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Dabei gäbe es so viel zu tun...

Vorbereitungsgruppe (Gastbeitrag)
Einleitung

Auswertung des Antifa-Camp in Dortmund

»Eine Antwort auf den (mörderischen) Neonaziterror? – Auf zum bundesweiten Antifa-Camp in Dortmund!« betitelte das AIB im Sommer 2012 den Artikel, in dem wir unsere Motivation für das Camp darlegten.

Foto: flickr.com - redpicture

Kurz zusammengefasst bestand die Kampagne darin, im Rahmen des Camps bundesweit über eine strategische Neuorientierung angesichts der NSU-Morde zu sprechen, die auch die Antifa-Bewegung nicht als rassistisch identifiziert hatte. Die antifaschistische Politik sollte inhaltlich wie praktisch um die Themenfelder Soziale Frage, Antimilitarismus und Anti­rassismus erweitert werden. Vor allem aber sollte das Projekt der militanten Neonazis des Nationalen Widerstands Dortmund (NW DO), eine Home­zone in Dortmund-Dorstfeld durchzusetzen, durchbrochen und deren Aufmarsch am 1. September verhindert werden. Das Camp sollte ein »Signal gegen die Dortmunder Zustände« sein. Ein ambitioniertes Vorhaben.

Stattdessen: Signal gegen die Dortmunder Zustände nach SPD-Art

Das »Signal gegen die Dortmunder Zustände« funktionierte in den Wochen vor dem Camp in der regionalen Presse hervorragend: Beinahe täglich fanden sich Artikel, in denen der Charakter und die Sinnhaftigkeit eines antifaschistischen Camps in und für Dortmund diskutiert wurde. Das Campprojekt mit der prägnanten Absicht, direkt in der Homezone der Neonazis, polarisierte erwartungsgemäß. Menschen aus verschiedenen politischen Strömungen und Parteien, die unmittelbar mit den Neonazis in Dorstfeld konfrontiert sind, kontaktierten die Camp-Vorbereitung, um darüber zu reden, wie ein Camp in Dorstfeld realisiert werden könnte. Nicht gerade überraschend wurde deutlich, wie massiv die Führungsspitzen der in Dortmund herrschenden SPD dieses Projekt ablehnte und wie sich dies  auf Bündnis­partner auswirkte.
Kurz vor Beginn des Camps schien die mediale Schlacht gewonnen: Nach unzähligen Treffen mit Polizei, Politik und zuständigen Ämtern wurde für den 23. August, die Vertragsunterzeichnung für einen Platz direkt bei Dorstfeld vereinbart. Am Morgen verkündete jedoch Rolf Jäger, Innenminister von NRW, unter anderem das Verbot des Nationalen Widerstands Dortmund. Nur wenige Stunden später verkündete der Dortmunder Oberbürgermeister Ulrich Sierau, das Antifa-Camp werde keinen Platz erhalten – was einem faktischen Verbot gleichkam – da »neuesten Polizeierkenntnissen« zufolge gewaltbereite Linksradikale zu erwarten seien und zudem das Camp eine Provokation für die Neonazis sei.

Das NW DO-Verbot wurde regional und auch bundesweit von der Presse gefeiert. Die mediale Stimmung für das Camp brach innerhalb eines Tages zusammen. Die Stimmung danach: Staatsantifa funktioniert. Die Unterteilung in gute Zivilgesellschaft = Mitarbeiter_innen von Beratungsstellen wie Back Up, böse Zivilgesellschaft = Antifa, weil gewaltbereit, ging auf.

Wie reagierten die antifaschistische Bewegung und die radikale Linke? Die meisten waren sowohl von dem Verbot des NW DO als auch des Camps überrascht.

Die medial gebrochene Stimmung setzte sich in einer weitgehenden Null-Reaktion fort: Es wurden zwar viele Solidaritätsbekundungen geschrieben, die gut taten, de facto aber am Kräfteverhältnis vor Ort nichts änderten. Im Gegenteil fuhren Freund_innen angesichts des Desasters in Dortmund trotz im Rahmen des Camps übernommener Aufgaben zur Demonstration nach Rostock-Lichtenhagen, wohl in der Annahme, in Dortmund sei nichts mehr zu reißen.

Und was lief dennoch...

Wie im Artikel im AIB Nr. 95 im Vorfeld benannt, war die Auseinandersetzung mit dem Mord an Mehmet Kubasik durch den NSU zentral. Die Fragen, die sich stellten, waren unter anderem, wie die Angehörigen und Freund_innen von Mehmet Kubasik den Mord  und die Ermittlungen danach bewertet haben. Wie waren die Schweigemärsche im Mai 2006 in Kassel und im Juni 2006 in Dortmund zustande gekommen? Wie hat die antifaschistische Bewegung, die einige Tage zuvor die Gedenkdemonstration zu dem ein Jahr zuvor von Sven Kahlin, Mitglied der Skinheadfront Do-Dorstfeld erstochenen Punk Thomas »Schmuddel« Schulz durchgeführt hatte, den Mord wahrgenommen? Im Rahmen des Camps wurde in einem Stadtteilzentrum in der Nordstadt, ca. 500 Meter vom Tatort entfernt, eine Gedenk- und Diskussionsveranstaltung organisiert. Es sollte bewusst keine »Podiumsveranstaltung« sein, sondern ein Austausch der communities. Im Vorfeld wurde Kontakt zur Familie Kubasik wie auch zum alevitischen Kulturverein Dakme aufgenommen, in dem Mehmet Kubasik organisiert war. Mit den Kolleg_innen von Dakme, der alevitischen Jugendorganisation und dem deutsch-kurdischen Verein wurde die Veranstaltung vorbereitet. Es kamen 150 Menschen. Beeindruckend war, wie eindeutig die Familie Kubasik, die Freund_innen von Dakme und andere aus der türkisch-kurdischen community äußerten, dass für sie nur ein rassistisches Tatmotiv in Frage gekommen war und wie belastend und diskriminierend die Befragungen der Ermittlungsbehörden gewesen waren, die nur in Richtung Drogenmafia oder PKK-Sympathisanten fragten. Nachdrücklich erwies sich auch, wie falsch es wäre, homogenisierend von »den Migranten« zu sprechen, da sich beispielsweise die Moscheeverbände in Dortmund nicht am Schweigemarsch beteiligen wollten. Die anwesenden Antifa-Aktivist_innen aus Dortmund und anderen Städten hatten weder den Mord noch den Schweigemarsch überhaupt zur Kenntnis genommen und waren entsprechend geschockt von der sozialen und politischen Diskrepanz, die sich darin ausdrückt. Kutlu Yurtseven, ehemaliger Anwohner aus der Keupstraße, fasste abschließend zusammen: Es sei richtig und wichtig, die antifaschistische Bewegung aufzufordern, sich stärker solidarisch zu zeigen und gegen Rassismus zu kämpfen, man müsse jedoch auch zur Kenntnis nehmen, dass immer dieselben aus der migrantischen community auf antifaschistischen Demonstrationen zu sehen seien. Schließlich müssten wir in der Breite der Gesellschaft Rassismus und Faschismus bekämpfen und dafür die notwendigen Bündnisse suchen und schließen.

Aktionen gegen Neonazis

Mangels Masse waren offensive Aktionen gegen die Neonazis – die trotz Verbot in Dorstfeld auf der Straße waren – schwer möglich. Der antifaschistische Stadtrundgang am 26. August, wurde nach wenigen Metern in Dorstfeld von der Polizei gekesselt, Antifaschist_innen außerhalb des Kessels wurden zum Teil von Neonazis verfolgt. Am selben Morgen jedoch war eine »Outing-Aktion« beim führenden Kader des NW DO, Dennis Giemsch, erfolgreich gelaufen. Bei der antifaschistischen Schnitzeljagd einige Tage später fand das erste offene Flugblattverteilen im Steinauweg in Dorstfeld statt, in dem führende Mitglieder der Skinheadfront wohnen, sowie eine weitere »Outing-Aktion« gegen einen Finanzier des NW DO in Bochum. Die Schnitzeljagd musste bezeichnenderweise wegen eines polizeilichen Großeinsatzes abgebrochen werden.

Bündnispolitik vor Ort – Stand der antifaschistischen Bewegung

Das Vorhaben, Antifa inhaltlich breiter aufzustellen, konnte nur be­grenzt umgesetzt werden. Die Fragen, wie man mit dem Verbot praktisch umgeht, fraßen viel Zeit. Bündnispartner, die einzelne Programmpunkte im Rahmen des Camps mitgestaltet hatten, wie Labournet, alte IG Metaller, die gegen die NPD vorgegangen waren, oder der Wehrmachts-Deserteur Peter Giegold waren leider entweder nicht vor Ort, um ihre Solidarität zu bekunden, oder taten dies aus anderen Gründen nur begrenzt. So blieben die einzelnen Themen eher unverbunden nebeneinander stehen.

Der 1. September – der Aufmarsch der Neonazis war ebenso verboten worden wie es auch keine Erlaubnis für die vom Camp angemeldete Demonstration nach Dorstfeld gab – setzte einen traurigen Schlusspunkt: Idee war in Form einer gemeinsamen antifaschistischen Demonstration ein Zeichen gegen Neonaziterror und Camp-Verbot zu setzen und die Notwendigkeit zu unterstreichen, dass nur gemeinsame Organisierung und gemeinsames Handeln gegen Neonazis und Rassismus grundlegende Veränderungen mit sich bringen. Doch die verschiedenen Dortmunder Anti­nazi-Bündnisse waren dazu nicht willens und so gab es an diesem Tag drei Demonstrationen. Dies ist und bleibt ein großes Ärgernis.

Die zügige Reorganisierung der Dortmunder Neonaziszene in den letzten Wochen zeigt, dass Dortmund nach wie vor zentrales Projekt der militanten Neonaziszene ist. Unsere Fragen, die wir im AIB Nr. 95 formuliert haben, sind nicht nur deswegen weiterhin aktuell – es besteht auch nach wie vor die Frage, an welchen Punkten wir sie 2013 praktisch beantworten werden.