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Österreich: Die »Jugendtorheiten« eines Parteichefs

Einleitung

Nach anfänglichem Leugnen und empörtem Zurückweisen musste FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache Ende August 2007 gestehen, dass er zu Silvester 1989 an einem illegalen Treffen der neonazistischen Wiking Jugend (WJ) an der gerade durchlässig gewordenen innerdeutschen Grenze teilgenommen hatte und über Stunden von der Polizei angehalten worden war.

Heinz-Christian Strache am 6. Oktober 2007 als Redner beim Europa-Kongress »Europa der Nationen« der Republikaner in Mainz.

Damit holte den aufsteigenden Stern der Völkischen innerhalb nur weniger Monate neuerlich seine Vergangenheit ein. Aber wie schon im Fall der Ende 2006 publik gewordenen Wehrsport-Fotos wurde daraus kein Skandal, vor allem weil die regierende Sozialdemokratie aus machttaktischen Gründen sich weigerte, daraus einen zu machen. 1 Zu nützlich scheint ihnen ein FPÖ-Obmann zu sein, mit dem sogar die konservative ÖVP nicht mehr koalieren kann. Und so sichert Strache der SPÖ die Kanzlerschaft, weswegen er von deren Wortführern beständig umschmeichelt und verharmlost wird. Darum erklärte Bundeskanzler Alfred Gusenbauer (SPÖ) schon Straches paramilitärische Übungen zu »Jugendtorheiten«, aus welchen man ihm »keinen Strick« drehen dürfe.

»Humanitäre Aktion«

Die Ende 1952 in Nachfolge der Reichsjugend und nach dem Vorbild der Hitlerjugend etablierte WJ hatte zum Ziel, Kinder und Jugendliche im nationalsozialistischen Sinne zu erziehen und wehrsportlich zu ertüchtigen. Dies geschah vor allem auf den alljährlichen Pfingstlagern. Daneben hielt man – auch in Österreich (z.B. beim »Bauer im Schlag« in Gmunden) – »Führerausbildungslager« ab. Mit ihren mehr als 500 Mitgliedern und den über 15.000 Jugendlichen, die durch ihre Schulungen gegangen sind, stellte sie ein beträchtliches Kaderpotential dar. Der WJ kam tatsächlich eine erhebliche Bedeutung für die Ausbildung der neonazistischen Szene in Westeuropa zu. Aufgrund zunehmender Verstrickungen von WJ-Kadern in rechte Gewalttaten und offener Verfassungsfeindlichkeit wurde sie im November 1994 verboten.

Aber längst waren insbesondere österreichische Sprösslinge aus der WJ-Kaderschmiede gemäß der bereits 1973 vom WJ-Chef Wolfgang Nahrath aus gegebenen Vorgaben über die Infiltration von Behörden und Parteien an einige »Schalthebel des Staates« gelangt. Als seine Teilnahme an dem behördlich untersagten WJ-Treffen im hessischen Hilders bekannt wurde, versuchte Strache zum allgemeinen Gaudium die Neonazi-Umtriebe als »humanitäre Aktion«, in deren Verlauf er »Care-Pakete« über die Grenze gebracht habe, darzustellen. Und die WJ sei erst danach in den Neonazismus abgeglitten, 1989/90 habe man nur für »den endgültigen Fall des totalitären Kommunismus« demonstriert. Tatsächlich handelte es sich bei diesem Silvester-Treffen um eine neonazistische und revanchistische Manifestation, welche mit der vorübergehenden Inhaftierung von Strache und 50 zum Teil bewaffneten Neonazis endete.

Am Ende der jüngsten Aufregung versuchte Strache es mit einer neuen Strategie gegen weitere Enthüllungen: Im Interview mit der Wiener Wochenzeitung Falter gestand er, im März 1990 gemeinsam mit Norbert Burger, dem Gründer und Anführer der 1988 verbotenen neonazistischen Nationaldemokratischen Partei (NDP), an einem Treffen der Deutschen Volksunion (DVU) in Passau teilgenommen zu haben. Dabei wurde ihm ein – natürlich nur zur Selbstverteidigung angeschaffter – Schreckschussrevolver abgenommen und eine Strafverfügung über mehr als 1000 DM ausgehändigt. Schon am Höhepunkt der Wehrsport-Affäre, als ein Foto kursierte, das Strache mit angedeutetem »Kühnengruß« oder – wie er meinte – beim Bestellen von drei Bieren zeigte, konnte es der FPÖ-Chef nicht ausschließen, dass ein Foto auftaucht, welches ihn mit Hitlergruß zeigt. Aber er wird halt dann fünf Biere bestellt haben.

»Partei der Verfolgten«

Neben dem FPÖ-Chef waren 1989/90 sieben weitere Österreicher aus dem Umfeld des Deutschen Kulturwerkes Europäischen Geistes (DKEG) der Einladung zur – wie es in diesem Milieu heißt – »mitteldeutschen« Grenze gefolgt, darunter der jüngst zum stellvertretenden NPD-Vorsitzenden in Baden Württemberg aufgestiegene Andreas Thierry. Über das DKEG liefen damals die Kontakte zur WJ und zur Nationalistischen Front (NF) Meinolf Schönborns. 1989, kurz nachdem er mit Strache und anderen »überzeugten Antikommunisten« (Strache über sich und Seinesgleichen) in Kärntner Wäldern Wehrsport geübt hatte, machte sich Thierry als »Saalschützer« bei der DKEG-Gästewoche wichtig, danach durfte der mittlerweile zum NF-Kader aufgestiegene Kärntner Neonazi sich mit Referaten hervortun. 1991 sorgte die DKEG-Gästewoche auch überregional für Aufregung, als die Polizei in Schönborns Zimmer einen Aufruf zum Aufbau eines paramilitärischen Nationalen Einsatzkommandos (NEK) fand. Das Schreiben richtete sich an »alle gesunden und sportlichen Kameraden ab 16 Jahre«. Um den »Kampf für ein völkisches Deutschland besser, zielgerichteter, sicherer und noch erfolgreicher durchführen zu können«, sei die »Aufstellung kadermäßig gegliederter hochmobiler Verbindungen«, die »Ausbildung von sportlichen und gesunden Kameraden für den politischen Kampf auf der Straße« und die »Planung und Durchführung von überraschend durchgeführten Aktionen« erforderlich.

Gemeinsam mit Franz Radl junior, in dessen 1991 beschlagnahmten Adressbuch sich Strache findet, betrieb Thierry damals die Volkstreue Jugend Offensive, die bevorzugt in Kärnten »Wochenendlager« organisierte. Daneben vertrieben die beiden Neonazis ein Jugendblatt, das nach dem Vorbild einer WJ-Schülerzeitung Gäck hieß. Ende Januar 2007 verschickte Radl eine Erklärung  Thierrys zur Foto-Affäre. Darin verurteilt der Neonazi die »Kampagne« gegen Strache, »die mittlerweile den Charakter einer Treibjagd angenommen hat, mit dem Ziel, den FPÖ-Chef zu Fall zu bringen.« Daneben gibt er der FPÖ den kameradschaftlichen Rat, sie möge »sich ihrer eigenen Parteigeschichte« besinnen »und wieder Partei für die Verfolgten« ergreifen, »anstatt sich mit den Verfolgern zu arrangieren. Denn es sind längst keine Einzelfälle oder Wirrköpfe mehr, sondern die Zahl der Verfolgten des NSDAP-Verbotsgesetzes hat in den letzten Jahren rund 300 Personen betroffen. (…) Die Tatsache, dass man HC Strache mit dem ›Vorwurf‹ abschießen will, er hätte Kontakte zu ›Neonazis‹, sollte auch jene FPÖ-Mitglieder wachrütteln, denen bislang verborgen blieb, dass in Österreich jede echte Opposition mit einem Gesinnungsterror sondergleichen bekämpft wird. Wenn die FPÖ nicht erkennt, dass das eigentliche Problem das verfassungswidrige Verbotsgesetz ist, läuft sie nicht nur Gefahr, ihren derzeitigen Obmann zu verlieren, sondern sich selbst lahm zu legen.«

Der Wink mit dem Zaunpfahl wurde offenbar verstanden, denn die FPÖ hat das »eigentliche Problem« erkannt: Heute sind es nicht mehr nur Neonazis, welche »Partei für die Verfolgten« ergreifen, sondern auch führende Parteikader. Strache selbst erklärte bereits im Februar, das Verbotsgesetz abschaffen zu wollen und die Parteijugend initiierte gar eine regelrechte Kampagne gegen diesen wichtigen Baustein der österreichischen Verfassung.

  • 1siehe AIB 75