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„Niemand kann sich in Belarus der staatlichen Kontrolle entziehen.“

Einleitung

Interview mit Danilo, Aktivist in der antifaschistisch-anarchistischen Szene von Minsk

Foto: abc-belarus.org

„Ich bin der Richter, ich scheiß auf eure Rechte“ — Protestaktion von AnarchistInnen vor einem Gerichtsgebäude in Minsk. Zuvor wurde ein Anarcho-Punkkonzert von Polizei und Geheimdienst aufgelöst und der Konzertveranstalter sowie der Betreiber eines Büchertisches wurden verhaftet.

Antifaschist_innen in Deutschland ist die antifaschistische und anarchistische Bewegung in Belarus vor allem durch die Solidaritätskampagne für den selbstverwalteten Fußballverein Partizan Minsk bekannt. Kannst du einen Überblick über die Szene in Minsk und Belarus geben?

Die linke Szene in Weißrussland ist zwar relativ klein, aber vielseitig. Es gibt wegen der staatlichen Repression jedoch keine Organisationen im eigentlichen Sinne. Die meisten antifaschistischen Aktivist_innen finden sich tatsächlich bei den Ultras und Fans von „Partizan Minsk“. Dort sind die Zugangsbarrieren am geringsten und der Handlungsspielraum ist einigermaßen gegeben. Gleichzeitig ist dort die Gefahr einer Unterwanderung relativ hoch. Die Fans von FC „Partizan“ sind sehr bunt gemischt und viele kommen aus aktivistischen oder subkulturellen Zusammenhängen. Dort sammeln sich aber leider auch viele Gropniks, also AnhängerInnen einer eher kleinkriminellen (post-sow­jetischen) Subkultur, die vor allem durch massiven Alkoholkonsum, ein reaktionäres Weltbild und ein sehr aggressives Verhalten auffallen. Vor allem in Minsk gibt es dann noch die Szene der Anarcho-Kommunisten. Von ihnen geht die stärkste antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit aus. Soweit möglich organisieren sie auch die meisten politischen Aktionen. Viel Anklang findet das anarchistische Prinzip der „Food Not Bombs“ Kampagne. In Minsk verteilen wir seit acht Jahren drei mal pro Woche Essen an wohnungs- und mittellose Menschen. Es gibt dann noch eine ganze Reihe kleiner autonomer anarchistischer Gruppen, die verschiedene soziale Projekte organisieren, wie etwa  die sogenannten „free markets“, auf denen Alltagsgegenstände getauscht werden können. Trotz vieler positiver Ansätze muss ich aber sagen, dass Machismus, Homophobie, Sexismus und Lookismus weit verbreitet sind in der belarussischen Szene, vor allem beim Fußball. Und dann beobachten wir seit einiger Zeit das Aufkommen sogenannter Ethno-Anarchisten, deren Rhetorik oft unverholen faschistische Züge aufweist.

Nach der Solidaritätskampagne für Partizan Minsk ist es recht still um den Verein und die Ultras von „MTZ Ripo“ geworden. Wie ist die aktuelle Situation des Vereins? Welche Bedeutung hat er für die linke Szene in Minsk?

Ich persönlich stehe dem Verein eher distanziert gegenüber. Und ich würde behaupten, dass die politische Bedeutung von „Partizan Minsk“ eher zu vernachlässigen ist. Trotz Selbstverwaltung und einiger antirassistischer Stimmen würde ich den überwiegenden Teil der Ultras dort als unpolitisch bezeichnen. Progressive politische Aktionen aus den Reihen der Fans gibt es leider kaum. Allerdings sollte der Beitrag vieler Fans im Straßenkampf gegen die extreme Rechte nicht unterschätzt werden. Es ist bedauerlich, dass sich das politisches Engagement vieler Antifaschist_innen auf diese Auseinandersetzungen am Rande von Fußballspielen reduziert. Wie gesagt, die wenigsten dort haben einen weitreichenden politischen Anspruch.

Belarus wird seit 1994 von dem Präsidenten Aljaksandr Lukaschenka regiert. Wodurch zeichnet sich sein Regime aus? Welche Auswirkungen hat es auf eure politische Arbeit und euer alltägliches Leben?

Lukaschenka wird in Europa nicht umsonst als Diktator bezeichnet. Sein Regime tritt sehr repressiv auf, mit einem sehr aktiven Geheimdienst und viel Polizei. Ihre Macht wird kontinuierlich ausgebaut. Ich würde das System Lukaschenka als polizeilichen Autoritarismus mit Tendenz zum Tota­litarismus beschreiben, denn es findet eine sehr weitreichende Kontrolle aller Lebensbereiche statt. Auch das Privatleben vieler Menschen ist durch Kontrolle bestimmt. Staatlicher Kontrolle kann sich in Belarus niemand entziehen, alle sind davon betroffen. Vor allem dann, wenn man den Behörden einmal im Zusammenhang mit politischen Aktionen bekannt wurde. Dann kommen sie nach jeder Kleinigkeit bei dir vorbei und stecken dich für zwei Wochen in den Knast — ob du was damit zu tun hast oder nicht. Viele haben auch ihre Jobs verloren oder ihren Platz an der Uni. Dem Regime geht es um die Botschaft. Auch die Anhänger_innen der parlamentarischen Oppositionsbewegungen wurden in den vergangenen Jahren immer wieder zum Schweigen gebracht oder verschwanden gleich ganz. Der repressive Charakter des Systems Lukaschenka zeigte sich jüngst aber auch in der Einführung sehr repressiver Steuergesetze, die beispielsweise eine enorm hohe Pflichtabgabe von arbeitslosen Menschen für die Nutzung öffentlicher Güter verlangt. So wird der Zwang zur Integration in die staatlich kontrollierte und stark normierende Arbeitswelt weiter verschärft und die lebensbedrohliche Not der abgehängten Bevölkerungsteile billigend in Kauf genommen.

Welche Bedrohung geht von organisierten faschistischen und rassistischen Gruppen in Belarus aus?

Wie erwähnt gibt es aus den Reihen der Fans von „Partizan Minsk“ eine militante Abwehr von Faschisten auf der Straße. Das hat zu einer nachhaltigen Einschüchterung der rechten Szene in Minsk geführt. In einigen Stadtvierteln trauen sie sich nicht erkennbar auf die Straße. Jedoch beschränkt sich dieses antifaschistische Engagement meist nur auf die Tage der Fußballspiele, obwohl es auch in Minsk noch Stadtteile gibt, in denen die rechte Szene das Klima dominiert. Eine antifaschistische Gegenwehr erfährt die rechte Szene aber fast nur in Minsk. So ist die Anhängerschaft aller anderen belarussischen Vereine eher rechts dominiert.

Das ideologische Gerüst der rechten Szene ist eher dürftig und theoretische Auseinandersetzungen finden viel weniger statt als noch vor zehn Jahren. Das mag auch mit dem Aufkommen der „Autonomen Nationalisten“ zu tun haben, die eher aktionsorientiert sind, aber kaum etwas hinbekommen. „Autonome Nationalisten“ wie auch die Nationalbolschewisten sind vor allem im Internet aktiv, wo sie Rassismus und Homophobie verbreiten. Es gibt zwar viele rassistische und homophobe Übergriffe, aber die finden nach meiner Einschätzung eher spontan und nicht organisiert statt. Ach ja, auch wenn rechte Strukturen von Repression betroffen sind, um rassistische und homophobe Gewalt kümmert sich die ansonsten stets „engagierte“ Polizei übrigens nicht.

Wie beurteilst du als Antifaschist die Situation in der Ukraine und die dortige Stärke der extremen Rechten?

Die aktuelle Situation in der Ukraine ist sehr komplex und schwer zu durchschauen. Ich kann mich dazu nicht wirklich äußern. Nur so viel: Die vielfachen Allianzen von ukrainischen „Linken“ mit den rechten Bewegungen halte ich für absolut inakzeptabel. Egal mit welchen Zuständen eine Gesellschaft konfrontiert wird, solche Bündnisse darf es nicht geben.

Nationalistische Ideologien sind innerhalb der Belarussischen Oppositionsbewegungen weit verbreitet. Siehst du Ähnlichkeiten zur Maidanbewegung in der Ukraine?

Auf jeden Fall. Auf verschiedenen Ebenen „flirtet“ fast die gesamte sogenannte Opposition mit nationalistischen Themen. Der Kreml hat die Oppositionsbewegung in Belarus deshalb jüngst sogar als neonazistisch bezeichnet. Es gibt ja sogar „Linke“, die sich Ethno-Anarchisten nennen. Da führen wir einen Abwehrkampf im eigenen Lager. Mein Umfeld versteht sich eher als kosmopolitisch, ohne positiven Bezug auf irgendeine Nation oder Kultur. Wir lehnen große Teile der Opposition deshalb ab und wehren uns gegen jede Vereinnahmung. Und außerdem bin ich davon überzeugt, dass sich auch die FührerInnen der Opposition im Falle einer Machtbeteiligung auf Kosten der Gesellschaft bereichern würden, statt für soziale Gerechtigkeit und die Einhaltung der Menschenrechte zu sorgen.

Dieses Jahr finden in Belarus voraussichtlich Präsidentschaftswahlen statt. Nach den letzten Wahlen kam es zu massiven Protesten und Wahlfälschungsvorwürfen seitens oppositioneller Gruppen. Diese wurden gewaltsam niedergeschlagen. Erwartest du erneut ein Aufbegehren, gar einen „belarussischen Maidan“?

Nein, einen „belarussischen Maidan“ wird es nicht geben. Die sogenannte Opposition ist nach den vergangenen Wahlen geschwächt und auf jede Form von Protest und Widerstand wird das System Lukaschenka hart reagieren. Ich erwarte eher, dass sich die repressive Situation in Belarus weiter verschärfen wird.