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Breite Mobilisierung gegen einen »Tag der Arbeit« von rechts

Einleitung

In Berlin gab es eine breite Kampagne, die nach dem Debakel vom vergangenen Jahr einen neuen Neonazi-Aufmarsch am 1. Mai verhindern wollte. Diese Kampagne steht beispielhaft für erfolgreiche Bündnispolitik. Daher folgt hier ein Bericht, der zugleich als Angebot zur Diskussion zu verstehen ist.

Ausgangsbedingungen

1996 war es, wie berichtet (Vgl. AIB Nr. 35), in Berlin-Marzahn zu einem Neonazi-Aufmarsch gekommen. Marzahn ist eine der »Plattenbau«-Vorstädte, zugleich ein Zentrum extrem rechter Jugendlicher und eine Hochburg der PDS. Sie stellt hier mit Harald Buttler den Bezirksbürgermeister. Dessen Verhalten hatte den Jungen Nationaldemokraten (JN) ihren Aufmarsch mit ermöglicht. Antifaschistinnen sahen hierin einen Erfolg des rechten Flügels der PDS und eine Abkehr vom Antifaschismus. Das Verhältnis zwischen unabhängigen Antifas und PDS war zunächst getrübt.

Zur Vorgeschichte des diesjährigen l. Mai gehört der verhinderte Aufmarsch der JN in Hellersdorf, einem Nachbarbezirk von Marzahn mit sehr ähnlicher sozialer und politischer Struktur. Grundlage der erfolgreichen Gegenkampagne im Februar ist ein außergewöhnlich breites Bündnis, das in dieser Form (Beteiligung der lokalen CDU!) sicher nur aus den Verhältnissen vor Ort zu erklären und daher auch außerhalb bestimmter Gebiete der ehemaligen DDR kaum nachzuvollziehen ist.

In Hellersdorf kommt es zu direkten Auseinandersetzungen mit den Neonazis, und anschließend zum Mordanschlag auf den Buchhändler Klaus Baltruschat in der Marzahner PDS-Stelle durch den Neonazi Kay Diesner. Zwar wird die Antifa-Aktion als erfolgreich gewertet, doch angesichts der bleibenden Verletzungen von Klaus Baltruschat und zahlreicher Festnahmen ist es auch eine Aktion mit hohen Kosten.

Aus der PDS wird von großer Verunsicherung berichtet. Ältere Genossinnen, die das Ende der Weimarer Republik miterlebt haben, befürchten angesichts der Straßenschlachtszenen ähnliche Verhältnisse. Militante AntifaschistInnen versäumen, ihre Position nach Außen nachvollziehbarer zu machen. Kurzzeitig steht zu befürchten, daß die PDS als Partner für eine breite Bündnisstrategie weg fällt. Tatsächlich hat die Aktion aber ganz andere Auswirkungen. An der Basis der Partei regt sich plötzlich Interesse für antifaschistische Themen. PDS'ler - oft zugleich unglaubliche Spießbürger und selbst nicht frei von Rassismus - beginnen sich für die Informationen der Anti-JN-Kampagne zu interessieren.

Die CDU nutzt die Aktionen wütender AntifaschistInnen in Hellersdorf für eine Kampagne gegen die PDS. Der Schuß geht nach hinten los. Innensenator Jörg Schönbohm, der sonst stets souverän auftritt, leistet sich peinliche Entgleisungen in der Öffentlichkeit und beweist seine totale Ignoranz gegenüber der Existenz eines militanten Neonazi-Lagers.

Vor allem zwei Äußerungen des Senators alarmieren das antifaschistische Spektrum: Die Erklärung, es gäbe in Berlin keinen Bedarf für ein antifaschistisches Lager und die unbestätigte Behauptung, er habe erklärt, einen Neonazi-Aufmarsch am 1. Mai nicht zu verbieten. Nach den bisherigen Erfahrungen mit der Innenpolitik Schönbohms ist damit zu rechnen, daß die Polizei erneut eine Neonazi-Aktion durchsetzen wird.

In der letzten Ausgabe berichteten wir über die Ereignisse am 1. Mai 1997 - d.h. vor allem über die verhinderten und geglückten Aufmärsche von Neonazis. Neben deren Mobilisierung gab es aber in Berlin eine breite Kampagne, die nach dem Debakel vom vergangenen Jahr einen neuen Neonazi-Aufmarsch verhindern wollte. Diese Kampagne steht beispielhaft für erfolgreiche Bündnispolitik. Daher folgt hier ein Bericht, der zugleich als Angebot zur Diskussion zu verstehen ist.

Erste Initiativen

Unmittelbar nach Hellersdorf beginnen die ersten Initiativen für eine Kampagne zum 1. Mai. Sie gehen von drei Seiten aus.

Die PDS hält trotz des enormen öffentlichen Druckes an ihrer »Hellersdorfer« Linie einer breiten Gegenmobilisierung fest. Zugleich zeigt sich, daß die Linie des PDS-Bürgermeisters Harald Buttler in der Partei nicht akzeptiert wird. Die PDS will vermutlich nicht zuletzt Versäumnisse wettmachen, die ihr antifaschistisches Profil ankratzen.

Ähnlich durch die Ereignisse des vergangenen Jahres unangenehm berührt sind die unabhängigen Antifa-Gruppen. Sie schätzen ein, daß ohne ihre Aktivitäten ein Aufmarsch auch in diesem Jahr nicht verhindert werden wird, und machen sich frühzeitig Gedanken darüber.

Schließlich gibt es im gewerkschaftlichen Lager einen breiten Unwillen, sich mit einem Neonazi-Aufmarsch abzufinden. Die Neonazis hatten 1933 den l. Mai, den Tag der internationalen sozialistischen Arbeiterbewegung, zum »Tag der Arbeit« erklärt. An der Basis der Gewerkschaften gibt es ein breites Bewußtsein, sich dies1n Tag nicht ein zweites Mal klauen zu lassen. Bereits in den vorangegangenen Jahren waren Gewerkschafterinnen eine tragende Säule der Gegenaktionen. Stets waren Kolleginnen vor Ort; im vergangenen Jahr stellten sie einen großen Teil der GegendemonstrantInnen. Auch dieses Jahr werden sie zur treibenden Kraft. Schon bald wird deutlich, daß sich Einschätzungen und Positionen aller Spektren für den 1. Mai weitgehend decken:

1. Ein Neonazi-Aufmarsch muß verhindert werden.
2. Ein Verbot gegen einen JN-Aufmarsch wird es in Berlin nicht geben.
3. Eine Verhinderung kann hier nur politisch erfolgreich sein und muß von einem breiten Bündnis getragen werden.

Die Bündnisgespräche verlaufen ganz erstaunlich pragmatisch. Von seiten der unabhängigen Antifa-Gruppen wird zu keinem Zeitpunkt das alte, bündnisfeindliche linksradikale Argument der reinen Lehre ausgepackt. Umgekehrt ist auf Seiten der PDS, der Gewerkschaften und vieler anderer Gruppen das klare Bewußtsein vorhanden, daß eine antifaschistische Kampagne die Beteiligung unabhängiger Antifa-Gruppen braucht. Vom altvertrauten Abgrenzungswahn ist nichts zu spüren, und gewisse, aus den 80ern bekannte Grundsatzdebatten und Gretchenfragen stehen nie auf der Tagesordnung.

Auch in weiteren Fragen herrscht von Anfang an Einhelligkeit. So ist klar, daß gegen einen Aufmarsch nicht bloß protestiert werden soll, sondern daß er politisch zu verhindern ist. Dazu muß bekannt sein, wo er stattfindet. AntifaschistInnen aller Spektren, die in den Vorstädten Ostberlins aktiv sind, sagen eine Beteiligung an der entsprechenden Struktur zu. Für die Strategie der Verhinderung wird sofort die Bedeutung öffentlicher Mobilisierung erkannt. Pressepolitik und Bündnisarbeit bilden den Kern dieser Bemühungen.

Es ist auch klar, daß nötigenfalls spontan mobilisiert werden muß. Es soll dann zum Ort des Aufmarsches hingehen - früher immer ein Streitpunkt in antifaschistischen Bündnissen - und die Beteiligung möglichst vieler unterschiedlicher Menschen möglich gemacht werden. Verschiedene politische Spektren bieten Strukturen an. So werden nicht nur das eher autonom-/linksradikale Straßenfest in Prenzlauer Berg, sondern auch das Stadtteilfest in Hellersdorf, das von der PDS ausgerichtete Straßenfest in Kreuzberg usw. Anlaufpunkt sein.

Ein wichtiger Motor der Bündnispolitik sind GewerkschafterInnen. Aus diesem Spektrum wird ein überraschend weitreichender Aufruf unter dem Motto »Wir stehen dagegen!« zur Unterschrift vorgelegt. Ohne zu zögern können sich die unabhängigen Antifa-Gruppen diesem Aufruf anschließen, zumal zu spüren ist, daß die GewerkschafterInnen entschlossen sind, auch wirklich »dagegen zu stehen«. Die Resonanz auf den Aufruf ist verblüffend. Neben verschiedenen antifaschistischen und antirassistischen Gruppen unterzeichnen ihn überwiegend Einzelpersonen, darunter zahlreiche Betriebsrätinnen und andere aktive GewerkschafterInnen, PDS-FunktionärInnen, Gewerkschaften, einige Grüne und sogar Sozialdemokraten. Zu den bemerkenswerten Ereignissen gehört eine weitreichende Unterstützungserklärung der Berliner IG BAU und die Unterschrift des Marzahner PDS-Bürgermeisters Buttler.

Ähnliche Einschätzungen und Ziele

Inzwischen haben die Berliner Grünen auf einem Seminar beschlossen, den Kampf gegen die extreme Rechte zu einem Schwerpunkt zu machen. Entsprechend geht von hier eine eigenständige Kampagne gegen einen Aufmarsch aus. Gleichzeitig sind auch einige, schon früher eher bewegungsorientierte Grüne, am Bündnis beteiligt. Die Berliner tageszeitung (taz) fragt mehrere Statements zum Umgang mit möglichen Aufmärschen an und gestaltet eine Debattenseite. Elke Breitenbach spricht für die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV), Renate Künast für die Grünen. Ein Beitrag des AIB versucht, Positionen unabhängiger Antifa-Gruppen darzustellen. Überraschend an den nicht abgesprochenen Beiträgen ist die weitgehende Übereinstimmung, sowohl in der Einschätzung wie in der Frage der Gegenaktivität.

Der Innensenat reagiert geradezu hektisch. Nach Rücksprachen mit dem Leipziger »Bündnis gegen rechts« verdichtet sich die Wahrscheinlichkeit eines Aufmarsches dort. Die von unabhängigen Antifa-Gruppen gebildete Kampagne »Wenn Aufmarsch - dann verhindern!« beschließt, nach Leipzig zu mobilisieren, gleichzeitig aber in Berlin Strukturen aufrechtzuerhalten.

Diese Doppelstrategie ist stellenweise nur schwer zu vermitteln. Verschiedene Gruppen fordern vehement eine klare Mobilisierung entweder nach Leipzig oder nach Berlin. Der verständliche Wunsch nach Eindeutigkeit ist der Situation nicht angemessen. Wie sich im Nachhinein zeigt, muß auf Neonazi-Aufmärsche mit einer flexiblen Gegenmobilisierung reagiert werden. In der Zwischenzeit sind Einschätzungen aus dem Umfeld des JN-Aktivisten Steffen Hupka zum letzten 1.Mai bekannt geworden. Es stellt sich heraus, daß 1996 eine Lagebeurteilung in Berlin relativ kurzfristig zur Mobilisierung nach Marzahn führte. Dabei spielte die zutreffende Einschätzung eine Rolle, daß hier keine handlungsfähigen Strukturen vorbereitet worden waren.

Immer noch ist unklar, ob die Stadt Leipzig verbieten wird. Diese Faktoren unterstützen die Doppelstrategie. Außerdem machen viele AntifaschistInnen deutlich, daß sie in Berlin über Gewerkschaften, Parteien, Feste und Demos so eingebunden sind, daß sie sich zwar hier an Aktivitäten beteiligen, die Stadt aber nicht verlassen können. Noch bevor die Antifa-Kampagne nach Leipzig mobilisiert, beschließen Basiskräfte der IG Metall, Busse dorthin zu organisieren. Sie setzen damit den DGB unter Druck, der seine zentrale Kundgebung in die Messestadt verlegt.

Ein großes Bündnistreffen kurz vor dem 1. Mai läuft dann erstaunlich schnell und schmerzlos ab. Deutlich ist das Interesse der meisten TeilnehmerInnen - darunter SchülervertreterInnen, GewerkschafterInnen bis hin zur IG BAU-Jugend, PDS-Spektrum, Autonome, Antifas usw. - pragmatisch zu diskutieren und gemeinsam Beschlüsse zu fassen. Die einzigen Querschießer kommen von verschiedenen sektenartigen Kleingruppen. Es zeigt sich erneut, wie schwierig es ist, mit Gruppen zusammenzuarbeiten, die ein dogmatisch beschlossenes Organisationskonzept durchziehen wollen - z.B. »Kampf dem Faschismus durch ArbeiterInnen-Einheitsfront« - und die dabei vor allem auf Vorteile für die eigene Gruppe bedacht sind.

Wir können kaum abschätzen, wie viele Leute dann tatsächlich nach Leipzig gefahren sind. Auf Raststätten und an Anlaufpunkten treffen sich zufällig Antifas und haben das Gefühl, auf einer Art Familientreffen zu sein. Leipzig ist an diesem Tag stellenweise voll mit Leuten, die ganz offensichtlich keinen Neonazi-Aufmarsch wollen. Trotz umfangreicher Absperrungen am Stadtrand rollen Wagenkolonnen mit auswärtigen Kennzeichen durch die Innenstadt.

In Berlin selbst gibt es keinen Aufmarsch. Aber die Stadt ist wachsam. Diesmal sind es nicht nur unabhängige Antifas, die Fahrwachen organisieren, sondern auch z.B. PDS-GenossInnen usw. Übrigens wird erstmals seit 1989 in Berlin wieder öffentlich auf die Notwendigkeit aufmerksam gemacht, solche antifaschistische Wachsamkeit auch zu organisieren. Als ein Bus mit Neonazis in Berlin-Moabit ankommt, befürchtet man doch noch einen Aufmarsch. Schnell sammeln sich im Stadtteil Antifas. Der Bus muß weitergeleitet werden. Unangenehme Nebenerscheinungen, die das junge Bündnis gefährden könnten, bleiben dagegen aus - so z.B. die knüppelschwingende Macho-Mentalität an Sammelpunkten, die früher so typisch war.

Versuch einer Bilanz

Erneut zeigt sich, wie wirksam eine breite politische Mobilisierung ist. Die Bedingungen sind dafür derzeit günstig. Die Interessen der Beteiligten müssen dabei unterschiedlich bewertet werden. Bei den Grünen als Partei vermuten wir z.B. eher eine Wahlkampftaktik. Darauf kann man sich einlassen, sollte aber auch folgendes wissen: Erstens geht es den Grünen vor allem um Koalitionsfähigkeit. Daher werden sie sich von bestimmten Spektren eher abgrenzen, um die SPD nicht zu verschrecken. Zweitens spielt eine Rolle, daß die Grünen derzeit um linke Wähler werben. Sobald sie in einer rot-grünen Koalition stehen, wird das Bündnis mit der Partei schwieriger, vielleicht auch unmöglich. Aber es gibt - und gab stets - einen Teil von Leuten, die bewegungsorientiert sind und mit denen die Zusammenarbeit wohl auch dann weiterlaufen wird. Bei den GewerkschafterInnen bleibt abzuwarten, ob die Mobilisierung zu einer breiteren Verankerung antifaschistischer Positionen beigetragen hat, oder ob mit der erfolgreichen Verteidigung des l. Mai die Sache vorerst gegessen ist. Daß es innerhalb von Basis und Apparat der Gewerkschaften eine ganze Reihe von Leuten gibt, denen Antifaschismus ein ernstes Anliegen ist, sollte aber nie vergessen werden, zumal hier eine mühselige und beharrliche Kleinarbeit geleistet wird.

Dringend nötig ist es, sich über die PDS klarer zu werden. Denn solche positiven Beispiele zeigen, ebenso wie etliche negative, daß in weiten Teilen der ehemaligen DDR antifaschistische Arbeit ohne oder gar gegen die PDS nicht möglich ist. PDS-Hochburgen wie Magdeburg-Olvenstedt, wo die Partei sich nicht gegen die Neonazis wendet, sind die Gegenprobe. Zugleich ist es aber auch ein Gebot der Solidarität. Denn die PDS ist dort diejenige Kraft, die am meisten bekämpft wird und am besten angreifbar ist. Der Anschlag auf Baltruschat hat dies bewiesen.

Ermutigend ist auch die Offenheit der PDSler für antifaschistische Inhalte in dieser Situation. Daß es den Älteren dabei auch um die Vermittlung von Erfahrungen geht, sollten wir - trotz des mitunter belehrenden Tones - als Chance zum Lernen wahrnehmen. Denn während die Westlinke eher zur Abgrenzung neigt, ist gerade der zuweilen unangenehm väterliche Ton und das Gefühl, junge Menschen leiten zu müssen, auch eine Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Ungebrochen sind dagegen die Probleme mit der PDS: ihr Populismus, die rassistischen Ressentiments, die viele ihrer WählerInnen und Mitglieder teilen, die oft autoritären Strukturen und die Orientierung an »deutschen Sekundärtugenden« wie Ordnung, Sauberkeit, Fleiß und Anständigkeit.

Eine gründliche Analyse der PDS-Kommunalpolitik in jenen Gegenden, die zugleich ihre Hochburgen und Zentren neonazistischer Aktivität sind, steht noch aus. Es sind sozusagen die Kinder der PDSler, die hier Neonazi-Aktivitäten tragen. Von den Linken in der PDS wäre eine solche Analyse zu erwarten, sie muß aber auch außerhalb der Partei betrieben werden.

Das Verhalten der unabhängigen Antifa-Gruppen ist widersprüchlich. Erfreulich war die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Ob sie aber aus politischer Reife entspringt, d.h. der Fähigkeit, Bündnisse einzugehen, oder eher aus einer gewissen Beliebigkeit, ist noch unklar. In der antifaschistischen Bewegung bedarf es dringend der Diskussion über Perspektiven und Prinzipien. Erst dadurch wird eine sinnvolle Bündnispolitik möglich.