Skip to main content

»Willst du Frieden, bereite dich auf den Krieg vor«

Franziska Bruder
Einleitung

Die radikal-nationalistische ukrainische Gruppierung UNA-UNSO1 gehört zu den brisantesten Akteuren in der Ukraine.

  • 1Grundlage meines Textes sind Erfahrungen aus einigen mehr­mona­tigen Aufenthalten in der Westukraine und Kiew, Interviews mit Kriegs­veteranen, mit jüdischen Überlebenden, der Be­such von nationa­lis­ti­schen Kundgebungen und die Internetrecherche.

Es ist Anfang August und sehr heiß, Kiew ist wie leergefegt. Viele haben sich auf ihre Datschen zurückgezogen. Die Innenstadt besteht vor allem aus Touristen und gelangweilten Teenagern, die Eis essen. Ich sitze auf dem Maydan Niezaleschnosti, dem Platz der Unabhängigkeit. Hier haben politische Organisationen ihre Infostände. Mir gegenüber, direkt am U-Bahn-Eingang, sitzt eine cirka vierzigjährige Frau vor einem Stapel Zeitungen und Flugblättern sowie einem kleinen schwarz-roten Fähnchen mit dem Aufdruck UNSO. Um sie herum streicht ein adrett gekleideter junger Mann, weißes Hemd, Krawatte, Akten­tasche in der Hand, Haare sauber nach hinten gekämmt. Er entfernt sich immer wieder ein paar Schritte, behält den Stand aber im Auge. Oft bleiben Leute stehen, in der Regel ältere Menschen, fast ausschließlich Männer, und kaufen eine Zeitung.

UNA-UNSO ist eine Organisation mit zwei Bestandteilen: einem politischen (UNA) und einem militärischen (UNSO) Arm. Gemeinhin wird sie als marginal eingeschätzt. Ich befürchte, dass diese Einschätzung mehr Ausdruck für eine gewisse intellektuelle Überheblichkeit gegenüber einer als primitiv empfundenen Gruppierung ist als der Realität entspricht.

Die Brisanz der Gruppierung wurde vor einigen Jahren offensichtlich, als Ende Mai 2000 in L‘viv der ukrainische Komponist Ihor Bilozir bei einer Schlägerei mit Russen ums Leben kam. Dieser Vorfall wurde breit als russische antiukrainische Aktion rezipiert. UNA-UNSO organisierte maßgeblich Demonstrationen, auf denen viele Tausend Menschen waren, und konnte ihrerseits eine aggressive, antirussische Stimmung anheizen.

Entstehung und Struktur

Seit 1989 ist die Transformation Mittel-Osteuropas voll im Gange, und in einem zweiten Anlauf wurde am 24. August 1991 die Ukraine für unabhängig erklärt. Die dortige politische Elite rekrutiert sich aber weiter aus der alten Nomenklatura. Korruption ist ein Euphemismus bei den Reichtümern, die die Elite anhäuft: Aktuell soll etwa das Schmiergeld für einen Jura-Studienplatz 8000 Dollar betragen. Das offizielle Existenzminimum liegt bei 365 Hryvna (ca. 70 Dollar) – diesen Lohn erhält in Kiew, wo die Löhne im Landesvergleich sehr hoch sind, aber nur ein Drittel der Menschen1 . Die politische Elite, aktuell vor allem in Person des Präsidenten Kutschma und seines Klans, verteidigt ihre Reichtümer und die politische Macht mit entsprechend mörderischen Methoden: Im September 2000 wurde beispielsweise der Journalist G. Gongadze, der zu Korruption in Regierungskreisen recherchiert und publiziert hatte, enthauptet aufgefunden.

In der Ukraine leben cirka 50 Millionen Menschen. Die verschiedenen Landesteile unterscheiden sich stark in bezug auf ihre ethnische und religiöse Zusammensetzung, ihre ökonomische Struktur und ihre politische Kultur. Bedingt ist dies durch die Vereinnahmung der Ukraine in den letzten Jahrhunderten. Zuletzt waren dies der russische, später sowjetische und der polnischen Staat. Vor diesem Hintergrund wird in der Ukraine ein postkolonialer Diskurs geführt, in dem »nationale« Minderwertigkeitsgefühle bezüglich der Kultur thematisiert und die nach wie vor bestehende starke, u.a. wirtschaftliche Abhängigkeit von Russland kritisiert werden. Der ukrainische Staat ist jung, der Bedarf an positiver »nationaler Identifikation« auch anhand von Vorbildern im Kampf um nationale Befreiung ist hoch und: er ist der Main­streamdiskurs2 . Polen und Russen gelten in nationalistischen Kreisen nach wie vor als Erbfeinde. Die eingeworfenen Scheiben bei der russischen Buchhandlung oder der Molotowcocktail in das russische Kulturzentrum in L‘viv in den letzten Monaten lassen sich dadurch erklären.

UNA-UNSO

In diesem grob gezeichneten gesellschaftspolitischen Rahmen zählt die nationalistische Gruppierung UNA-UNSO zur extremen Rechten. UNA steht für Ukrajins‘ka Nacional‘na Asambleja (Ukrainische Nationale Vereinigung) und UNSO für Ukrajinska Narodna Samooborona (Ukrainische Nationale Selbstverteidigung). Die Vereinigung wurde am 30. Juni 1990 gegründet und hieß zunächst Ukrajinska Mischpartyjna Asambleja (UMA) – Ukrainische Überparteiliche Vereinigung. Das Gründungsdatum war bewusst gewählt: Am 30. Juni 1941 rief die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) unter der Füh­rung von Stepan Bandera direkt nach dem Einmarsch der Wehrmacht3   die unabhängige Ukraine aus. Die OUN, 1929 gegründet, war ein Bündnis verschiedener nationalistischer und ex­pli­zit faschistischer Gruppen. Sie verfolgte in den 20er und 30er Jahren sehr genau die Politik Mussolinis und Hitlers, entlehnte aber auch Ansätze bei den Bolschewiki.

Das erste große Medienecho erhielt die UMA nach eigenen Angaben ein Jahr nach ihrer Gründung. Am 30. Juni 1991 organisierte sie in L‘viv einen Fackelzug, an dem 150 uniformierte Männer in militärischer Formation marschierten. Die Organisation wurde danach in UNA umbenannt und trat als Partei zu Wahlen an.

Nach dem misslungenen Putschversuch im August 1991 in Moskau und einer befürchteten »ausländischen [sprich russischen, F.] Invasion« in der Ukraine begann sie mit dem Aufbau von »Selbstverteidi­gungs­strukturen«: der UNSO, einer »offenen, paramilitärischen Massen-Organisation«, wie es im Internet heißt. In die UNSO könnten alle eintreten, Nationalität, soziale Lage oder politische Überzeugung spielten keine Rolle. Es gäbe keine herkömmliche militärische Hierarchie4 wie bei der Roten Armee, den einfachen Soldat und den Offizier, sondern Instrukteure. Die Gruppen seien regional organisiert in einer Stärke von drei bis fünf Personen, und es solle ein Oberkommando existieren. Im Herbst 1993 wurde die UNSO verboten, nachdem sie in uniformierten Kolonnen vor der Verchovna Rada, dem ukrainischen Parlament, aufmarschiert war und »herausgefordert« hatte, wie sie es im Internet nennt.

Trotz dieser Repression zog im Mai 1994 der erste Abgeordnete von UNA-UNSO in das Parlament ein. Bei den Regionalwahlen im selben Jahr kamen Dutzende von Abgeordneten in die kommunalen Parlamente, obwohl die UNA erst im Herbst 1995 legalisiert wurde. Aktuell besitzt die UNA-UNSO Büros in mehreren ukrainischen Städten.5 Der Vorsitzende, Andrij Schkil‘ aus L‘viv, wird oft in (auch seriösen) Zeitungen zitiert.

Politische Inhalte

Zentraler Begriff in der Ideologie von UNA-UNSO ist die Nation. Dabei steht man in der Tradition des integralen Nationalismus der OUN: Die Nation ist der zentrale Wert, der Rest ist ein aktualisierter Querfrontverschnitt, ein Gemischtwarenladen, der u.a. soziale Forderungen aufgreift. Sowohl Kapitalismus wie Sozialismus hätten positive Seiten, es gehe um einen »gesunden Protektionismus«, der aber nicht die Privatinitiative hemme. Man könne das Ideal von UNA-UNSO einen »nationalen Kapitalismus« oder einen »markorientierten Staatssozialismus« nennen. Mit allen Parteien, die das Land von Korruption, Verbrechen (Mafia) und der sozialen Ungerechtigkeit »säubern« wollten, möchte sie zusammenarbeiten.

Historisch bezieht man sich hierfür auf politisch diametral entgegengesetzte Richtungen: Hitler heben sie als Militaristen hervor, der Clausewitz gelesen habe. Andererseits »referieren« sie Che Guevara mit der Parole: »Patria libre o muerte« – und be­schlie­ßen den Artikel mit bat‘kivtschyna lub smert‘ (Vaterland oder Tod). Die UNSO nennt als weitere Bezugspunkte für ihre militärische Stra­tegie: Mao, Mariguella, Bakunin, Kropotkin, die Roten Brigaden, Chomeini, Pilsudski, Franco und Mussolini. Die politische Praxis ist da eindeutiger. So demonstrierte UNA-UNSO vor der spanischen und englischen Botschaft für die Freilassung des »chilenischen nationalen Helden« General Pinochet.

UNA-UNSO, deren Mitgliede nach Eigenaussage vor allem zwischen 25 und 35 Jahre alt sind, will die »gesunde, junge Kraft der Ukraine« sein. Man sieht sich als Avantgarde, die gegen das politische Establishment auftritt – als sauberer, krawattentragender junger Mann am Infostand oder als uniformierter, kahlgeschorener Krieger, der Wehrsportübungen in den Karpaten6 abhält.

Religiöser Fundamentalismus

Durchsetzt sind diese politischen Inhalte mit einer starken christlich-orthodoxen Prägung. Das Kreuz, das die UNSO benutzt, sei ein altes ukrainisches Symbol aus vorchristlicher Zeit, das man oft als Verzierung in Kirchen oder als Verzierung von Waffen findet. Somit sind Tradition, Religion und Militarismus verknüpft. Im Frühjahr 1992 bat der Kiewer Patriarch der ukrainischen orthodoxen Kirche die UNSO, in Sevastopol/Krim eine Gedenkfeier für Priester zu schützen, die dort 1918 von den Bolschewiki erschossen worden waren. Die UNSO fuhr mit einigen Hundert Leuten gemeinsam in einem Zug dorthin – dieser wurde von Polizei und Sicherheitskräften öfters angehalten, kam aber doch schlussendlich auf der Krim an. Dort inszenierte sie sich mit einem Marsch in Uniform durch die Stadt und wurde damit – so schreiben sie im Internet – in der ganzen Ukraine bekannt.7

Aktionen und Kampagnen – Geschichtspolitik, gegen Russland

Im Juli 1993 seien sie im Kontext der militärischen Auseinandersetzungen um Georgien mit dem Freiwilligenkorps Arho dorthin gefahren und hätten sich an den Kämpfen beteiligt, dabei seien einige ihrer Mitglieder gefallen. Weitere militärische Erfahrung sammelten sie in Tschetschenien: Im Oktober 1994 reiste eine Delegation der UNA-UNSO nach Aserbaidschan, Armenien und Tschetschenien, wo sie eine Unterhaltung mit Staatspräsidenten Dudajew hatten. Seitdem würde ein regelmäßiger Austausch gepflegt, und UNSO-Mitglieder hätten auch auf der Seite Tschetscheniens am Krieg gegen Russland teilgenommen.8 1996 wurden Kontakte nach Weißrussland aufgenommen und die dortige »nationale Opposition« im Kampf gegen »die Russen« unterstützt. Bezüglich des Status der unabhängigen Ukraine im Verhältnis zu Russland war die Frage der Rückgabe der Nuklearwaffen an Russland zentral, hier war die UNA-UNSO selbstverständlich strikt dagegen – denn das würde den Interessen des »Washingtoner, des Moskauer und Tel Aviver Imperialismus«(!) entgegenkommen.9  

Geschichtspolitik, gegen »polnische Kolonialisten«

Auf dem Litschakivski-Friedhof in L‘viv liegen polnische und ukrainische Gefallene der militärischen Auseinandersetzungen um L‘viv von 1918/19. Die UNA-UNSO entfernte hier pressewirksam Inschriften auf polnischen Gräbern, da sie die polnische Kolonialpolitik verherrlichen würden. Seit einigen Jahren streiten sich polnische und ukrainische Regierungsstellen, Veteranenverbände etc., wie dieser Toten, vor allem der polnischen, gedacht werden solle. In erster Linie wird das Thema für die nationalistische, antipolnische Propaganda instrumentalisiert. Ein weiterer An­lass war der 60. Jahrestag des Massakers ukrainischer Nationalisten an Polen in Wolhynien am 11. Juli 2003: UNA-UNSO organisierte Kundgebungen vor den polnischen Konsulaten in der Ukraine unter der Parole: »Keine Entschuldigung für Wolhynien – Alles eine Folge der polnischen Kolonialpolitik« – diese monokausal erklärte »Folge« war das grauenvolle Ab­schlach­ten zehntausender Polen und das Abbrennen ganzer Dörfer.10

Die Bedeutung der UNA-UNSO wird vor allem von der weiteren Entwicklung der sozialen Auseinandersetzungen abhängen und inwieweit diese national aufgeladen und »gelöst« werden (sollen).

  • 1Die Rentnerin, bei der ich in Kiew wohne, hat ihr Leben lang als Ärztin gearbeitet und erhält jetzt eine Rente von 140 Hryvna.
  • 2Beispielsweise werden an Geschichtslehrstühlen Promotions- oder Habili­tationsthemen abgelehnt, die nicht »patriotisch« genug seien.
  • 3Gemeinsam mit der Wehrmacht marschierte das ukrainische Bataillon Nachtigall ein. Es spielte eine zentrale Rolle bei der Ermordung von Juden in der Ukraine. Nachtigall wurde von dem OUN-Mitglied Roman Schuche­wytsch kommandiert. Sein Sohn, Jurij Schuche­wytsch, der wegen seines Vaters viele Jahre in sibi­ri­schen Lagern verbrachte und dort erblindete, spielt heute eine zentrale Rolle innerhalb der UNA-UNSO.
  • 4Das ist eine Parallele zum bewaffneten Arm der OUN während des Zwei­ten Weltkrieges, der Ukrainischen Aufstands­armee (UPA), auch dort wurde immer die Egalität der Struktur betont.
  • 5In Lemberg ist das Büro passender Weise in der Taras Tschuprinka Strasse, das ist das Pseudo­nym von Roman Schuchewytsch, als er UPA-Kommandeur war.
  • 6Bilder davon und von Kampf­einsätzen in Tschet­schenien finden sich im Internet.
  • 7Politische Brisanz erhielt diese Aktion auch wegen der damals anstehenden Entschei­dung, ob die Krim zur Russi­schen Föderation gehöre. Heute ist die Krim eine autonome Repu­blik im Rahmen des ukrainischen Staates.
  • 8UNA-UNSO arbeitet seit 1994 mit der Islamischen Partei Vidrodschennja (Wiedergeburt) zusammen, die die größte islamische Organisation Mittel­russ­lands sei.
  • 9Zu Israel oder Juden schreibt die UNA-UNSO an keiner weiteren Stelle.
  • 10Die heutigen poli­ti­schen Nachfolgeorganisationen der OUN, die haupt­sächlich mit Geldern nord­amerikanischer Emigranten aufgebaut wurden, wie die KUN (Kongress Ukrainischer Nationalisten), die in dem Wahlbündnis Unsere Ukrai­ne (Nascha Ukrajina) des aussichtsreichen Präsident­schaftskandidaten Juscht­schenko vertreten ist, sind ihnen schlicht zu lasch.