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Der Rechtsruck der Mitte

Regina Wamper
Einleitung

Bei der Frage nach autoritären Formierungen in Deutschland und Europa und den Bedingungen für den rasanten Aufstieg der "Alternative für Deutschland" (AfD), ist die Debatte um Flucht und Migration relevant. In ihr verdeutlichen sich die Verschiebungen im politischen Diskurs. Es war und ist nicht maßgeblich die AfD, von der diese Verschiebungen ausgingen.

Am 26. August 2018 kam es in Chemnitz zu einer Auseinandersetzung zwischen sechs Personen. Eine Person wurde getötet. In den Leit-Medien wurden die Tatverdächtigen entlang ihrer Herkunft als geflüchtete Syrer und Iraker benannt, der getötete hingegen wurde oftmals entlang seiner Berufswahl als Schreiner bezeichnet. Der Problemzusammenhang war mit dieser Erzählung bereits aufgemacht. In sozialen Medien tauchte unter Rassist_innen dementsprechend schnell die Geschichte auf, dass Flüchtlinge „einen von uns“ getötet hätten und fügten hinzu, dass dies dann sicherlich etwas mit einer als libe­ral imaginierten Flüchtlings- und Asylpolitik zu tun habe. Noch am Abend des Tattages und an folgenden Tagen kam es zu extrem rechten Demonstrationen, in deren Zuge rassistische und antisemitische Übergriffe und Angriffe erfolgten. Auch politische Gegner_innen wurden attackiert.

Sämtliche Leitmedien lehnten die Ausschreitungen ab. Der Sprecher der Bundesregierung Steffen Seibert verurteile „Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens“. Es dürfe „keine Selbstjustiz“ geben. Auch bei der "Gewerkschaft der Polizei" (GdP) sprach man von der Gefahr, „dass die Bürger das Recht selbst in die Hand nehmen und auf Bürgerwehren und Selbstjustiz bauen“.

Erstaunlich war, dass nicht die Phrase der Selbstjustiz zum Anstoß öffentlicher Debatten wurde und auch nicht, dass die GdP offensichtlich meinte, Neonazis hätten durch rassistische und antisemitische Angriffe „das Recht selbst“ in die Hand genommen, ganz als ob die Opfer der Angriffe irgendetwas mit der Tat zu tun gehabt hätten. Auch der Begriff der Selbstjustiz vermittelt dies und entsprechend des rassistischen Framings der Tat war eine solche Aussage absehbar. Stein des Anstoßes war hingegen der Begriff der Hetzjagden. Den hatte auch Merkel selbst genutzt: „Wir haben Videoaufnahmen darüber, dass es Hetzjagden gab […] und das hat mit unserem Rechtsstaat nichts zu tun“.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer widersprach in einer Regierungserklärung im Sächsischen Landtag. Es habe keinen Mob, keine Hetzjagden und keine Pogrome gegeben. Der ehemalige Präsident des Bundesamts für Verfassungs­schutz, Hans-Georg Maaßen, teilte dies und behauptete ferner, dass keine Belege dafür vorliegen würden, dass das im Internet diesbezüglich kursierende Video zu diesem Vorfall authentisch sei. Er nehme an, dass es sich um eine gezielte Falsch­information handele. Innenminister Horst Seehofer schließlich zeigte in der "Rheinischen Post" Verständnis für „eine Aufregung und eine Empörung in der Bevölkerung wegen dieses Tötungsdelikts“ und damit für die Demonstrationen. Er selbst, so sagt er, wäre dort mitgelaufen, wenn er nicht Innenminister wäre, allerdings natürlich nicht mit „Radikalen“. Er meinte, die Migrationspolitik sei Ursache für den Aufstieg extrem Rechter und nicht nur dafür, denn „die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land“. Viele Menschen würden eben „ihre sozialen Sorgen mit der Migrationsfrage“ verbinden.

Und letzteres stimmt ja auch irgendwie. Die Ethnisierung des Sozialen ist ein durchaus gängiges, wenn auch rassistisches Deutungsmuster, ebenso wie die Ethnisierungen von Sexismus und von Kriminalität im Allgemeinen. Für diese Interpretationen, die Probleme ins ethnisch andere zu legen, braucht es eigentlich gar keinen Seehofer und ebensowenig eine AfD. Dieser Begründungszusammenhang findet sich nicht erst seit 2015 in den Leitmedien selbst, es ist eine vielfach erzählte Geschichte. Der Flucht- und Migrationsdiskurs von 2015 war durchzogen von der Konstatierung bzw. Befürchtung von denormalen Zuständen: Steigende Migration bedinge Kriminalität, höhere soziale Ungleichheit und auch die Terrorgefahr in Deutschland steige. Zudem wurde Migration als ursächlich für Rassismus angenommen.

Die Markierung von Geflüchteten als Problemursache für allerlei bis hin zum Rassismus, ist ein zentrales extrem rechtes Argumentationsmuster und sie war ein gängiges Deutungsschema in bürgerlichen Diskursen während der Fluchtdebatte. Seehofer hat dies mit seinem Statement in Stein gemeißelt. Die „Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme in diesem Land“. Das heißt im Umkehrschluss auch, ohne Migration gäbe es keine politischen Probleme in diesem Land. Rassismus wird so zur Selbstverteidigung einer marginalisierten und bedrohten autochtonen Bevölkerung.

Nun sollte dieser Ausspruch Seehofers nicht verwundern. Er ist neben etlichen anderen in seiner Partei nicht ganz unbekannt für solche Positionen. Bei einem Deutschlandtag der Jungen Union 2010 meinte er, „Wir wollen nicht zum Sozialamt für die ganze Welt werden“ und ein Jahr später fügte er auf dem politischen Aschermittwoch hinzu, dagegen werde sich die Berliner Koalition „bis zur letzten Patrone“ wehren. Ob das seine Forderungen nach Obergrenzen für Asylsuchende waren (und damit nach einer Abschaffung des Asylrechts) oder sein Ausspruch, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, ob sein Wunsch nach Ankerzentren oder seine ausgedrückte Freude darüber, dass ausgerechnet an seinem 69. Geburtstag 69 Personen nach Afghanistan abgeschoben wurden, ob das jüngst die bundesweite Plakataktion zur „Freiwilligen Rückkehr“ war, Seehofer war nie verlegen um das Äußern von Positionen, die eher Vertreter_innen extrem rechter Parteien zugeschrieben werden.

Er ist mit solchen Parolen nicht allein in der CSU. Es sei nur kurz an Andreas Scheuer erinnert, der 2016 beim Regensburger Presseclub sagte: „Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist. Weil den wirst Du nie wieder abschieben.“ Wie substanziell solche Positionen sind, dass sie eben nicht nur plumper „Populismus“ sind, wird spätestens durch einen Gastbeitrag von Alexander Dobrindt in der Welt deutlich. Dobrindt beklagt da eine vermeintliche linke Meinungshegemonie und konstatiert: „Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger. Wir unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik.“ Wir hier unten rechts gegen die da oben links.

Zur Erinnerung: Der Ruf nach einer "Konservativen Revolution" ist eben kein Ausdruck des Konservatismus, der Wahrung des Bestehenden, sondern ein Aufruf zum nationalen Umsturz. Armin Mohler, ein Vordenker der "Neuen Rechten" nutze diesen Begriff 1950 als umstrittenen Sammelbegriff für unterschiedliche völkische, jungkonservative und nationalrevolutionären Bewegungen der Weimarer Republik. Mohler versuchte so eine scharfe Trennungslinie zu nationalsozialistischen Ideen herzustellen, um der intellektuellen extremen Rechten eine halbwegs saubere Ahnenreihe zu verschaffen.

Auch schon vor Mohler wurde dieser Begriff für einen nationalen Umsturz verwendet. Beispielsweise von Edgar Jung, der ein Jahr nach seinem 1931 erschienenen Buch „Die Herrschaft der Minderwertigen“ den Aufsatz „Deutschland und die konservative Revolution“ veröffentlichte. Darin hieß es: „Konservative Revolution nennen wir die Wiederinachtsetzung all jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann. An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesellschaft, an Stelle der mechanischen Wahl das organische Führerwachstum, an Stelle bürokratischen Zwangs die innere Verantwortung echter Selbstverwaltung, an Stelle des Massenglücks das Recht der Volkspersönlichkeit. Die Grundhaltung des neuen Menschen, der diese Ordnung begründet, die dadurch die Persönlichkeit und ihr Eigenstes erst wieder herstellt, daß sie diese in demütige Beziehung zum Ganzen setzt, […] ist eine religiöse.“

Dobrindt ist sicherlich kein Revolutionär, die CSU keine sonderlich umstürzlerische Partei. Aber was Dobrindt hier deutlich gemacht hat, ist: Sollte es zu einem nationalistischen Umsturz kommen, zu einer Konservativen Revolution, dann wird die CSU an ihrer Seite stehen.

(Regina Wamper ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung. Dort forscht sie meist diskursanalytisch zur extremen Rechten, zu Rassismus und Antifeminismus. Sie veröffentlichte u.a. zusammen mit Margarete Jäger 2017 eine Studie zum Fluchtdiskurs 2015/2016 und ist Mitherausgeberin des beim Unrast-Verlag erschienenen Sammelbandes „Autoritäre Zuspitzung. Rechtsruck in Europa“.)