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»Wir sind Menschen und wir wollen wie Menschen behandelt werden«

Einleitung

Flüchtlinge in Berlin wehren sich gegen die Vertreibungspolitik des Senats und das Berliner DRK

Flüchtlingsheim des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) im Berliner Stadtteil Spandau.

Chronologie der Protestaktionen Seit Juni 1999 wehren sich Flüchtlinge in Berlin gegen die sog. Vollverpflegung, z.B. Fertigessen in Plastik, in vier Heimen. Drei Heime unterstehen dem Berliner Roten Kreuz, ein Heim wird von einer Tochterfirma der Arbeiterwohlfahrt (AWO) geführt. Am 1. Juni 1999 wurden diese Heime auf Fremdverpflegung umgestellt, um eine weitere Verschlechterung der Lebensbedingungen der Flüchtlinge durchzusetzen und sie zur Rückkehr zu zwingen. Der überwiegende Teil der betroffenen Flüchtlinge kommt aus Ex-Jugoslawien, aus Bosnien, Serbienund Kosovo. Einen Tag nach der Umstellung blockierten Flüchtlinge die Straße vor einem Heim, um gegen diese Politik der Vertreibung und Entmündigung zu protestieren. In den nächsten Tagen verweigerten sie in verschiedenen Heimen das Fertigessen.

Das Berliner DRK als Träger der Flüchtlingslager – alte Kasernen und ein Krankenhaus mit 400 bis 500 Plätzen – versuchte daraufhin, Gespräche mit den Heimbewohnerinnen zu führen, an denen auch das Berliner Bündnis gegen das Asylbewerberleistungsgesetz und der Berliner Flüchtlingsrat beteiligt waren. Die Flüchtlinge kritisierten und kritisieren vehement die Fremdverpflegung, weil sie ihr gewohntes Essen nicht mehr selbst kochen können, das angebotene Essen eintönig und zu wenig ist, Kinder die Nahrungsaufnahme teilweise ganz verweigern und abnehmen. Sie kritisieren weiter die katastrophalen hygienischen Verhältnisse – es gibt keine getrenntgeschlechtlichen Waschräume und Toiletten, die Türschlösser funktionieren z.T. nicht etc. Das verantwortliche DRK Berlin machte unmissverständlich klar, dass die Fremdverpflegung vertraglich mit dem Bezirksamt Berlin Spandau geregelt ist und es nicht in der Lage sei, hier eine Veränderung vorzunehmen. Bezüglich der sanitären Verhältnisse versprachen sie Abhilfe, praktisch passierte allerdings nichts. Alle Gespräche verliefen ergebnislos.

Die Flüchtlinge fordern:

• Abschaffung der Fremdverpflegung
• Sofortige Auszahlung der Sozialhilfe in bar
• Uneingeschränkter Zugang zu medizinischer Versorgung
• Freie Wahl der Unterkunft
• Kein Aushungern und kein Entzug der Unterkunft von Flüchtlingen, um die Rückkehr zu erzwingen
• Abschaffung des Arbeitsverbotes
• Weg mit dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Ende Juli verlangten die Flüchtlinge in der Hauptgeschäftsstelle des Berliner DRK ein Gespräch mit der Geschäftsführung. Diese war dazu nicht bereit, sicherte aber einen Termin zu, den es bis heute nicht gegeben hat. Eine Protestkundgebung im August bei Sozialsenatorin Frau Hübner verliefebenfalls erfolglos. Anfang September fand eine Kundgebung vor dem Bezirksamt Spandau statt, bei dem der Leiter des Sozialamtes deutlich sagte, dass er auch ganz persönlich hinter der rigidenUmsetzung des AsylbLG steht. Anschließend zog ein Demonstrationszug zum Rathaus Spandau. Bei einem Gespräch am 29. September 1999 im Sammellager Buchholzer Straße ließ das Berliner DRK die Kritik und die Forderungen der BewohnerInnen an sich abprallen, worauf die Flüchtlinge sofort ihren Hungerstreik erklärten. Am 30. September 1999 begannen 180 Flüchtlinge einen Hungerstreik, in dessen Verlauf weitere Aktionen gegen das DRK Berlin und die Senatsverwaltung stattfanden. Trotzdem verlief ein Gespräch mit Frau Hübner, als Verantwortliche für die Berliner Vertreibungspolitik, am 13. Oktober 1999 ohne positive Konsequenzen. Sie hielt trotz aller Proteste an ihrer harten Linie fest. Diese Haltung hatte viele Flüchtlinge zutiefst schockiert. Nach drei Wochen unterbrachen die Flüchtlinge den Hungerstreik, weil viele erkrankt und geschwächt waren.

Im November fanden dann zwei große, gut besuchte Veranstaltungen statt. Am 20. November 1999 beteiligten sich ca. 300 Menschen an einer Demonstration zum UNHCR, wo eine Resolution mit der Bitte übergeben wurde, den Widerstand der Flüchtlinge gegen die Berliner Praxis, sie von Kriegsflüchtlingen zu Wirtschaftsflüchtlingen umzudefinieren, zu unterstützen und öffentlichStellung zu beziehen. Auch dieses Gespräch blieb bis heute konsequenzlos. Die Flüchtlinge warten immer noch auf konkrete Schritte des UNHCR. Anfang Dezember initiierte das Bündnis gegen das AsylbLG einen Spendenboykott gegen das Berliner DRK: »Kein Geld und kein Hemd ans DRK«. In Tageszeitungen und Veranstaltungsblättern wurden Anzeigen veröffentlicht und breit Plakate geklebt.

Zynismus der Sozialverwaltung

Der Kampf der Flüchtlinge, besonders stark von den Frauen getragen, entzündete sich an dem Entzug von Bargeld und dem Zwang zur Fremdverpflegung. Der letzte Rest von selbst bestimmten Leben wurde ihnen genommen, ganz abgesehen davon, dass das Essen schlecht und unzureichend ist. Viele Menschen, besonders Kinder, sind auf Diät und besondere Kost angewiesen. Sie wird verweigert wird, auch wenn Atteste eine Haut-, Magen- oder Darmerkrankung nachweisen. Im Laufe der Monate verschärfte sich das Leben für immer mehr Flüchtlinge, weil ihnen selbst Taschengeld und Fremdverpflegung entzogen wurde. Die Sozialämter übernahmen für Obdachlosigkeit und Essensentzug keinerlei Verantwortung. In einem Brief vom 3. Februar 1999 fordert das Landesamt für Gesundheit und Soziales alle Betreiber von Flüchtlingsunterkünften auf, Flüchtlinge ohne Kostenübernahmebescheide auf die Straße zu setzen – wenn nötig auch mit Polizeigewalt. Dieser Brief wurde einige Wochen vor der Bombardierung Jugoslawiens geschrieben und betraf vor allem Flüchtlinge aus dem Kosovo. Die Angst der Flüchtlinge, auf der Straße zu landen und keinerlei medizinische Versorgung zu erhalten, veränderte die Zielrichtung ihrer Proteste: Sie richtet sich derzeit gegen die Politik der Vertreibung und nicht nur gegen die Fremdverpflegung. Neben dem Berliner DRK als Betreiber und Verantwortlichem für die katastrophalen Lebensverhältnisse in den Sammellagern wird die Politik des Senats und der Sozialämter angegriffen. Rechtlicher Hintergrund dieser Politik ist das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG)

Sozialpolitik als Mittel der Vertreibung

1993 wurde dieses Gesetz verabschiedet, das Flüchtlingen, die Asyl beantragen, in den ersten zwei Jahren eine 20% geringere Sozialhilfe zahlt. Mittlerweile sind es real ca. 30% weniger, und selbst die werden nur in Form von Sachleistungen gewährt – bis auf ein Taschengeld von 80,- DM pro Erwachsenem und 40,- DM pro Kind. Eine medizinische Versorgung findet nur in Notfällen statt. Selbstverständlich unterliegen die Betroffenen einem generellen Arbeitsverbot. Allerdings können sie für 2,- DM Stundenlohn zu Zwangsarbeiten in den Heimen herangezogen werden. Das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik werden damit Menschen aus dem Bundessozialhilfegesetz ausgeschlossen. Menschen werden nicht mehr gleich behandelt, sondern es gibt seitdem ein deutsches und ein nicht-deutsches Existenzminimum. Doch dies ist nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts. Schon 1935 hatte es in einigen Städten und Landkreisen eine 20%ige Absenkung des Fürsorgesatzes für »sozial nicht vollwertige Gemeinschaftswidrige« gegeben und Sachleistungen statt Bargeld. 1941 wurde diese Politik reichsweit festgeschrieben.

Damals wie heute orientiert sich die Sozialpolitik nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern an den Interessen des Staates, Menschen zu stigmatisieren und auszugrenzen. 1997 und 1998 wurde das AsylbLG jeweils novelliert, d.h. verschärft. Ab dem 1. Juli 1997 erhielten alle Flüchtlinge generell für drei Jahre reduzierte Leistungen. Die zweite Novellierung hat den §1a kreiert, der den Sozialämtern die Möglichkeit gibt, Flüchtlingen zu unterstellen, dass sie nur in die Bundesrepublik gekommen sind, um Sozialleistungen zu beziehen. Damit werden z.B. Kriegsflüchtlinge zu Wirtschaftsflüchtlingen umdefiniert. Der §1a verfügt über ein abgestuftes System, Vertreibung und Disziplinierung durchzusetzen, das völlig willkürlich gehandhabt wird.

Konkret bedeutet dies:
• Entzug von Bargeld und Einweisung in Sammellager mit Fremdverpflegung.
• Kürzung oder gänzliche Streichung des Taschengeldes.
• Verweigerung von Krankenscheinen.
• Generelle Leistungsstreichung.

Durch die Proteste hat sich eine breite Unterstützung entwickelt. ÄrztInnen haben Behandlungen ohne Krankenschein übernommen und fordern selbst die Kosten vom Sozialamt ein. Politische Gruppen und Einzelne entwarfen und verklebten Plakate, begleiteten Flüchtlinge auf die Ämter, verschickten Protestschreiben, veranstalteten Spielaktionen mit den Kindern, sammelten Geld usw. Viele Kontakte zwischen den Flüchtlingen und anderen sind entstanden. Neben öffentlichen Protesten gab es auch klandestine Aktionen, z.B. wurde das Sozialamt Tiergarten mit Buttersäure gestraft. Immerhin wurde mit diesem halben Jahr Widerstand erreicht, dass die Vertreibung von Flüchtlingen in der öffentlichen Diskussion präsent ist. Einzelne Sozialämter verlegen Flüchtlingsfamilien in Heime ohne Fremdverpflegung, dort erhalten sie wieder die Chipkarte oder Bargeld. Trotz heftiger Legitimationsprobleme seiner Flüchtlingspolitik in der Öffentlichkeit, hat das DRK Berlin die Verträge mit der Senatsverwaltung, in denen Fremdverpflegung festgeschrieben ist, freiwillig um ein halbes Jahr verlängert. Das bedeutet, dass das DRK Berlin auch zukünftig im Zentrum der Kritik stehen wird.

Mit der Politik von Sozialhilfestreichung bis zur Obdachlosigkeitsollen die Sozialämter die Flüchtlinge zur sog. »freiwilligen Ausreise« bewegen. Viele Kriegsflüchtlinge wurden auf den Ämtern zu Unterschriften unter Papiere genötigt, mit denen sie ihrer Ausreise zustimmen mussten, auch wenn heute in ihren Herkunftsgebieten alles zerstört ist, ihre Häuser abgebrannt und keine Perspektive außer Hunger und erneuter Vertreibungsdruck sichtbar sind. Für das Frühjahr ist sind bundesweit mit Abschiebungen und Vertreibungen nach Ex-Jugoslawien zu rechnen. Betroffen sind ca. 180.000 Menschen. Erkundigt Euch in Eurer Region über die Vertreibungspolitik, besucht Flüchtlingsheime und unterstützt die Flüchtlinge !