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»Kunst ist nie unschuldig«

Einleitung

Anlässlich der in Schwerin eröffneten Ausstellung zu Arno Breker, dem Haus- und Hofkünstler Adolf Hitlers, befragten wir Prof. Dr. Silke Wenk vom Kultur­wissenschaftlichen Institut der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg zur aktuellen Rezeption Brekers. Silke Wenk ist Mitglied der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) und wirkte 1987 an dem Ausstellungsprojekt »Inszenierung der Macht – Ästhetische Faszination im Faschismus« mit.

Die Arno-Breker-Ausstellung in Schwerin

Aus welchen ästhetischen Strömungen speist sich Brekers Werk?

Brekers Skulpturen stellen keineswegs, wie häufig behauptet wurde und auch noch wird, ein geschlossenes Oeuvre dar, das als das ganz Andere aus der Geschichte der Kunst der Moderne heraus fällt. Die Vorstellung, dass Moderne und Nationalsozialismus sich gegenseitig ausschließen, wie sie (nicht nur) die Kunstgeschichtsschreibung lange Zeit nach 1945 bestimmt hat, ist durch diverse historische Forschungen der letzten beiden Jahrzehnte gründlich widerlegt worden. Es handelt sich um einen Mythos, oder auch eine Art Abwehrzauber gegen kritische Fragen, die sich auch an die Gegenwart stellen und an die Geschichte der Moderne, auf die sich sie sich jeweils bezieht.

Der Fall Breker konfrontiert mit der Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Macht, nach dem Verhältnis des uns als schön und ideal Erscheinenden und Herrschafts- und Gewaltsystem. Fragen, die sich nicht nur angesichts des Futurismus, um ein Beispiel aus der Geschichte der Avantgarde anzuführen, sondern angesichts ebenso unbefragt hochgeschätzter Künstler der Renaissance. Man kann auf solche Fragen freilich unterschiedliche Antworten geben, man kann mit einem Schulterzucken sagen, dass eben auch Künstler nie jenseits ihrer Zeit waren. Man kann aber auch gegen die Normalisierung des Nationalsozialismus arbeiten, und sich provozieren lassen von der Geschichte des Zusammentreffens von hoch ambitionierter Kunst und Künstlern und des staatlich durchgesetzten Terrors des Nationalsozialismus und versuchen, die Analyse weiter zu treiben. Dass schöne Kunst nie unschuldig ist im System von Herrschaft, entbindet uns nicht von der Aufgabe, im Konkreten die ethische Frage zu stellen.

Doch zurück zu Breker. Die Ausstellung ist Schwerin zeigt frühe Skulpturen Brekers vor 1933, die sich stilistisch und thematisch leicht in den Kontext der figürlichen Bildhauerei der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einordnen lassen. Nachzuvollziehen ist, wie der junge, 1900 geborene Künstler experimentierte mit den verschiedenen Vorbildern figurativer Skulptur zwischen den Neuerungen künstlerischer Avantgarde, die mit dem Namen Auguste Rodin verknüpft sind, mit der Abstraktion und Neoklassizismus in Westeuropa. Breker hat jedoch, wie andere Künstler in Deutschland im Ersten Weltkrieg, z.B. auch der Bildhauer einer Generation vor ihm, z.B. Georg Kolbe oder in Frankreich Aristide Maillol, nie den Anspruch der figürlichen Darstellung aufgegeben. Er hat sich nie der künstlerischen Kritik des idealen »ganzen Körpers« und der damit verknüpften Mythen und Versprechen gestellt, wie sie von Seiten dadaistischer oder surrealistischer KünstlerInnen vorgetragen wurde. Offensichtlich hat er sich in der auch bei anderen Künstlern in der seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre verfolgbaren (Rück-)Wende hin zum Gegenständlichen und ganzen, heilen Körperbild bessere Erfolgschancen ausrechnen können.

Welche Bedeutung hatte Breker innerhalb des Kunstbetriebes im NS-Staat?

Die eigentliche Karriere begann für Breker im NS-Staat, als er 36 Jahre alt war. Für die Skulpturen »Zehnkämpfer« und »Siegerin« für das Reichsportfeld in Berlin erhielt er eine Auszeichnung des Internationalen Olympischen Komitees. Er wurde Hitlers »Lieblingsbildhauer«, d.h. konkret er bekam die großen Aufträge zur Repräsentation des NS-Staates.

Dass Brekers Skulptur im faschistischen Sinn brauchbar und wirksam war, lag nicht an einer semantischen Eindeutigkeit, sondern vielmehr an ihrer Vieldeutigkeit und der Verknüpfung verschiedener stilistischer Elemente, die nur zusammenhielt, dass sie sich im Rahmen westeuropäischer Tradition (mit ihren Ausschlüssen und Verwerfungen des Anderen) bewegten. Das haben Wolfgang Fritz Haug, Frank Wagner und Gudrun Linke bereits vor zwanzig Jahren in dem von der Neuen Gesellschaft für bildende Kunst herausgegebenen Katalog »Inszenierung der Macht. Ästhetische Faszination im Faschismus« überzeugend und klar herausgearbeitet. (Übrigens gibt es interessanterweise in dem Schweriner Katalog, in dem die mangelnde kunsthistorische Beschäftigung mit Breker beklagt wird, keinen einzigen Hinweis auf diese Veröffentlichung von 1987.)

Haug hat von einer einschneidenden Umordnung der Funktionen des Schönen im deutschen Faschismus gesprochen, einer Beauftragung der Schönen Künste mit der »Konstitution des Subjektkörpers als Staatskörper«: Der von Breker gebaute Körper war »das große Vor-Bild, der Körper in den Augen des Großen Subjekts, des Führers, der Körper der Ordnung, den die Männer nachbilden sollen, wollen müssen.« Und was sie wollen sollten, war eben auch, bedingungslos opferbereit zu sein, eine Anforderung, die Breker insbesondere in den Kriegsjahren attraktiv in Szene zu setzen bemüht war.

Brekers Skulpturen wurden zugleich integraler Bestandteil der staatlichen Repräsentationsbauten, einer Beeindruckungsarchitektur, die darauf aus war, all die verschiedenen stilistischen Elemente, die (nicht nur) der Mehrheit der damaligen intellektuellen Elite bedeutsam waren, zu integrieren. Damit verbunden war der Versuch, durchaus vergleichbare Versuche neoklassizistischer Architektur in anderen westeuropäischen Ländern oder den USA monumental zu übertrumpfen.

Zu einer ähnlichen Kontroverse wie jetzt kam es ja bereits anlässlich der Aufführung der Filme der Riefenstahl im Filmmuseum in Potsdam. Kann man NS-Kunst heute unbefangen präsentieren?

»Unbefangen« kann man das nie. Wer beansprucht, das zu tun und behauptet, demgegenüber ist Misstrauen angesagt. Wer behauptet, sich ganz neutral oder objektiv »dem Werk« zu stellen, der versucht – ob bewusst oder nicht – nicht nur die immer schon gegebene eigene Verwicklung in ein Kunstwerk, das eigene subjektive Interesse an ihm zu vertuschen, sondern reproduziert auch eine Vorstellung, auf die auch die Nazis bauen konnten, nämlich dass Kunst überzeitlich und unabhängig von den jeweils gegebenen Machtkonstellationen sei.

Zudem ist die Bedeutung der damals noch relativ neuen Medien, wie Fotografie und Film, ernst zunehmen, ohne die nicht nur der Erfolg Hitlers wohl schwerlich möglich gewesen wäre, sondern auch der Erfolg Brekers und anderer Bildhauer. Die mit großem Aufwand betriebene massenmediale Vermittlung der »neuen Kunst« des NS-Staates machte die Skulpturen, auch die im Inneren der nicht für jedermann zugänglichen Reichskanzlei, nicht nur für jedermann sichtbar, sondern trug entscheidend zu ihrer Faszination bei. Auch das ist längst analysiert worden.

Wie sollte eine kritische öffentliche Auseinandersetzung mit dem Schaffen von Breker heute aussehen?

Ein autoritatives Schauverbot, wie es schon vor zwanzig Jahren in der Debatte um »Nazi-Kunst ins Museum?« mehr oder weniger von einigen kritischen Intellektuellen gefordert wurde, wäre ohne Zweifel kontraproduktiv. »Dämonen der Kunstgeschichte« – als einen solchen soll laut Schweriner Zeitung (Kulturmagazin vom 30. 8. 2006) Klaus Staeck Breker jüngst bezeichnet haben – produziert man eben durch Verbot, durch Ausschluss. Man kann es auch als Akt der Pornographisierung analysieren, in dem das Verbotene zusätzlich mit Bedeutung aufgeladen wird.

Die Ausstellung in Schwerin könnte insofern einen positiven Effekt haben, als sie die relative Harmlosigkeit der Brekerschen Skulpturen sehen ließ – jenseits des monumentalen architektonischen Kontextes. Und zugleich deren schlichte plastische Übersetzung von Idealkörpervorstellungen und die Kontinuitäten (vor 1933 und nach 1945) im »Body Building« sportlicher Heroen und in der Zurschaustellung der Stereotypen ihnen polar entgegen gesetzter Weiblichkeit.

Doch zum Verständnis der Wirksamkeit und offenbar immer noch nachwirkenden Faszinationen geschweige denn zur Dekonstruktion derselben hat die Ausstellung keinen Beitrag geleistet. Sie hat die Kontexte ausgeblendet und die BesucherInnen nicht darüber aufgeklärt, dass die Skulpturen eines Breker ihre Wirkung nicht als solche entfaltet haben oder entfalten konnten, sondern im Kontext architektonischer und staatlicher Repräsentation.

Sie hat insofern das wiederholt, worauf die »Faszination« des Nationalsozialismus bauen konnte, nämlich die Suggestion, die Unterstellung, dass Kunst »als solche« – unabhängig vom architektonischen Rahmen und sozialen Kontext – wirksam sei. Hier liegt meines Erachtens ein entscheidendes Versäumnis. Aber gleichwohl stellen uns die große Resonanz der Ausstellung, insbesondere die große Zahl der BesucherInnen – aussteht wohl noch eine Auswertung ihrer Zusammensetzung bezogen auf Alter, sozialen Status und Geschlecht! – vor die Frage, ob die Arbeiten Brekers auch weiterhin ein Versprechen enthalten, das noch nicht  abgegolten ist und eben auch nicht sein kann, weil es notwendig illusionär ist, gleichwohl als solches virulent geblieben ist.

Vielen Dank für das Gespräch.