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CDU: Ab durch die Mitte oder doch weiter nach rechts ?

Einleitung

Trotz aller Skepsis über die Perspektiven: Das Wahlergebnis der Bundestagswahlen ist aus antifaschistischer Sicht eines der besseren realistisch denkbaren Ergebnisse gewesen. Eine rot-grüne Regierungskoalition mit der PDS als Linksopposition könnte jedenfalls einen größeren gesellschaftlichen und politischen Spielraum bedeuten, als es ihn in den letzten 16 Jahren gab. Schwere Verluste haben dagegen die CDU und CSU hinnehmen müssen. Traditionell orientieren sich die Entwicklungen am rechten Rand des Parteienspektrums an der Union. Wie also geht es nun weiter?

Foto: Christian Ditsch

Wahlwerbung zur Bundestagswahl 1998 für Dankward Buwitt - dem Direktkandidaten der CDU im Berliner Bezirk Neukölln.

Bricht die Union auseinander? Driftet sie weiter nach rechts? Wir finden die Tendenzen - bei Redaktionsschluß eine Woche nach den Bundestagswahlen - noch nicht eindeutig. Trotzdem wollen wir versuchen, einen ersten Überblick über mögliche Varianten zu geben.

Im Gegensatz zu den Bundestagswahlen 1994 spielten die Themen »Innere Sicherheit« und »Ausländerpolitik« keine vorherrschende Rolle - weder in der Parteienpropaganda, mit Ausnahme der CSU, noch bei der Entscheidung der meisten WählerInnen. Der Mehrheit ging es offensichtlich um einen Wechsel bei der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik. Ob die dabei in eine rot-grüne Regierungskoalition gesetzten Erwartungen einen realen Hintergrund haben, bleibt eine spannende Frage. Für den wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich könnte entscheidend sein, inwieweit der ArbeitnehmerInnenflügel und die Gewerkschaften innerhalb der SPD ihren Einfluß geltend machen können. Eine wichtige Veränderung wurde zumindest im Bereich »Ausländerpolitik« angekündigt: Sowohl die SPD als auch die Grünen wollen das Staatsbürgerschaftsrecht ändern; für viele MigrantInnen wäre dann die doppelte Staatsbürgerschaft kein unerreichbarer Traum mehr. Auch das rassistische Abstammungsrecht soll verändert werden.

Für Asylsuchende wird dagegen vermutlich alles beim Alten bleiben: Die Abschottung der Festung Europa ist von SPD-Politikern und Parteigremien maßgeblich mitforciert worden; das rassistische Asylbewerberleistungsgesetz wurde mit den Stimmen der SPD-regierten Bundesländer verabschiedet. Auch in Bezug auf die Innere Sicherheit scheint vor allem die SPD auf Altbewährtes zu setzen. So will man beispielsweise am großen Lauschangriff nicht rütteln. Es wird wichtig sein, zu beobachten, inwieweit gerade in den Bereichen Strafvollzug/Strafrecht und bei der »Nulltoleranz-Politik« Veränderungen angestrebt werden. Ob sich außenpolitisch etwas verändern wird, ist noch unklar. Hier stellt sich für AntifaschistInnen insbesondere die Frage, inwieweit der aggressive Expansionskurs in Osteuropa und deutsche Militäreinsätze sowie »Diplomatie«-Interventionen mit der Brechstange á la Bosnien ein Ende finden.

Das rechte Lager

Für die weitere Entwicklung im rechten Lager wird eine Schlüsselrolle spielen, wie sich die CDU/CSU nach ihrer Wahlniederlage verhält. Zum Zeitpunkt unseres Redaktionsschlusses war in der Union ein offener Kampf zwischen den unterschiedlichen Flügeln ausgebrochen, in dem sich bislang keine Fraktion durchsetzen konnte. Am Ende dieses Streits zwischen rechtskonservativen, neoliberalen und wieder stärker in die Mitte tendierenden Unionsfunktionären, die ihre Integrationsfigur Helmut Kohl verloren haben, wären drei Varianten denkbar.

- Die CDU/CSU ändert ihr politisches und personelles Profil, verläßt den Hardliner-Kurs von ex-Innenminister Manfred Kanther und Wolfgang Schäuble und orientiert sich mehr zur Mitte. Diese Forderung wird von jüngeren Funktionären sowie u.a. vom saarländischen CDU-Vorsitzenden Peter Müller erhoben, der eine stärkere soziale Ausrichtung der CDU forderte: »Es reicht nicht, daß die Union mit ökonomischer Kompetenz verbunden wird.« Daneben müsse die soziale Gerechtigkeit ein erkennbares Thema sein. Das sei in den vergangenen Jahren aufgrund der Rücksichtnahme gegenüber der FDP in der Koalition verlorengegangen. Sollte die CDU/CSU einen derartigen Kurswechsel vornehmen, würde am rechten Rand ein Vakuum entstehen, das dann von den ultra-rechten bis neonazistischen Parteien wie der DVU, der NPD und den REPS ausgefüllt werden könnte. Die rechten Parteien könnten sich so als die »wahren Vertreter« des unzufriedenen und heimatlosen, nationalistischen und rassistischen Wählerpotentials sowie der Vertriebenenorganisationen profilieren und ihre WählerInnenbasis auf Kosten der CDU/CSU ausbauen.

- Andererseits wäre es auch möglich, daß die CDU/CSU ihren derzeitigen Kurs beibehält oder noch weiter nach rechts rückt. Auch für diese Position gibt es genügend VertreterInnen innerhalb beider Parteien, insbesondere in der CSU. Dabei geht es nicht nur um die Asyl- und Einwanderungspolitik, in der die CSU ohnehin unbeirrt ihren Hardlinerkurs fährt. Auch in wirtschafts- und sozialpolitischen Bereichen fordern Spitzenpolitiker der Union eine härtere Linie. »Die Macht der großen Koalition der Sozialpolitiker von CDU und SPD« müsse endlich gebrochen werden, forderte beispielsweise der sächsische Wirtschaftsminister Kajo Schommer. Er verlangte gleichzeitig einen personellen Wechsel sowie die komplette Entmachtung von Kohl und dessen Vertrauten innerhalb der Partei. Auch die durchaus einflußreichen Vertriebenenverbände drängen darauf, daß die Unionsparteien weiterhin ihren Kurs stützen. Sollte die CDU/CSU noch weiter nach rechts abdriften, könnte sie zumindest Teile der REP-Basis weiter integrieren. Es käme zu einer gesellschaftlichen und politischen Polarisierung ähnlich wie zu Anfangszeiten der sozialliberalen Koalition in den 1970er Jahren. Und ähnlich wie damals könnte dann ein Teil der militanten Neonaziszene noch weiter in den terroristischen Bereich gehen und versuchen, durch Terroranschläge ein Klima der Destabilisierung und Unsicherheit zu schaffen. Dabei könnten sich dann sowohl die CDU/CSU als auch extrem rechte Parteien als »Hüter von Recht und Ordnung« profilieren. Erste Anzeichen für eine derartige Entwicklung gibt es bereits: Im neonazistischen Internet-Netzwerk "THULE-NETZ" rufen Neonazis seit dem 27. September 1998 dazu auf, »in den Untergrund« abzutauchen. Weiter heißt es: »Wie in jeder verarmten multikulturellen Gesellschaft«, werde es »auch in der BRD zum Bürgerkrieg kommen«. Und: »Bereitet Euch auf den Tag X vor.«

- Oder aber die Union bricht auseinander. Das heißt, die CSU verläßt die Union und versucht, sich als bundesweite Rechtspartei zu etablieren. Überlegungen und auch konkrete Ansätze in dieser Richtung gab es seit den 1970er Jahren mehrfach. Letztendlich war die Gründung der REPs eine Reaktion darauf, daß die CSU diesen Schritt in den 1980er Jahren dann doch nicht vollzogen hat. Sollte die Union tatsächlich zerfallen und die CSU als bundesweite Partei antreten, ist davon auszugehen, daß eine noch rechtere CSU die Vertriebenen sowie Teile der "Die Republikaner" (REP) und der DVU integrieren wird und immer weiter ins ultra-rechte Fahrwasser drängt.

Was bleibt?

Niemand kann ernsthaft davon ausgehen, daß rassistische Übergriffe, neonazistische Organisierung und ein zunehmender Nationalismus und Revanchismus nach dieser Wahl plötzlich aus der Gesellschaft verschwinden. Das rechte und extrem rechte WählerInnenpotential ist nach wie vor vorhanden. Es hat sich bei dieser Wahl nur an der Zuspitzung »Kohl oder Schröder« orientiert. Niemand kann sagen, ob zukünftige Protestbewegungen, die mit der rot-grünen Regierungspolitik unzufrieden sind, nach links oder rechts tendieren werden. Ebenso unklar ist noch, inwieweit sich durch das Wahlergebnis ein gesellschaftliches Klima, das in den letzten Jahren immer weiter nach rechts gerückt ist, verändern wird. Für AntifaschistInnen haben sich die politischen Aufgaben und Schwerpunkte jedenfalls nicht verändert. Nach wie vor ist es dringend notwendig, sowohl gegen institutionellen als auch alltäglichen Rassismus vorzugehen, konkrete antifaschistische Aufklärungs- und Bündnisarbeit vor Ort zu machen sowie Neonazistrukturen zu benennen und anzugehen. Positiv könnte es sich auswirken, wenn es der antifaschistischen Bewegung gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen gelingen sollte, aus ihrer Defensive und der Politik des ständigen Reagierens und Verteidigens herauszukommen und statt dessen offensiv und konkret linksradikale Positionen eingefordert würden. Zumindest könnte so versucht werden, den gesellschaftlichen und politischen Spielraum wieder zu erweitern und die Grenzen des Machbaren neu zu definieren.