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1941 - Das Jahr, das nicht vergeht

Slavko Goldstein

April 1941: Deutsche und italienische Truppen nehmen das Königreich Jugoslawien ein. Der zweite Weltkrieg erreichte das Land und damit auch den damals 13-jährigen Slavko Goldstein. Die Besatzer teilten die Region neu auf und etablierten unter anderem den Vasallenstaat Kroatien unter der Herrschaft der faschistischen Ustascha und ihrem Anführer Ante Pavelić.

In diesen, auch für Goldstein ganz persönlich schicksalhaften Tagen, setzt das Buch ein. Er lebte damals in der Stadt Karlovac. Sein Vater, ein angesehener Buchhändler mit jüdischem Hintergrund, gehörte zu den ersten Menschen, die unmittelbar nach der Ausrufung des neuen Staates verhaftet und später schließlich ermordet wurden. Für den Autor markiert dieser Vorfall das Ende seiner Kindheit. Im Folgenden schildert er die Entwicklung im faschistischen Kroatien, immer auch eng verbunden mit seiner eigenen Geschichte. Er berichtet von den als „Säuberungen“ bezeichneten Gräueltaten der Ustascha, der Verfolgung, Internierung und Ermordung von Serben, Juden sowie Sinti und Roma, von Menschen die er teilweise persönlich kannte und deren Schicksale er in diesem Buch genauso viel Platz einräumt, wie der Erklärung und Bewertung der historischen Entwicklungen. Goldstein geht dabei mit einer Akribie vor, die die Lektüre aufgrund der vielen Namen und Orte vielleicht manchmal leicht unübersichtlich, aber durch seine angenehme Erzählweise niemals langweilig oder ermüdend macht.

Die Geschichte des Autors und seiner Familie ist dabei so ereignisreich, dass sie allein schon ein Buch füllen könnte. Nachdem auch Goldsteins Mutter 1941 zeitweilig verhaftet wurde, floh die Familie aus Karlovac in ein kleines Dorf und schloss sich schließlich den Partisanen an, in deren Reihen Slavko Goldstein bis Kriegsende kämpfte. Danach lebte er einige Jahre in Israel, kehrte aber schnell wieder nach Jugoslawien zurück, leitete einen Verlag, gründete eine Partei und wurde später Vorsitzender von Zagrebs jüdischer Gemeinde und der Gedenkstätte des kroatischen Konzentrationslagers Jasenovac.

Goldsteins Schilderungen sind eine Mischung aus eigenen Erinnerungen, Recherchen in offiziellen Dokumenten, damaligen Zeitungen und Memoiren sowie Gesprächen mit Weggefährten, Freunden und anderen Zeitzeugen. Wenn er sich an Situationen nicht mehr genau erinnert, lässt er es die Lesenden auch unumwunden wissen. Insofern handelt es sich bei „1941 - Das Jahr, das nicht vergeht“ um eine Mischung aus historischer Studie und autobiographischer Erzählung, die im Übrigen nicht nur den kroatischen Faschismus analysiert, sondern auch die politischen und gesellschaftlichen Folgen für das sozialistische Jugoslawien und seinen blutigen Zerfall Anfang der 1990er Jahre in den Blick nimmt, dessen „Saat“ im Jahr 1941 gelegt wurde, wie es im Untertitel des Buches heißt.

Ursächlich dafür sei unter anderem die fehlende Aufarbeitung der traumatisierenden Geschichte nach Kriegsende gewesen. Diese machte es 50 Jahre später den Nationalisten im zerfallenden Jugoslawien leicht, die Bevölkerungsgruppen erneut gegeneinander aufzuhetzen, Nachbar_innen zu Feinden zu machen und diese letztlich in den blutigsten Konflikt in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs zu führen. Besonders eindrücklich wird dieses Nachwirken des Hasses im Kapitel „Die Geschichte zweier Dörfer“ deutlich, in dem Goldstein die Entwicklung der beiden Orte und die wechselvollen Beziehungen seiner Bewohner_innen zueinander über die Jahrzehnte eindrucksvoll darstellt. Resümierend stellt Goldstein dabei fest, die „Jahre 1991 bis 1995 warfen uns wieder auf die Jahre 1941 und 1945 zurück“ und warnt: „Die Gefahr weiterer Wiederholungen ist nicht gebannt, solange in den Köpfen und Herzen der Menschen die Vorstellung existiert, dass Menschen verfolgt und getötet werden dürfen, nur weil sie als Angehörige einer anderen Nation oder Religion das Licht der Welt erblickt haben – oder es sich herausnehmen, anders zu denken.“ Gedanken, die eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollten. Die Tatsache, dass der Autor die Notwendigkeit sieht, sie noch in der heutigen Zeit ausformulieren zu müssen, machen eigentlich das ganze Dilemma - nicht nur der Region - deutlich.

1941 - Das Jahr, das nicht vergeht“ erschien bereits 2007. Sechs Jahre später wurde es in weitere Sprachen übersetzt und ist erst 2018 auf deutsch herausgekommen.

Slavko Goldstein
1941 - Das Jahr, das nicht vergeht
Die Saat des Hasses auf dem Balkan
S. Fischer Verlag,
Frankfurt am Main 2018
ISBN 9783100025371
Gebunden, 608 Seiten,
30 EUR