.

Bekannte von Olaf S. und die Staatsanwaltschaft gehen bei dem Angriff auf Phan Văn Toàn von „Ausländerhass als bestimmendem Motiv“ aus. Dementsprechend wird er wegen Mordes aus niedrigen ­Beweggründen angeklagt. Selbst im ­Gerichtssaal äußert sich Olaf S. noch rassistisch über Vietnames*innen und sagt „im Suff hab‘ ick Ausländerhass“. Die 5. Strafkammer am Landgericht Frankfurt (Oder) sieht das rassistische Motiv jedoch nicht als erwiesen an und verurteilt den Haupttäter lediglich wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neuneinhalb Jahren. Dabei kommt Olaf Z. zugute, dass das Gericht es mit vierprozentiger Wahrscheinlichkeit für möglich hält, dass zum Tatzeitpunkt seine diagnostizierte Persönlichkeitsstörung zum Vorschein kam und er dementsprechend vermindert steuerungsfähig gewesen sein könnte. Der ­Mittäter Uwe Z. kommt mit einem Jahr auf Bewährung davon. Die Polizei wertet den Fall ab dem Zeitpunkt nicht mehr als „fremdenfeindliche Straftat“.

Anti-asiatischer Rassismus als Teil der sogenannten „Baseballschlägerjahre“

Mit der Publikation der RBB-Dokumentarserie „Baseballschlägerjahre – Die Wendegeneration und die rechte Gewalt“ wurde der Hashtag #Baseballschlägerjahre des Journalisten Christian Bangel über den medialen Kontext hinaus zur Thematisierung von Ereignissen und Erinnerungen aus der Zeit, aufgegriffen. Beeindruckend in der Serie ist das Portrait des ehemaligen Vertragsarbeiters Nguyen Dinh Khoi, der erzählt, wie er sich mit seinen Kolleg*innen gegen rechte Übergriffe gewehrt hat1 . Aus Asiatisch-Deutscher Perspektive sind die Progrome in Hoyerswerda (1991)2 und Rostock-Lichtenhagen (1992)3 stark im Fokus kollektiver Erinnerungen an die Wendezeit.

Der rassistische Mord an Phan Văn Toàn ist im Kontext des gesellschaftlichen und politischen Klimas dieser Zeit einzuordnen, in der Angriffe auf (Post)Migrant*innen, „Linke“ und obdachlose Menschen fast alltäglich waren. Eine größere Anzahl von ehemaligen vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen, die nach der Wiedervereinigung in Deutschland blieb, durchlebte zwischen 1989 und 1997 eine Zeit der Prekarität und beruflichen Unsicherheit, da sie aus den Betrieben, für die sie staatlich angeworben worden waren, entlassen wurden. Erst 1997 wurde mit der zweiten Bleiberechtsregelung im deutschen Ausländergesetz eine rechtliche Grundlage für einen langfristigen Aufenthaltsstatus und somit eine Arbeitserlaubnis für den regulären Arbeitsmarkt für sie geschaffen.

Diese unsichere Übergangsphase, in der beispielsweise auch Phan durch die äußeren Umstände gezwungen war, seinen Lebensunterhalt mit informellen Gelegenheitsjobs wie dem ­Zigarettenverkauf an S-Bahnhöfen zu bestreiten, stellte damals die Lebensrealität einer Vielzahl von Menschen dar. Die ­Markiertheit als „Asiatisch“ und BPOC verstärkte ihre Vulnerabilität im öffentlichen Raum. Das Gefühl, an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, jederzeit mit Angriffen rechnen zu müssen, muss eine große Belastung dargestellt haben. Zeitzeug*innen betonen jedoch, dass sie sich nicht ausschließlich als Opfer der damaligen Verhältnisse sehen, sie hätten ihr Leben durchgezogen, auch gefeiert, Freundschaften aufgebaut und Familien gegründet.

Die Angst, insbesondere nach Anbruch der Dunkelheit im öffentlichen Raum angegriffen zu werden, hätte sie jedoch jahrelang begleitet. Dieses Lebensgefühl wird beispielsweise auch in Angelika Nguyens Film „Bruderland ist abgebrannt“ (1992)4 beschrieben und Mai Phuong Kollath, eine Aktivistin und Zeitzeugin des Progroms von Rostock-Lichtenhagen, berichtete Ähnliches auf der korientation-­Diskussionsveranstaltung „Remember, Resist, Unite“5 .

Herausforderungen einer regelmäßigen Gedenkpraxis

Am 31. Januar 2021, also 24 Jahre nach dem Angriff, fand zum ersten Mal eine Kundgebung in Gedenken an Phan Văn Toàn in der Nähe des Angriffsortes am Bahnhof in Fredersdorf (bei Berlin) statt. Wegen der Pandemiesituation wurde gleichzeitig noch zu einem dezentralen Gedenken aufgerufen. Am Gedenkort hing ein Transparent, welches auf die Tat aufmerksam machte, außerdem wurden Blumen niedergelegt.

Nur wenige Stunden später wurde dieser selbstgeschaffene Gedenkort zerstört. Auf dem Twitterkanal der JN (Junge Nationalisten – Jugendorganisation der NPD) Berlin-Brandenburg wurde ein Foto von vermummten jungen Männern gepostet, die mit dem umgedrehten Transparent in Hooligan-Manier posierten. Wie sich herausstellte, handelte es sich hierbei um die aktive Neonazi-­Jugendgruppe „Division MOL“ 6 .

Neben der Zerstörung des Gedenkortes wurden die Organisator*innen von Lokalpolitiker*innen aus Fredersdorf, die sich offenbar nicht mit dieser rassistischen Gewalttat in ihrem Ort auseinandersetzen wollen, als „Nestbeschmutzer“ bezeichnet. Für die Schaffung von einem festen Gedenkort als einen Ort der Erinnerung an Phan Văn Toàn, sowie für weitere Gedenkveranstaltungen, stellen diese beiden Punkte enorme Schwierigkeiten und Herausforderungen dar. Auch, dass die Tat schon viele Jahre zurückliegt und lokale Akteur*innen fehlen, die zu dieser Zeit davon mitbekommen haben oder vielleicht auch Freund*innen oder auch Angehörige von Phan Văn Toàn waren, erschweren den Prozess zusätzlich.

Im Nachgang der Kundgebung hat sich eine Gedenkinitiative für Phan Văn Toàn gegründet. Für die Gedenkinitiative ist klar, dass Phan Văn Toàn als Todesopfer einer rassistischen Gewalttat niemals vergessen werden soll. Durch die Kundgebung fiel auf, dass viele Fredersdorfer*innen nichts von dieser Tat wissen oder die Augen vor ihr verschlossen haben. So wurde als erste Aktion ein Infoflyer in der Nähe des örtlichen Bahnhofes verteilt, der sowohl über Phan Văn Toàn und die Tat informierte als auch konkrete Beteiligungsmöglichkeiten darstellte. Weiterhin wurde eine Podiumsdiskussion veranstaltet, die die Tat in die bereits genannten „Baseballschlägerjahre“ einordnen sollte 7 .

Phan Văn Toàns Leben nahm ein viel zu frühes Ende. Die Gewalttat an sich und auch sein Tod sind leider ebenfalls kein Einzelfall sondern reihen sich in eine lange Liste rassistischer und rechter Gewalttaten mit ein. Somit sehen wir, dass sowohl antifaschistische als auch gedenkpolitische Arbeit von enormer Wichtigkeit sind. Aus diesem Grund stellt die Opferperspektive, eine Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Brandenburg, eine Ausstellung über die brandenburger Todesopfer rechter Gewalt kostenfrei zur Verfügung8 .

Gerne würden wir hier mit einer ausführlichen Beschreibung zu Phan Văn Toàn und seinem Leben enden wollen. Leider war es uns als Gedenkinitiative bisher kaum möglich diese Informationen zu erhalten und zusammenzutragen. Es ist lediglich bekannt, dass er zum Zeitpunkt der Tat 42 Jahre alt war, von Vietnam nach Deutschland gezogen ist und seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Zigaretten verdiente.