Skip to main content

Aus für Neonazi Schulungszentrum "Hetendorf 13"

Einleitung

Am 12. Februar 1998 hat das niedersächsische Innenministerium den Trägerverein des Neonazizentrums "Hetendorf 13", den "Heide-Heim e.V." in Hamburg und den als Förderverein fungierenden "Heideheim e.V." in Buchholz (Niedersachsen) verboten. Das Schulungszentrum in Hetendorf bei Hermannsburg im Landkreis Celle wurde von Polizeieinheiten durchsucht und das Vereinsvermögen beschlagnahmt - inklusive des Vereinsgrundstücks.

Pingsten 1994 marschierte auch die "Wiking Jugend" durch Hetendorf. Mittendrin Friedhelm Busse, Falco Schüssler und Thorsten Heise aus der FAP-Führung.

Unklares Vereinsgeflecht

Laut Informationen aus Sicherheitskreisen sollen dabei wohl auch die Wohn- und Geschäftsräume des "Vereinsvorsitzenden" und bekannten Neonazi-Rechtsanwalts Jürgen Rieger in Hamburg, die seiner "StellvertreterInnen" Margrit Killinger (Schriftführerin der Artgemeinschaft) in München und Arnold Neugebohrn (Referent bei "Recht und Wahrheit") in Schwanewede bei Bremen, sowie die Wohnung des "Schatzmeisters" des "Heide-Heim e. V.", Karl-Heinz Thiele, in Velpke bei Helmstedt durchsucht worden sein. Jürgen Rieger und Arnold Neugebohrn (Bruchhausen-Vilsen) waren der verbliebene Vorstand des "Heideheim e.V., nachdem der frühere Vorsitzende Gerhard Hennig, der Schatzmeister Klaus Franke (Jesterburg) und der Schriftführer Wolfgang Lütkemeyer (Erfurt) 1997 den Vorstand verließen.

Manche der genannten Zuordnungen weichen von den offiziellen Angaben aus den bekannten Vereins-Unterlagen1 ab. Es ist von Veränderungen die Rede, die noch nicht offiziell eingetragen wurden.2 Ob deswegen langjährige (frühere) Funktionäre wie der zeitweilige Vorsitzende Gerhard Hennig (Buchholz), der zeitweilige Schriftführer Haro Horn (Elmshorn) oder die zeitweilige Schriftführerin Barbara Gabriel (Dorstadt) nicht vom Verbotsverfahren betroffen waren, wurde nicht bekannt. Auch andere bekannte Akteure aus Riegers komplexen Vereinsgeflecht hatten (zeitweilig) Posten im Heideheim/Heide-Heim erhalten gehabt. Zu ihnen zählten Gertrud Herr (Kassenprüferin, stellv. Vorsitzende) aus Hamburg, Klaus-Christoph Marloh (Vorsitzender) aus Seevetal, Siegfried Richter (Schatzmeister) aus Hamburg, Christel Pommer (Schriftführerin) aus Hamburg, Elfriede Heymert (Rechnungsprüferin), Klaus Franke (Schatzmeister) aus Jesteburg.1 Hier wurde wohlmöglich eine Gelegenheit ausgelassen, die gewachsene neonazistische Struktur hinter "Hetendorf 13" in den Fokus zu nehmen.

Erwartetes Verbot ?

Der Fund bei den staatlichen Maßnahmen zur Durchsetzung des Verbots des "Heideheim e.V." fiel recht mager aus: Einige Unterlagen, die die Beamten in Riegers Villa in Blankenese sicherstellten und zwei Vereinskonten mit jeweils weniger als 1.000 Mark Guthaben. An Nazipropaganda oder Waffen wurde nichts wesentliches gefunden. Lediglich eine Reihe Kartons mit Büchern, die in einem der Tagungshäuser standen, deuten darauf hin, daß von Hetendorf aus ein Versand organisiert werden sollte. Der magere Fund verwundert kaum: Schienen doch weder Rieger noch das auf dem Hetendorfer Anwesen beschäftigte Hausmeisterehepaar Ilse Koch und Otto Koch sonderlich überrascht von der Aktion der Staatsanwaltschaft. Die Kochs gelten im Ort als alte NPD-Anhänger. Ilse Koch soll Mitglied des neonazistischen „Freundeskreis Filmkunst“ gewesen sein.

Eine schützende Hand ?

Erstaunlicher Weise ließ die Celler Polizei das Wohnhaus der Kochs bei ihrer Durchsuchung gleich gänzlich aus. Vieles weist darauf hin, daß die Neonazis vermutlich bereits vorgewarnt waren. Folgerichtig erklärte das Innenministerium im Nachhinein, man habe sich zu dieser »Ad-hoc-Maßnahme« entschieden, nachdem es Hinweise gegeben hätte, daß sich die Betreiber des »Heideheims« einer »polizeilichen Maßnahme« entziehen wollten. Ein Zufall? Zumindest der mit der Beobachtung des Neonazizentrums beauftragte stellvertretende Leiter des Celler Staatschutzes, Peter G., agierte laut Einschätzung von AntifaschistInnen vor Ort in der Vergangenheit eher als eine Art Beschützer der Neonazis vor dem Staat, denn als ein klassischer Staatsschützer. Für Celler Antifaschistinnen ist Peter G. kein unbeschriebenes Blatt: Aus einem 1992 im »Celler Kurier« veröffentlichten Leserbrief, konnten unschwer rassistische und antisemitische Positionen rausgelesen werden. Er bekundete hier, daß er stolz darauf wäre, »ein Deutscher zu sein«. Nicht vollkommen unwahrscheinlich also, daß sich seine mutmaßliche Symphathie für ähnliche Positioenen von Rieger und den Eheleuten Koch in einer gewissen Zurückhaltung gegenüber seinem Beobachtungsobjekt ausdrückt haben könnte. Angeblich fiel dem Innenministerium Peter G.'s Haltung erst im Januar diesen Jahres auf. Sicherheitshalber wurde er noch vor dem Erlaß des Verbots kurzfristig versetzt. Eine gewisse (begründete ?) Angst vor peinlichen Zwischenfällen oder genauen Nachfragen war scheinbar vorhanden.

Aber auch ohne eine mögliche Warnung von Peter G. kam das Verbot nicht gerade überraschend. Nach dem mißlungenen Versuch, die "7. Hetendorfer Tagungswoche" im vergangenen Jahr zu verbieten, waren auch in diesem Jahr spätestens im Vorfeld der kommenden "Tagungswoche" behördliche Maßnahmen zu erwarten gewesen, schon alleine, um die Bemühungen des letzten Jahres nicht der Lächerlichkeit preiszugeben. Der sozialdemokratische Innenminister Glogowski, der als Nachfolger Schröders für den Posten des niedersächsischen Ministerpräsidenten gehandelt wird, hatte bereits vor über einem Jahr im Landkreis Celle öffentlich betont, gegen "Hetendorf 13" vorgehen zu wollen. Nun konnte er seine Durchsetzungsfähigkeit als »Law-and-Order«-Politiker unter Beweis stellen und erntete damit die Streicheleinheiten der bürgerlichen Presse, die das Verbot als größten Schlag gegen den Rechtsextremismus seit Jahren feierte.

Übergreifender Treffpunkt

Das Gelände wurde 1979 aus Bundesbesitz an den neonazistischen „Freundeskreis Filmkunst“ (FKFK) um Klaus-Christoph Marloh (Seevetal), Adolf Fröhlich und Christel Pommer verkauft. Rieger soll zeitweilig ebenfalls in den FKFK involviert gewesen sein. Seine Vertraute Gertrud Herr trat als FKFK-Funktionärin in Erscheinung.  Zumindest unterzeichnete Rieger den Kaufvertrag über 120.000 Mark für den FKFK. Diese Kaufsumme war nur ein Zehntel dessen was der Bund dem Voreigentümer gezahlt hatte. Der "Heide-Heim e.V." arbeitete seit 1984 eher im Hintergrund - auch in ihm war Rieger tätig. Marloh, Herr und Pommer bekleideten in beiden Vereinen Funktionen. Später galten Gerhard Hennig und Adolf Fröhlich als Verbindungslinien zwischen FKFK und Heideheim. Der FKFK gab das Gelände schließlich 1992 (offiziell) in die Verantwortung der Heideheim / Heide-Heim Strukturen weiter. Bereits Mitte der 1980er Jahre gelangte die nordisch/rassistische „Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" (GffAEV) durch eine Erbschaft an ein Drittel des Anwesens. Führend in die GffAEV eingebunden war -wenig überraschend- Jürgen Rieger und Gertrud Herr. 1990 versuchte Rieger erneut das Neonazi-Zentrum zu erweitern. Für das Haus Nr. 47 in Hetendorf, das damals zur Versteigerung stand, gab er als Vorsitzender der GfbAEV mit 312.000 DM das Höchstgebot ab. Doch der Ankauf konnte durch Proteste verhindert werden. Seit 1991 beherbergt "Hetendorf 13" die "Hetendorfer Tagungswoche". Die vorhandenen 7000 qm Fläche bieten problemlos etwa 300 Personen Unterkunft. Größere Probleme mit den Behörden gabs hierbei -bis auf etwas Vereins Ärger mit dem Finanzamt- eher selten. Noch im vergangenen Jahr hatte es im niedersächsischen Innenministerium geheißen, das Land habe keine rechtliche Handhabe, um den "Heide-Heim e.V." zu verbieten. Dieser sei nicht dort ansässig und deshalb wäre der Bund zuständig. Bundesinnenminister Kanther jedoch zeigte kein Interesse, gegen das Neonazizentrum vorzugehen, woraufhin in Niedersachsen dann doch noch eine Begründung gefunden wurde, weshalb man zuständig sei. So recherchierte das Innenministerium, daß die Vereinstätigkeiten beider Vereine »sich allein auf die (finanzielle) Förderung des Anwesens in Hetendorf Nr. 13« beschränke, und daher »die Zuständigkeit des niedersächsischen Innenministeriums als Verbotsbehörde (...) gegeben« sei. Genau an diesem Punkt aber liegt der mögliche Haken, der das Verbot noch kippen könnte: Sollte es Rieger vor Gericht gelingen, Aktivitäten des "Heide-Heim e. V." in anderen Bundesländern nachzuweisen, wäre die Zuständigkeit des niedersächsischen Innenministeriums hinfällig. Riegers Klage vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg, das im vergangenen Jahr auch schon das Verbot der "Hetendorfer Tagungswoche" aufgrund eines Formfehlers abgeschmettert hatte, läuft bereits.

Die Schließung von "Hetendorf 13" stellt für die Neonaziszene einen herben Verlust dar, galt das Schulungszentrum doch als das bedeutendste in der BRD. Ein zweites Zentrum dieser Größe gibt es bis heute nicht. Hier trafen sich alle möglichen Gruppierungen. Die "Wiking Jugend" war bis zu ihrem Verbot ein häufiger Gast. Die diversen Vereine aus Riegers Vereins-Netzwerk, das neuheidnische Milieu, das militante NS-Spektrum, die angehenden "Ordner" beim "Rudolf Heß-Marsch", die Treffen der Goden, die Artgemeischaft, die NF und viele andere fanden hier einen Rückzugsraum. Erst in den letzten Jahren wurde es nicht zuletzt aufgrund des antifaschistischen Widerstands - weniger genutzt. Hinzu kamen interne Streitigkeiten, die zuletzt den neonazistischen "Freundeskreis Filmkunst e.V." (Hamburg) im Sommer 1995 dazu veranlaßten, den "Heide-Heim e.V." zu verlassen.

Aufgrund der Auseinandersetzungen um das Zentrum in den vergangenen Jahren, besaß "Hetendorf 13" einen hohen symbolischen Wert, der sich auch in der seit 1996 bundesweiten Mobilisierung unter Neonazis zum Schutz der alljährlichen »Hetendorfer Tagungswoche« niederschlug. Letztes Jahr galt hierfür z.B. der Neonazi-Kader Thomas Wulff (Hamburg) als verantwortlich. Vor Ort wurde er u.a. von den Akteuren der "Freien Kameradschaften" wie Thomas Kubiak (Winterberg) und Andree Zimmermann (Olpe) unterstützt. Insofern stellt das Verbot nicht nur für Rieger eine vorläufige Niederlage dar.

Von dem Verbot nicht betroffen sind die Mitgliedsvereine des "Heide-Heim e.V.": die "Artgemeinschaft e.V. und" der "Nordische Ring e.V." Die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V" (Berlin) stellt mit etwa 500 Mitgliedern einen der größeren Vereine im "neuheidnischen" Spektrum dar. Er erfüllt eine wichtige ideologische Funktion innerhalb des neofaschistischen Lagers, da hier Denkansätze der »Neuen Rechten« mit Nazinostalgie und Rassismus verknüpft werden. Auf gut funktionierende bundesweite Strukturen kann die "Artgemeinschaft" auch nach dem Verbot zurückgreifen: Bei regelmäßig stattfindenden Versammlungen, die nach eigenen Angaben recht erfolgreich verlaufen, ist er nicht zwingend auf "Hetendorf 13" angewiesen. Das Verbot des "Heide-Heim e.V." trifft somit lediglich einen organisatorischen Überbau des neofaschistischen Treibens.

Bündnispolitik - mühsam aber erfolgreich

Dennoch wurde mit der Schließung des neofaschistischen Schulungszentrums "Hetendorf 13", sofern diese juristisch Bestand haben wird, ein mittelfristiges Ziel antifaschistischer Bündnispolitik erreicht. Aufgrund der Erfahrungen von 1987, als eine Demonstration autonomer Antifagruppen gegen das Zentrum von der Polizei eingekesselt und stundenlang festgehalten wurde, lag ein Hauptaugenmerk der Aktivitäten des "Bündnis gegen Rechts" (BgR) von Anfang an auf einer kontinuierlichen Recherche- und Öffentlichkeitsarbeit. Ziel des Bündnisses war es auch, im ländlich-konservativ geprägten Landkreis Celle ein antifaschistisches Klima zu schaffen. Dies ging nur in Zusammenarbeit mit örtlichen Gruppen und Initiativen, wie z.B. dem »Hermannsburger Arbeitskreis gegen Hetendorf 13«, die sich nicht immer einfach gestaltete. Aber auch wenn beispielsweise über das leidige Thema »Vermummung« vor nahezu jeder Demonstration erneut gestritten werden mußte, bleibt für die lokalen Antifas festzuhalten, "daß die Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Kräften gut, richtig und im Fall Hetendorf vielleicht der einzig Weg zum Erfolg war".

Einen Durchbruch stellten die »Antifaschistischen Aktionstage« zu Pfingsten 1995 dar, in deren Verlauf sich über 2.000 Menschen an einer Demonstration beteiligten und mehr als 1.000 Menschen ein antifaschistisches Camp besuchten. In den folgenden Jahren gelang es durch unterschiedlichste Aktionsformen wie Mahnwachen, Gottesdienste, Unterschriftensammlungen bis hin zu Sonntagsspaziergängen und Blockaden, einen politischen Druck zu erzeugen, ohne den es -laut Einschätzung von vor Ort- niemals zu dem Verbot gekommen wäre.

  • 1 a b Amtsgericht Hamburg 69 VR 10565, 1342 Amtsgericht Tostedt
  • 2Harburger Blickpunkt vom 29.02.1996