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Der außerparlamentarische Lückenfüller

Einleitung

Der große Zuspruch, den die PEGIDA-Bewegung erfahren hat, sorgte für Aufsehen und Verwunderung. Die Ursachen für diesen rasanten Erfolg sind für viele Menschen bis heute nicht nachvollziehbar. Einige Kernaussagen der PEGIDA-DemonstrantInnen lassen jedoch trotz der Diffusität der Bewegung Rückschlüsse auf einen wichtigen Mobilisierungsfaktor zu. Die überwiegende Mehrheit misstraut den etablierten Parteien und ist damit auf parlamentarischer Ebene heimatlos. Eine politische Heimatlosigkeit, der PEGIDA, zumindest in einem gewissen Grad und für kurze Zeit, Abhilfe schaffen konnte.

Foto: Franz Ferdinand Photography/CC BY-ND 2.0

Die PEGIDA-Bewegung startete mit der Forderung, religiöse Konflikte sollten nicht auf deutschem Boden ausgetragen werden, sowie mit einer schlecht getarnten Islamfeindlichkeit, in der vor einer „Islamisierung“ Deutschlands und Europas gewarnt wurde. Diesem plumpen Rassismus folgten die Forderungen nach einer Verschärfung des Asylrechts und der Ausweisung „krimineller Ausländer“. Was zunächst als vermeintliche „Islamkritik“ daherkam, enthüllte schnell den Kern der Bewegung als nationalistisches und rassistisches Projekt.

„Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“

Eine Analyse der Äußerungen von PEGIDA-AnhängerInnen sowie zentraler Forderungen des OrganisatorInnenteams verdeutlicht, dass sich PEGIDA als rechtspopulistisch einordnen lässt. Die Vorstellung großer Teile der PEGIDA-AnhängerInnen, sie seien „das Volk“, das von der „Elite“ des Landes ausgenutzt und belogen werde, gehört schon seit Jahren zum Stammrepertoire des Rechtspopulismus in Europa, und das nicht ohne Erfolg.

Diese Selbststilisierung zum „unterdrückten Volk“ wurde zu einer der prägenden Elemente von PEGIDA und ergänzt sich hervorragend mit anderen Aussagen und Mobilisierungsaspekten. Das Wort „Lügenpresse“ wäre strategischer agierenden RechtspopulistInnen wohl zu negativ behaftet, aber auch eine andere Wortwahl kann nicht über die Intention hinwegtäuschen. RechtspopulistInnen werden nicht müde, die Presse für die Schaffung und Aufrechterhaltung von vermeintlichen Tabus und Political Correctness anzugreifen. Es wird suggeriert, dass Themenfelder wie Migration und Islam von der „Elite“ und der sie unterstützenden Presse schön geredet und Probleme bewusst unter den Tisch gekehrt würden. Etliche PEGIDA-AnhängerInnen haben sich in den wenigen Interviews mit Aussagen über die Rolle der Presse, die an der Grenze zum verschwörungstheoretischen liegen, um Kopf und Kragen geredet. Dass nach der Konstruktion eines Gegensatzes von „Volk“ und „Elite“ und der Feststellung der manipulierenden Rolle der Presse ein Sündenbock gefunden werden muss, ist nur logische Folge. Am besten tritt es sich eben nach unten. Geflüchtete werden so zur Bedrohung stilisiert. Diese seien aus Sicht von PEGIDA nicht nur kriminell, sondern würden aufgrund ihrer Kultur und Religion auch die deutsche bzw. westliche Kultur und Identität, was immer das heißen mag, in Frage stellen. Der „Elite“ wird dabei die Rolle zugeschrieben dies zuzulassen und durch lasche Gesetze und „Gutmenschentum“ eine aus dem Ruder gelaufene Einwanderung zu fördern. Auffällig bei PEGIDA ist nicht zuletzt, dass sozioökonomische Aspekte kaum eine Rolle spielen. Der Fokus liegt auf soziokulturellen Fragestellungen.

Parteipolitische Leerstelle

In den letzten Jahren versuchten sich Parteien aus dem Rechtsaußenspektrum immer wieder in der deutschen Parteienlandschaft zu etablieren. Mit einigen wenigen Ausnahmen auf Landesebene waren diese Versuche jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Damit war Deutschland eine Ausnahme im politischen Europa. Während in vielen Ländern rechtspopulistische Parteien teilweise große Erfolge feierten, verblieb die Leerstelle zwischen rechts-konservativer CDU und neonazistischer NPD unausgefüllt. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Ein Grund liegt im starken Konservatismus in Deutschland, der in Form von FAZ, katholischer Kirche und CDU/CSU lange Zeit nationalkonservative Politik und Werte abdeckte. Dieser Bereich wird in vielen europäischen Ländern durch die jeweiligen rechtspopulistischen Parteien gefüllt.

Rechtspopulistische Parteien stehen jedoch spätestens mit der Übernahme von Regierungsverantwortung vor einem ernsthaften Problem, da die Anti-Establishment-Rhetorik so schnell unglaubwürdig erscheint. Sehr deutlich wurde dies etwa am Beispiel der FPÖ in Österreich, die 1999 als zweitstärkste Partei aus den Wahlen hervorging und während der nachfolgenden Regierungsbeteiligung stetig an Stimmen verlor. Der Slogan „Sie sind gegen ihn, weil er für euch ist“, der auf den Wahlplakaten neben Haiders Konterfei prangte, kann als stellvertretend für die rechtspopulistische Rhetorik begriffen werden.

Interessant ist die Rolle der CDU/CSU in zweierlei Hinsicht. Zum einen, weil viele klassische CDU/CSU-Themen wie Familienpolitik, strikte Asyl- und Migrationspolitik und ein sehr positiver Bezug zur deutschen Identität auch bei PEGIDA eine wichtige Rolle spielen. Zum anderen, weil viele der PEGIDA-AnhängerInnen der CDU/CSU den Rücken kehren oder sie gar nicht erst als Wahlmöglichkeit in Betracht ziehen. Trotz erkennbarer Themenüberschneidung wird die CDU/ CSU als ein maßgeblicher Teil der sogenannten Elite rigoros abgelehnt. Viele Menschen fühlen sich von dieser Elite verraten, übergangen und ausgenutzt. Mit der neonazistischen NPD können sich die meisten jedoch ebenso wenig identifizieren. Das bedeutet, dass viele Menschen sich in ihrer politischen Auffassung weder vom Parlament noch durch eine andere Partei vertreten sehen. Das schafft Frust. Frust, der einen Kanal benötigt. PEGIDA bot diesen Kanal und war vor allem aufgrund seiner inhaltlichen Diffusität so attraktiv. Dazu gehörte das konfuse Konstrukt eines unterdrückten Volkes und einer gefährdeten natio­nalen Identität, ebenso wie die Propagierung diverser Feindbilder. Eine parlamentarische Alternative konnte so nicht entstehen, PEGIDA bot und bietet jedoch die Möglichkeit, wöchentlich mit tausenden, vermeintlich Gleichgesinnten den eigenen Vorurteilen, Hass und Wut freien Lauf zu lassen und Bestätigung zu erhalten. 

Und die AfD?

Nun kann natürlich entgegnet werden, dass es mit der AfD zur Entstehungszeit von PEGIDA durchaus eine rechtspopulistische Alternative gab und die damit angesprochene Leerstelle zwischen Konservatismus und Neonazis ausgefüllt gewesen sei. Die AfD verzeichnete ja auch in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gute Ergebnisse bei den Landtagswahlen. Dieses Argument wird der Genese des erfolgreichen Rechtspopulismus aber nicht gerecht. Etwa mit Blick auf den Erfolg rechtspopulistischer Parteien in Skandinavien ist festzustellen, dass dieser nicht über Nacht gewachsen ist. Die Fortschrittspartei aus Norwegen und die Dänische Volkspartei haben ihre Wurzeln in den frühen 1970er Jahren. Der etwas schneller einsetzende Erfolg der Schwedendemokraten ist nach wie vor inmitten eines Etablierungsprozesses zu sehen. Vergleichen lassen sich diese Erfolge mit rechtspopulistischen Strohfeuern wie z.B. der Schill-Partei in Hamburg jedoch kaum. Die AfD ist eine junge Partei, und trotz guter Wahlerfolge auf Landes- und Europaebene steht der Beweis für die Standhaftigkeit und Glaubwürdigkeit noch aus. Wäre die AfD schon eine anerkannte und erfahrene Größe gewesen, wäre die rechtspopulistische Leerstelle zwischen CDU/CSU und NPD ausgefüllt.

Es ist zu vermuten, dass dies vielen PEGIDA-DemonstrantInnen als politische Heimat und Vertretung ausgereicht hätte. Die Forderungen von PEGIDA und auch das Spielen mit nationaler Identität hätten nicht dieselbe Anziehungskraft entfalten können. PEGIDA spielt sich als Tabubrecher und Wahrheitsfinder auf und wurde zur Identifikationsmöglichkeit für tausende Menschen. Die Agenda ist ganz klassisch rechtspopulistisch. Die AfD hat das Potential, diesen Raum zu besetzen. Ob es ihr gelingen wird, kontinuierlich über Jahre hinweg die WählerInnen bei der Stange zu halten und sich nicht in internen Streitigkeiten zu verlieren, wird sich zeigen. PEGIDA und ihre Abspaltung „Direkte Demokratie für Europa“ werden bald wieder verschwinden. Es ist ihnen aber gelungen, rassistische und nationalistische Meinungen bei vielen Menschen hoffähig zu machen und den Diskurs politischer Parteien auch über die AfD hinaus nach rechts zu beeinflussen. Einige von PEGIDAs Kernforderungen wie die eines Einwanderungsmodells nach Vorbild der Schweiz und Kanada werden mittlerweile auch in den etablierten Parteien diskutiert.