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»Papiere für alle«

Einleitung

Proteste gegen die geplante Innenministerkonferenz in Garmisch

Derzeit ist die Zahl der Flüchtlinge, die in Deutschland Asyl beantragen, so gering wie nie zuvor. Gleichzeitig dreht sich das Abschiebungskarussell immer schneller. In ihrer Abschiebewut verstoßen Ausländerbehörden – mit Rückendeckung der politisch Verantwortlichen – gegen geltende Gesetzesvorschriften, wann immer es ihnen passt – wie vor kurzem beispielsweise in Hamburg.

In dieser Situation versuchen unterschiedliche Initiativen ein Bleiberecht für langjährig in Deutschland lebende Flüchtlinge und Bürgerkriegsflüchtlinge durchzusetzen. Bislang jedoch ohne Erfolg. Zuletzt scheiterten auch extrem eingeschränkte »Bleiberechtsvorschläge« von Seiten einiger Bundesländer bei den Innenministerkonferenzen in Stuttgart im Juni 2005 und im Dezember 2005 in Karlsruhe an der komplett verhärteten Position der Landesregierungen von Baden-Württemberg und Bayern. Rund 200.000 langjährig in Deutschland lebende »Geduldete« werden damit weiter im rechtslosen Wartezustand auf die Abschiebung hingehalten. Viele Kinder und Jugendliche, die als Alleinreisende minderjährige Flüchtlinge selbst von Abschiebung bedroht sind oder mit ihren Familien unter die Duldungsregelungen fallen und aufgrund dessen nach dem Ende ihrer schulischen Ausbildung beispielsweise kein Studium und keine Lehre beginnen dürfen, organisieren inzwischen gemeinsam mit (Schul)-FreundInnen eigene Proteste.

So heisst es da unter anderem: »Alle Kinder und Jugendlichen, die in Deutschland zur Schule oder in den Kindergarten gehen, die hier leben, hierher geflohen oder hier geboren sind, sollen weiterhin das Recht erhalten, mit ihren Eltern und Verwandten in der Bundesrepublik Deutschland zu leben. Ihre Eltern sollen arbeiten dürfen, um für ihre Kinder sorgen zu können. Die Kinder sollen später einen Beruf lernen dürfen. Auch ihnen soll erlaubt sein zu arbeiten, zu reisen und weiterhin hier zu leben.«

Unterstützung erhalten die Jugendlichen in Berlin beispielsweise durch das Grips-Theater, das einerseits das Theaterstück »Hier geblieben« aufführt und andererseits seit längerem eine gleichnamige Kampagne von Pro Asyl aufgreift, die inzwischen von vielen KünstlerInnen unterstützt wird. So demonstrierten beispielsweise Anfang Januar diesen Jahres rund 600 Menschen vor den Parteizentralen von SPD und CDU, um ihrer Forderung nach einem Bleiberecht und der vollständigen Umsetzung der UNO-Kinderrechte Nachdruck zu verleihen. Der Termin war bewusst gewählt worden: Zeitgleich debattierten im Bundestag die Abgeordneten auf Antrag der Grünen über eine so genannte »Altfallregelung«. Auf der Demonstration selbst stellten viele Jugendliche Fälle von Abschiebung bedrohter MitschülerInnen vor, für die sie sich einsetzen. So zum Beispiel SchülerInnen der Moses-Mendelssohn-Schule in Berlin-Mitte, die für das Bleiben des 15jährigen Junior und seiner Schwester Janga kämpfen.

Den Protest auf die Straße tragen

Die Forderungen direkt an die zuständigen PolitikerInnen zu bringen, steht auch im Mittelpunkt weiterer Aktionstage in diesem Frühjahr. Am 22. April ist ein dezentraler, bundesweiter Aktionstag für das bedingungslose Bleiberecht für alle geplant. Für Hessen beispielsweise ist an diesem Tag eine zentrale Demonstration in der Landeshauptstadt Wiesbaden geplant; in Niedersachsen soll es an diesem Tag Aktionen in Göttingen geben und in Nordrheinwestfalen wird voraussichtlich eine Demonstration in Herne stattfinden, um die aktuellen Auseinandersetzungen, die hier im Heim statt finden, zu thematisieren. Während die Innenminister der Länder dann vom 3. bis zum 5. Mai in Garmisch tagen, soll es zum einen am 3. Mai eine Demonstration in München geben sowie am 4. Mai eine Demonstration in Garmisch direkt. In der Vorbereitung zu den Aktivitäten gegen die Innenministerkonferenz haben das Antirassismusplenum Göttingen, LibaSoli Göttingen und der Arbeitskreis Asyl Göttingen eine Analyse zur Debatte gestellt, die den Fokus und die Forderungen der Kampagne erheblich erweitert.

Darin heisst es unter anderem: »Seit einigen Monaten sehen wir uns einer neuen öffentlichen Bleiberechtsdebatte gegenüber. Auf den vergangenen Innenministerkonferenzen (IMKs) wurde von Seiten der Innenminister der Länder über mögliche Bleiberechtsregelungen diskutiert. Die konkreten Vorschläge der Innenminister sind allerdings von dem, was der Begriff ‘Bleiberechtsregelung’ suggeriert, weit entfernt. Die Konzepte gegen in Richtung einer Selektion von ‘nützlichen‘ Flüchtlingen und MigrantInnen – die bleiben dürfen, wenn sie sich selbst versorgen und ihre Arbeitskraft gerade benötigt wird; und in ‘kostenverursachende’ Flüchtlinge und MigrantInnen, die abgeschoben werden bzw. weiter im entrechteten Zustand der ‘Duldung’ leben sollen. Wir halten es für notwendig, in dieser Diskussion zu intervenieren, zumal zu erwarten ist, dass die öffentliche Debatte um Legalisierung/Bleiberecht nach dem Beschluss einer Regelung durch die Innenministerkonferenz erst einmal beendet sein wird.«

Hinzu kommt, dass die Bundesregierung verpflichtet ist, einige Richtlinien der Europäischen Union umzusetzen, die das Zuwanderungsgesetz betreffen. Ein erster Entwurf des Innenministeriums für diese Änderung sieht weitgehende Verschärfungen für Flüchtlinge vor. Nachdem es der rot-grünen Bundesregierung gelungen ist, das Zuwanderungsgesetz vor einigen Jahren unter dem Deckmäntelchen verbesserten Flüchtlingsschutzes und der Einführung von – jetzt wirkungslosen – Härtefallregelungen durchzusetzen, würde es nicht erstaunen, wenn die Bleiberechtsdebatte, die zur Zeit hauptsächlich »von oben« geführt wird, der Deckmantel für weitere restriktive Regelungen sein soll.

In den vergangenen Jahren und aktuell kämpfen viele Flüchtlingsgruppen lokal und überregional gegen Abschiebung oder/und für die Erlangung sozialer Rechte. Der Versuch, diese Kämpfe, Strategien und Erfahrungen in der Praxis zusammenzubringen und für gemeinsame Forderungen eine gemeinsame Kampagne zu führen, könnte die Kämpfe bestärken. Deshalb sehen AntirassistInnen zur Zeit einen guten Zeitpunkt und vor allem die Notwendigkeit zur besseren Vernetzung und gemeinsam getragenen Forderungen und Aktionen. Sie wollen mit ihrem Vorschlag an die verschiedenen Ideen und Kampagnen der vergangenen Jahre und die lokalen Kämpfe gegen Abschiebung anknüpfen und schlagen vor, die Kampagne unter die Forderung »Papiere für alle« zu stellen.

»Papiere für alle« nimmt als Forderung direkt Bezug auf die Kämpfe gegen Abschiebungen und fordert Bleiberecht, soziale Rechte und Legalisierung für alle Flüchtlinge und MigrantInnen, die keinen oder einen prekären Status haben oder denen droht, den erlangten Aufenthaltstitel zu verlieren. Zugleich stellt sich »Papiere für alle« gegen die Absicht der Ausländerpolitik Flüchtlinge in »gute« und »schlechte« einzuteilen. Wenn auch ungewollt, wird diese Einteilung oft auch in antirassistischen Protesten vorweggenommen. »Papiere für alle« sollte gegen diese Spaltung nach ökonomischen oder Kriterien der Herkunft stehen. Damit könnte die Kampagne weitergehende Forderungen in die Auseinandersetzung um die »Bleiberechtsregelung« bringen als es zum Beispiel derzeit der »Hier geblieben«-Kampagne gelingt. Allerdings ist »Papiere für alle« in der Vergangenheit häufig eine Forderung speziell für die Legalisierung Illegalisierter gewesen. Der Vorschlag soll vor allem einen Einstieg in die Diskussion bieten.


Weitere Informationen:
www.abschiebemaschinerie-stoppen.de/papiere-fuer-alle
www.hier.geblieben.net