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Das Mittelmeer ist keine menschenrechtsfreie Zone

Marei Pelzer (Gastbeitrag)
Einleitung

Menschenrechtsgerichtshof verurteilt Italien wegen völkerrechtswidrigen Zurückweisungen nach Libyen.

Foto: flickr.com; noborder network;/CC BY 2.0

Mit alten Holzbooten wagen Flüchtlinge die Überfahrt, in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Im Jahr 2011 verloren rund 2.000 Menschen ihr Leben auf dem Mittelmeer: Sie ertranken, verdursteten und verhungerten elendig bei dem Versuch, mit hochseeuntauglichen und völlig überladenen Booten die Europäische Union (EU) zu erreichen. Damit zählen sie zu den über 17.000 Menschen, die nach Schätzungen des Internetportals »Fortress Europe« seit 1988 entlang der europäischen Außen­grenzen ums Leben gekommen sind, davon etwa 12.900 im Mittelmeer und im Atlantik. Es ist das Ergebnis der mörderischen Grenzpolitik der euro­päischen Regierungen: Die Lebensrettung von Schiffbrüchigen wird verweigert, Kapitäne die sie dennoch aufnehmen werden wegen »Beihilfe zur illegalen Einreise« angeklagt und vor Gericht gestellt. Die Konsequenz: Hilferufe Schiffbrüchiger werden von vorbeifahrenden Schiffen ignoriert.

Flüchtlinge legen Beschwerde ein

Anders als in der Vergangenheit gelang es, die Vorfälle vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) zu bringen. Beschwerdeführer waren der Somalier Sabir Jamaa Hirsi sowie zehn weitere somalische und 13 eritreische Flüchtlinge. Sie wurden im Mai 2009 zusammen mit 200 weiteren Flüchtlingen auf dem Mittelmeer von der italienischen Küstenwache an Bord genommen und umgehend dem Gaddafi-Regime ausgeliefert. Hirsi und die anderen Beschwerdeführer machen geltend, dass die italienische Regierung damit gegen Art. 3 der Europäischen Menschen­rechtskonvention (EMRK) verstoßen hat: »Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden«. Weiterhin sieht er eine Verletzung des Verbots der Kollektivausweisung als gegeben an. Außerdem wurde das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf verletzt.

Am 23. Februar 2012 hat der EGMR Italien wegen umfassender Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Erstmals hat das Gericht damit über die Frage der Zurückweisung von Flüchtlingen auf Hoher See entschieden. Die Zurückweisung nach Libyen durch die italienische Küstenwache stellt einen Bruch der Europäischen Menschenrechtskonvention dar.

Wegschauen der anderen EU-Staaten

Das Urteil kommt für zahlreiche Opfer zu spät. Mindestens einer der klagenden Flüchtlinge starb bei einem erneuten Versuch nach Europa zu gelangen. Dass sich in dem EGMR-Verfahren keine der EU-Regierungen auf die Seite Italiens stellte, ist hierbei nur ein schwacher Trost. Lautstarker Protest seitens der EU-Mitgliedsstaaten und der Kommission sowie das Einleiten eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Europäischen Gerichtshof wären als Reaktion mehr als angemessen gewesen. Doch man ließ Berlusconi gewähren und bestärkte ihn noch: Im Sommer 2010 reiste die zuständige EU-Kommissarin Malmström selbst nach Tripolis, um die Verhandlungen zwischen der EU und Libyen über weitere Kooperationen im Bereich »Flucht und Migration« voranzubringen. Und nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes ließ man die Rebellen in Libyen erklären, dass sie beabsichtigten, die mit der EU bestehenden Kooperationsverträge in Fragen der Migration einzuhalten. Italien und seine stillschweigenden Komplizen sind somit unverbesserliche Wiederholungstäter.

Fazit

Das Urteil hat Konsequenzen für die europäische Grenzpolitik und die EU-Grenzagentur FRONTEX. Die Menschenrechte enden nicht an den Staatsgrenzen, deshalb müssen sie bei »vorverlagerten Grenzkontrollen«, also Kontrollen auf Hoher See, voll und ganz beachtet werden. Die bisherige Praxis ist illegal.