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Biographisches Lexikon zum Dritten Reich

Hermann Weiß

Der Nationalsozialismus gilt als eine der besterforschten Perioden der deutschen Geschichte. Dennoch sind gute Nachschlagewerke rar. Dies gilt insbesondere für biographische Handbücher. Wer bislang einen schnellen Überblick über Personen suchte, die für diesen zeitgeschichtlichen Komplex von Bedeutung sind, war auf einige, zumeist unbefriedigende Werke angewiesen. Bezüglich einzelner Komplexe - wie Widerstand und Emigration - lagen zwar sicherlich detailliertere Nachschlagewerke vor. Einen repräsentativen Überblick, der besonders die Seite der deutschen Eliten im NS berücksichtigte, bot nahezu kein Werk. Lediglich die alte, fehlerhafte Zusammenstellung sehr kurzer Biographien von 5.000 Angehörigen der NS-Elite von Stockhorst unter dem Titel »Fünftausend Köpfe« lag vor, die aber eine gewisse geistige Nähe nicht verleugnen konnte. Kaum verblüffend also, daß der rechte Arndt-Verlag des Kieler Velegers Dietmar Munier das Buch - ohne jede Veränderung zur früheren Ausgabe - nun neu verlegt.

Neben dieser zweifelhaften Publikation wurde Robert Wistrichs Nachschlagewerk "Wer war wer im Dritten Reich" 1983 ins deutsche übertragen und später bei Fischer verlegt. Dieses Buch ist schon brauchbarer, zumal es für die deutsche Ausgabe überarbeitet und verbessert wurde, stand aber dennoch wegen verschiedener Wertungen auch immer in der Kritik. Seit Jahren ist es vergriffen. Wer detaillierter an den Tätern der Vernichtungspolitik interessiert ist, kann mit Gewinn die biographischen Stichworte in der »Enzyklopädie des Holocaust« heranziehen. Die frisch erschienene, gut gemachte »Enzyklopädie des Nationalsozialismus« (herausgegeben von W. Benz u.a. bei dtv) verzichtete dagegen auf einen ausführlicheren biographischen Teil und konzentriert sich - neben den ausführlichen Essays zu einzelnen Aspekten des Nationalsozialismus - auf Sachstichworte. Der Kompromiß, das komplette Personenregister über den Standard hinaus mit kurzen biographischen Angaben zu versehen, bedeutet zwar weit mehr an Service, als die meisten Editionen bieten. Für das Interesse eines schnellen Zugriffs auf Daten zu Leben und »Wirken« nationalsozialistischer Aktivisten kann dieses Register aberwegen der unsystematischen und uneinheitlichen Auswahl nicht befriedigen.

In diese Lücke stößt nun Hermann Weiß mit dem neuen »Biographischen Lexikon zum Dritten Reich« bei Fischer. Weiß gehört zu den Mitherausgebern der oben genannten NS-Enzyklopädie und war auch für die Überarbeitung und Erweiterung der ursprünglichen englischen Ausgabe von Wistrichs »Wer war wer...« verantwortlich. Das neue Lexikon sieht sich auch in der Nachfolge Wistrichs. Das zeigt sich etwa an der Auswahl der Biographien: »Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft« stellen beide Bücher vor. Über diese Auswahl läßt sich sicher streiten. Vielleicht wäre es - angesichts der besseren Literaturlage zu Widerstand und Emigration- doch sinnvoller gewesen, sich auf die Eliten des »Dritten Reiches« zu konzentrieren, aus denen ja dann im historischen Prozeß auch Angehörige des deutschen Widerstandes hervorgegangen sind. Das Auswahlkriterium wirkt insofern etwas veraltet. Da die Zahl der Beiträge auf etwa 500 begrenzt ist, müssen notwendig einige weniger prominente Aktivisten des Regimes fehlen. Gegenüber dem älteren Werk fällt aber zunächst auf, daß der Kreis der vorgestellten Personen deutlich erweitert ist. Auch die Form der Darstellung ist deutlich gestrafft und systematischer aufgebaut, was leider in der graphischen Gestaltung nicht sofort ins Auge fällt. Sinnvoll war es sicher auch, ein derartiges Buch als Gemeinschaftswerk mehrerer Fachleute anzugehen. Unter den MitarbeiterInnen finden sich einige ausgewiesene SpezialistInnen, die überwiegend aus dem "Institut für Zeitgeschichte" in München und dem "Zentrum für Antisemitismusforschung" an der Technischen Universität Berlin stammen.

Die Qualität eines Lexikons zeigt sich erst in der Benutzung über einen längeren Zeitraum. So läßt sich auch noch nicht beurteilen, inwieweit das Buch durchgehend dem neueren und neusten Forschungsstand entspricht, wofür aber der Kreis der MitarbeiterInnen spricht. Die Durchsicht des Werkes ergibt immerhin - mit Blick auf die extreme Rechte nach 1945 - eine Reihe von Querverweisen, wie etwa Theodor Oberländer, Friedrich und Hans Grimm, Otto-Ernst Remer usw. Inwieweit die Aktivität nach 1945 zu berücksichtigen ist, blieb offenbar den einzelnen AutorInnen überlassen; immerhin kommt diesem Aspekt erfreulicherweise in der Regel ein gewisser Raum zu, gerade auch mit Blick auf die Verfolgung durch alliierte und deutsche Nachkriegsjustiz. Insgesamt scheint Hermann Weiß mit diesem neuen biographischen Lexikon ein nützliches und brauchbares, zudem nicht völlig überteuertes Nachschlagewerk vorgelegt zu haben, das eine wichtige Lücke schließt. Umso wichtiger ist es, vor dem Kauf des »Stockhorst« zu warnen, der ein ähnliches Format und ebenfalls einen schwarzen Einband aufweist. Nicht nur, weil dieses Buch hoffnungslos veraltet ist, sondern auch, weil die möglicherweise hierdurch gewonnen Einnahmen einen Verlag unterstützen, der als extrem rechts bezeichnet werden kann.

Weiß, Hermann (Hg.): Biographisches Lexikon zum Dritten Reich. Frankfurt a.M.: Fischer 1998, 502 S.