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Aktuelle Kampflinien der Totalitarismusforschung

Einleitung

Akademische Anti-Antifa 

Mit einer Attacke auf den Widerstandskämpfer Johan Georg Elser versuchen Verfechter einer »Historisierung des Nationalsozialismus«, den deutschen Faschismus weiter zu verharmlosen und langfristig zu entsorgen. Just am 60. Jahrestag des Bürgerbräu-Attentats, dem Adolf Hitler, Rudolf Heß, Goebbels und andere »Blutorden- Träger« der Nazis am Abend des 8. November 1939 nur knapp entgingen, veröffentlichte ein Mitglied des Dresdner Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung, der Privatdozent Lothar Fritze, in der »Frankfurter Rundschau« einen polemischen Aufsatz gegen die Tat Elsers.

Bild: Bundesarchiv 183-E12329 /CC BY-SA 3.0

Der Attentatsversuch auf Adolf Hitler gilt aus konservativer Sicht als moralisch kritikwürdig. Der Bürgerbräukeller nach dem Anschlag.

Fritze spricht Elser das moralische Recht auf einen gerechtfertigten Tyrannenmord ab. Seine These begru?ndet er damit, dass Elser den Tod »Unschuldiger« billigend in Kauf genommen habe, selber bei der Tat nicht vor Ort gewesen sei, um das Unheil abwenden zu können und mit dem fragwu?rdigen und keinesfalls wissenschaftlichen Hinweis auf die mangelnde Intelligenz Elsers. Von einem Schreiner, der den ganzen Tag an der Hobelbank steht, wollte Fritze nicht erwarten, dass er die allgemeine politische Situation richtig einschätzen könne, um zu seinem Entschluss zu gelangen, die Nazi-Fu?hrung auszuschalten. Obwohl die Annexion der Tschechoslowakei, Österreichs und der Angriffskrieg gegen Polen als deutliche Zeichen eines beginnenden Weltkriegs von jedem erkannt werden konnten, behauptet Fritze, dass Elser aufgrund seiner Bildung die ku?nftigen Gefahren nicht habe richtig deuten können. Erst zwei Jahre vor der Veröffentlichung des FR-Beitrags hatte die TU Chemnitz mit einer Presseerklärung zur Antrittsvorlesung Fritzes öffentlich eingeladen, wobei der geringe Bekanntheitsgrad Elsers beklagt wurde. In der Überschrift bedauerte die TU-Leitung, dass die Bombe zehn Minuten zu spät los gegangen sei. Nur zwei Jahre später sorgte die Veröffentlichung der Fritze-Thesen fu?r einen Eklat, der die Politologenzunft der BRD polarisierte. Eine Auseinandersetzung um die qualitativ schlechte Arbeit von Fritze steigerte sich zum Kampf der »geistigen Elite« um den Umgang mit der Vergangenheit und um hoch dotierte Posten in der Wissenschaft. Ideologisch geht es um die Erneuerung der Totalitarismusthese, wonach sich Faschismus und Kommunismus gleichen. Diese Ideologie vernebelt den Zusammenhang zwischen bu?rgerlich- kapitalistischer patriarchal strukturierter Gesellschaft und dem industriell organisierten Massenmorden der deutschen Faschisten und lässt eine differenzierte Betrachtung der Folgen kommunistischer Herrschaft nicht zu. Ziel der sächsischen Totalitarismusverfechter bleibt die Herstellung einer neuen nationalen Identität, zu der eine saubere deutsche Geschichte gehört. Sie soll als Grundlage fu?r hegemoniale Anspru?che der Bundesrepublik in Europa und auf dem Weltmarkt dienen.
Der Freistaat Sachsen ist ohnehin bekannt fu?r seine rechts-konservative Kulturpolitik. Nirgendwo in der BRD können so viele Neonazi-Konzerte stattfinden wie in Sachsen. In keinem Apparat einer Landesregierung sitzen so viele Sympathisanten organisierter rechter Zirkel wie in Dresden. Deshalb scheint die mediale Aufregung u?ber den Beitrag von Fritze und dessen Folgen eher u?berraschend. Kaum ein Blatt, das nicht daru?ber berichtete - wie FR, FAZ, Neue Zu?rcher, SPIEGEL, Focus, TAZ, Jungle World, Junge Welt, konkret sowie die rechten Blätter Deutsche Nationalzeitung (DNZ), Junge Freiheit (JF) und das Ostpreußenblatt. In den meisten Beiträgen geht es um die Einschätzung und Verortung der Protagonisten. Fu?r SPIEGEL und konkret sind der stellvertretenden Institutsleiters des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts fu?r Totalitarismusforschung Uwe Backes und das Mitglied des wissenschaftlichen Beirats, Eckhard Jesse, Vertreter »neurechter« Positionen, die von dem rechtskonservativen Kultusminister Mathias Rößler (CDU) unterstu?tzt werden. Fu?r die bu?rgerliche Presse geht es um die Freiheit von Forschung und Lehre, hier wird der Institutsleiter Klaus-Dietmar Henke formal wegen seiner u?berzogenen Forderung nach Absetzung seines Stellvertreters kritisiert. Die rechten Blätter spielen sich als Gralshu?ter der Verfassung auf, Franz Schönhuber schimpft in seiner DNZ-Kolumne u?ber Zensur. Andere Zeitungen verteidigten die Position von Uwe Backes. Manche sehen einen zweiten »Historiker-Streit« im Anzug. Mag sein, dass der nächste Institutsleiter ab dem Jahre 2001 Eckhard Jesse oder gar Konrad  Löw heißt. Der bis vor kurzem amtierende Präsident des Bundesamtes fu?r Verfassung, Peter Frisch (SPD), verwahrte sich gegenu?ber Institutsleiter Klaus Dietmar Henke und den Medien persönlich fu?r die Integrität Backes und ließ verlauten, dass Backes auf keinen Fall »rechtsextrem« sei.
Tatsächlich geht es bei dem Streit auch um die Hegemonie u?ber das Bildungswesen. Schon 1986 schrieb Michael Stürmer im Rahmen des »Historiker-Streits« in der FAZ, »...daß in geschichtslosem Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung fu?llt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet.« Was das heißt, macht ein Blick in die sächsischen Lehrpläne fu?r den Geschichtsunterricht an Gymnasien deutlich. Der sächsische Gymnasiast »erlernt die Merkmale eines totalitären bzw. autoritären Staates am Beispiel der DDR und vergleicht deren Strukturen mit dem 3. Reich.« LehrerInnen werden an sächsischen Universitäten auf diese Aufgabe hin getrimmt, z.B. von Professoren und Dozenten an den Universitäten in Chemnitz und Dresden, darunter auch Backes und Jesse. Das Hannah-Arendt-Institut in Dresden garantiert mit seinem satzungsgemäßen Auftrag, dass der Stoff nicht ausgehen wird: »Aufgabe des Instituts ist es«, laut § l der Satzung vom 5. April '95, »in Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Dresden, in interdisziplinärer Arbeit von Historikern und Sozialwissenschaftlern die politischen und gesellschaftlichen Strukturen von NS-Diktatur und SED-Regime sowie ihre Folgen fu?r die Gestaltung der deutschen Einheit zu analysieren (...).« Fortschrittlichere Mitglieder des Beirates wie Saul Friedländer haben dieser Satzung zugestimmt. Von dem jetzigen Leiter Klaus-Dietmar Henke ist der Satz bekannt: »Im Vergleich zur Stasi war die Gestapo - was das Hinein fingern in die Privatsphäre ihrer Opfer angeht - eine Laienspielgruppe. « Ideologisch sind zunächst wenig Unterschiede zwischen dem bekennenden Sozialdemokraten Henke und Backes zu erkennen.
Rein äußerlich tobt zwischen den beiden ein typischer männerbu?ndlerischer Hahnenkampf, wie er an einer deutschen Universität tagtäglich stattfindet. Interessant ist der gesellschaftlich-politische Hintergrund, vor dem die beiden ihren Machtkampf entfalten. Hier wird der rechtsozialdemokratische Henke vermutlich den Kampf verlieren. Eckhard Jesse hat in der »Welt« gedroht. Henke seine Zustimmung bei der Wiederwahl 2001 zu versagen. Es ist davon auszugehen, dass ihm Kultusminister Rößler beistehen wird. Jesse repräsentiert beileibe nicht den objektiven Wissenschaftler, fu?r den er sich gerne ausgibt, sondern bedient neben gängigen rechtskonservativen auch deutlich rechtere Zirkel. Als Mitorganisator des „Veldensteiner Kreis zur Geschichte und  Gegenwart von Extremismus und Demokratie“, regelmäßiger Autor von MUT und Co-Autor des notorischen Anti-Kommunisten Konrad Löw, dem eine Nähe zur Moon-Sekte nachgesagt wurde, hat sich Eckhard Jesse seit seinen gemeinsamen Publikationen mit Rainer Zitelmann in der akademischen Szene der Bundesrepublik ganz weit rechts exponiert. Dem Veldensteiner Kreis gehören neben Jesse, Rainer Zitelmann, Uwe Backes auch zwei Mitarbeiter Jesses von der TU Chemnitz an. Am Wochende vom 13./14. November 1999 tagte auf Einladung Jesses auf Burg Veldenstein der Veldensteiner Kreis zur Geschichte und Gegenwart von Extremismus und Demokratie. Einer der Hauptredner war Bernd Rabehl zum Thema »Waren Teile der Studentenbewegung nationalrevolutionär?«. Bernd Rabehl, fru?her in der vordersten Linie beim »Sozialistischen Deutschen Studentenbund « (SDS), beklagte 1998 das »Problem der Überfremdung« Deutschlands und den »Schuldpranger der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg« (vgl. AIB Nr. 49). Völlig untergegangen ist auch die historische Tatsache, dass Burg Veldenstein der Wohnsitz von Emma und Edda Göring war. Bis heute hält sich der Verdacht, dass im oberfränkischen Veldenstein noch Teile der Göringschen Raubsammlung verborgen seien. Göring scheint auf Jesse und Backes eine besondere Anziehung auszuu?ben. Ihren Einstieg in die »neu«-rechte Ecke begannen die beiden mit pseudowissenschaftlichen - Beiträgen zur Schuldfrage der Nationalsozialisten beim Reichstagsbrand am 28. Februar 1933. Backes und Jesse sprachen Göring von jeder Beteiligung daran frei. Die Abteilung der Chemnitzer Seminarbibliothek, die Jesse betreut und öffentlich zugänglich ist, fällt durch die Vielzahl von Werken auf, deren Autoren als rechts bis neofaschistisch bezeichnet werden können. Mit der Herausgabe des Jahrbuchs »Extremismus & Demokratie«, das als (pseudo)-wissenschaftlich unterfu?tterter VS-Bericht angesehen werden kann, haben sich Jesse und Backes daru?ber hinaus ein Medium geschaffen, mit dem sie durch Denunziation insbesondere der Antifabewegung und deren vermeintlichen Protagonistinnen renommieren. Den aktuellen Konflikt am Hannah- Arendt-Institut werden sie in der neuen Ausgabe ihres Jahrbuchs weiter schu?ren. Eckhard Jesse hat erklärt, die Langfassung des Beitrags von Fritze weiterhin publizieren zu wollen, weil dieser »wissenschaftlich vertretbare Positionen verficht«. Johann Georg Elser wird so öffentlich das Etikett eines »Extremisten« angehängt, Hitler und Konsorten als mögliche Opfer eines Extremisten-Anschlags gehandelt. Mitte Februar veranstaltete das Hannah-Arendt-Institut ein dreitägiges Symposium namens »Die Erblast kommunistischer Ideologien im 20. Jahrhundert«. Neben Backes, Fritze, Jesse und Löw durfte auch der Herausgeber des »Schwarzbuch Kommunismus« Stephane Courtois referieren. Der Kampf gegen den Kommunismus geht weiter. Mit Johann Georg Elser wird nun auch ein »waschechter Autonomer« in diesen Kampf einbezogen.