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Antifa Ost Verfahren: Ein dreiviertel Jahr Staatsschutz

vom „Solidaritätsbündnis Antifa Ost“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Seit September 2021 läuft der Prozess gegen vier von derzeit mindestens zwölf Beschuldigten im Antifa Ost-Verfahren am Oberlandesgericht Dresden. Den vier Angeklagten werden die Bildung oder Mitgliedschaft einer kriminellen Vereinigung nach Paragraf 129 StGB sowie diverse Angriffe auf Neonazis vorgeworfen, an denen sie in unterschiedlicher Konstellation beteiligt gewesen sein sollen. (vgl. AIB Nr. 132)

Foto: Tobias Möritz

Indizienprozess mit Folgen

Das Verfahren nahm seinen Ursprung mit einigen Festnahmen in Eisenach im Dezember 2019. Im Sommer 2020 zog der Generalbundesanwalt (GBA) das Verfahren wegen einer unterstellten Nähe zum Terrorismus an sich. Dadurch ist unvermeidbar der Staatsschutzsenat vom Oberlandesgericht (OLG) zuständig: Fünf Berufsrichter:innen an der Spitze ihrer Karriere im Kampf für das Gewaltmonopol des Staates. Was überspitzt klingen mag, ist im Dresdner Hochsicherheitssaal ganz real spürbar.

Zunächst ist es bereits ein Statement, dass die Anklage vom OLG angenommen wurde. Dieser liegt die Argumentation zugrunde, dass die Vereinigung „an der Schwelle zum Terrorismus“ gestanden habe. Die freie Meinungsäußerung sei in Gefahr gewesen, ganze Bevölkerungsgruppen hätten sich bedroht fühlen können. Erst dieser Kniff rechtfertigte eine Evokation (Übernahme) durch den GBA.

Dass es sich bei den vermeintlich Geschädigten hauptsächlich um jahrelang aktive Neonazikader handelt, ist deshalb intendiert nebensächlich. Die Evokation hatte entsprechend zur Folge, dass das Verfahren vor einem OLG verhandelt wird und somit ein Präzedenzfall für den mittlerweile verschärften Paragrafen 129 StGB geschaffen werden kann. Diese Verschärfung bedeutet im Detail, dass es keine harten Kriterien - wie Mitgliederlisten, Gruppenkassen oder ein Gründungsdatum - braucht, um eine Verurteilung zu erwirken. Stattdessen sollen einzelne persönliche Kontakte, eine sich vermeintlich wiederholende Vorgehensweise (Modus Operandi) und lose Indizien für den Beweis der Existenz einer Gruppe ausreichend sein.

Das Besondere ist in diesem Fall nicht die schwache Indizienkette oder dass der Unschuldsvermutung ein paar Sprossen weiter unten auf der Karriereleiter die Puste ausging. Das Besondere ist die Umsetzung einer europaweiten Gesetzesverschärfung, die zur Bekämpfung der sogenannten „Organisierten Kriminalität“ eingeführt wurde, die bislang allerdings fast ausschließlich zur politischen Strafverfolgung genutzt wird. Sollte in diesem Verfahren nach Paragraf 129 StGB verurteilt werden, würde das fatale Folgen für die antifaschistische Bewegung haben. Damit wäre der Grundstein gelegt, praktisch jede Aktion, Gruppe und Idee zu einer kriminellen Vereinigung zu konstruieren und so Ermittlungsmethoden und Verurteilungen stark zu vereinfachen.

In diesem Sinne sieht sich der vorsitzende Richter in Dresden, Hans Schlüter-Staats, als Verteidiger des staatlichen Gewaltmonopols. Das macht er durch flapsige Kommentare sowie durch sein Desinteresse für entlastende Momente oder Widersprüche im Konstrukt der Bundesanwaltschaft deutlich. Für einen der Angeklagten wurde im Frühjahr 2022 ein Alibi in den Prozess eingeführt. Ausgerechnet mit Hilfe polizeilicher Überwachungsprotokolle, konkret Videoaufnahmen und Telefonüberwachung (TKÜ), konnte die einzige Tatbeteiligung widerlegt werden, die ihm in diesem Prozess vorgeworfen wird. Dennoch hält der Vorsitzende an seinem Glauben fest, dem Angeklagten könne eine Unterstützung nachgewiesen werden, weshalb er weiterhin wöchentlich vor Gericht sitzen muss.

Aufgrund des zu beobachtenden Prozessverlaufes ist anzunehmen, dass es zu einer Verurteilung kommen wird. Die Beweislage im hiesigen Verfahren ist dennoch denkbar dünn und auch der Senat spricht von einem Indizienprozess, in dem Bekannt- und Freund:innenschaften, wie in Strukturermittlungsverfahren üblich, zu einer Verdachtslage führen. Im Fokus der Ermittlungen, die von der sächsischen Sonderkommission gegen Linksextremismus „Soko LinX“ geführt wurden, stand die Teilnahme einer Frau an Angriffen und ein „Modus Operandi“, eine bestimmte Vorgehensweise der angeblichen Vereinigung. Dieser ist sehr ungenau definiert, hervorgehoben wird lediglich, dass die Angreifenden koordiniert vorgegangen seien, zudem vermummt und in Überzahl gewesen wären und ihre Opfer zuvor ausgespäht hätten. Mit dieser weit gefassten Schablone wurden von der Ermittlungsgruppe „Peluca“ - übersetzt: Perücke - der Soko LinX über eine Vielzahl unterschiedlicher Indizien eine Vereinigung konstruiert. Zu den Indizien gehören diverse Aussagen von Neonazis und Zeug:innen, die eine Frau gesehen haben wollen, sowie Aufnahmen der Innenraumüberwachung zweier Fahrzeuge aus einem anderen Verfahren, das ebenfalls von Bundesanwältin Geilhorn geführt wird.

Die Polizei und die Neonazis

Der Verurteilungswillen des Senats zeigt sich bereits in dem Gerichtsbeschluss, nach welchem der Verteidigung Fragen an die Soko LinX zu ihrem Ermittlungsvorgehen untersagt wurden, obwohl die Verteidiger:innen wiederholt auf die undurchsichtige Motivation der Ermittler:innen hinwiesen. Die Abkehr von einer tatorientierten Aufklärung hin zu einem stark täterorientierten Vorgehen führte in den letzten zehn Jahren zu drei ergebnislos eingestellten Verfahren nach Paragraf 129 StGB in Sachsen, die offensichtlich geführt wurden, um politisch auffällig gewordenen Personen Straftaten zurechnen zu können.

Die Ermittler:innen nutzten ihre beschränkten Aussagegenehmigungen, um nicht zu viel über ihre Methoden verraten zu müssen und sich selbst zu schützen. Jeder Versuch der Verteidigung, Nachfragen zu, teils privaten, Beziehungen zu Neonazis und zum Durchstechen von Informationen an rechte Medien zu stellen, wird direkt unterbunden. Ein Großteil der Polizeizeugen erscheint nur mit Rechtsbeistand und bei mindestens dreien von ihnen stellte sich heraus, dass gegen sie Verfahren laufen. Einer von ihnen, Patrick H. (LKA Sachsen), steht im Verdacht, Informationen an das rechte Compact-Magazin weitergegeben zu haben. Zwei Beamte (MEK Dresden) sind derzeit vom Dienst suspendiert, weil sie Dienstmunition entwendet und an mindestens einem nicht registrierten Schießtraining (Baltic Shooters) teilgenommen haben sollen, welches auch im rechten Nordkreuz-Netzwerk relevant ist.1 Noch nicht einmal, dass Ex-NPD-Stadtrat Enrico Böhm2 ein von seiner damaligen Partnerin recherchiertes Dossier zu vermeintlichen ‚Linken‘ beim LKA abgegeben hatte - mit welchem nachweislich gearbeitet wurde - oder freundschaftliche Verbindungen zwischen einem LKA-Beamten und dem in die rechte Kampfsportszene gut vernetzten Anwalt Denis van Ngoc3 vermögen es, beim Vorsitzenden die Glaubwürdigkeit der Polizeizeugen auch nur ansatzweise in Frage zu stellen. Hinzu kommen Unklarheiten über Kontakte, die Beamte zu den angegriffenen Neonazis in persona heg(t)en, was durch einige Widersprüche zwischen den Aussagen der Beamten und denen der Neonazis deutlich wurde.

Die vermeintlichen Opfer und die BAW

Zu den Angegriffenen gehören bekannte Neonazis aus Sachsen (Enrico Böhm) und Eisenach. Unter ihnen auch Leon Ringl und Maximilian Andreas4 . Im Oktober 2019 wurde die Neonazikneipe des Betreibers Ringl angegriffen und er und seine Besucher verletzt, sowie Teile des Inventars zerstört. Zwei Monate später wurden nach einem weiteren Angriff auf die Neonazi-Clique zwei Autos in der Nähe von Eisenach gestoppt, womit das Antifa Ost-Verfahren seinen Anfang nahm. Drei Jahre später wurden Ringl und Andreas unter Federführung der Bundesanwaltschaft selbst als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung ("Knockout 51") und im Fall Ringls einer terroristischen Vereinigung ("Atomwaffendivision Deutschland") inhaftiert.

Teile der Vorwürfe wurden durch Aussagen ergänzt, die die Neonazis als Zeugen in Dresden getätigt haben, während eben jene Bundesanwaltschaft der unfreiwilligen Selbstbelastung lauschte. Vom Senat in Dresden wird dieser Umstand als Beleg dafür genutzt, dass der Staat eben auch gegen Neonazis vorgehen würde, was auch ein ebenfalls scharfes Urteil gegen die Angeklagten legitimiere. Ein offensichtlich notwendiger offensiver Antifaschismus soll durch diesen Prozess delegitimiert, die antifaschistische Bewegung geschwächt und durch die demonstrierte Macht des Staates emanzipatorische Ideen bekämpft werden.

(Stand des Textes ist Juni 2022)

  • 1Vgl. antifainfoblatt.de/tags/baltic-shooters
  • 2Ein Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat am 3. Juni 2022 ein Haftbefehl gegen Enrico Böhm in Vollzug gesetzt. Ihm wird der Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 StGB) zur Last gelegt. Für diese mietete er, laut Staatsanwältin Ines Peterson, Lagerräume an.
  • 3taz.de/Oberbuergermeisterwahl-in-Leipzig/!5657011
  • 4Ein Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof hat am 6. April 2022 Haftbefehle gegen Leon Ringel, Maximilian Andreas, Eric K. und Bastian A. in Vollzug gesetzt. Den Neonazis wird die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (§ 129 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 StGB) - u.a. "Knockout 51" - vorgeworfen, wobei Leon Ringel zur Last gelegt wird, sich als Rädelsführer beteiligt zu haben.