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Antifeminismus in der Corona-Pandemie

Len Schmid und Rebekka Blum
Einleitung

Eine Betrachtung des „Querdenken“-Spektrums und klassischer AntifeministInnen1 zeigt, dass immer wieder teils zunächst willkürliche erscheinende Bezugnahmen beider Milieus aufeinander stattfinden. Gemeinsame ideologische Bezugspunkte lassen hierbei die Frage aufkommen, ob sich überhaupt (noch) von unterschiedlichen Milieus sprechen lässt.

  • 1Wir nutzen im Artikel verschiedene geschlechtergerechte Sprachvarianten. Grundsätzlich nutzen wir den Unterstrich, um Personen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit mit zu repräsentieren. Da Antifeminismus auf der Vorstellung der Zweigeschlechtlichkeit aufbaut, nutzen wir für AkteurInnen aus diesem Spektrum die zweigeschlechtliche Genderung mit Binnen-I. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht auch Personen jenseits der Zweigeschlechtlichkeit AntifeministInnen oder extrem rechts sein können.
Symbolfoto: Christian Ditsch

(Symbolfoto: Christian Ditsch)

Unersetzbare Löwenmütter gegen „Impfzwang“, „Frühsexualisierung“ und Schulpflicht

Ein Beleg für die Verschränkung von antifeministischen und pandemieleugnenden AkteurInnen ist die ehemalige Tagesschausprecherin und prominente Antifeministin mit Verbindungen weit ins rechte Milieu Eva Herman. Ihr Telegramm-Kanal ist mit knapp 180.000 Mitgliedern (Stand November 2021) einer der reichweiten­stärksten Kanäle des Pandemie-LeugnerInnen-Spektrums. Weitere klassische Anti­feministInnen wie Birgit Kelle und VertreterInnen der „Demo für alle“ - deren Hauptengagement vor der Pandemie den Fokus auf Mobilisierungen gegen die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt anhand der Behauptung einer „Frühsexualisierung“ und gegen die Verankerung von Kinderrechten legte – äußerten sich zu Beginn der Pandemie zunächst erfreut über die Situation. Durch Schulschließungen sehen sie sich dem Ziel näher, die Schulpflicht in Deutschland langfristig abzuschaffen.1 Dies fordern AntifeministInnen schon lange, um Kinder von dem Einfluss öffentlicher Erziehungsziele fernzuhalten. Außerdem begrüßte Birgit Kelle in einem Beitrag für den Blog der „Demo für alle“ ausdrücklich die gesellschaftlich zu beobachtende Retraditionalisierung, wenn sie davon spricht, dass nun der „Mythos der ersetzbaren Mutter“ endlich Pause habe.2 Insgesamt nahm die "Demo für alle" die Pandemie zum Anlass, um eine in ihren Augen bessere Familienpolitik zu fordern, wobei sie unter ‚Familie‘ ausschließlich die heterosexuelle Kleinfamilie verstehen.3

Terror gegen unsere Kinder

Antifeministische AkteurInnen argumentieren regelmäßig und insbesondere in der Pandemie mit einer vermeintlichen Kindeswohlgefährdung, die sie wahlweise durch LGBTQIA*-Lebensweisen, feministische Errungenschaften oder Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie verursacht sehen. Das vermeintliche Sprechen im Namen „der Kinder“ ist auch auf "Querdenken"-­Demonstrationen ein beliebtes Mittel. So waren bspw. in Stuttgart am Karfreitag 2021 viele Teilnehmende zu sehen, die mit einer vermeintlichen Kindeswohlgefährdung argumentierten und dabei so weit gingen, die Schutzmaßnahmen als „Terror gegen unsere Kinder“ zu bezeichnen. Die Schule stellt dabei einen wichtigen Ort verschiedener Bedrohungsszenarien dar; in Telegram-Channels wird bspw. dazu aufgerufen, die unschuldigen Kinder durch Demonstrationen vor oder Blockaden von Schulen vor Impfbussen zu schützen.

Ein Paradox bei der Bezugnahme zum vermeintlichen Kindeswohl ist, dass sich antifeministische AkteurInnen gegen die Verankerung von Kinderrechten im Grundgesetz stellen. Begründet wurde dies in einer Petition gegen das Gesetzesvorhaben im Jahr 2019 damit, dass dadurch das Elternrecht außer Kraft gesetzt würde und eine „Kitapflicht“ oder „Indoktrinierung gegen die Vorstellung der Eltern“ drohe.4 Im Dezember 2020 flammte die Debatte erneut auf. Nun erweiterten die InitiatorInnen die Petition strategisch, um einen erweiterten „Adressatenkreis“ zu erreichen und erklärten, dass durch Kinderrechte im Grundgesetz „Maskenpflicht“, „Impfpflicht“ und „Zwangsisolation“ der Kinder ohne Zustimmung der Eltern zu erwarten seien.5

Spätestens damit gelang ihnen die Vernetzung mit dem Pandemie-LeugnerInnen-­Spektrum. So teilte die Initiative „Eltern stehen auf“ (ESA), die sich im Mai 2020 zusam­menfand und der Pandemie-LeugnerInnen-Szene zuzuordnen ist, die Petition und Sharepics der „Demo für alle“ auf ihrer Webseite. Überschrieben war die Petition mit dem Label „Familienschutz“ und bebildert mit der Darstellung einer heterosexuellen Kleinfamilie.6 Darüber hinaus postete eine Initiatorin von ESA am 20. Januar 2021 eine Linksammlung, in der es in ihren Worten unter anderem um die „perversen Grundlagen der Frühsexualisierung“, „Kinderrechte, der Staat schützt eure Kinder nicht“ oder „Grüne fordern Legalisierung von Sex mit Kindern“ ging.7 Dies sind dieselben Narrative, die auch die „Demo für alle“ seit Jahren nutzt, um ihre eigenen politischen Haltungen mit Verschwörungserzählungen zu verknüpfen und moralisch aufzuladen, indem sie vorgeben, im Namen „unserer Kinder“ zu sprechen.

Eine Betrachtung der Chatgruppen und Infokanälen von ESA zeigt, dass dies keine Ausnahme ist. Regelmäßig werden antifeministische Narrative verbreitet, die auch die „Demo für alle“ nutzt, zuletzt auf ihrer Infobustour im Vorfeld der Bundestagswahl mit dem Ziel, „die Grünen zu verhindern“.8 Die Demo für alle wiederum lobte im November das Engagement von ESA in Bezug auf Homeschooling und teilte eines ihrer Image­videos.9

Ideologische Bezugnahmen

Unsere Analyse macht deutlich, dass „Eltern stehen auf“ und „Demo für alle“ ideologisch wie in Bezug auf (Bild-)Sprache inzwischen kaum mehr Unterschiede aufweisen. Beide Initiativen eint die Sehnsucht nach Retraditionalisierung von Geschlechterrollen, der Wunsch nach Beschneidung der Rechte von queeren Menschen, der Kampf gegen sexuelle Bildung und staatliche Einflussnahme auf Bildung sowie die Mobilisierung gegen sämtliche Infektionsschutzmaßnahmen. Insgesamt teilen PandemieleugnerInnen wie AntifeministInnen die Ablehnung staatlicher Maßnahmen und Einflüsse insbesondere auf den privaten Raum und die glorifizierte heterosexuelle Kleinfamilie. Diese wird als unpolitischer Raum angesehen, der nicht nur in der Pandemie, aber hier besonders vor äußeren Einflüssen geschützt werden solle.

Klare Anknüpfungspunkte zwischen AntifeministInnen und Pandemie-LeugnerInnen sehen wir auch in einer positiven Bezugnahme auf eine kämpferisch-sorgende Mutterschaft. Seitens AkteurInnen wie der „Demo für alle“, „Eltern stehen auf“, aber auch der „Frauenbustour“ im November und Dezember 2020 wurde das Bild von „Löwenmüttern“ gezeichnet, die unter widrigsten Bedingungen ihr Kind vor den schlechten Einflüssen der Politik und insbe­sondere der Corona-Maßnahmen schützen.10 Dieser Kampf äußert sich in unbezahlter Care- und Reproduktions­arbeit, die in diesen Erzählungen jedoch empowernd aufgegriffen wird und eine positive Gegenerzählung zu der (feministischen) Kritik an einer gesellschaftlichen Retraditionalisierung in der Corona-Pandemie ermöglicht.

Denn auch das gehört zur gesellschaftlichen Realität: Die staatlichen Pandemie-Maßnahmen insbesondere der Lockdowns, haben Lebensgemeinschaften mit Kindern stark belastet und alleine gelassen. Hier wurden stets individuelle und in der Konsequenz oft eine Retraditionalisierung begünstigende Lösungen gefunden. „Eltern stehen auf“ und „Demo für alle“ bieten hier eine positive Selbstdeutung der frustrierenden Erfahrungen an. Perspektivisch können derartige Bündnisse zu einem gemeinsamen Pool von Wissen, Erfahrungswerten und Mut in Bezug auf Möglichkeiten der Umgehung der Schulpflicht führen. Dabei kann auf aktivistische Erfahrungswerte von PandemieleugnerInnen zurückgegriffen werden. Hier gilt es genau zu beobachten, welche Dimension die Proteste vor Schulen noch annehmen und gegen welche Maßnahmen in Zukunft wohl protestiert wird.

Len Schmid und Rebekka Blum sind aktiv im femPI-Netzwerk (feministische Perspektiven und Intervention gegen die (extreme) Rechte).